Der Berg kreißte und gebar eine Maus

Jens Berger
Ein Artikel von:

Nachdem der Schulz-Hype verebbt und der Schulz-Zug in drei Landtagswahlen entgleist ist, sollte auch den Chefstrategen im Willy-Brandt-Haus klar sein, dass ein Erfolg bei den kommenden Bundestagswahlen jetzt nur noch über ein mutiges inhaltliches Konzept möglich ist. Dass man die Menschen auch mit Inhalten begeistern kann, hatte zuletzt Jeremy Corbyn bewiesen. Von Labour lernen, heißt siegen lernen. Davon will die SPD jedoch nichts wissen und geht mit einem Steuerkonzept in den Wahlkampf, das trist und mutlos, ja unterambitioniert ist. Durch den Wegfall des Solidaritätszuschlags hat die SPD sich zudem ein Instrument herausgesucht, das vor allem die Besserverdiener entlastet. Nein – die SPD will die Wahlen nicht gewinnen. Anders ist derlei Feigheit vor dem politischen Feind nicht zu erklären. Von Jens Berger.

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„Gerechtigkeit“ ist nur ein Wort; ein Wort, das SPD-Vizekanzlerkandidat Schulz gerne in den Mund nimmt. Doch wir alle wissen, dass Gerechtigkeit Geld kostet und man in Zeiten von schwarzer Null und Schuldenbremse nur dann mehr Geld ausgeben kann, wenn man mehr Geld einnimmt. Im Staatswesen hat sich das Konzept der Steuern als primäre Einkommensquelle des Staates weitestgehend durchgesetzt. Wer mehr investieren und für mehr Gerechtigkeit sorgen will, kommt daher auch nicht um Steuererhöhungen herum. Ein Blick auf die Spitzensteuersätze innerhalb der EU zeigt auch, wo Deutschland Aufholbedarf hätte: Es gibt nur wenige west-/mittel- bzw. nordeuropäische Länder, die ihre Wohlhabenden und Besserverdiener geringer zur Kasse bitten als Deutschland. Dies könnte man fast als Steilvorlage für einen Kandidaten einer zumindest nominal sozialdemokratischen Partei bezeichnen. Doch der Kandidat der SPD versemmelt sogar diese Steilvorlage.


© FAZ

Der Spitzensteuersatz soll um drei Prozentpunkte erhöht werden, dafür aber auch erst später greifen. Das ist richtig, aber viel zu zaghaft. Als Entlastung will die SPD den ohnehin auslaufenden Solidaritätszuschlag zuerst bei den niedrigen und mittleren Einkommen abschaffen. Auch das ist schon richtig und nett, aber auch nicht wirklich inspirierend und nutzt vor allem den Besserverdienenden. Besser ist da schon, dass die SPD endlich die Abgeltungssteuer abschaffen und Finanzeinkommen endlich wieder genau so hoch wie Einkünfte aus eigener Arbeit besteuern will. Gut so. Und weiter? Weiter geht es nicht. An dieser Stelle verließ die SPD bereits der Mut. Zum Thema Erbschaftssteuer nur Vages, von einer Vermögenssteuer ist noch nicht einmal die Rede. Die SPD will also mehr Gerechtigkeit und greift dabei auf ein Steuerkonzept zurück, dessen Steuersätze immer noch meilenweit unter den Steuersätzen während der Ära Kohl liegen? Sogar 2013 unter Kandidat Steinbrück war man da mutiger. Oh ja, das ist ungemein staatstragend und Angela Merkel wird sicher vor lauter Freude ein doppeltes Eierlikörchen geordert haben. Denn für einen Herausforderer grenzt dieses lahme Steuerkonzept streng genommen schon beinahe an Arbeitsverweigerung.

Die ausgesandte Botschaft wird in den Redaktionen auch genau so verstanden und mit einer Mischung aus erleichtertem Wohlwollen und gespielter Aufregung kommentiert. SPIEGEL Online stellt beispielsweise erleichtert fest, dass Schulz nun „Seriosität und Ausgewogenheit“ demonstriert und mutmaßt bereits, dass nun auch Ex-Kanzler Schröder „wieder mit dabei sein kann“ (sic!), da Schulz ja inhaltlich wieder auf Schröder-Linie gerückt sei. Sag mir, wer Dich lobt und ich sage Dir, was Du falsch gemacht hast. Wer ernsthaft fordert, dass Schröder im Wahlkampf Schulz beiseite stehen soll, hat auf die CDU gesetzt. Jede Wette! Nicht wirklich abgeneigt ist auch da auch die FAZ. Man findet das Konzept zwar generell „zu knauserig“, aber im Großen und Ganzen ist man schon erleichtert, dass die Gerechtigkeit auch künftig einen weiten Bogen um das wirtschaftliche Herz Europas machen wird und alles beim Alten bleibt.

Für den krawalligen Part ist wieder einmal die WELT zuständig. Dort prophezeit der Autor der SPD, dass sie „mit diesem Steuerkonzept nicht gewinnen wird“. Das ist zweifelsohne korrekt, nur die Begründung ist Satire in Reinkultur: Die SPD habe sich mit dem Steuerkonzept „so weit links positioniert, dass die Mitte sie nicht wählen wird“. Auf derlei Unsinn muss man wohl wirklich nicht näher eingehen. Wenig überraschend ist auch, dass die Unternehmerlobby zu dieser Gelegenheit wieder einmal ihre Standardreden vorträgt. Höhere Einkommenssteuern würden der Wirtschaft Kapital entziehen und damit Innovationen und Investitionen hemmen“, so tönt beispielsweise DIHK-Präsident Eric Schweitzer. Nein, Herr Schweitzer, so ist das natürlich nicht. Auch Personenunternehmen zahlen nämlich ihre Steuern nicht auf die Einnahmen, sondern nur auf die Gewinne. Und Investitionen werden nun einmal vor der Steuer abgezogen. Umgekehrt wird also ein Schuh daraus: Wer nicht investiert, sondern hohe Gewinne auflaufen lässt, wird durch einen hohen Steuersatz bestraft. Wer investiert, drückt damit natürlich auch seinen Gewinn im aktuellen Steuerjahr und muss daher weniger Steuern bezahlen. Das ist kein Bug, sondern ein Feature. Selbstverständlich weiß dies auch ein Herr Schweitzer. Aber warum sollte er dies berücksichtigen, wenn die Zeitungen seine unwahre PR auch so 1:1 abdrucken?

Was könnte die SPD denn besser machen? Der Ansatz, seine Wahlversprechen solide gegenzufinanzieren, ist ja schon mal goldrichtig. Steuererhöhungen sind kein Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck, der da heißt, Investitionen und mehr Gerechtigkeit. Wer es also mit der Gerechtigkeit ernst meint, kommt um Steuererhöhungen nicht herum. Die SPD will in toto jedoch die Einkommenssteuer senken. Man spricht von einer Gesamtentlastung i.H.v. 15 Milliarden Euro: Sie haben richtig gelesen. Es geht nicht um eine Mehrbelastung, sondern um eine Entlastung. Wie das? Ganz einfach: Der Solidaritätszuschlag entspricht im obersten Einkommensbereich bis zu 2,25% des zu versteuernden Einkommens. Man erhöht den Spitzensteuersatz also mit viel Pomp um 3,0% und erlässt dann kurze Zeit später 2,25% davon über den Wegfall des Soli. Unter dem Strich bleibt eine Mehrbelastung von nur noch 0,75%, die nicht ausreicht, um die Defizite durch den Soliwegfall in den unteren Einkommensklassen auszugleichen. Gibt es eigentlich das Wort „unterambitioniert“?

Mager sind jedoch auch und vor allem die versprochenen Entlastungen für die unteren und mittleren Einkommen. Auch hier ist der Wegfall des Solidaritätszuschlags der Grund. Dieser Zuschlag wird nämlich nicht am zu versteuernden Einkommen, sondern an der festgesetzten Einkommensteuer bemessen. Wer wenig Steuern zahlt, zahlt also relativ gesehen noch weniger Solidaritätszuschlag und profitiert daher auch kaum von dessen Wegfall. Ein verheirateter Arbeitnehmer mit einem Jahresbrutto von 25.000 Euro zahlt beispielsweise gar keinen Soli. Ein Single dieser Einkommensklasse kommt auf 143 Euro pro Jahr – also auf 0,5% seines Jahresbrutto, die ihm dann nach den SPD-Plänen erlassen werden. Bei einem Single mit 40.000 Euro Jahreseinkommen sind es 353 Euro (0,8%), bei einem Verheirateten 179 Euro (0,4%). Und auch bei besserverdienenden Arbeitern und Angestellten mit einem Jahresbrutto vom 60.000 Euro ist die Entlastung durch den Wegfall des Soli (709 Euro bzw. 1,2% bei Singles, 444 Euro bzw. 0,7% bei Verheirateten) noch überschaubar. Erst bei Spitzenverdienern lohnt sich das „Geschenk“ aus dem Hause Schulz so richtig. Ein Single mit einem Jahresbrutto von 250.000 Euro kann nämlich mit einer Entlastung von 5.073 Euro (2,0%) rechnen, da tut dann auch die Mehrbelastung durch die moderate Erhöhung des Spitzensteuersatzes nicht mehr so weh.

Wie es anders gehen könnte, zeigt das im Vergleich eher überambitioniert wirkende Steuerkonzept der Linkspartei. Die will nämlich Einkommen bis zu 81.000 Euro pro Jahr steuerlich entlasten und dann im obersten Einkommensbereich vergleichsweise deutlich zuschlagen. Bis zu 250.000 Euro soll dann der „alte Helmut-Kohl-Steuersatz“ von 53% wieder gelten, darüber sollen 60% und über einer Million pro Jahr sogar 75% Steuern greifen. Klar, da die Linke keine absolute Mehrheit bekommt, sind diese Zahlen auch Wahlkampf. Der Wahlkampf der Linken ist aber wenigstens ambitioniert. Wer die CDU aus der Regierung treiben will, muss doch eine Alternative propagieren. Die SPD pocht lieber darauf, dass sich mit ihr als Regierungspartei nichts ändern wird. Aber warum soll man sie dann wählen? Wenn sich eh nichts ändert, kann man auch das Original wählen. Und genau das tun die meisten Deutschen ja auch.

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