Hinweise des Tages

Ein Artikel von:

(KR/WL)
Heute unter anderem zu diesen Themen:

  1. Wirtschafts-Absturz macht Merkels Krisenrunde ratlos
  2. So nicht, Minister Steinbrück!
  3. Bad Banks – der finale Rettungsakt
  4. Keine Anhörung der Commerzbank-Aufsichtsräte des Bundes
  5. Werner Rügemer: Brandstifter als Feuerwehr
  6. Die tiefe Rezession stürzt die etablierte Ökonomie in eine Sinnkrise
  7. Zwei Millionen Arbeitsplätze durch ein neues Konjunkturpaket
  8. Eine Million Arbeitsplätze mehr im Öffentlichen Dienst
  9. Steinbrücks Peitsche wird eingerollt
  10. Datenüberwachungs-Exorzismus ohne Erfolg
  11. Hartz-IV-Praxis: Statistik massiv geschönt
  12. Weiterer Experte sieht Probleme bei Rentenangleichung
  13. 95 Prozent aller Blogs und Foren zum Thema Versicherungen sind reine Werbung
  14. Verheerende Bilanz der EU-Fischereipolitik
  15. 40 Millionen: Karmann kassiert Karmann ab
  16. Gerichtshof schützt Sparkassenkunden
  17. Lettland: Sparen, bis es quietscht
  18. Hochschulpakt 2 – ein kleiner Schritt für mehr Studienplätze
  19. Konzept und erste Erfahrungen mit „Eigenverantwortlicher Schule“ – Anmerkungen zu einem unterdrückten Bericht
  20. Zu guter letzt: A cartoon worth a thousand words

Vorbemerkung: Dieser Service der NachDenkSeiten soll Ihnen einen schnellen Überblick über interessante Artikel und Sendungen verschiedener Medien verschaffen.

Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Wirtschafts-Absturz macht Merkels Krisenrunde ratlos
    Deutschlands Wirtschaft bricht massiv ein, die Prognosen sind katastrophal, ein Ende der Talfahrt ist nicht absehbar. Allein in der düsteren Analyse ist sich die große Krisenrunde bei der Kanzlerin weitgehend einig, sonst herrscht Ratlosigkeit. Ein drittes Konjunkturpaket lehnt die Regierung ab. Von Philipp Wittroc.
    Quelle: Spiegel-Online

    Anmerkung Roger Strassburg: Ratlosigkeit als Programm. Die Regierung ist nicht nur ratlos, sie ist ahnungslos. Die Wirtschaft stürzt ab, aber ein weiteres Konjunkturprogramm wird nach wie vor abgelehnt. Man könne aber die Arbeitgeber noch ein wenig entlasten…
    Die “Experten” ändern wieder einmal die Prognosen, die IWF geht jetzt von minus 5,6 Prozent aus.
    Ich bleibe aber bei meiner hochwissenschaftlichen, super-seriösen tongue-in-cheek SWAG* Prognose von minus 20,106176 Prozent, die ich nach der Pi-Methode** errechnet habe. Die IWF-Prognose geht ja schon in die Richtung, denn wir haben den 112. Tag des Jahres, und wenn die Prognosen gleichmäßig weitersteigen, landen wir am Jahresende bei 18,25 Prozent. (Das nenne ich die “Milchmädchen-Methode”, zu Ehren von Gabor Steingart.)
    *SWAG steht für “scientific wild-ass guess”. Ich habe hier zwei englischsprachige Begriffe gewählt, damit ich intelligenter wirke.
    **Nach der Pi-Methode, die ich selber entwickelt habe und sehr wissenschaftlich finde, wird Pi mit einer beliebigen Prognose von Hans-Werner Sinn multipliziert und das Ergebnis verdoppelt. Als Sinn-Prognose habe ich 3,2 genommen, denn er wird schon irgendwann auch diese Zahl prognostiziert haben. Die vielen Stellen hinter dem Komma beweisen, dass ich Mathematik benutzt habe, was einen seriösen Eindruck machen soll.

  2. So nicht, Minister Steinbrück!
    Das Ärgerliche an dem Plan des Finanzministers: Peer Steinbrück kennt einen anderen, viel besseren. Dieser Plan sieht vor, dass die Banken in eine gute Bank und eine schlechte Bank aufgeteilt werden, die Anteilseigner werden an einer Holding beteiligt, die beide Banken hält.
    Der Clou: Die gute Bank ist vollständig im Besitz der schlechten. Wenn die gute Bank wieder Gewinne macht, weil sie von den Altlasten befreit ist, fließen diese der schlechten Bank zu. Die heutigen Aktionäre jedoch sehen erst dann Geld, wenn die schlechte Bank ihren Dienst erfüllt hat, alle problematischen Wertpapiere abgewickelt sind, ihr Wert also definitiv feststeht – und der Saldo positiv ist. Andernfalls gehen sie leer aus, und der Steuerzahler übernimmt die Verluste.
    Bei diesem Modell entfällt die nicht lösbare Aufgabe der Bewertung. Bei diesem Modell haften erst die privaten Anteilseigner und dann die Steuerzahler. Dass Steinbrück sich für die schlechtere Lösung entschieden hat, ist ein Affront. Gibt er die Bundestagswahl verloren und sucht nach einem lukrativen Job in der Finanzbranche? Von Robert von Heusinger.
    Quelle: FR
  3. Bad Banks – der finale Rettungsakt
    Praktisch stellt das Modell der Bad Bank jedoch eine massive Subventionierung durch den Staat dar, da dieser einer notleidenden Bank Papiere zu einem Preis abnimmt, den kein privater Marktteilnehmer zu zahlen bereit wäre. Dies ist weniger problematisch, wenn die notleidenden Banken, die eine Bad Bank in Anspruch nehmen, verstaatlicht werden, so wie es bei der schwedischen Bankenkrise zu Beginn der 1990er gehandhabt wurde. Ärgerlich für den Steuerzahler wird es allerdings, wenn private Banken sich durch die Risikoübernahme auf Staatskosten gesundsanieren.
    Da eine Bad Bank nicht den Bilanzierungsregeln normaler Banken unterliegt, darf sie die Papiere so lange mit dem alten Buchwert bilanzieren, bis diese fällig werden. Dies führt dazu, dass das gesamte Risiko bis zum Schluss nicht erkennbar ist. Wenn sich die faulen Papiere als wertlos erweisen, entstehen die Verluste in voller Höhe am Tage der Fälligkeit – zu tragen hat sie dann der Steuerzahler.
    Dabei ginge es auch anders – es gibt Alternativen zum Modell der Bad Bank. Finanzlegende George Soros und Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz brachten jüngst die “Good Bank” als Alternative zur Bad Bank ins Spiel. Der Staat solle die alten Banken ruhig Konkurs gehen lassen und ihnen anstatt der schlechten die guten Papiere abkaufen. Mit diesen Papieren – und dem Filialnetz – solle der Staat dann eine “Good Bank” gründen, die später bei Bedarf mit Gewinn wieder privatisiert werden kann.
    Quelle: Telepolis
  4. Keine Anhörung der Commerzbank-Aufsichtsräte des Bundes
    Die beiden Aufsichtsräte, die von der Bundesregierung in den Aufsichtsrat der Commerzbank AG entsandt werden sollen, müssen nicht im Finanzausschuss des Bundestages zu ihren Absichten Rede und Antwort stehen. Die Fraktionen von Union und SPD sprachen sich am Mittwoch Morgen gegen eine Vorladung der beiden Aufsichtsräte aus und begründeten dies mit der Verschwiegenheitspflicht von Aufsichtsräten. Es gebe daher keine Möglichkeit für ein Gespräch. Die FDP-Fraktion sah ebenfalls keinen Gesprächsbedarf. Dagegen erklärte die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, sie wolle die Aufsichtsräte befragen, ehe diese ihre Tätigkeit beginnen würden. Daher gelte die Verschwiegenheitspflicht nicht. Es müsse herausgefunden werden, ob es bei den Aufsichtsräten, die keine Beschäftigten der Bundesregierung seien, Interessenskonflikte gebe. Außerdem wolle man wissen, wie die Aufsichtsräte die Interessen des Bundes im Aufsichtsrat der Commerzbank AG vertreten wollten. Auch die Linksfraktion erklärte, sie wolle wissen, welche Ausrichtung die Geschäftspolitik der Commerzbank durch die neue staatliche Beteiligung haben werde und wie das Verhältnis der Bank zu den Sparkassen und Genossenschaftsbanken sein werde. Eine Befragung sei daher “absolut notwendig”.
    Quelle: Deutscher Bundestag

    Anmerkung WL: Es scheint in der Finanzkrise nur darum zu gehen, jede Transparenz zu vermeiden, das Parlament auszuschalten und eine öffentliche Debatte weitgehend zu verhindern.

  5. Werner Rügemer: Brandstifter als Feuerwehr
    Der Neoliberalismus ist durch die Finanz- und Wirtschaftskrise nicht am Ende, im Gegenteil: Er zeigt sein wahres Gesicht und festigt seine Macht. Seine fundamentalistische Kritik am Staat bedeutete keineswegs eine allgemeine Staatskritik, sondern die Kritik am demokratischen, sozialen und Rechtsstaat. In Wirklichkeit hat gerade die neoliberal ausgerichtete Ökonomie wie keine andere auf staatlich abgesichertes Unrecht und auf die Gewinngarantie des autoritären Staates gesetzt. Dies gilt auch und insbesondere dort, wo scheinbar das Gegenteil gepredigt und umgesetzt wurde wie bei der Privatisierung öffentlicher Unternehmen und öffentlicher Dienstleistungen. Deshalb stellen die historisch beispiellosen Bankenrettungsmaßnahmen keine Veränderung, sondern eine Bestätigung der neoliberalen Doktrin dar: Der Staat garantiert die Existenz und die Gewinne der Banken, gerade dann, wenn sie bankrott sind. Damit übernimmt er die Maximen der Krisenverursacher ohne wesentliche Korrekturen noch direkter als zuvor.
    Die Maßnahmen des G-20-Gipfels am 2. April 2009 bekräftigen dies: Die Bankenrettungen mit Bad Banks und staatlichen Direkthilfen werden fortgesetzt, Weltbank und Internationaler Währungsfonds sollen zur übergreifenden Regulationsinstanz werden, arme und Schwellenländer sollen noch mehr Kredite zur Ankurbelung des internationalen Handels bekommen. Finanzakteure wie Hedgefonds sollen »registriert«, Steueroasen sollen »angeprangert« und zur Zusammenarbeit gebracht, Einkommen und Boni der Banker sollen »beschränkt« werden. Die Banken sollen gerettet werden, weil sie angeblich »systemische Bedeutung« haben. Sonst würde die Volkswirtschaft zusammenbrechen, heißt es. Doch diese Darstellung ist sogar nach Ansicht etablierter Ökonomen wie Willem Buiter (London School of Economics) und Luigi Zingales (University of Chicago) ein »billiges Schauermärchen«. Damit werden die unwissend gehaltenen Gewerkschaften und die Bevölkerung erpresst. Etwa 90 Prozent aller Finanzgeschäfte in der neoliberalen Praxis sind reine Interbankengeschäfte, Wetten (Credit Default Swaps, Collateralized Debt Obligations, Cross Border Leasing, verbriefte Hypotheken- und Konsumkredite, Auktionsanleihen, Aktienoptionen…) und Versicherungen zwischen Banken und anderen Finanzakteuren (Hedgefonds, Private Equity Fonds, Versicherungs- und Industriekonzerne). Der größte Versicherungskonzern der Welt, die American International Group (AIG), versicherte gegen Prämien eine Unmenge solcher Geschäfte, die damit abgesichert schienen, und machte aus den Versicherungen in einem Schneeballsystem wiederum handelbare Finanzprodukt.
    Selbst wenn der gegenwärtige Staat Miteigentümer oder Haupteigentümer einer Bank wird und wenn von »Enteignung« die Rede ist, bleiben die bisherigen Finanzpraktiken unangetastet. Bestenfalls werden (halbherzige) Auflagen beim Einkommen der Spitzenmanager gemacht. Dies gilt in den USA und in Großbritannien, aber auch in Deutschland, so bei der Commerzbank (Staat mit 25 Prozent als Hauptaktionär) und bei der Hypo Real Estate. Wenn sich dann US-Präsident Barack Obama, der englische Premierminister Gordon Brown und der deutsche Finanzminister Peer Steinbrück über die »Unverschämtheit« der staatlich geretteten Pleitebanker ereifern, weil sie sich dennoch hohe Boni auszahlen, handelt es sich um Demagogie. Das erkannten am 24. März 2009 sogar kapitalfreundliche Kommentatoren der Financial Times Deutschland: »Was sind die 165 Millionen Dollar an Bonuszahlungen an die Manager von AIG, während die Legitimität der staatlichen Hilfen von 93 Milliarden Dollar, die sofort an die Gläubiger wie Goldman Sachs und Deutsche Bank fließen, kaum diskutiert« wird?
    Quelle: Junge Welt
  6. Die tiefe Rezession stürzt die etablierte Ökonomie in eine Sinnkrise
    Der Glaube, viele stabile Banken bedeuteten automatisch auch ein stabiles Bankensystem, sei eine Illusion. Das Ganze sei eben doch mehr als nur die Summe seiner Teile, meint Goodhart.
    Damit greift der Brite wichtige Glaubenssätze der herrschenden Ökonomie an. Erstens die Idee, dass sich der Markt immer von sich aus rechtzeitig ins Gleichgewicht zurückbewege. Sollte einmal ein Akteur den Fehler machen, anders zu handeln, würde er vom Wettbewerb bestraft. Spekulation führe dazu, dass der Markt zum Gleichgewicht zurückfinde, so die traditionelle Annahme. Wäre das so, hätten die Banken sich schon in guten Zeiten für schlechte Zeiten wappnen müssen – und solche, die zu hohe Risiken eingingen, hätten von der Börse bestraft werden müssen.
    Tatsächlich aber war das Gegenteil der Fall. Banken waren vielmehr gezwungen, sich mit dem Strom zu bewegen: In den guten Zeiten mussten sie hohe Risiken eingehen, weil sie sonst von den Anlegern wegen magerer Gewinne abgestraft und zu Übernahmezielen anderer Banken geworden wären. In der Krise dagegen müssen alle Banken Risiken reduzieren, weil die Finanzmärkte höhere Risiken besonders kritisch sehen.
    Als sich die Risiken der Banken im vergangenen Jahr deutlich erhöhten, waren sie gezwungen, ihre Bilanzen in Ordnung zu bringen – etwa indem sie Wertpapiere verkauften, um ihre Eigenkapitalquoten wieder zu erhöhen. Damit reduzierten sie zwar ihre individuellen Risiken. Gleichzeitig aber stürzte durch den massenweisen Verkauf dieser Wertpapiere deren Kurs ins Bodenlose. Damit kam ein Teufelskreis in Gang, der den Bankensektor weltweit in Schieflage brachte. So die Analyse des langjährigen Chefvolkswirts der Bank of England, Charles Goodhart.
    Quelle: FTD
  7. Zwei Millionen Arbeitsplätze
    Angesichts der neuen Einschätzung muss die Bundesregierung jetzt dringend nachlegen. Die bisherigen Konjunkturpakete sind mit einem Umfang von insgesamt rund 60 Milliarden Euro zu klein. Und das Geld wird nicht wirksam ausgegeben. Am wirkungsvollsten sind öffentliche Investitionen. Dafür sind bisher jeweils weniger als zehn Milliarden Euro 2009 und 2010 vorgesehen.
    ver.di fordert ein Konjunkturpaket III im Umfang von 100 Milliarden Euro jährlich. Der Löwenanteil davon muss für öffentliche Infrastruktur und Personal, für Bildung und Umwelt ausgegeben werden.
    Quelle: ver.di Wirtschaftspolitik aktuell [PDF – 130 KB]
  8. Eine Million Arbeitsplätze mehr
    Wer in das statistische Taschenbuch des Bundesministeriums für Arbeit schaut, kann schnell feststellen, wo ein Großteil der Verantwortung für die skandalöse Zunahme der Arbeitslosigkeit zu suchen ist, besonders auch für den nochmaligen Anstieg der Arbeitslosenzahl um mehr als zwei Millionen in den letzten beiden Jahrzehnten. 1991 waren im Öffentlichen Dienst 1991 5,1 Millionen Menschen vollzeitbeschäftigt, 2007 nur noch 3,1 Millionen. Auch wenn Bahn und Post mit einstmals gut 700 000 Mitarbeitern inzwischen nicht mehr als Öffentlicher Dienst gelten, minimiert das die Zahl der vom Staat mit Vorsatz zerstörten Arbeitsplätze nur geringfügig; denn auch dort wurde mindestens die Hälfte der Arbeitsplätze gestrichen, und da beide sich nach wie vor überwiegend in Bundesbesitz befinden, muss man weiterhin auch die staatlichen Verursacher haftbar machen.
    Es waren die Regierenden in Bund, Ländern und Gemeinden, die in ihrem direkten Zuständigkeitsbereich mit immer neuen Kürzungsprogrammen den Stellenabbau in Schulen und Hochschulen, Krankenhäusern, Altersheimen, Jugendhäusern, Theatern und so weiter vorangetrieben haben. Auch bei Gerichten oder in der Forstverwaltung wie in allen anderen Behörden war – und ist weiterhin – »Personalverschlankung« das Mittel der Wahl, sobald »Berater« aus der neoliberalen Schule ins Amt geholt wurden und »Effizienz-Strategien« vorgeben, um Personalkosten »zu sparen«. Die Auswirkungen dieses Sparwahnes bekommen wir alle tagtäglich zu spüren, sobald wir öffentliche Dienste in Anspruch nehmen wollen oder müssen. Am schlimmsten sind jene betroffen, die auf öffentliche Dienstleistungen angewiesen bleiben.
    Quelle: Linksnet
  9. Steinbrücks Peitsche wird eingerollt
    Gesetz gegen Steuerbetrug im Ausland vorerst ohne Wirkung. Die deutsche Regierung hat ein Gesetz zur Bekämpfung des Steuerbetrugs sowie gleichzeitig dessen Nichtanwendung beschlossen. Die Drohungen gegenüber Nachbarländern wirken damit hohl.
    Quelle: NZZ

    Anmerkung Orlando Pascheit: Wenn die Schweizer diesen Eindruck haben, gleicht das einer amtlichen Feststellung.

  10. Exorzismus ohne Erfolg
    Lidl, Bahn & Co. praktizieren das, was der Staat ihnen vormacht: exzessive Überwachung. Das dicke Buch des Datenschutzbeauftragten hilft da nichts – die Politik muss die Gesetze überprüfen.
    Alle zwei Jahre versucht der Bundesdatenschutzbeauftrage eine Art Exorzismus. Er schreibt ein dickes Buch und streckt es dann dem Staat und den Privatunternehmen mahnend entgegen. Bei jedem Mal wird sein Buch dicker, der Exorzismus beschwörender. Aber es hilft nichts; die Gefahren werden immer größer.
    Die Szenerie gemahnt an die, die Dali von der Versuchung des Heiligen Antonius gemalt hat. Der Antonius des Datenschutzes heißt Peter Schaar, und man muss fast Mitleid haben, wenn man sieht, auf welch verlorenem Posten er steht. Es gibt eine große Allianz wider den Datenschutz, und jedes Mitglied verweist auf seine Sicherheitsinteressen.
    Ein Kommentar von Heribert Prantl.
    Quelle: SZ

    Siehe dazu auch:

    Republik im Notstand
    Tatsächlich ist das Grundrecht in den vergangenen Jahren immer öfter auf die Seite geschoben worden. Mit dem BKA-Gesetz aber, das der Bundestag 2008 verabschiedet hat, verringert sich nicht nur der Schutz der Privatsphäre auf ein Minimum, immer deutlicher tritt in ihm eine neue Sicherheitsarchitektur hervor.
    Das Bundeskriminalamt, bisher mit der Aufklärung begangener Verbrechen beauftragt, wird zu einer zentralen Sicherheitsbehörde, gleichermaßen mit der Aufklärung begangener und der Vorbeugung zu befürchtender Verbrechen beschäftigt, ausgestattet mit den Mitteln der Polizei und berechtigt zu den Methoden eines Geheimdienstes. Erlaubt ist insbesondere der Spähangriff, also das Eindringen in Privatwohnungen und das Anbringen nicht nur von Wanzen, sondern auch von Kameras. Dass der Gesetzgeber nicht einmal vor den Wohnungen von Ärzten, Anwälten und Journalisten haltmacht, versteht sich fast von selbst.
    Quelle: FR

    Und dazu noch:

    Das Gold des 21. Jahrhunderts
    FR-Redakteur Steffen Hebestreit listet Beispiele für Skandale und Einschränkungen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung auf.
    Quelle: FR

  11. Statistik massiv geschönt
    Gut ein Jahr nach Beginn einer öffentlichen Debatte um den Missbrauch so genannter Ein-Euro-Jobs in der hessischen Landeshauptstadt haben sich zwei profilierte Kritiker der Wiesbadener Hartz-IV-Praxis erneut zu Wort gemeldet. »Wir haben unwiderlegbare Beweise dafür, dass die Ein-Euro-Jobber massenhaft und systematisch als billige Arbeitskräfte ausgebeutet werden«, so der örtliche IG-BAU-Sekretär Veit Wilhelmy am Mittwoch auf einer Pressekonferenz. Reguläre Stellen würden mit den Billigjobbern besetzt und das Handwerksrecht werde missachtet, so der Gewerkschafter. Ex-IG-Metall-Vorstandsmitglied Horst Schmitthenner rechnete vor, dass in Wiesbaden insgesamt rund 500 versicherungspflichtige Arbeitsplätze durch den Einsatz von Ein-Euro-Jobbern direkt oder indirekt vernichtet worden seien. Diese Zahl sei aus einer gründlichen Analyse der Beschäftigungsentwicklung bei der Stadtverwaltung und öffentlichen und kirchlichen Einrichtungen über die letzten Jahre ermittelt worden. Allein bei der Stadt seien insgesamt 90 feste Stellen verschwunden. Die dort verrichtete Arbeit – etwa in den Bereichen Grünflächenpflege, Hausmeisterdienste in Schulen und Bürgerhäusern, Aushilfen in Küchen und Kindertagesstätten – sei inzwischen von Ein-Euro-Jobbern übernommen worden.
    Wilhelmy und Schmitthenner sehen hinter der von ihnen beklagten Praxis handfeste Interessen. Mit 3000 befristeten Maßnahmen pro Jahr werde die Arbeitslosenstatistik massiv geschönt. Zudem mache die CDU-geführte »Optionskommune« mit den zur Verfügung gestellten Bundesgeldern gute Geschäfte, spare Personalkosten und könne mit einem »ausgeglichenen Haushalt« prahlen. Die einzelnen Dezernate in der Stadtverwaltung seien daran interessiert, auch »weiterhin mit billigen Arbeitskräften versorgt« zu werden. Das Wiesbadener Rathaus wird von einer Koalition aus CDU, FDP und Grünen regiert; Sozialdezernent ist der örtliche SPD-Unterbezirksvorsitzende Arno Goßmann. Der Stadtverordnete Wilhelmy war im vergangenen Herbst wegen seiner Kritik an der örtlichen Hartz-IV-Praxis aus der SPD-Rathausfraktion ausgeschlossen worden.
    Quelle: Junge Welt
  12. Weiterer Experte sieht Probleme bei Rentenangleichung
    Trotz wiederholter Forderungen, das Verfahren zur Rentenberechnung in West- und Ostdeutschland bald anzugleichen, sehen Fachleute noch immer kein für Rentner und Erwerbstätige gleichermaßen zufriedenstellendes Modell. Zwar hatten die ostdeutschen CDU-Bundestagsabgeordneten Bundessozialminister Olaf Scholz (SPD) vor einigen Wochen aufgefordert, möglichst noch vor der Bundestagswahl Lösungsansätze für eine baldige Neuregelung vorzulegen. Doch rechnen Experten wie der frühere Vorsitzende des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Bert Rürup, angesichts der schwierigen Materie selbst in den kommenden vier Jahren noch nicht mit einer kompromissfähigen Lösung. Auch der Altersvorsorge-Experte Michael Tröger, bis vor wenigen Wochen Mitarbeiter im Stab des Sachverständigenrats und zusammen mit Rürup Anfang April zu einem Finanzdienstleister gewechselt, hat jetzt vor der Erwartung eines “Königswegs” gewarnt. Allerdings könne eine fortdauernde “Ungleichbehandlung gleicher Beitragsleistungen” vor allem in den alten Bundesländern zu einer “schwindenden Akzeptanz der Übergangsregelungen im Speziellen und der gesetzlichen Rentenversicherung im Allgemeinen” führen, schrieb Tröger in einem Beitrag für die neue Ausgabe der Zeitschrift “Wirtschaftsdienst”. Eine solche Ungleichbehandlung sei zudem “weder mit dem Prinzip der Beitragsäquivalenz noch dem der Teilhabeäquivalenz vereinbar”.
    Quelle: Ihre Vorsorge

    Anmerkung Martin Betzwieser: Nur zur Erinnerung. Dieses Internetportal ist „eine Initiative der Regionalträger der Deutschen Rentenversicherung und der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See“ und hat den Untertitel „Ihr unabhängiger Altersvorsorge-Berater“. Es ist offensichtlich mit Beiträgen der gesetzlichen Rentenversicherung finanziert und dort werden die Ansichten eines Mitarbeiter aus dem Dunstkreis von Bert Rürup, der mit ihm beim Sachverständigenrat arbeitete, als Expertenrat beschrieben. Immerhin lesen wir auch, dass Experte Michael Tröger zusammen mit Bert Rürup zu einem Finanzdienstleister wechselte. Immerhin, danke, trotzdem ist der Text unter diesem Gesichtspunkt doch sehr neutral formuliert. Den Namen Michael Tröger sollten wir uns auf jeden Fall merken, dass er uns als unabhängiger Altersvorsorge-Experte untergejubelt werden soll.

  13. Unternehmen kaufen Blogger
    95 Prozent aller Blogs und Foren zum Thema Versicherungen sind reine Werbung, wie jetzt eine Recherche der Internetbeobachtungsfirma Infospeed ergeben hat. Das Unternehmen übernimmt für Firmen die Beobachtung von Internetseiten wie www.ciao.de, auf denen Produkte bewertet werden. Statt der Weitergabe von unabhängigen Erfahrungsberichten und Qualitätsbeurteilungen häuften sich Manipulationen, die Blogger als einzelne und auch in der Gruppe betreiben, weiß der Informationswissenschaftler Matthias Fank von der Fachhochschule Köln. Es gibt auch bei Blogs und Foren Nutzer, die sich als unabhängig ausgeben, es aber nicht sind. “Ich werde dafür bezahlt, in mehreren privaten Netzwerken positive Kommentare über die Produkte einer Softwarefirma zu schreiben, die Unterhaltungsprogramme entwickelt”, sagt ein Informatikstudent, der anonym bleiben will, der taz. Für zwei Nachmittagsschichten pro Woche erhält er 500 Euro im Monat. “Sicher habe ich gewisse Leute eindeutig in ihrer Kaufentscheidung beeinflusst.”
    Quelle: taz
  14. Verheerende Bilanz der EU-Fischereipolitik
    Die Überfischung der europäischen Meere hat bedrohliche Ausmasse angenommen: 88 Prozent aller Fischbestände seien so stark ausgedünnt, dass ihre Reproduktion gefährdet sei, bei 30 Prozent sei eine Erholung wohl nicht mehr möglich, heisst es in einem am Mittwoch von der EU-Kommission in Brüssel vorgelegten Bericht.
    Quelle 1: NZZ
    Quelle 2: Europäische Kommission

    Anmerkung Orlando Pascheit: Die rein europäische Sicht vernachlässigt die Tatsache, dass u.a. europäische, industrielle Fangflotten auch in den Gewässern vor Afrika zur Überfischung beitragen, abgesehen davon, dass sie die Fangerträge der einheimischen Kleinfischereien reduzieren.

    Zur globalen Problemlage siehe:

    Nahrungsquelle Meer
    Wird die Fischerei weiterhin so wie bisher fortgeführt, werden alle kommerziell nutzbaren Arten in den Weltmeeren innerhalb der nächsten Generation verschwinden. Die Meere werden dann von Quallen dominiert, die keine natürlichen Feinde mehr haben.
    Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung

  15. 40 Millionen: Karmann kassiert Karmann ab
    Am Kopf stehen die drei Karmann-Familien. Sie kontrollieren die gesamte Unternehmensgruppe. Ganz oben in der Hierarchie steht die Wilhelm Karmann GmbH & Co KG. Nach Informationen unserer Zeitung ist sie Besitzerin des eigentlichen Karmann-Geländes samt seiner Gebäude und Maschinen. Diese KG gehört zu 60 Prozent Dietrich Wilhelm Karmann und zu jeweils 20 Prozent den Familien Boll und Battenfeld.
    An diese Kommanditgesellschaft musste die Wilhelm Karmann GmbH mit Geschäftsführer Peter Harbig an der Spitze für die Nutzung der Immobilien und Maschinen Miete und Pacht zahlen. Diese Einnahmen waren enorm: Nach Informationen unserer Zeitung lagen sie allein im Jahr 2007 bei über 40 Millionen Euro. Offensichtlich flossen die Überschüsse aus der Autoproduktion jahrzehntelang ganz wesentlich auch als Miete an die Kommanditgesellschaft.
    Der Insolvenzverwalter steht jetzt vor einem großen Problem: Insolvenz hat nämlich nur die Wilhelm Karmann GmbH angemeldet – nicht aber die Wilhelm Karmann GmbH & Co KG mit ihren Immobilien. Sollte Hermann zu dem Schluss kommen, dass zur Fortführung des Unternehmens einzelne Grundstücke oder Maschinen verkauft werden müssen, ist er allein machtlos. Er benötigt dazu die Zustimmung der nicht insolventen Wilhelm Karmann GmbH & Co KG – und damit die Zustimmung der drei Karmann-Familien. „Die Zukunft des Unternehmens und vieler Arbeitsplätze ist jetzt von den Entscheidungen der Gesellschafter abhängig“, betont Osnabrücks IG-Metall-Chef Hartmut Riemann. Sie müssten möglichen Investoren ein attraktives Angebot machen.
    Quelle: Neue Osnabrücker Zeitung
  16. Gerichtshof schützt Sparkassenkunden
    Sparkassenkunden sind in Zukunft besser vor überraschenden Zinserhöhungen für Überziehungskredite geschützt. Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe kippte am Dienstag eine Klausel der Sparkassen, die den Geldinstituten einen breiten Ermessensspielraum für Preisänderungen einräumte. Nach dem aktuellen Urteil muss es künftig eine Bezugsgröße für Zinsänderungen geben, wie etwa die Änderung des Leitzinses oder vergleichbarer Werte.
    Das Urteil geht auf die Musterklage einer Verbraucherschutzorganisation gegen zwei Sparkassen zurück. Der Verband machte mit Erfolg geltend, dass die Regelung in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) die Verbraucher unangemessen benachteilige.
    Quelle: FR
  17. Lettland: Sparen, bis es quietscht
    Die Wirtschaftskrise in Lettland nimmt immer dramatischere Dimensionen an. Um das Budgetdefizit auf ein erträgliches Maß zu senken, will die Regierung in Riga die Staatsausgaben um 40 Prozent kürzen. Doch auch das ist noch nicht genug, um die strengen Auflagen zu erfüllen, die der Internationale Währungsfonds (IWF) gestellt hat, um die baltische Republik vor dem Staatsbankrott zu retten.
    Quelle: FR

    Anmerkung Orlando Pascheit: Es ist schon eine paradoxe Welt. Da werden den G-20 dicke Konjunkturpakete nahegelegt, und den Ländern draußen, denen es sowieso nie besonders gut ging, werden drastische, ja drakonische Sparmaßnahmen auferlegt. So hatten sich die Balten die Mitgliedschaft in der Europäischen Union gewiss nicht vorgestellt.

  18. fzs: Hochschulpakt 2 – ein kleiner Schritt für mehr Studienplätze
    Der studentische Dachverband (fzs) kommentiert die Ergebnisse der heutigen Sitzung der der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) und stellt fest: “Gute Lehre geht anders”
    Hierzu erklärt Florian Keller, Mitglied des fzs-Vorstands: “Die mit dem Hochschulpakt 2 einher gehende Schaffung neuer Studienplätze ist ein guter Schritt, zumal er unter finanzieller Beteiligung des Bundes erfolgen soll. Dass es nun lediglich zu einem kleinen ausgleichenden Finanzierungsmodell zu Gunsten der Stadtstaaten und den neuen Bundesländern gereicht hat, ist bei weitem nicht ausreichend. Von eitel Sonnenschein kann noch keine Rede sein!”
    Auf der heutigen Sitzung in Bonn verständigte sich die GWK auf die Schaffung von 275.000 Studienplätzen, welche gemeinsam von Bund und Ländern finanziert werden. Die Stadtstaaten erhalten, da sie überproportional viele Studienplätze anbieten, gesonderte Ausgleichszahlungen der anderen Bundesländer. Die neuen Bundesländer sollen über zusätzliche Gelder einen Anreiz erhalten, trotz rückläufiger Geburtenraten die Zahl ihrer Studienplätze zu halten.
    “Die für die neuen Studienplätze angesetzten Beträge werden die zusätzlich anfallenden Kosten an Hochschulen nicht vollständig decken können. Wir gehen davon aus, dass die Hochschulen entsprechend verstärkt schlecht bezahlte Lehraufträge vergeben sowie neue Stellen mit extrem hohem Lehrdeputat ausstatten werden. Diese Prekarisierung von Beschäftigung an Hochschulen ist ein fortwährendes Problem – Gute Lehre an Hochschulen geht anders!” erklärt Anja Gadow, ebenfalls Mitglied des fzs-Vorstands.
    Der studentische Dachverband befürchtet, dass die heutige Beschlussfassung primär unter den Vorzeichen des Bundestagswahlkampfs gefällt wurde, insbesondere da bisher keine Zusage des Bundes für die Bereitstellung entsprechender Mittel besteht. “Uns beschleicht das Gefühl, dass es der Bundesbildungsministerin Dr. Annette Schavan vor allem darum geht, nach dem Gezänk der letzten Wochen werbewirksam eine Einigung präsentieren zu können.” erklärt Florian Keller, ebenfalls Mitglied des fzs-Vorstands.
    Quelle: fzs
  19. Konzept und erste Erfahrungen mit „Eigenverantwortlicher Schule“ – Anmerkungen zu einem unterdrückten Bericht
    Die GEW Hessen (nennt) als Ziel einer Bildungsreform, die den Namen verdiente, nicht eine „selbstständige“, sondern eine demokratische Schule. Die antibürokratischen und antistaatlichen Affekte des Kleinbürgertums führen, in der Bildungspolitik wie in der Wirtschaftspolitik, nicht in die „Freiheit“, die „Selbstständigkeit“ und in die „Autonomie“, sondern sie sind die ideologischen Einfallstore dafür, öffentliche Güter und Interessen unkontrollierten und in ihrer Unkontrolliertheit zügellosen Partikularinteressen zu unterwerfen. „Größere Freiheit“ ist die rhetorische Maske der Deregulierung und Deregulierung ist ein Euphemismus für den Terror der Ökonomie. Die Furien des Verschwindens wüten nicht nur in Bankkonten und Investmentdepots.
    Quelle: Info-Brief GEW S. 6ff. [PDF – 410 KB]
  20. Zu guter letzt: A (cartoon) picture worth a thousand words

    Quelle: Blog ataxingmatter