„Schulz lässt sich von seinem Machtinstinkt leiten und vergisst dabei allzu leicht demokratische Prinzipien“

Ein Artikel von Marcus Klöckner

Der SPD-Kanlzerkandidat Martin Schulz „hat das EU-Parlament zunehmend als Bühne und als Sprungbrett für seine persönlichen Ambitionen genutzt und die demokratische Kontrollfunktion weitgehend ausgeschaltet.“ Das sagt Eric Bonse, Brüssel-Korrespondent der taz im NachDenkSeiten-Interview. Bonse, der Schulz über viele Jahre bei seiner Arbeit auf EU-Ebene beobachtet hat, findet wenig schmeichelnde Worte für den SPD-Mann. Schulz habe zwar in Brüssel durchaus einiges bewirkt, er habe hohe Erwartungen geweckt, doch dann sei er zu einer Enttäuschung geworden. Nach den Worten von Bonse hat Schulz das EU-Parlament zunehmend für seine eigene Ambitionen genutzt und gar dessen demokratische Kontrollfunktion weitestgehend ausgeschaltet. Das Interview basiert auf den Erfahrungen, die Bonse in seinem Ebook „MEGA enttäuschend – Was Martin Schulz in Europa geschafft hat – und was nicht“ zusammengefasst hat. Ein Interview von Marcus Klöckner.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Herr Bonse, Sie haben sich als Brüssel-Korrespondent intensiv mit Martin Schulz auseinandergesetzt. Was waren Ihre ersten Gedanken, als Sie davon gehört haben, dass er Kanzlerkandidat wird?

Zuerst war ich überrascht. Damit hatte ich – wie die meisten Beobachter in Brüssel – nicht gerechnet.

Warum?

Schulz hatte bis zuletzt darum gekämpft, in Brüssel bleiben zu können und eine weitere Amtszeit als Präsident der Europaparlaments zu bekommen. Allerdings hatte er auch schon Pöstchen an seine engsten Mitarbeiter verteilt – ein erstes Zeichen, dass er wohl doch schon länger den Absprung nach Berlin plante.

Schulz wird in der Berichterstattung immer wieder als jemand angeführt, der in und für Europa viel bewirkt hat. Was sind Ihre Beobachtungen?

Er hat einiges bewirkt, hohe Erwartungen geweckt und diese dann bitter enttäuscht. Zu seinen Erfolgen zählt sicher, dass er das Europaparlament aus dem Dornröschenschlaf geweckt hat, in das es unter seinem Amtsvorgänger Hans-Gert Pöttering (CDU) gefallen war. Schulz hat das Parlament politischer gemacht und auch stärker ins öffentliche Bewusstsein gebracht. Vor der Europawahl 2014 gelang ihm sogar ein Coup: Schulz ließ sich zum Spitzenkandidaten der Sozialdemokraten küren und warb erfolgreich dafür, dass auch die anderen Parteien mit europaweiten Spitzenkandidaten antreten – statt wie bisher üblich nur mit nationalen Listen. Damit bekam die Wahl eine europäische Dimension; auch die Parteienfamilien wuchsen enger zusammen. Doch nach der Wahl – die er verlor – hat er die demokratische Entwicklung nicht vorangetrieben, sondern verkümmern lassen.

Was hat Schulz denn falsch gemacht?

Er hat das EU-Parlament zunehmend als Bühne und als Sprungbrett für seine persönlichen Ambitionen genutzt und die demokratische Kontrollfunktion weitgehend ausgeschaltet. Eigentlich soll das Parlament ja ein Gegengewicht zu EU-Kommission und Ministerrat darstellen. Stattdessen hat Schulz mit Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker gekungelt. Das ging bis hin zu täglichen Gesprächen über Details der EU-Agenda – wann kommt welches EU-Gesetz, wie kriegen wir das am besten durch etc. Außerdem hat er sich weiter als Chef der sozialdemokratischen Fraktion geriert, obwohl diese längst einen eigenen, neuen Vorsitzenden hatte. Das hat es ihm erlaubt, die Große Koalition im Parlament mit den Christdemokraten zu steuern – Schulz war nicht mehr Präsident aller Europaabgeordneten, sondern ein parteiischer Koalitionsführer, der Juncker stützte. Die demokratische Opposition aus Linken und Grünen hatte kaum noch eine Chance.

Was noch?

Gleichzeitig war Schulz Mitglied im Parteivorstand der SPD. Einmal die Woche flog er zur Vorstandssitzung nach Berlin. Da auch die SPD in eine Große Koalition eingebunden war, fungierte Schulz als Wasserträger zwischen der Regierungsmehrheit in Berlin und der Parlamentsmehrheit in Brüssel. Er konnte zwischen Kanzlerin Angela Merkel, Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und Kommissionschef Juncker vermitteln bzw. schon im Vorfeld Kompromisse ausloten. In wichtigen Fragen wie der Schuldenkrise um Griechenland oder der Flüchtlingskrise 2015 war das sicher hilfreich – aber es nutzte vor allem großkoalitionären deutschen Interessen und nicht unbedingt Europa. Kein Wunder, dass Merkel sehr zufrieden war und Schulz gern in Brüssel gehalten hätte.

In Ihrem Buch schreiben Sie, dass Schulz die Abgeordneten des EU-Parlaments regelmäßig übergangen habe. Was hat er getan?

Er hat gleich zu Beginn der Legislatur verhindert, dass ein schlagkräftiger Untersuchungsausschuss zur Luxemburger Steueraffäre („LuxLeaks“) eingesetzt wurde. Damit hat er objektiv Kommissionschef Juncker protegiert, der ja früher Premierminister in Luxemburg war und dort ein Steuerparadies geschaffen hat. Dass Schulz seine schützende Hand über Juncker hielt, hat sogar seine eigenen Genossen verärgert.

Ein weiteres Beispiel?

Schulz hat nichts dafür getan, dass ein wichtiger und kritischer Parlamentsbericht zur Eurokrise umgesetzt wurde. Die Abgeordneten haben darin unter anderem ein Ende der Troika gefordert – also jenes ungewählten Gremiums von Aufsehern, das für viele EU-Bürger zum Synonym für ein asoziales und undemokratisches Euro-Regime wurde. Stattdessen ließ er den Bericht in der Schublade verschwinden und die Troika weiter arbeiten. Er hat sich auch nicht dafür eingesetzt, dass nach dem Brexit eine umfassende EU-Reform eingeleitet wurde, wie dies die Abgeordneten gefordert haben. Alles ging weiter wie zuvor, bis heute herrscht in Brüssel Business as usual.

Was sagt dieses Verhalten über Schulz aus?

Schulz ist ein Machtmensch. Er lässt sich von seinem Machtinstinkt leiten und vergisst dabei allzu leicht demokratische Prinzipien und politische Ziele. Am Ende ging es nur noch um Selbstdarstellung und Machterhalt. Schulz hat zudem einen ausgeprägten Sinn für nationale deutsche Interessen erkennen lassen. Im Streit um Griechenland war er nicht mehr der überzeugte Europäer, sondern der bornierte deutsche Besserwisser – wie viele Politiker der GroKo.

Nun gab es gerade das „Wahlduell“zwischen Angela Merkel und Martin Schulz im Fernsehen. Kam Ihnen der Schulz, den Sie da gesehen haben, bekannt vor?

Ja, sehr sogar. Die Art und Weise, in der er sich an die Moderatoren und sogar an Merkel angebiedert hat, kennen wir schon aus den Fernsehduellen zur Europawahl 2014. Damals war sich Schulz mit Juncker in allen großen Fragen einig; am Ende lagen sie sich sogar in den Armen. Genützt hat es ihm nichts; er hat die Europawahl verloren…

Was ist Ihnen noch aufgefallen?

Zu Europa kam nicht viel von Schulz. Dabei ist das doch seine Domäne; hier hätte er Merkel vorführen können. Neben der Flüchtlingspolitik hat ja auch der Schuldenstreit um Griechenland und die Dieselaffäre für viel böses Blut in Brüssel gesorgt. Zudem ist Merkel auch am Brexit nicht ganz unschuldig. All das hätte Schulz der Kanzlerin vorhalten und Alternativen aufzeigen können. Doch das hat er nicht gewagt – vermutlich, weil er an allen Entscheidungen beteiligt war…

In Ihrem Buch gibt es ein Kapitel mit der Überschrift: „Stabilität vor Demokratie“.
So fassen Sie das Agieren von Schulz auf EU-Ebene zusammen. Was genau meinen Sie damit?
Und: Was bedeutet es, wenn ein Mann wie Schulz tatsächlich Bundeskanzler würde?

Das mit der Stabilität lässt sich auf zwei Arten lesen. Die offizielle Lesart von Schulz und Merkel lautet, dass es darauf ankommt, die „Populisten“ zu stoppen. Deshalb hat Schulz das Europaparlament wie ein Autokrat geführt – Nigel Farage und Marine Le Pen, die ja ein EU-Mandat haben, sollten kleingehalten werden. Doch am Ende wurden nicht nur Farage und Le Pen geknebelt, sondern auch die eigenen sozialdemokratischen Abgeordneten und das gesamte rotgrüne Lager. Das geht natürlich zu Lasten der Demokratie. Der Bereich des in Brüssel Sag- und Machbaren wurde massiv eingeschränkt – letztlich auf das, was Merkel passte und das „deutsche Europa“ (Ulrich Beck) stabilisierte. Ich vermute, dass es nicht viel anders wäre, wenn Schulz Bundeskanzler würde. Auch die Europapolitik würde sich nicht grundlegend ändern. Dabei wäre dies dringend nötig, wenn die EU ihre existentielle Krise überwinden soll.

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