Die Spiele mögen beginnen

Jens Berger
Ein Artikel von:
Jens Berger

Wenn die gestrige konstituierende Sitzung des Bundestags stilgebend für die kommende Legislaturperiode ist, dann dürfen wir wohl vier verlorenen Jahren entgegenblicken. Dann wird es nämlich künftig nur noch darum gehen, jede Personal- und Sachfrage daran zu messen, was dies für die AfD zu bedeuten hat. Denn im neuen Bundestag scheint sich ohnehin alles nur noch um AfD zu drehen. Was im Windschatten passiert, geht in der Hysterie unter. Oder haben Sie gestern kritische Worte darüber gehört, dass ausgerechnet Wolfgang Schäuble nun protokollarisch die zweithöchste Position im Staate innehat und nun qua Amt – welch Ironie – auch die Ordnungsmäßigkeit von Parteispenden zu überwachen hat? Oder hat irgendwer offen Kritik daran geübt, dass die SPD mit dem alten Apparatschik und Agenda-Fan Thomas Oppermann als Bundestagsvize ein fatales Signal an Alle aussendet, die von der Partei eine Neuorientierung fordern? Einig ist man sich aber darin, dass künftig wieder mehr „gestritten“ wird – gerade so, als habe beispielsweise Sahra Wagenknecht die letzten vier Jahre nicht in Bundestag, sondern im Trappistinnen-Kloster verbracht. Absurd. Von Jens Berger.

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Was ist eigentlich geschehen, dass die ehemals linksliberale taz ihren Leitartikel zur ersten Bundestagssitzung mit folgendem Satz beginnt: „Wolfgang Schäuble wird ein guter Bundestagspräsident sein“? Hat die taz vergessen, dass Wolfgang Schäuble Südeuropa unter Kuratel gestellt und Deutschlands Ruf in Europa auf absehbare Zeit ruiniert hat? Hat man seinen Frieden mit der „schwarzen Null“ und Schäubles neoliberalen Wahnideen für mehr Privatisierung, mehr Freihandel und weniger Sozialstaat gemacht? Und wie erklärt die taz ihren bewegten LeserInnen, dass sie die Wahl eines konservativen Hardliners, der nicht viel von Gleichberechtigung, nichts von LGBT-Lebensformen und schon gar nichts von der Ehe für Alle hält, für eine wunderbare Sache hält? Sind Schäubles Überwachungsfanatismus und seine Paranoia schon vergessen? Und wie sieht es mit den 100.000 D-Mark aus, die Schäuble vom windigen Waffenhändler Karlheinz Schreiber in einem Koffer bekommen hat und deren Verbleib bis heute ungeklärt ist? Als Partei- und Fraktionsvorsitzender war Schäuble damals für die CDU untragbar. Heute soll er im zweihöchsten Ehrenamt der Republik die ordnungsgemäße Parteispendenpraxis überwachen? Hätte sich dies ein Drehbuchautor ausgedacht, hätte man ihn wohl vom Hofe gejagt – wer soll denn bitte ein derart absurdes Szenario glauben?

Deutschland ist doch immer so stolz auf seinen Respekt vor den Menschenrechten und seine unbestechliche Demokratie. Nun haben wir mit Frank Walter Steinmeier einen Mann, der den aus Bremen stammenden Murat Kurnaz im Folterlager Guantanamo leiden ließ, als Bundespräsidenten und einen Geldkoffer-Schieber als Bundestagspräsidenten als Doppelspitze – welch schönes und passendes Bild.

Doch die Personalie Schäuble war gestern kein Thema. Die AfD ist schließlich „endlich“ im Bundestag und man kann sich nun doppelt so schön echauffieren. Auch hier ist die taz mal wieder repräsentativ für die Branche: „Schäuble, ein konservativer Intellektueller, ein erfahrener Demokrat und pointierter Redner, gab in der konstituierenden Sitzung des Bundestages kluge Hinweise, wie ein Umgang mit der AfD gelingen könnte“. Es geht also nur noch um die AfD. Und das nicht inhaltlich, sondern mit größtmöglicher Skurrilität. SPIEGEL Online berichtet beispielsweise gleich über mehrere Absätze, wer denn nun AfD-Politikern die Hand gegeben hat (Lindner, aber der wurde quasi von der AfD überlistet und Gröhe, der sogar „offensiv“ von sich aus). Da werden sich sicherlich die Neoliberalen, Transatlantiker, Rüstungsfreaks, Sozialstaatgegner und Asylrechtsverschärfer freuen – solange die gesamte Öffentlichkeit hysterisch auf die AfD blickt, gehen selbst unpopuläre Inhalte wie mit Vaseline eingeschmiert durch die Parlamente. Und am Ende sind „wir“ alle Merkel-Fans, weil Kritik an der Gottkanzlerin ja indirekt der AfD nutzen würde. Halleluja. AfD, AfD, AfD und bei den nächsten Wahlen wundern „wir“ uns sicher, warum die AfD von noch mehr Wählern als „Alternative“ wahrgenommen wird. Es ist zum verrückt werden.

Genau so verrückt ist der gestern pausenlos von sämtlichen Kommentatoren geäußerte Satz, dass es nun kontroverser zugehen werde; es wird wieder debattiert und das ist gut so. Dass eine Ausweitung des Meinungsspektrums sicher nicht von Nachteil ist, ist ja schon richtig. Doch da schwingt natürlich auch immer mit, dass dies nun eine echte Novität sei. Wie oft haben wir von den NachDenkSeiten auf tolle meinungsstarke Reden der Oppositionsführer hingewiesen? Aber anscheinend zählen Politiker wie Sahra Wagenknecht nicht. Auch diese bornierte Scheuklappenhaltung hilft freilich vor allem dem rechten Lager.

Es ist jedoch auch nicht einfach, die richtige Strategie beim Umgang mit der AfD zu finden. Wie hätte man beispielsweise sinnvoll auf die Nominierung Albrecht Glasers für den Posten des stellvertretenden Bundestagspräsidenten reagieren sollen? Ein Mann, der Muslimen das Grundrecht auf Religionsfreiheit entziehen will, ist nun einmal als Bundestagsvize untragbar – da kann es auch keinen Ermessensspielraum geben. Auf der anderen Seite hat die AfD durch die spektakuläre Personaldebatte natürlich wieder die Aufmerksamkeit auf sich gezogen und kann sich auch noch als Opfer inszenieren; man kennt diese Strategie ja zu Genüge. Und wenn diese Strategie aufgeht, werden wir in der kommenden Legislaturperiode noch sehr viele Schlagzeilen von der AfD diktiert bekommen, während die eigentlich wichtigen Inhalte im Kleingedruckten abgewickelt werden. Das wäre dann endgültig nur noch eine Show-Demokratie, die Teilhabe simuliert und uns nicht vertritt, sondern unterhält.