Trumps Forderungen an Nato-Bündnispartner – Muss Deutschland den Rüstungshaushalt auf 2 % des Bruttoinlandsprodukts erhöhen?

Peter Vonnahme
Ein Artikel von Peter Vonnahme

In der öffentlichen Debatte wird die Forderung, die Rüstungs- und Militärausgaben auf einen Betrag zu erhöhen, der zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts entspricht, in den allermeisten Fällen schlicht als gegeben dargestellt. Aber hat diese Forderung überhaupt eine völkerrechtliche Basis? Ist sie gar verpflichtend, wie beispielsweise die im Grundgesetz verankerte „Schuldenbremse“? Der ehemalige Richter am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof Peter Vonnahme ist diesen Fragen für die NachDenkSeiten einmal nachgegangen und kommt zu einem interessanten Ergebnis – die Zwei-Prozent-Forderung basiert keinesfalls auf verbindlichen Verträgen oder Absprachen, sondern ist vielmehr eine bloße Absichtserklärung. Das ist vor allem vor dem Hintergrund interessant, da andere Absichtserklärungen, wie beispielsweise die gescheiterten Millenniums-Entwicklungsziele, die eine Erhöhung der Entwicklungshilfeausgaben auf 0,7% des Bruttoinlandsprodukts vorsahen, wie selbstverständlich politisch und medial ignoriert wurden und niemand sich Sorgen machte, dass man damit „vertragsbrüchig“ wird.

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Die Staats- und Regierungschefs der Nato-Staaten haben bei ihrem Treffen im September 2014 in Wales Ziele für die künftige Militärpolitik formuliert. Hierbei wurden sie von folgenden Überlegungen geleitet („… we are guided by the following considerations“):

Bündnispartner, deren Militärausgaben unter 2 % ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) liegen, werden

  • die Verteidigungsausgaben nicht weiter kürzen;
  • darauf abzielen, die realen Verteidigungsausgaben im Rahmen des BIP-Wachstums zu erhöhen;
  • darauf abzielen, sich innerhalb von zehn Jahren auf den Richtwert von 2 % zuzubewegen („… aim to move towards the 2 % guideline within a decade“).

Die schrittweise Erhöhung der Militärausgaben wurde unter dem Eindruck der Ukrainekrise – gewissermaßen als Mahnung an Russland – beschlossen. An den tatsächlichen Militärausgaben änderte sich in der Folgezeit jedoch nichts Wesentliches. Erst als der neue US-Präsident Trump die weitere Bündnistreue der USA mit dem Zwei-Prozent-Ziel von Wales verknüpfte, erhöhte sich der Druck auf die Verbündeten, die Zusage einzuhalten. Die US-Administration ist der Auffassung, dass alle Nato-Länder die zwei Prozent wirklich erreichen müssen.

In Deutschland sind die Meinungen geteilt. Es droht deshalb Streit über die Ausrichtung der Militärpolitik für die nächsten Jahre. „Wir müssen einen vernünftigen qualitativen Beitrag leisten, damit andere – jenseits des Atlantiks – bereit sind, sich zu engagieren“, zitierten Teilnehmer einer Verteidigungsausschusssitzung die Kanzlerin (Bild, 14.1.16). Verteidigungsministerin von der Leyen wies kürzlich Kritik aus der SPD-Spitze an der geplanten massiven Erhöhung der deutschen Militärausgaben zurück. Alice Weidel, Co-Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, unterstützt das Zwei-Prozent-Ziel: “Deutschland muss deutlich mehr investieren in die Landesverteidigung. Und wir müssen unseren internationalen Verpflichtungen nachkommen“ (FAZ, 7.8. 2017). FDP und Grüne verweisen auf die internationale Verantwortung Deutschlands, legen sich aber mit Blick auf die 2 % nicht detailliert fest. Dietmar Bartsch, Co-Vorsitzender der Linksfraktion, sagt: “Wir finden dieses Zwei-Prozent-Ziel völlig inakzeptabel (mdr aktuell, 5.9.2017).

Deutschland liegt trotz steigender Verteidigungsausgaben (2017: 37 Mrd. €) derzeit bei etwa 1,23 % des BIP. Nach ZEIT ONLINE vom 18.2.2017 müsste Deutschland bei einem angenommenen jährlichen Wirtschaftswachstum von 2 % im Jahr 2024 mehr als 75 Mrd. € für Verteidigung ausgeben, um das Ziel zu erreichen. Das liegt daran, dass eine Ausgabenerhöhung nur dann den Prozentsatz erhöht, wenn sie das Wirtschaftswachstum übertrifft. Im Übrigen verkennt die Fixierung auf eine Prozentzahl für Militärausgaben die Bausteine einer friedensorientierten Sicherheitspolitik. Eine solche erschöpft sich nämlich nicht in Ausgaben für Rüstung. Vielmehr verlangt sie Entwicklungszusammenarbeit, Verständigungswillen, internationale Dialogbereitschaft und Beachtung des Völkerrechts.

Interessant an den Überlegungen der politischen Parteien ist, dass nur über Notwendigkeit, Zweckmäßigkeit, Umfang und Finanzierbarkeit des Nato-Aufrüstungsplans gestritten wird. Die vorrangige Frage, ob Deutschland durch die Zielsetzung von Wales überhaupt verpflichtet ist, das Zwei-Prozent-Ziel anzustreben, bleibt unerörtert.

Rechtliche Bewertung

Politik- und Rechtswissenschaftler sind sich einig, dass die Zwei-Prozent-Zielvorgabe der Nato keine rechtliche Bindungswirkung entfaltet. Begründet wird dies vor allem mit der Entwicklungsgeschichte der Nato und mit Aussagen maßgeblicher Politiker. Prozentvorgaben wie in der Abschlusserklärung von Wales seien eine politische Willensbekundung („non-binding requirement“, „gentlemen’s agreement“, „informal benchmark“). Sie enthielten jedoch keine bindende Verpflichtung der Mitgliedstaaten (vgl. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, WD 2 – 3000 – 034/17 vom 21. März 2017).

  • Diese Bewertung wird durch den Wortlaut der Waliser Erklärung gestützt. Dort ist nämlich nur von Überlegungen (considerations) die Rede und davon, dass die Bündnispartner auf einen bestimmten „Richtwert… abzielen“ (aim to … guideline). Eine Textform wie sie für bindende Verträge üblich ist (z.B. „Die Parteien verpflichten sich“) fehlt vollkommen. Außerdem fehlen jegliche Regeln für den Fall der Nichteinhaltung von Abreden. Die Gipfelerklärung hat somit schon von der Sprachform her den Charakter einer bloßen Absichtserklärung.
  • Eine solche Auslegung entspricht auch dem Geist des Nato-Vertrags. Nach dessen Artikel 5 werden die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet, einen bestimmten Anteil ihres BIP für Verteidigung aufzuwenden. Vielmehr leistet jeder Bündnispartner im Falle eines bewaffneten Angriffs „Beistand“ durch Maßnahmen, die er für erforderlich hält. Konkrete Militärbeiträge oder gar Verpflichtungen zur Aufrüstung sind nicht vereinbart.
  • Auch im Innenverhältnis ist der Beschluss von Wales für Deutschland nicht bindend. Die Unterschriften von Merkel und Steinmeier auf dem Dokument von Wales zielen auf wesentliche Festlegungen für die deutsche Militärpolitik ab und greifen zudem tief in die Haushaltspolitik des Bundes für die kommenden Jahre ein. Solche Entscheidungen fallen in die Zuständigkeit des Parlaments. Solange der Bundestag den Selbstverpflichtungen nicht zustimmt, sind sie unwirksam.

Sicherheitspolitische Betrachtung

Eine Verpflichtung von Bündnispartnern zur Erhöhung der Militärausgaben ist – wenn überhaupt – nur dann nachvollziehbar, wenn das Bündnis seinen vermeintlichen Gegnern militärisch unterlegen ist. Das ist aber nicht der Fall. Denn die Militärausgaben der USA für 2016 (611 Mrd. $) sind fast neunmal höher als die Russlands (69 Mrd. $). Die Gesamtaufwendungen aller 28 Nato-Staaten belaufen sich auf 918 Mrd. $; hieraus errechnet sich im Vergleich zu Russland sogar eine 13-fache Überlegenheit des Nato-Militärbudgets. Auch die Militäraufwendungen der zweitgrößten Militärmacht China (geschätzte 215 Mrd. $) liegen um den Faktor 3 unter denen der USA.

Wenngleich Geldeinsatz nicht mit militärischer Effizienz gleichzusetzen ist, lassen die Zahlen dennoch unschwer erkennen, dass die von Trump geforderten Steigerungsraten nicht plausibel sind. Der Umstand, dass die USA wegen ihrer größtenteils völkerrechtswidrigen Kriege seit Jahren sehr hohe Rüstungsausgaben leisten müssen (aktuell 3,3 % des BIP), ist kein hinreichender Grund, von anderen Staaten Ähnliches zu fordern. Sinnvoll wäre vielmehr, durch eine auf Verständigung und Ausgleich bedachte Politik die Notwendigkeit überhöhter Rüstungs­anstrengungen zu vermindern.
Soweit erkennbar, spielten diese Überlegungen bei den „Jamaica“- Sondierungsgesprächen zur Bildung einer Bundesregierung keine nennenswerte Rolle. Deshalb ist es jetzt im Vorfeld neuer Verhandlungsrunden notwendig, dass eine breite öffentliche Diskussion über diese Problematik die Verhandlungsparteien CDU/CSU und SPD zu einer klaren inhaltlichen Positionierung zwingt. Die einsparbaren Haushaltsmittel lassen sich an anderer Stelle zur Sicherung des inneren und äußeren Friedens sinnvoller einsetzen.

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