Stille Machtergreifung – Österreichs neue alte Rechte

Norbert Wiersbin
Ein Artikel von Norbert Wiersbin

Als im Jahre 2000 erstmals die rechte FPÖ als Koalitionspartner an der österreichischen Regierung beteiligt wurde, hagelte es noch Protest. Die EU entschloss sich zu – wenn auch halbgaren – Sanktionen, weltweit äußerte sich Kritik daran, dass im Herzen Europas eine offen fremdenfeindlich und rassistisch auftretende Partei an der Regierung beteiligt wird. Doch diese Zeiten sind Geschichte. Seit den letzten Nationalratswahlen wird Österreich wieder von einer Rechts-Rechtsaußen-Koalition regiert. Doch mittlerweile scheint schon dies als „normal“ zu gelten; nennenswerte Kritik oder gar Proteste waren nicht zu vernehmen. Doch „normal“ ist die FPÖ keinesfalls, wie das hochaktuelle Buch „Stille Machtergreifung“ zeigt, das Norbert Wiersbin für die NachDenkSeiten rezensiert hat.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Das jüngste Buch von Hans-Henning Scharsach erschien noch vor den österreichischen Nationalratswahlen 2017. Dieses Werk konnte zwar nicht verhindern, dass der blutjunge Sebastian Kurz (ÖVP) auf dem Weg zu seiner Kanzlerschaft eine Koalition mit der FPÖ einging und damit eine Partei an die Schaltstellen der Macht brachte, die längst von rechtsnationalen Burschenschaftern unterwandert und von Männern dominiert wird, die – teils unverblümt, teils hilflos kaschierend – eine längst überholt geglaubte völkisch-rassistische Ideologie auferstehen lassen. Es bleibt aber in seiner ganzen mahnenden und aufklärerischen Wucht aktuell, offenbaren die aufgezeigten Verflechtungen zur internationalen Nazi-Szene doch ein alarmierend zersetzendes Potential für sämtliche europäischen Demokratien und für die Europäische Union insgesamt.

Der Journalist und Menschenrechtsaktivist Hans- Hennig Scharsach, ehemals Leiter des außenpolitischen Ressorts des KURIER sowie stellvertretender Chefredakteur und Leiter des Auslandsressorts des Nachrichtenmagazins NEWS, gilt als führender Experte für Rechtsextremismus, Rechtspopulismus und Neonazismus. Für seine Verdienste zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit und für seinen unermüdlichen Einsatz für Demokratie, Menschenrechte und „sauberen Journalismus“ wurde ihm 2014 durch die österreichische Regierung der Berufstitel eines Professors verliehen. Über 15 Jahre lang moderierte Scharsach die alljährlichen Zeitzeugen-Veranstaltungen im Wiener Volkstheater zum Jahrestag des November-Pogroms. Er ist Autor mehrerer Sachbücher wie z.B. „Haiders Kampf“, „Die Ärzte der Nazis“ oder auch „Strache. Im braunen Sumpf“.

Mit „Stille Machtergreifung. Hofer, Strache und die Burschenschaften“ liegt nun eine akribisch recherchierte Dokumentation darüber vor, wie „ein rechtsextremer, demokratie- und verfassungsfeindlich agierender Akademikerklüngel“ in Gestalt deutsch-nationaler schlagender Verbindungen die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) in Besitz genommen hat. In allen wichtigen Parteigremien, in den Fraktionen des Nationalrates und der Länderparlamente sowie unter den parlamentarischen Mitarbeitern dominieren inzwischen Korporierte der österreichischen Burschenschaften. Seit der Angelobung der türkis-blauen Regierung im Dez. 2017 streben sie nun auch in führende Positionen in den Ministerien. Scharsach bemüht annähernd 600 Quellen, um den Nachweis über die engen Verflechtungen des Parteiobmanns Strache und des ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Hofer (beide bekleiden inzwischen Ministerämter) mit der nationalen und internationalen Naziszene zu führen. Er analysiert die rechtsextremen Inhalte ihrer Schriften und ihre medialen Netzwerke, die „mit Hasskampagnen, Unwahrheiten und Verleumdungen die Stimmung im Land“ aufheizen und der FPÖ so die Wähler in die Arme treiben. Dabei bleibt das Buch von der ersten bis zur letzten Seite leicht und flüssig lesbar.

„Ein Buch des Schreckens und Erschreckens“ wird der Schauspieler Alfons Haider auf dem Klappentext zitiert. Wer es liest, dem kommen auch die letzten Zweifel abhanden, wer in diesen Tagen dabei ist, die Macht zu ergreifen: Es sind die alten und neuen Nazis, die sich mit ihrer ganzen Menschenverachtung, mit ihrem ganzen Hass auf die Aufklärung, den Humanismus und die Menschenrechte, die sich mit ihrer zügellosen Gewaltbereitschaft dazu aufschwingen, erneut einen autoritären Führerstaat zu installieren. Und dabei scheinen ihnen alle legalen und illegalen Mittel recht zu sein.

„Stille Machtergreifung“ ist ein Must-Read für alle, die sich dem braunen Schrecken noch erwehren wollen. Denn es ist Nachschlagewerk und Hilfestellung zugleich. Hans-Henning Scharsach hat sich über die Jahre vierzehn Klagen der FPÖ stellen müssen. Er hat sie sämtlich, eine sogar in letzter Instanz vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), für sich entscheiden können. Darauf kann sich jeder Demokrat, jeder Antifaschist und Aktivist berufen, wenn er Scharsach zitiert, begibt er sich auf die sichere juristische Seite. Kein geringerer als der österreichische Verfassungsgerichtshof hat in mehreren Urteilen die Verwendung sog. Tatsachensubstrate zur Aufklärung und für den kritischen Diskurs unter den besonderen Schutz der Meinungs- und Redefreiheit gestellt!

„Endlich müssen wir mit unserer Argumentation gegen Rechtsextremismus und Deutschnationalismus nicht mehr nur von unseren Gefühlen und unserer Gesinnung ausgehen. Hans-Henning Scharsach liefert mit diesem unglaublich faktenreichen und akribisch recherchierten Buch die Argumente samt Belegen. Pflichtlektüre.“ (Elfriede Jelinek, Schriftstellerin und Nobelpreisträgerin)

Hans- Henning Scharsach, Stille Machtergreifung. Hofer, Strache und die Burschenschaften, Verlag Kremayr & Scheriau, Wien 2017, ISBN 978-3-218-01084-9

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