Gabor Steingart muss gehen … ach wie frei ist doch unsere hoch gelobte Presse!

Jens Berger
Ein Artikel von:

„Pressefreiheit ist die Freiheit von zweihundert reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten“ – dieser Satz stammt von Paul Sethe, einem der Gründungsmitherausgeber der FAZ aus dem Jahr 1965. Wie Recht Sethe doch hat, zeigt ein sehr aktueller Fall. Nach Informationen des SPIEGEL, die heute vom Branchendienst Turi2 unter Berufung auf „hausinterne Quellen“ bestätigt wurden, muss Handelsblatt-Herausgeber Gabor Steingart seinen Posten verlassen. Als Grund dafür wird ein Text von Steingart über Martin Schulz genannt, der bei näherer Betrachtung jedoch eher harmlos ist. Wahrscheinlicher ist da schon, dass Steingarts immer kritischer werdende Linie in Bezug auf die Rolle der USA und die deutsch-russischen Beziehungen der transatlantisch orientierten Holtzbrinck Gruppe (u.a. Tagesspiegel, ZEIT, Handelsblatt) ein Dorn im Auge war. Kritische Geister sind in den Chefetagen der deutschen „Qualitätszeitungen“ nicht mehr gefragt. Von Jens Berger.

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Machen Sie sich bitte selbst ein Bild. Inwiefern soll diese nette, kleine Glosse, die Gabor Steingart am Mittwoch in seinem Morning Briefing per Mail verschickte, Grund für seine Entlassung sein?

Innerhalb der SPD hat ein bizarrer Machtkampf begonnen. Der mittlerweile ungeliebte Parteichef Martin Schulz will den derzeit beliebtesten SPD-Politiker, Außenminister Sigmar Gabriel, zur Strecke bringen und an dessen Stelle im Ministerium Quartier beziehen. Das Duell wird nach den Regeln des Parteienkampfes ausgetragen, also im Verborgenen. Besondere Raffinesse wird dabei vor allem von Schulz verlangt, da er sich nicht beim Mord an jenem Mann erwischen lassen darf, dem er das höchste Parteiamt erst verdankt.

Der Tathergang wird in diesen Tagen minutiös geplant. Der andere soll stolpern, ohne dass ein Stoß erkennbar ist. Er soll am Boden aufschlagen, scheinbar ohne Fremdeinwirkung. Wenn kein Zucken der Gesichtszüge mehr erkennbar ist, will Schulz den Tod des Freundes aus Goslar erst feststellen und dann beklagen. Die Tränen der Schlussszene sind dabei die größte Herausforderung für jeden Schauspieler und so auch für Schulz, der nichts Geringeres plant als den perfekten Mord.

Einzig sein Angstschweiß verrät ihn. Noch zaudert er. Wird das Publikum sein Alibi überhaupt akzeptieren? In ruhigen Minuten kommen dem ehemaligen Buchhändler, ohne dass er sich dagegen wehren kann, wahrscheinlich die mahnenden Worte des Schriftstellers Franz Grillparzer in den Sinn: „Allen Sündern wird vergeben“, schrieb der einst, „nur dem Vatermörder nicht“.

– Gabor Steingart in seinem Morning Briefing vom 7. Februar

Dass es in der Glosse nicht um einen realen, sondern um einen politischen Mord geht, sollte eigentlich offensichtlich sein. Und für den interessierten Beobachter wirkt die Absetzung Gabriels durch Schulz tatsächlich wie ein sehr realer politischer Mord. Vor diesem Hintergrund wirkt es schon reichlich seltsam, dass sich Dieter von Holtzbrinck, Mehrheitseigner des Handelsblatt, am Mittwoch offenbar berufen fühlte, sich höchstpersönlich für die angebliche „Kampagne“ des Handelsblatt-Herausgebers Steingart bei Martin Schulz zu entschuldigen. Ist das etwa Pressefreiheit? Wäre Steingart mit dem Strom geschwommen und hätte Schulz bar jeder Grundlage für den tollen Verhandlungserfolg gelobt, wäre dies offenbar eher im Sinne Holtzbrincks gewesen. Der konkrete „Auslöser“ wirkt jedoch derart absurd lächerlich, dass man kaum glauben mag, dass diese harmlose Glosse der wahre Grund für diesen tiefgreifenden Eingriff in die Pressefreiheit ist. Gleichzeitig zeigt sie jedoch auch, wie wichtig den Eliten die Personalie Schulz ist.

Dass ich mich mal für Gabor Steingart stark machen würde, hätte ich noch vor wenigen Jahren auch nicht gedacht. In seiner Funktion als Wirtschaftsredakteur und später als Leiter des Hauptstadtbüros des SPIEGEL hatte Steingart ganz fürchterliche Sachen geschrieben. Er war mitverantwortlich für den medialen Druck auf die SPD, der schließlich in der Agenda-Politik gipfelte und seine Bücher „Deutschland – Der Abstieg eines Superstars“ und „Weltkrieg um Wohlstand“ gehören nach wie vor zu dem Schlechtesten, was jemals über volkswirtschaftliche Zusammenhänge geschrieben wurde. Aber Menschen können sich auch wandeln. Sicher liegen zwischen Steingart und den NachDenkSeiten volkswirtschaftlich immer noch Welten, aber dafür hat sich der Noch-Herausgeber des Handelsblatts zu einer der ganz wenigen Stimmen entwickelt, die sich in letzter Zeit immer deutlicher gegen die transatlantische Spannungspolitik und für eine Verständigung mit Russland stark gemacht haben. Und dafür hat Gabor Steingart von den Kollegen aus den transatlantischen Blättern jede Menge Prügel bezogen.

Schon 2014 warnte er in aller Eindringlichkeit vor einem Krieg mit Russland und ernte dafür vor allem von der FAZ harsche Kritik. Steingart konterte und kritisierte seinerseits das Meinungsspektrum von Tagesspiegel, FAZ, Süddeutscher Zeitung und SPIEGEL, das sich „auf Schießschartengröße verengt“ habe, und empfahl seinerseits die Entspannungspolitik von Willy Brandt. Steingarts Essay „Der Irrweg des Westens“ ist auch heute noch sehr lesenswert und steht für mich auf einer Stufe mit Frank Schirrmachers Bekenntnis „Ich beginne zu glauben, dass die Linke recht hat“. Seitdem zählt der Mann, den WELT-Herausgeber Thomas Schmid zu „Putins kleinen Helfern“ zählt und die taz wegen seiner „zunehmend Putin-Freundlichen Positionen“ harsch kritisiert, auch für die NachDenkSeiten zur Lektüre, die wir hin und wieder unseren Lesern empfehlen. So haben wir beispielsweise seine jüngeren Kommentare zur aktuellen Kriegsgefahr oder zur Elitenverwahrlosung prominent bei uns verlinkt. Steingart bedankte sich übrigens erst jüngst bei uns für die „Belebung der Debatte“ und versicherte uns, dass er „die Nachdenkseiten sehr zu schätzen weiß“. Auch diese Einschätzung wäre vor einigen Jahren sicher noch anders ausgefallen.

Wie es scheint, haben sich im Hause Holtzbrinck nun doch die Transatlantiker durchgesetzt und der unbequeme Mahner, der sich als einer der letzten großen Publizisten gegen den Wahnsinn der transatlantischen Kriegstreiberei gestellt hat, muss seinen Posten freimachen. Man stelle sich nur mal für einen Moment vor, wie die Schlagzeilen unserer Medien heute lauten würden, wenn ein russischer regierungsnaher Verleger einen kritischen Herausgeber entlassen und dann einen Kotau vor dem kommenden Außenminister vollzogen hätte. Ja, die Pressefreiheit ist nicht nur in Gefahr, sie ist schon lange nur noch eine inhaltslose Hülse, die man bei Sonntagsreden von der Kanzel herab besingt. Natürlich dürfen auch Journalisten ihre eigene Meinung haben – aber nur dann, wenn sie weitestgehend kompatibel mit der Meinung der schwerreichen Verlegerfamilien ist, die über transatlantische Netzwerke fest in ein Publikationskartell eingebunden sind. Die Pressefreiheit, wie wir sie uns landläufig vorstellen, existiert auch in Deutschland nur auf dem Papier.