Unsere Demokratie ist in Not – mehr als allgemein wahrgenommen wird.

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Ein markantes Beispiel dafür ist die Wahl und die Koalitionsbildung an der Saar. „Jamaika-Filz an der Saar“ überschreibt die Stuttgarter Zeitung einen Bericht über die Hintergründe dieses erstaunlichen Vorgangs. (Näheres auch hier bei Telepolis) Die für manche überraschend zustandegekommene schwarz-gelb-grüne Koalition war offensichtlich in einem Interessengeflecht vorbereitet worden. Ein Fall, der das Gesamtgebilde grell beleuchtet. Berlusconi ist überall. Albrecht Müller

Unsere Wahlstimme und die Meinung und Wünsche der Mehrheit spielen eine geringe Rolle. Der Einfluss jener, die über viel Geld, publizistische Macht und Beziehungen verfügen, ist unübersehbar groß. An zwei weiteren aktuellen Beispielen wird dies sichtbar. Ich werde zunächst auf diese beiden Beispiele eingehen und dann zu einer eher systematischen Erörterung des Themas zurückkehren:

Zweites Beispiel: Staatssekretär Jörg Asmussen bleibt voraussichtlich auch bei Schäuble im Amt.

Jener Staatssekretär und frühere Abteilungsleiter im Bundesfinanzministerium, der der Finanzindustrie schon auf vielfältige Weise Vorteile zulasten von uns Steuerzahlern verschafft hat, bleibt voraussichtlich auch bei Schäuble im Amt, obwohl er formal der SPD angehört: Jörg Asmussen (siehe hier eine Meldung von Financial Times Deutschland „Merkel hält an SPD-Staatssekretär Asmussen fest“).

Für mich ist diese Personalie keine Überraschung. Asmussen hat auch bisher schon mit der CDU/CSU bestens und zur Freude der Finanzindustrie zusammenarbeitet und hatte sogar schon vorgearbeitet. In seiner Zeit bei Eichel wurde die Befreiung der Gewinne bei Vermögenstransaktionen zu Gunsten der so genannten Heuschrecken beschlossen; er hat unter Eichel und Steinbrück den Finanzplatz Deutschland durch Öffnung für spekulative Geschäfte fördern wollen und gefördert. (Wir haben darüber ausführlich berichtet. Wenn Sie in der Suchfunktion „Asmussen“ eingeben, werden sie fündig. Oder in der Serie zur Finanzkrise)

Asmussen hat in Zusammenarbeit mit Merkels Vertrauten für Finanzen, Weidmann, den 480-Milliarden Rettungsschirm für die Banken und Versicherungen vorbereitet und sitzt in den weitgehend unkontrollierten Gremien zur Verteilung unseres Geldes; Asmussen ist wesentlich dafür verantwortlich, dass wir die private Bank IKB mit circa 8 Milliarden öffentlichen Geldes gerettet haben; er war maßgeblich beteiligt an der Rettung der Hypo Real Estate mit bisher über 100 Milliarden zugesicherten Garantien, wovon ein großer Teil an Banken, Versicherungen und Fonds fließt, die sich bei der HRE verzockt haben (siehe dazu „Mit Einschnitten und Steuern zahlen wir für die Rettung von Banken und Fonds durch Merkel und Steinbrück/Finanzkrise XXVIII“).

Die Entscheidung von Frau Merkel ist in ihrem Sinne und im Sinne der Finanzindustrie. Damit ist garantiert, dass nichts unternommen wird, um das Casino zu schließen. Und es ist garantiert, dass die Internas unter der Decke bleiben. Daran haben sowohl Merkel als auch Asmussen und die daran beteiligten SPD-Prominenten wie Steinbrück, Steinmeier und Müntefering ein großes Interesse.
Im Sinne von uns Wählerinnen und Wählern ist diese Entscheidung nicht.

Das dritte Beispiel: die Privatisierung der Deutschen Bahn.

In meinem Beitrag zum Koalitionsvertrag hatte ich schon auf die Vereinbarung der beiden Koalitionsparteien zu diesem Thema hingewiesen. Ich wiederhole: Zur Deutschen Bahn heißt es auf Seite 29: „Sobald der Kapitalmarkt dies zulässt, werden wir eine schrittweise, ertragsoptimierte Privatisierung der Transport- und Logistiksparten einleiten.“

Alle Umfragen haben gezeigt, dass die Mehrheit des deutschen Volkes gegen die Privatisierung der Deutschen Bahn ist. Es gibt keine sachlichen Gründe für den Börsengang. Im Gegenteil, die negativen Erfahrungen anderer Länder wie Großbritannien und Neuseeland zum Beispiel, und die positiven Erfahrungen mit einer öffentlichen Bahn wie in der Schweiz sprechen gegen die Privatisierung.

Im Gegensatz zu diesem Mehrheitswillen lässt die Formulierung im Koalitionsvertrag die totale Privatisierung zu und dies auf der Basis einer Trennung von Netz und Betrieb, die sich sachlich als eine große Belastung und Verschwendung erweisen wird. (Siehe dazu zum Beispiel ein aktueller Text von „Bahn für alle“ [PDF – 108 KB])

Aber der Wille des Volkes und Sacherwägungen spielen keine Rolle, wenn Interessen ins Spiel kommen. (Siehe dazu den Beitrag „Viele Privatisierungen kann man nur verstehen, wenn man fragt: Wer verdient daran?“) Im konkreten Fall sind es die Interessen eines Konglomerats von Banken, Investmentbankern, Beratern, Anwälten, Wirtschaftsprüfern, Brokern, Werbewirtschaft, PR-Agenturen und Kapitalgruppen mit Interesse am Fleddern der von uns allen aufgebauten Bahn. Sie alle verdienen an Börsengängen und der Transaktion von Vermögenswerten insgesamt. Für sie ist es zum Beispiel dann sogar ein besonderes Geschäft, wenn eine öffentliche Einrichtung wie die Bahn privatisiert wird und dann nach schlechten Erfahrungen wieder vom Staat übernommen wird.

Die Finanzindustrie verdient vor allem an den Transaktionen. Und sie verdient daran Milliarden. Das ist einer der Gründe dafür, dass ihr Einfluss auf die Politik so groß ist.

Das waren drei Beispiele unter vielen möglichen anderen, die zeigen, dass die Wünsche und Vorstellungen der Wählerinnen und Wählern ziemlich irrelevant sind. Die politischen Entscheidungen geraten mehr und mehr in den Einflussbereich großer Interessen und von Interessengeflechten.

Der Einfluss auf politische Entscheidungen läuft auf verschiedenen Wegen. Zum Beispiel:

  1. Mit Hilfe von Lobbyarbeit
  2. Mit der direkten Platzierung von gewogenen Personen in politischen Ämtern.
  3. Mit Hilfe der politischen Korruption durch private Vergünstigungen
  4. Mit Hilfe der Propaganda

Diese vier Möglichkeiten sind eng miteinander verwoben. Die Meinungsmache spielt bei allen mit, sozusagen neben dem Geld als Schmiermittel der besonderen Art. So war zum Beispiel die Rettung der Industriekreditbank (IKB) mit Hilfe der öffentlichen 8 Milliarden dadurch publizistisch vorbereitet worden, dass man die private IKB zu einer öffentlichen Bank erklärt hat. Die über 100 Milliarden für die HRE, die 18 Milliarden für die Commerzbank und der 480-Milliarden-Rettungsschirm waren nur deshalb durchzusetzen, weil unseren politischen Eliten wie auch dem Volk erzählt worden ist, alle Banken seien systemrelevant, keine dürfe eingehen. Und auch dadurch, dass uns verschwiegen worden ist, wer die eigentlichen Profiteure dieser Rettung waren. Alleine über 40 Milliarden für ausländische Banken, Fonds, etc.!

Auch jetzt setzt die Propaganda zur Vorbereitung und Rechtfertigung von Entscheidungen ein. So heißt es in dem zitierten Artikel der Financial Times Deutschland, mit dem Koalitionsvertrag setze sich Schwarz-Gelb für eine stärkere Kontrolle der Finanzmärkte ein. Und es wird dabei insinuiert, Asmussen habe diese Richtung in der alten Regierung verfolgt. Das Festhalten am Brandstifter Asmussen wird als Stärkung der Feuerwehr dargestellt. Das ist eine ziemlich klare Täuschung. Von den entscheidenden Personen, vom Team Schwarz-Gelb plus Asmussen ist eine wirkliche Kontrolle der Finanzwirtschaft nicht zu erwarten.

Auch zur Entscheidung an der Saar fand die entsprechende Begleitung durch Propaganda beziehungsweise durch Verschweigen statt. Es gab in der öffentlichen Debatte keinen Sturm der Entrüstung über diesen Wortbruch der Grünen, die Peter Müller ablösen wollten; es gab übrigens auch keine Empörung über den unglaublichen Skandal, den die Interessenverflechtung des Vorsitzenden der Grünen und künftigen saarländischen Ministers Hubert Ulrich darstellt.

Der Einfluss von außenstehenden Interessen und Personen ist um vieles höher und vielfältiger, als wir uns das vorstellen:

  • Wer Geld und publizistische Macht hat, versucht das Wahlverhalten zu beeinflussen. Das erlebten wir in den vergangenen Wahlen wieder einmal und zwar von der Bild-Zeitung bis zum ZDF. Die Beeinflussung von Wahlen durch große Interessen und die damit verbundenen Medien ist der Einflussbereich, den wir als Bürgerinnen und Bürger gelegentlich kritisch im Blick haben.
  • Wer die beschriebene Macht hat, beeinflusst aber auch die innere Willensbildung der Parteien. Das gilt für Entscheidungen zum Programm, zur Strategie und auch für Entscheidungen zu Personen. Die in der Katastrophe endende Entwicklung der SPD und die Verschiebung bei den Grünen zu Gunsten ziemlich opportunistischer Realos ist nicht zu erklären, wenn man die Beeinflussung dieser inneren Entwicklung durch Propaganda und vermutlich auch durch Platzierung von Personen von außen außer acht lässt.
  • Wer die Macht hat, beeinflusst sogar die Entscheidung für Koalitionen. Das konnte man jetzt an der Saar genauso wie schon früher bei der letzten Bürgerschaftswahl in Hamburg sehen. Auch damals wurde im Vorfeld schon massiv Propaganda gemacht für die schwarz-grüne Zusammenarbeit. Diese Propaganda wird oft von Public Relations-Agenturen vorbereitet. Sie beeinflussen Medien und einzelne Personen wie Wissenschaftler und andere Multiplikatoren.

Verschwörungstheorie?

Wenn ich solche Gedanken und Vermutungen äußere, dann ist in der Regel der Vorwurf, ein Verschwörungstheoretiker zu sein, fällig. Dieser Vorwurf ist angesichts der Tatsachen ziemlich seltsam. Es gab zu viele Fälle zum Beispiel der politischen Korruption, die man nicht für möglich gehalten hat. Ich verweise auf die vielen Politiker, die nach dem Ausscheiden aus dem Amt für private Interessen auf dem Feld ihrer vorherigen Tätigkeit arbeiteten und arbeiten. Ich verweise auf die Beratungsverträge von Kohl und einer Reihe seiner politischen Freunde mit dem Medienmogul Leo Kirch – sozusagen als Dank für die Kommerzialisierung des Fernsehens; ich verweise auf Rürup und Raffelhüschen, die beide für Finanzdienstleister und Versicherungen tätig sind. Ich verweise auf die drei oben genannten Beispiele. Usw. usw.

Milliarden für die politische Landschaftspflege

Wenn man die Gefahren für die Existenz einigermaßen demokratischer Entscheidungsfindung realistisch einschätzen will, dann muss man die finanziellen Möglichkeiten der potentiellen Steuerleute unseres politischen Geschehens und ihre gewachsenen Beeinflussungspotenziale mithilfe der PR-Wirtschaft betrachten. Stellen Sie sich vor, Sie wären Chef einer großen amerikanischen Investmentbank oder eines entsprechend großen Hedgefonds, und angenommen, sie wären egoistisch und gewissenlos genug, dann würden Sie selbstverständlich die Ihnen zur Verfügung stehenden Mittel zu einem kleinen, aber völlig ausreichenden Teil für die politische Landschaftspflege in einem Land wie Deutschland ausgeben. Unternehmen dieser Größenordnung haben Milliardengewinne, ihre Investmentbanker verfügen über Milliardenbeträge an Boni und sonstigen Vergütungen. Ein Beispiel aus der letzten Zeit: Das US-Finanzhaus Goldman Sachs verdiente im zweiten Quartal unterm Strich 2,7 Milliarden Dollar, vor Ausschüttung der Vorzugsdividenden sogar 3,4 Milliarden Dollar. Mit einem Bruchteil dieser Beträge, könnten Sie als Chef von Goldman Sachs oder der Deutschen Bank die gesamte Parteiarbeit unserer Parteien finanzieren, die Wahlkämpfe sowieso.

Gleichzeitig stehen den finanziell gut ausgestatteten und von den Steuerzahlern gefütterten Akteurin der Finanzwirtschaft eine wachsende Zahl von leistungsfähigen PR-Agenturen zur Verfügung; Agenturen mit großem Einfluss auf die Medien und großem Einfluss auf die politischen Entscheidungsträger.
Warum sollten Sie, wenn Sie in der Chefetage der Großen Finanzinteressen säßen, dann nicht dafür sorgen, dass so jemand wie Jörg Asmussen im Amt bleibt? Warum sollten Sie nicht die Privatisierung der Bahn gegen alle Vernunft betreiben und dafür sorgen, dass der oben zitierte Passus in den Koalitionsvertrag hinein geschrieben wird?

Naomi Klein hat in ihrem Buch „Die Schock-Strategie: Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus“ viele dieser Machenschaften beschrieben. Das Buch ist in Deutschland geschnitten worden. Davon wollte die veröffentlichte Meinung wenig wissen. So wenig wie von den Machenschaften um den Rettungsschirm für die Finanzindustrie. In „Meinungsmache“ mache ich den Versuch, zur Beschäftigung mit diesem Thema zu ermuntern. In den NachDenkSeiten tun wir dies täglich.

Die mögliche Verschwörung kann sehr gefährlich werden und die demokratische Willensbildung vollends zur Farce machen.

Wenn Finanzmittel in Höhe von Milliarden in den Händen von egoistischen und zynischen Personen sind, dann entsteht eine brisante Mischung. Das könnte unsere Zukunft prägen. Die wertkonservativen Kräfte sind ziemlich von der Bildfläche verschwunden, so mein Eindruck. Es bleiben die Zyniker. Es bleiben die Jeder-ist-seines-Glückes-Schmied-Prediger. Der aggressive Umgang mit der sozialen Unterschicht belegt diese Veränderung.
Der Schritt vom Zynismus zur Gewalt, von Egoismus zur Kriminalität ist nicht groß. Zur Mafia auch nicht. Allerdings immer ziemlich fein angezogen. Und inzwischen großbürgerlich daherkommend.

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