Leiharbeit: kompakt

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Nach der Aufdeckung von Lohndumping durch die Drogeriekette Schlecker, die Teile der Stammbelegschaft durch Leiharbeiter ersetzte, die nur die Hälfte des üblichen Gehalts bekommen, ist Leiharbeit zu einem öffentlichen Thema geworden. Selbst Arbeitsministerin von der Leyen will „genauer hinschauen“. Sie tut so, als hätte sie dieser arbeitsmarktpolitische Skandal völlig überrascht. Dabei sind die Probleme schon längst bekannt. Wir dokumentieren aus aktuellem Anlass einige einschlägige Studien und Artikel. Wolfgang Lieb

  1. Hajo Holst, Oliver Nachtwey, Klaus Dörre: Funktionswandel von Leiharbeit
    Eine Studie im Auftrag der Otto Brenner Stiftung
    (1) Unsere empirischen Befunde belegen, dass Leiharbeit in – möglicherweise stilbildenden – Betrieben strategisch eingesetzt wird.
    Im Falle ihrer strategischen Nutzung konstituiert Leiharbeit über ein primär symbolisch vermitteltes Disziplinierungspotenzial hinaus ein strukturell verankertes Disziplinarregime.
    (3) Zwischen der strategischen Nutzung und dem Kontrollregime besteht jedoch keine unmittelbare Kausalbeziehung.
    (4) Equal pay, equal treatment muss im Zentrum einer Politik der Entprekarisierung stehen. Sinnvoll ist, diesen Ansatz zu einer Antidiskriminierungspolitik im Betrieb auszuweiten.
    Quelle: Otto Brenner Stiftung
  2. Achim Vanselow/Claudia Weinkopf: Job-Wunder mit Nebenwirkungen:
    Entwicklungen in der Leiharbeit
    Gut jeder dritte Betrieb mit 50 bis 249 Beschäftigten nutzte Zeitarbeit und bei den Betrieben mit 250 Beschäftigten oder mehr waren es sogar knapp 45%, und gerade bei größeren Betrieben sind die Anteile der Leiharbeitskräfte an den Belegschaften z.T. deutlich gestiegen.
    Die Anzahl der Zeitarbeitsfirmen hat sich seit Mitte der 1990er Jahre fast verdreifacht.
    Quelle: Friedrich-Ebert-Stiftung, WISO direkt [PDF – 114 KB]
  3. DGB: Leiharbeit in Deutschland – Fünf Jahre nach der Deregulierung
    Quelle: DGB als PDF Dokument abrufbar auf den NachDenkSeiten Hinweis Ziffer 8.
  4. Leiharbeiter werden längst neben Stammbeschäftigten eingesetzt
    Man werde gegen die schlimmsten Auswüchse vorgehen, tönt es derzeit aus CDU und FDP. Doch sind wirklich die schlimmsten Auswüchse das Problem oder der Umstand, dass Leiharbeit zu einem konstitutiven Bestandteil des Arbeitsmarktes geworden ist? Leiharbeiter fangen längst nicht mehr nur Auftragsspitzen ab, sie werden zeitlich unbegrenzt – den rot-grünen Reformen “sei Dank” – neben Stammbeschäftigten eingesetzt. Dort arbeiten sie für einen Bruchteil des Lohnes ihrer Kollegen und führen diesen tagtäglich vor Augen, wie schnell man selber zum Leiharbeiter werden kann.
    Wollte man dem Lohndumping Grenzen setzen, müsste Schwarz-Gelb etwa die unter Rot-Grün legalisierte unbeschränkte Höchstverleihdauer und die Möglichkeit zum systematischen Aushebeln des Prinzips “Gleicher Lohn für gleiche Arbeit” reformieren. Das aber setzt voraus, dass wir uns weder mit der Beschwichtigungspolitik à la Schlecker noch mit halbseidenen Reformen zufrieden geben.
    Quelle: taz

    Anmerkung unseres Lesers G.K.: Die rot-grünen “Reformen” in Sachen Leiharbeit wurden auch von der damaligen schwarz-gelben Opposition freundlich abgenickt. Die nun vom selbsternannten “Arbeiterführer” Rüttgers oder von der Sprechblasenproduzentin von der Leyen herausposaunte “Kritik” an Schlecker ist daher heuchlerisch und wohl vor allem dem nordrhein-westfälischen Landtagswahlkampf geschuldet. Denn es ist keinesfalls eine neue Erkenntnis, daß Leiharbeitnehmern je nach Beruf nur 49 bis 73% des Lohns der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in dem selben Beruf gezahlt wird (Sozio-oekonomisches Panel 2006).

    Zudem übt der zunehmende Einsatz von Leiharbeitern im wachsenden Maße Druck auch auf die Löhne und Gehälter der festangestellten Arbeitnehmer aus.

    Ergänzende Anmerkung WL: Aus der Stellungnahme des DGB zum geplanten Leiharbeitsbericht der Bundesregierung (30.01.2009):

    So haben allein die drei großen Verleiher im Jahre 2007 zusammen einen Gewinn von 1,43 Mrd. Euro erzielt. Nach Schätzungen sind davon 18 %, also rund 260 Mio. Euro, am deutschen Markt erlöst worden. Davon verdiente Adecco 735 Mio. Euro (+20 % gegenüber dem Vorjahr), Randstad 385 Mio. Euro (+7 %) und Manpower 310 Mio. Euro (+22 %)2. Diese hohen Gewinne werden mit nur geringen Investitionen und einem geringen Eigenkapital erzielt…

    Seit der Liberalisierung der Leiharbeit mit dem ersten Hartz-Gesetz wuchs die Leiharbeit jährlich um 10 % bis 25 %. Zum Stichtag Juni 2008 sind 790.000 Menschen als Leiharbeiter beschäftigt. Allerdings ist die Fluktuation sehr hoch, so dass pro Jahr rund 1,1 Mio. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in ein Leiharbeitsverhältnis ein- und auch wieder austreten…

    Es ist absehbar, dass der Markt für Geringqualifzierte bald überwiegend von der Leiharbeit bestimmt wird. Dies wird die dauerhafte Eingliederung von Geringqualifizierten in den Arbeitsmarkt weiter erschweren. Schon heute sind 40 % der „Hilfsarbeiter ohne Tätigkeitsangabe“ als Leiharbeiter beschäftigt. Dies ist regional sogar noch stärker ausgeprägt. Eine Studie für Hamburg ergibt z. B. eine Leiharbeitsquote für Hilfsarbeiter von 59 %…

    Zwar weisen die in der Leiharbeit beschäftigten Arbeitskräfte eine im Schnitt niedrigere Qualifikation auf, doch die Mehrzahl von ihnen hat auch hier einen Berufsabschluss. Lediglich ein gutes Drittel der Leiharbeitskräfte (34,2 %) hat keine Berufsausbildung, aber 62,5 % haben einen Berufsabschluss und immerhin 3,3 % einen Fachhochschul- oder Hochschulabschluss…

    Verdrängungsprozesse lassen sich vor allem im verarbeitenden Gewerbe feststellen. Dort hat es in den letzten Jahren den höchsten Zuwachs an Leiharbeit gegeben. Der Anteil der Leiharbeiter beträgt in diesen Branchen inzwischen 4,5 % aller Beschäftigten, in der Metall- und Elektroindustrie sogar 6 %. In niedrig bezahlten Dienstleistungsberufen hingegen, wie z. B. im Bewachungsgewerbe und dem Reinigungsgewerbe, spielt Leiharbeit nur eine geringe Rolle.
    Leiharbeit ist offensichtlich dort am attraktivsten, wo die Lohnabstände zum Entleihbetrieb groß sind. Während nach Auswertung des WSI Betriebspanel im produzierenden Gewerbe inzwischen 68 % der Betriebe Leiharbeit einsetzen, sind es im Handel nur 23 % und bei sonstigen Dienstleistungen 32 %. Im produzierenden Gewerbe hat Deutschland damit schon zur Spitzengruppe in Europa aufgeschlossen.
    Quelle: DGB siehe Link

  5. Engelen-Kefer: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit
    Bereits seit drei Jahren liegt ein Tarifvertrag der DGB Gewerkschaften und der großen Zeitarbeitsverbände über Mindestlöhne vor. Nach dem damaligen Kompromiss der Großen Koalition hätte dieser Tarifvertrag schon längst als allgemeinverbindlich für die gesamte Branche erklärt werden müssen.
    … die im Zuge der Hartz-Gesetze 2003 erfolgte Schleusenöffnung bei der Leiharbeit (ist) endlich wieder einzudämmen. Unerlässlich hierzu ist die gesetzliche Verankerung des Prinzips „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ ohne die Möglichkeit der Abweichung nach unten durch Tarifverträge, wie es das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz derzeit vorsieht. Darüber hinaus muss das 2003 abgeschaffte so genannte „Synchronisationsverbot“ schleunigst wieder eingeführt werden. Heute ist es Leiharbeitsagenturen erlaubt, ihre Leiharbeitnehmer zu entlassen, wenn der Auftrag bei der Entleihfirma beendet ist.
    Welche Rechtfertigung gibt es dann überhaupt für Leiharbeitsagenturen, höhere Gebühren für die Überlassung der Leiharbeitnehmer vom Entleiher zu verlangen als sie den Leiharbeitnehmern an Löhnen und sonstigen Sozialleistungen zugutekommen lassen, wenn sie per Gesetz von ihrer Verpflichtung als Arbeitgeber für die Leiharbeitnehmer entbunden worden sind? Diese Öffnungen im Zuge der Hartz-Gesetze haben wesentlich zu der explosionsartigen Ausweitung der Leiharbeit in der Bundesrepublik beigetragen und die Wirtschaftskrise verstärkt. So wurde zwar auch die Beschäftigungsquote erhöht, aber gleichzeitig der Niedriglohnsektor ausgeweitet. In der Krise waren die Leiharbeitnehmer als erste von Entlassungen und Arbeitslosigkeit betroffen. Es ist höchste Zeit, die tariflichen und gesetzlichen Voraussetzungen zu schaffen, um Leiharbeit wieder einzugrenzen sowie Missbrauch und Dumping von Löhnen und Sozialbedingungen zu verhindern.
    Quelle: Vorwärts
  6. Leiharbeit Sklaverei und Jobmaschine
    Die Leiharbeit hat den Arbeitsmarkt systematisch verändert. Einst als Instrument in der Not gefördert, ist sie vielerorts zur Dauerlösung geworden. Erst jetzt erkennen Politiker den Missbrauch.

    Unternehmen nutzen Leiharbeit aus
    In Deutschland gibt es rund eine halbe Millionen Leiharbeiter – rund ein Drittel weniger als noch 2008, zu Beginn der weltweiten Wirtschaftskrise. Leiharbeiter gehören zu den ersten, die in der Krise ihren Arbeitsplatz verloren haben. Sie sind überwiegend männlich, jung und gering qualifiziert. Ein Viertel ist jünger als 25 Jahre, rund jeder Dritte hat lediglich einen Hauptschulabschluss oder Mittlere Reife ohne Berufsausbildung.
    Die IG Metall geht davon aus, dass der kommende Aufschwung die Zahl der Leiharbeiter wieder drastisch erhöhen wird. Die Krise hätte gezeigt, wie einfach Leiharbeiter entlassen werden können, argumentiert die Gewerkschaft. Das sei ein starker Anreiz, auch bei steigendem Umsatz verstärkt auf Leiharbeiter zu setzen.
    Leiharbeit ist längst viel mehr als nur ein Instrument zur Überbrückung von kurzfristigen Personalengpässen. Eine Studie des Sozialwissenschaftlers Klaus Dörre von der Universität Jena zeigt, dass die Leiharbeit zunehmend “strategisch” eingesetzt wird. Strategisch bedeutet: Die Personalkosten sollen sinken, um die Rendite abzusichern. die IG Metall erwartet, dass es mittelfristig bis zu 2,5 Millionen Leiharbeiter in Deutschland geben könnte. Das wären ungefähr neun Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten.
    Quelle: Stern

  7. Wir wissen, dass Rossmann auch Leiharbeiter beschäftigt
    Mit dem Einlenken von Schlecker ist der Kampf gegen Dumpinglöhne bei Discountern noch nicht gewonnen. Ein Gespräch mit Achim Neumann, Gewerkschaftssekretär der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) und Unternehmensbetreuer bei Schlecker: “Wir sind nicht in Feierlaune, wir haben nur einen Etappensieg errungen. Schlecker XL stellt auch direkt Mitarbeiter unter Tarif ein.”
    Quelle: junge Welt
  8. Gleicher Lohn für Leiharbeit
    Schlecker ist vielleicht der dreisteste, sicher aber nicht der einzige Sünder. Mit der Zeitarbeit läuft einiges schief in Deutschland. Sinnvoll ist die flexible Beschäftigung, wenn sie Unternehmen hilft, Schwankungen im Personalbedarf kurzfristig auszugleichen. Arbeitgeber müssen die Möglichkeit haben, Spitzen beim Personalbedarf abzudecken, ohne sich langfristig zu binden. Nicht sinnvoll ist Leiharbeit, wenn sie dazu dient, den Kündigungsschutz zu unterlaufen und Löhne zu drücken. Das ist Realität geworden.
    Die Deutschen sind stolz auf den hohen Standard der Arbeitnehmerrechte. Tatsächlich fällt das Land laut OECD international durch eine Zwei-Klassen-Gesellschaft am Arbeitsmarkt auf. Damit meint die Wirtschaftsorganisation den Schutz vor Entlassungen, der zwischen Festangestellten und anderen Beschäftigten so weit auseinander klafft wie in kaum einem anderen Staat. Auch beim Lohn sind die Unterschiede ungewöhnlich groß. Jeder achte Leiharbeiter verdient so wenig, dass er auf ergänzendes Hartz IV angewiesen ist. Die Kosten laden die Firmen so beim Steuerzahler ab. Wenn es die Arbeitsministerin ernst meint mit ihrem Kampf gegen Missbrauch, müsste sie also nachlegen.
    Quelle: FR
  9. Die fatale Rolle der christlichen Gewerkschaft
    FOCUS Online sprach mit dem Münsterschen Arbeitsrechtsprofessor Peter Schüren:
    Man hat nur leider auch verschiedenen Akteuren die Möglichkeit gegeben, das System für ihre Zwecke zu missbrauchen.
    An vorderster Front ist die christliche Gewerkschaft CGZP zu nennen. Sie versorgt Arbeitgeber, die ihre Lohnkosten senken wollen, seit Jahren mit Wunschtarifverträgen. So werden zum Beispiel gesetzliche Befristungsmöglichkeiten durch Pseudotarife ausgeweitet. Arbeitnehmer büßen dadurch ihren Kündigungsschutz ein. Auch die Löhne, die in den Tarifverträgen der CGZP festgeschrieben sind, liegen regelmäßig deutlich unter den sonst üblichen Sätzen. Das ist natürlich eine Versuchung für jeden Arbeitgeber: Niemand wird gerne freiwillig 13 Euro Stundenlohn für einen festangestellten Mitarbeiter bezahlen, wenn er dieselbe Arbeit für sechs Euro oder weniger von einem Leiharbeiter bekommen kann.
    Nur weil sich eine Gruppierung Gewerkschaft nennt, heißt das noch lange nicht, dass sie auch Arbeitnehmerinteressen vertritt. Im Falle der CGZP handelt es sich um eine Organisation, die nicht einen einzigen Arbeitnehmer als Mitglied und die Arbeitgeber mit Wunschtarifverträgen versorgt hat. Allerdings zeichnet sich ab, dass die Tage der CGZP gezählt sind. Inzwischen hat ihr auch das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg die Tariffähigkeit abgesprochen.
    Quelle: Focus Online
  10. Gewerkschaft warnt vor Explosion der Leiharbeit
    Die IG Metall warnt vor einem drastischen Anstieg der Leiharbeit – und stellt die bisherige Tarifpolitik der Gewerkschaften in Frage. Mittelfristig drohe die Zahl der Leiharbeiter auf 2,5 Millionen zu steigen, sagte IG-Metall-Vizechef Detlef Wetzel am Mittwoch in Frankfurt. Der Gewerkschafter begründete diese Prognose unter anderem mit dem starken Anstieg der Leiharbeiterjobs im letzten Aufschwung.
    Quelle: FR

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