„Studienkosten belasten die Falschen.“ Eine populistische Kampagne der INSM für die Einführung von Studiengebühren

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Mit dem Bild eines Studierenden, der auf dem Rücken eines gleichaltrigen Automechanikers an seinem Studiertisch sitzt, schaltet die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ eine Anzeige, in der sie auf ziemlich demagogische Weise ein Vorurteil der nichtakademischen Erwerbstätigen zu schüren versucht, nämlich dass aus den Steuermitteln der Ärmeren das Studium der Reichen finanziert würde. Das, gezielt einen Tag vor einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, in der Karlsruhe darüber urteilt, ob mit der Regelung im Hochschulrahmengesetz, wonach ein Erststudium gebührenfrei sein soll, der Bund in die Gesetzgebungszuständigkeit der Länder eingegriffen hat.

Einmal mehr darf Oswald Metzger, Kuratoriumsmitglied der INSM, als „Kronzeuge“ für eine irreführende Behauptung herhalten, nämlich dass Studiengebühren nicht etwa zu einer noch größeren sozialen Benachteiligung von Studierenden aus Familien mit geringerem Einkommen führten, sondern sogar umgekehrt mehr Verteilungsgerechtigkeit brächten. Der in der Öffentlichkeit immer noch als „Grüner“ gehandelte Metzger lässt sich offenbar vor jeden Karren spannen, wenn es gegen die rot-grüne Bundesregierung oder um den Abbau sozialer Errungenschaften geht.

Mit dem demagogischen Argument, dass etwa die Zahnarzthelferin mit ihren Steuern das teure Studium des Zahnarztes aus reichem Hause mitfinanziere, wurde schon öfters versucht, vor allem bildungsfernere Bevölkerungsschichten oder Wählerkreise aus der Arbeitnehmerschaft gegen die bisher gesetzlich gebotene Studiengebührenfreiheit aufzuwiegeln.
Da die INSM, nachdem die Parteien weitgehend auf deren neoliberalen Kurs eingeschwenkt sind, vom Unternehmerverband „Gesamtmetall“ den Auftrag bekommen hat, jetzt auch noch das widerspenstige Volk auf Sozialabbau und Umverteilung von unten nach oben einzuschwören, bedient sie sich dieses Motivs des Sozialneides um Propaganda für die Einführung von Studiengebühren zu machen.

Die Behauptung Studiengebühren schafften mehr „Verteilungsgerechtigkeit“ hat vor über zehn Jahren einmal der Erlanger Finanzwirtschaftler Karl-Dieter Grüske in die Debatte eingebracht. Seine Studie wurde zwar schon mehrfach widerlegt, doch selbst wenn es richtig wäre, dass – wie das INSM schreibt – „Akademiker im Erwerbsleben einen Einkommensvorteil genießen, der von allen Steuerzahlern bezahlt wird“, die angehenden Akademiker aber „für ihr Studium selbst aber nicht aufkommen müssen“, so wäre diese Aussage entweder trivial oder allenfalls ein weiteres Beispiel für ein sozial ungerechtes Steuersystem.

Trivial wäre das Argument deshalb, weil für viele öffentliche Leistungen gilt, dass sie von geringer Verdienenden mitfinanziert werden, ohne dass diese von ihnen in Anspruch genommen würden: Das fängt bei den Operhäusern an und hört bei den Forschungssubventionen für Großunternehmen nicht auf. Wer „den Staat“ nur für das bezahlen will, wofür er eine unmittelbare Gegenleistung erhält, will weg von der Errungenschaft des „Steuerstaats“ und hin zum „Gebührenstaat“. Im „Gebührenstaat“ zahlt jeder nur die Leistung, die er in Anspruch nimmt – sofern er sie bezahlen kann. Ein sozialer Ausgleich über eine Steuerprogression findet im nicht mehr statt. Der „Gebührenstaat“ heißt Verteilung und Inanspruchnahme öffentlicher Leistungen nach der „Primärverteilung“, also nach den bestehenden Vermögens- und Verteilungsverhältnissen.

In der Bildungspolitik, wo es ja um die Verteilung der Chancen der zukünftigen Generation geht, wo also wenigstens nicht schon die Chancen für junge Leute vom „Geldbeutel“ der Eltern abhängig sein sollten, kann oder sollte es jedenfalls nicht von den bestehenden Vermögensverhältnissen abhängen, ob jemand seine Bildungschancen bezahlen kann oder nicht.

Scheinbar merkt Oswald Metzger als Vorkämpfer für mehr „Verteilungsgerechtigkeit“ mittels Einführung von Studiengebühren nicht einmal, dass er mit seiner Behauptung ein „Eigentor“ schießt: Sollte es nämlich wirklich so sein, dass ein besser verdienender Akademiker die öffentlichen Kosten für sein Studium nicht über seine später abzuführende (Einkommens- oder Ertrags-) Steuer refinanziert, dann hieße das schlicht, dass er im Vergleich zum geringer verdienenden Nichtakademiker zu wenig Steuern bezahlen muss.

Es wäre dann jedenfalls erheblich gerechter, um ein Vielfaches einfacher und weniger aufwändig gewesen, den bisherigen Spitzensteuersatz beizubehalten, statt über ein teures zusätzliches Verwaltungsverfahren eine Studiengebühr in gerade in der Lebensphase eines jungen Menschen einzutreiben, wo er jedenfalls nicht viel verdient oder noch nicht viel verdient hat. Das bedeutete nämlich einen weiteren Bruch des „Generationenvertrages“. Es ist schon merkwürdig, dass gerade die Gewinner der Bildungsexpansion, die selbst von einem gebührenfreien Studium profitierten, nun bei der Nachfolgegeneration abkassieren wollen.

Verteilungs- und Chancengerechtigkeit würden im übrigen viel direkter dadurch erreicht, wenn man die Förderung der Kinder von Geringverdienern so attraktiv machte, dass sie – wenn man schon so rechnen will – wenigstens bis zu ihrem Anteil an der Finanzierung der Hochschulausbildung auch an den Hochschulen vertreten wären. Besser wäre natürlich noch, wenn alle Einkommensschichten gleich repräsentiert wären.

Mit Studiengebühren hätte die Tochter der vielzitierten „Zahnarzthelferin“ jedenfalls eine noch viel höhere Finanzbarriere für ein Studium zu überwinden.

Über diese harten Tatsachen hilft auch die Schönrederei über „sozial ausgewogene Bildungskredite“ nicht hinweg:

  1. Weil es noch nirgendwo ein System von „sozial ausgewogenen“ Bildungskrediten gibt. Auch hier scheint für deren Protagonisten – wie bei Hartz IV – zu gelten, erst einmal „fordern“ und die „Förderung“ kann dann warten.
  2. Würde mit einem umfassenden Studentendarlehenssystem allenfalls der unter schlechten Geschäften leidenden Kreditwirtschaft ein Milliardengeschäft mit Studierenden eröffnet – womöglich gar mit staatlicher Ausfallbürgschaft.
  3. Wäre mit den aufgelaufenen Darlehensschulden die Benachteiligung von Studierenden aus niedrigeren Einkommensverhältnissen nicht etwa aufgehoben, sondern nur als Start- und Einkommensnachteil in die Berufsphase fortgeschrieben. Wer reiche Eltern hat, startete ohne Hypothek.
  4. Wer behauptet, dass eine Darlehensschuld keine Bildungsbarriere darstellt, offenbart ein typisches „Oberschichtendenken“. Es ist nachweislich so, dass auf Grund des niedrigeren Einkommens in statusniedrigeren Familienverhältnissen das Risiko und die Kosten eines Studiums höher eingeschätzt werden als in statushöheren und meist zugleich auch vermögenderen. Es ist nicht verwunderlich, dass bei besser Verdienenden „der Apfel nicht weit vom Stamm fällt“, in solchen Familien droht bei einer Entscheidung gegen das Studieren ein aktueller Statusverlust. Ärmere stehen bei dieser Frage vor dem Risiko, ob ein Studium tatsächlich zu einem Statusgewinn führt.
  5. Bildungskredite benachteiligen in besonderer Weise Frauen. Die Rückzahlungsverpflichtungen vor dem Hintergrund nach wie vor schlechterer Einkommenserwartungen von Frauen oder deren (biologisch und kulturell bestimmte) Unterbrechung der Erwerbstätigkeit in der „Kindererziehungsphase“ haben für weibliche Studierwillige einen noch höheren Abschreckungseffekt als bei männlichen.

Nicht „Studienkosten belasten die Falschen“, wie die INSM meint, sondern Studiengebühren belasten die Falschen. Aber das ist ja nichts Neues von der Initiative „Neue“ Soziale Marktwirtschaft.

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