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  1. Umstrittene Ostseepipeline: Frankreich stellt sich gegen Nord Stream 2
  2. Venezuela
  3. Warnung vor neuem Teufelskreis
  4. Die Ärmsten bleiben arm
  5. GroKo: Bessere Kitas, gestärkte Familien?
  6. Arbeitszeitdebatte soll Mindestlohn aufweichen
  7. So will die SPD linker werden
  8. Klotzen mit Krieg
  9. Anti-IS-Kampf: Wadephul (CDU) für Militär-Einsatz im Mittleren und Nahen Osten
  10. Gekaperte Staaten von Europa. Wie Regierungen Lobbyismus für Konzerne betreiben
  11. Streit mit Italien Frankreich ruft Botschafter zurück
  12. „Unverantwortlicher Kahlschlag“ bei Funke-Medien
  13. Die Diktatur des Volontariats

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Umstrittene Ostseepipeline: Frankreich stellt sich gegen Nord Stream 2
    Im Streit über Nord Stream 2 wird es einsam um Deutschland: Frankreichs Außenministerium zeigt Sympathie für eine Überarbeitung der EU-Gasrichtlinie, die den Bau stoppen könnten. Stellt sich Paris am Freitag offen gegen Berlin?
    Frankreich stellt sich bei einer wichtigen EU-Abstimmung zu Gaspipelines womöglich gegen den Partner Deutschland – und gegen die in Bau befindliche Nord-Stream-2-Leitung: Das Außenministerium in Paris kündigte am Donnerstag an, Frankreich unterstütze Änderungen an der EU-Gasrichtlinie, die Freitag zur Abstimmung stehen und die Nord Stream 2 beeinträchtigen könnten.
    Dabei geht es um einen Vorstoß der EU-Kommission, die Geltung der Gasrichtlinie auszuweiten. Bislang unterliegen dieser nur Pipelines innerhalb der EU, die Kommission will die Regelung aber auch auf Zulieferleitungen wie die Ostseepipeline ausweiten. Die EU-Regelung sieht unter anderem vor, dass Betrieb und die Erdgas-Belieferung der Pipelines strikt getrennt werden müssten, der russische Konzern Gazprom hat bei Nord Stream 2 aber bereits beides in der Hand.
    Quelle: Spiegel Online

    dazu: Gaspipeline Nord Stream 2: CDU-Außenexperte Röttgen stellt sich gegen Merkel
    Im Streit um die deutsch-russische Gaspipeline bekommt die Kanzlerin einen prominenten Gegner aus der eigenen Partei. Röttgen fordert, Nord Stream 2 zu stoppen.
    Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Norbert Rötten (CDU), unterstützt Frankreichs Bemühen, die deutsch-russische Gaspipeline Nord Stream 2 in Brüssel zu stoppen. Es sei „richtig, das Gut der europäischen Einheit und Handlungsfähigkeit über die Solidarität mit Deutschland zu stellen“, sagte Röttgen am Donnerstag dem Tagesspiegel. Er stellt sich damit in einem zentralen Punkt der Energiepolitik gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel, ebenfalls CDU. Sie hatte gegen die Bedenken vieler europäischer Partner an dem Projekt festgehalten.
    Röttgen wirft Merkel vor, sie isoliere Deutschland in der Frage. „Die Politik der Bundesregierung in Sachen Nord Stream 2 ist seit Jahren einseitig, ohne Rücksicht auf die mehrheitliche Ablehnung in der EU und vor allem die Sicherheitsbedenken unserer osteuropäischen Nachbarn. Es ist nicht die Schuld Frankreichs, dass wir uns in dieser Frage europäisch isoliert haben“, betont Röttgen.
    Quelle: Tagesspiegel

    Anmerkung Albrecht Müller: Nach meiner Einschätzung wird am Ende der Einfluss der USA und der osteuropäischen Staaten so groß sein, dass das Projekt doch noch scheitert. Dafür spricht auch die Äußerung von Röttgen (CDU), immerhin Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages.

    Man sollte bei einer Beurteilung solcher Vorgänge immer im Blick behalten, dass Europa durchwirkt ist von Einflussagenten der USA, der Rüstungsindustrie und der Finanzwirtschaft. Röttgen gehört zu diesem Kreis. Dazu gehören auch wesentliche Teile der osteuropäischen Regierungen, also jener in Polen und in den baltischen Staaten. Dazu gehört auch Juncker und weite Teile der Kommission der EU. Anders ist nicht zu erklären, dass die EU-Kommission den Vorstoß zur Änderung der Gasrichtlinie trägt.

    Im Übrigen ist vermutlich auch die Einschätzung, Angela Merkel würde eine eigenständige, von den USA unabhängige Politik betreiben, ziemlich verwegen. Sie hat im Fall von Nordstream 2 bisher clever den Eindruck erweckt, sie sei von amerikanischen Interessen nicht beeindruckt. Dass jetzt der Vorstoß von Röttgen im Widerspruch zu ihr gestartet wurde, glaube ich nicht. Das ist ein abgekartetes Spiel.

    dazu auch: Nord Stream 2: „Lex Russland“ nützt nur Trump
    Es ist gefährlich, dass sich immer mehr EU-Staaten von der aggressiven Rhetorik der USA einschüchtern lassen. Sollte Frankreich für die EU-Richtlinie zur Entflechtung von Gasunternehmen stimmen, die letztlich eine ‚Lex Russland‘ darstellt, wäre das ein fatales Signal. Denn der Import von russischem Erdgas ist um einiges naheliegender als der von US-amerikanischem Fracking-Gas. Zudem existieren genug Versorgungswege, auf denen sich Europa mit Gas aus nicht-russischem Quellen versorgen kann, so dass das Argument einer übergroßen Abhängigkeit von Russland nicht zieht“, kommentiert Klaus Ernst, Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Wirtschaft und Energie und wirtschaftspolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE, Medienberichte über einen Meinungsumschwung der französischen Regierung in Bezug auf die Gaspipeline Nord Stream 2. Ernst weiter:
    „Der Versuch, über eine Revision der europäischen Gas-Richtlinie Nord Stream 2 noch zu stoppen, ist überdies rechtlich fragwürdig. Die Pipeline befindet sich bereits im Bau, die beteiligten Unternehmen erfüllen alle derzeit gültigen rechtlichen Vorgaben. Um Nord Stream 2 mit Hilfe der geänderten Gas-Richtlinie noch zu stoppen, müsste diese rückwirkend angewendet werden. Das würde den Vertrauensschutz für die beteiligten Unternehmen empfindlich verletzen.“
    Quelle: DIE LINKE. im Bundestag

  2. Venezuela
    1. ¡No Pasarán! Fake News gegen Venezuela: Geschlossene Grenzbrücke war nie offen. Warnung vor US-Militärintervention
      Große Aufregung um zwei Container und einen Lkw-Anhänger, die quer auf einer Brücke über den Rio Táchira stehen. Venezuelas Regierung habe den Grenzübergang zur kolumbianischen Stadt Cúcuta geschlossen, um die Lieferung »humanitärer Hilfe« zu verhindern, empörte sich US-Außenminister Michael Pompeo in der Nacht zum Donnerstag über Twitter.
      Tatsächlich jedoch war die Las-Tienditas-Brücke noch nie offen. Ihr Bau war 2013 in Angriff genommen worden, um die zwei existierenden Grenzübergänge in San Antonio und Ureña zu entlasten, die täglich von mehr als 50.000 Menschen in beide Richtungen passiert werden. Sie wurde 2016 fertiggestellt, aber nie eröffnet. Die einzigen regelmäßigen Nutzer waren Schmuggler, die nachts billiges Benzin aus Venezuela nach Kolumbien schafften.
      Trotzdem hatte der kolumbianische Fernsehsender NTN 24 am Dienstag angekündigt, dass über diese Brücke die »humanitäre Hilfe« nach Venezuela transportiert werde. Diosdado Cabello, Präsident der Verfassunggebenden Versammlung Venezuelas, warnte am Mittwoch (Ortszeit) in seiner wöchentlichen Fernsehsendung »Con el Mazo Dando«, dass das der Beginn eines irregulären Krieges sei. Ansonsten handle es sich um eine »Show«. Die Opposition habe angekündigt, Waren für 20.000 Menschen ins Land bringen zu wollen – während die Regierung von Präsident Nicolás Maduro jeden Monat sechs Millionen Lebensmittelpakete zu subventionierten Preisen vertreibe.
      Gegenüber dem US-Sender CNN behauptete Puerto Ricos Vizeregierungschef Luis Rivera Marín am Donnerstag, dass erste Lieferungen bereits in Venezuela angekommen seien. Man habe »einige Fenster« ausgemacht und diese genutzt, sagte er. Weitere Lieferungen würden folgen. Bestätigt wurde das von anderer Seite bislang nicht. Allerdings berichtete die örtliche Tageszeitung El Carabobeño am Mittwoch, dass am Vortag auf dem internationalen Flughafen der Stadt Valencia eine aus Miami stammende Lieferung von Kriegswaffen entdeckt worden sei. Die Nationalgarde präsentierte das beschlagnahmte Arsenal, das für terroristische Gruppen bestimmt gewesen sei.
      Quelle: junge Welt

      dazu: Wird humanitäre Hilfe in Venezuela politisch missbraucht?
      Venezolanische Medien verwiesen indes darauf, dass die Blockade der Maduro-Regierung gegen Hilfslieferungen aus den USA und der EU mehr mit dem politischen Agieren dieser Akteure zu begründen ist als mit einer grundsätzlichen Ablehnung solcher Hilfen durch die Regierung. Das regierungsnahe Internetmagazin misionverdad.com etwa weist darauf hin, dass die Panamerikanische Gesundheitsorganisation (Paho), die regionale Vertretung der Weltgesundheitsorganisation (WHO), seit Jahren in die gesundheitspolitischen Planungen der venezolanischen Regierung eingebunden ist. Dies sei vor allem seit 2018 der Fall, als in erhöhtem Maße Malaria-, Diphtherie- und Masernausbrüche zu verzeichnen waren.
      Quelle: amerika21

    2. Rechtsbeugung ohne Skrupel: Zur Haltung der EU und des Bundestages zu Venezuela
      Zwischen der Anerkennung Guaidós, Ultimaten und Rufen nach einer „Verhandlungslösung“ bewegte sich auch die Aktuelle Stunde des Bundestags zu Venezuela. Niemanden störte es dabei, dass Guaidó und Trump Verhandlungen als „Zeitverschwendung“ ablehnen. Gegen den Verdacht eines Redners der Partei „Die Linke“, es gehe den Befürwortern eines Regime Change nicht um Demokratie, sondern um Öl, verwahrten sich CDU, CSU, FDP und SPD mit der Beteuerung, es gehe ihnen vor allem um Rechtsstaatlichkeit gemäß der venezolanischen Verfassung. Jürgen Haardt (CDU/CSU): „Die Verfassung Venezuelas steht auf der Seite des Parlaments und des Parlamentspräsidenten. Den entsprechenden Artikel 233 hat der Bundesaußenminister bereits zitiert: Der Parlamentspräsident ist Interimspräsident, solange es keinen demokratisch gewählten Präsidenten gibt“ (Protokoll bei amerika21).
      Falsch. John Laughland vom konservativen Ron Paul Institute (USA) weist darauf hin, dass in Wirklichkeit Guaidó gegen Artikel 233 verstößt. Artikel 233 nennt präzise sechs Umstände, unter denen die Amtszeit eines Präsidenten gekürzt werden kann: Tod, Rücktritt, Amtsenthebung durch das Oberste Gericht, medizinisch formell festgestellte und von Parlament und Oberstem Gericht bestätigte Krankheit, Amtsverzicht durch Verschwinden, Absetzung durch ein Referendum. Tritt einer dieser Fälle ein, geht das Präsidentenamt laut Verfassung an die Stellvertreterin des Präsidenten, nicht an den Parlamentspräsidenten. Nur falls ein Präsident keine Amtseinführung absolviert hat, kann der Parlamentspräsident übergangsweise übernehmen.
      Maduros Amtseinführung war am 10. Januar. Die „Rechtsstaatlichkeit“ der Mehrheiten in EU-Parlament und Bundestag erweist sich wieder einmal als Bluff gegenüber der eigenen Bevölkerung, die die venezolanische Verfassung nicht kennt.
      Quelle: unsere zeit
  3. Warnung vor neuem Teufelskreis
    Italien in der Rezession, Deutschland nicht viel besser: Die beiden ungleichen Länder bremsen die Wirtschaft in der Eurozone – anders als die „Gelbwesten“.
    Italien und Deutschland ziehen die Eurozone beim Wachstum herunter – und könnten sich 2019 zu Problemfällen entwickeln. Davor warnt die EU-Kommission in ihrer neuen Konjunkturprognose, die am Donnerstag in Brüssel vorgestellt wurde.
    Die „Abwärts-Risiken“ hätten sich seit der letzten Schätzung im Herbst deutlich vergrößert, sagte Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici. Neben dem Brexit könnten auch die Banken Probleme bereiten.
    Insgesamt soll die Wirtschaft der 19 Euroländer im neuen Jahr nur noch um 1,3 Prozent wachsen. In ihrer Herbstprognose hatte die Kommission noch mit 1,9 Prozent gerechnet. Besonders drastisch wurden die Erwartungen für Italien zusammengestrichen: Von 1,2 auf nur noch 0,2 Prozent. Aber auch Deutschland muss kleinere Brötchen backen. Das Wachstum dürfte nur noch bei 1,1 Prozent liegen – und nicht bei 1,8, wie im Herbst prognostiziert.
    Italien steckt aktuell in einer Rezession, Deutschland ist nur knapp daran vorbeigeschrammt. Warum diese beiden Länder besonders durchhängen, konnte Moscovici nicht erklären. Für Italien führte der Franzose die schwache Binnennachfrage ins Feld, für Deutschland den Einbruch im Automarkt. Die Regierung in Rom profitiere aber auch von sinkenden Risikoaufschlägen bei Staatsanleihen, und Berlin könne sich weiter auf den Privatkonsum verlassen.
    Quelle: Eric Bonse in der taz
  4. Die Ärmsten bleiben arm
    Zu teuer, nicht gerecht: Für seine vorgeschlagene Grundrente erntet Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) viel Kritik. Die Union und SPD-Finanzminister Olaf Scholz warnten bereits vor einem bevorstehenden »25-Milliarden-Loch« im Bundeshaushalt bis 2023. »Die fetten Jahre sind vorbei«, orakelte Scholz. Deshalb pocht die CDU auf ein Finanzierungskonzept für Heils mit fünf Milliarden Euro jährlich beziffertes Vorhaben. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer kündigte an, das Thema nächsten Mittwoch auf die Tagesordnung beim Koalitionsausschuss zu setzen. Für den Paritätischen Wohlfahrtsverband geht die Grundrente indes nicht weit genug. Sie sei zwar »ein wichtiger Schritt, um verdeckte Altersarmut zu beseitigen«, erklärte dessen Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider laut einer Mitteilung vom Dienstag. Allerdings werde ein Großteil altersarmer Menschen nicht erreicht, mahnte er.
    Schneider schlägt daher weitergehende Maßnahmen vor: Erstens müsse die Grundrente bereits nach 25 statt 35 Berufsjahren gelten. Nur so könnten auch Menschen mit längeren Zeiten von Erwerbslosigkeit oder -minderung davon profitieren, mahnte er. Zweitens, so Schneider, müsse der Staat jene berücksichtigen, die auch diese Erwerbszeit nicht erreichen und weiterhin Anspruch auf Grundsicherung im Alter hätten. Er plädierte deshalb für einen Freibetrag auf alle Renten, der nicht auf die Sozialhilfe angerechnet wird.
    Diesen Freibetrag könne die Politik ähnlich ausgestalten wie im Hartz- IV-­System, erläuterte Schneider. Dort gilt – ausschließlich für Erwerbseinkommen – ein Grundfreibetrag von 100 Euro. Von weiteren Einkünften bis zu 1.000 Euro bleiben 20 Prozent anrechnungsfrei. »So kann die Bekämpfung von Armut mit der Anerkennung der Lebensleistung verbunden werden«, betonte der Verbandsgeschäftsführer. Zugleich würden Rentner ohne private oder betriebliche Zusatzvorsorge nicht mehr benachteiligt, da es auf diese bereits Freibeträge bis zur Höhe von 212 Euro gebe.
    Quelle: junge Welt

    dazu: Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes wieder ernst nehmen
    SPD-Chefin Andrea Nahles hat in einem Interview Einzelheiten des SPD-Konzeptes „Sozialstaat 2025“ für den Umbau des Sozialstaats genannt. Demnach soll Hartz IV durch eine als “Bürgergeld” bezeichnete Grundsicherung ersetzt werden. Keine Änderungen will die SPD an den Hartz-Regelsätze vornehmen, aber eher auf “Bonussysteme, Anreize und Ermutigungen” als auf Sanktionen setzen. Lediglich “Sanktionen, die Obdachlosigkeit zur Folge haben”, wolle die SPD laut Nahles abschaffen.
    Quelle: DIE LINKE. im Bundestag

  5. GroKo: Bessere Kitas, gestärkte Familien?
    Zügiger als andere Vorhaben setzt die Bundesregierung derzeit ihre Reformagenda für Familien und Kinder um. In dem vor knapp einem Jahr vereinbarten Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD kündigten die Regierungsparteien an, ein „Maßnahmenpaket zur Bekämpfung der Kinderarmut“ schnüren zu wollen. Offenbar haben auch sie die anhaltend hohe Kinderarmut hierzulande als drängendes soziales Problem erkannt. Doch werden die bereits beschlossenen und angekündigten Gesetze dem selbst gesetzten Anspruch wirklich gerecht?
    Zuerst erhöhte die Koalition mit dem Familienentlastungsgesetz das Kindergeld zum 1. Juli 2019 um 10 Euro. Um noch einmal 15 Euro pro Kind soll es zum 1. Januar 2021 steigen – dem Jahr der nächsten regulären Bundestagswahl, sollte die Koalition so lange durchhalten. Bisher betrug es monatlich je 194 Euro für die ersten beiden Kinder, 200 Euro für das dritte Kind und 235 Euro für jedes weitere. Mit dem Kindergeld wird auch der steuerliche Kinderfreibetrag, der das (gestiegene) Existenzminimum des Kindes von der Einkommensteuer befreien soll, von 7428 Euro auf 7620 Euro angehoben. Die steuerlichen Kinderfreibeträge privilegieren jedoch Besserverdienende – und darunter ausgerechnet jene Bürgerinnen und Bürger am meisten, die auf ihr Jahreseinkommen den Höchststeuersatz von 45 Prozent entrichten. Diese sogenannte Reichensteuer wird auf Jahreseinkommen ab 265 327 Euro erhoben. Durch den geänderten Kinderfreibetrag erzielen jene Spitzenverdiener eine Steuerersparnis von bis zu 285,75 Euro pro Monat. Sie erhalten also im Jahr fast 1000 Euro mehr pro Kind als eine Normalverdienerin an Kindergeld für ihren Nachwuchs. Das aber ist weder mit dem Gleichheitssatz noch mit dem Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes vereinbar.
    Quelle: Christoph Butterwegge in Blätter für deutsche und internationale Politik
  6. Arbeitszeitdebatte soll Mindestlohn aufweichen
    1,8 Millionen Beschäftigte bekommen immer noch nicht den gesetzlichen Mindestlohn. Statt die Einhaltung ernst zu nehmen, fordern FDP und Teile der CDU eine Ausweitung der Höchstarbeitszeit und eine schwächere Aufzeichnungspflicht. Die Union soll lieber den Koalitionsvertrag umsetzen und sich nicht mit unsinnigen Gedankenspielen zur Arbeitszeitmanipulation beschäftigen, fordert der DGB-klartext.
    Fast fünf Jahre, nachdem der Deutsche Bundestag den gesetzlichen Mindestlohn beschlossen hat, bekommen ihn nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) immer noch 1,8 Millionen Beschäftigte nicht. Der Grund? Die Arbeitgeber tricksen und der Staat lässt sie all zu oft gewähren. Besonders bei der Aufzeichnung und Einhaltung der Arbeitszeit besteht nicht erst bei diesem fünften Geburtstag erheblicher Handlungsdruck.
    Quelle: DGB klartext
  7. So will die SPD linker werden
    Die Sozialdemokraten arbeiten ihr Trauma auf. Bei einer Vorstandsklausur am Sonntag und Montag will die SPD ein “Sozialstaatskonzept 2025” beschließen. Grundlage ist ein 17-seitiges Papier mit Reformvorschlägen für den Arbeitsmarkt, eine Kindergrundsicherung und Sozialleistungen. Es soll der Abschied von Hartz IV sein. Das Konzept liegt dem SPIEGEL vor, zuvor hatte die Funke Mediengruppe darüber berichtet. (…)
    Die wichtigsten Punkte des SPD-Konzepts im Überblick:

    • Die SPD will eine Kindergrundsicherung einführen. Dafür sollen bislang einzeln ausgezahlte, einzeln zu beantragende und zum Teil aufeinander anzurechnende Leistungen (wie etwa Kindergeld, Kinderfreibetrag, Kinderzuschlag, Bildungs-/ Teilhabepaket) zusammengefasst werden. Kinder sollen aus dem Hartz-IV-System genommen werden.
    • Mit dem Bürgergeld soll ein Recht auf Arbeit verbunden sein. Das bedeutet: Bürger sollen ein “passgenaues Angebot auf Weiterbildung/Qualifizierung” und Jobangebote erhalten, der soziale Arbeitsmarkt soll ausgeweitet werden.
    • Auch die sogenannten Aufstocker sollen aus dem Hartz-IV-System genommen werden und künftig von der Bundesagentur für Arbeit (BA) betreut werden. Bislang gilt das nur für diejenigen, deren Arbeitslosengeld I nicht ausreicht. Künftig sollen beitragszahlende Erwerbstätige bei der BA betreut werden.
    • Bei allen, die vom Arbeitslosengeld I in den Bezug des Bürgergeldes rutschen, soll für zwei Jahre Vermögen und Wohnungsgröße nicht überprüft werden. Niemand, der auf den Bezug des Bürgergelds angewiesen ist, soll in dieser Zeit seine Wohnung verlassen müssen.
    • Die Sanktionen sollen nicht komplett abgeschafft werden. “Mitwirkungspflichten” müsse es weiter geben. Aber: “Anreize, gezielte Hilfen und Ermutigung” seien wichtiger als Sanktionen. “Sinnwidrige und unwürdige Sanktionen gehören abgeschafft.” Die strengeren Sanktionen für unter 25-Jährige seien “offenkundig kontraproduktiv”. Auch dürfe niemand wegen Sanktionen Angst haben, obdachlos zu werden, daher will die SPD die Kürzung der Wohnkosten abschaffen. Eine komplette Streichung von Leistungen soll es nicht mehr geben.
    • Die Anträge auf Leistungen sollen einfacher und unbürokratischer werden. Dafür sollen die Formulare, Anträge und Bescheide überarbeitet “und schrittweise durch schlanke, verständliche und transparente Lösungen vereinfacht” werden. Sollte das nicht ausreichen, will die SPD über “die Einführung von Lotsen nachdenken”, die den Betroffenen beim Ausfüllen der Formulare und im Prozess der Antragsstellung helfen.

    Quelle: Spiegel Online

    dazu: Ein neuer Sozialstaat für eine neue Zeit
    Die SPD will einen Kulturwandel des Sozialstaats: Weg von einem Staat, der seinen Bürgerinnen und Bürgern misstraut, hin zu einem sorgenden Sozialstaat, der gegen Risiken absichert und Chancen schafft. „Wir wollen, dass der Sozialstaat wieder als Partner der Menschen auftritt – nicht als Kontrolleur oder Bevormunder“, sagt Nahles im Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Auch müsse der Sozialstaat verständlicher werden. Ein „schwarzes Bürokratie-Loch“ führe nur zu Unsicherheiten und Ängsten.
    Quelle: SPD

    Anmerkung Christian Reimann: Das sind Schritte in die richtige Richtung, die nicht ausreichen werden. Denkbar und notwendig wäre z.B. auch die Berücksichtigung bisheriger Erfahrungen, Qualifikationen und Kenntnisse von in Erwerbslosigkeit geratenen und auf ALG II-Leistungen angewiesenen Personen sein – statt jede Arbeit oder jede Maßnahme ist zumutbar. Aber wie möchte Frau Nahles ihre Forderungen real umsetzen? Sie hält ja gleichzeitig an der Koalition mit den Unionsparteien fest, die diese Schritte wohl kaum mitgehen werden. Vor allem vor diesem Hintergrund könnten die Forderungen von Frau Nahles als unglaubwürdig erscheinen – zumal die derzeitige SPD-Bundesvorsitzende als Bundesarbeitsministerin noch recht streng am “Hartz IV-Kanon” festgehalten hatte. Oder ist die Diskussion an sich schon das Ziel des aktuellen SPD-Spitzenpersonals?

    Ergänzende Anmerkung André Tautenhahn: Eigentlich ist ein wirklicher Kurswechsel gar nicht beabsichtigt, da Andrea Nahles beispielsweise an der Höhe der Regelsätze im Hartz IV-System sowie an niedrigen Löhnen festhalten möchte und das mit klassisch neoliberalen Argumenten begründet, wie Ulrich Schneider vom Paritätischen meint.

  8. Klotzen mit Krieg
    Auf 60 Milliarden Euro soll der deutsche Militärhaushalt binnen nur fünf Jahren aufgestockt werden. Darauf hat sich die Bundesregierung festgelegt. Das ist jedenfalls einem Schreiben zu entnehmen, das der deutsche NATO-Botschafter am Dienstag dem Generalsekretär des Kriegsbündnisses, Jens Stoltenberg, übergeben hat. 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts sollen 2024 in den Wehretat fließen – weniger als die zwei Prozent, auf die sich die NATO 2014 geeinigt hatte, weshalb US-Präsident Donald Trump wohl demnächst wieder wüten wird. Das ändert freilich nichts an der Tatsache: Nichts ist der Bundesregierung eine so krasse Ausgabensteigerung wert wie die Bundeswehr. Da mag der Bundesfinanzminister noch so wild mit seinem Rotstift wedeln, weil die Wirtschaft zu lahmen beginnt, die Steuereinnahmen schrumpfen und der Etat allgemein gekürzt werden muss: Bei der Truppe wird nicht gekleckert, sondern geklotzt. (…)
    Freuen darf sich freilich die Rüstungsindustrie. Die Branche hat’s aber auch nicht leicht: Da beschweren sich Leute, weil türkische Truppen mit deutschen Panzern kurdische Orte plattwalzen, weil die saudische Luftwaffe mit Eurofightern und deutscher Munition Zivilisten im Jemen massakriert – und jetzt meckert Amnesty International auch noch, dass die Vereinigten Arabischen Emirate – einer der besten Kunden deutscher Waffenschmieden – in der Bundesrepublik erstandenes Kriegsgerät an jemenitische Milizen weitergeben, die damit Kriegsverbrechen verüben. Stressige Zeiten für die Produzenten von Mordgerät. Die in Aussicht gestellte Erhöhung des deutschen Militäretats garantiert Rheinmetall, KMW, Heckler & Koch in dieser unruhigen Phase eines: eine sichere Wachstumsbasis auf dem Heimatmarkt. Die Zukunft deutscher Panzer, deutscher Sturmgewehre und deutscher Kriegsschiffe ist damit fürs erste sichergestellt.
    Quelle: junge Welt

    Anmerkung Christian Reimann: Auch wenn die Vorgabe von US-Präsident Trump von zwei Prozent des BIP nicht erfüllt wird: Die Richtung stimmt. Aber: Haben wir hierzulande nicht drängendere Probleme? Beispielsweise sind etliche Straßen und (die viel zu wenigen) Schienen marode und es fehlt an Personal z.B. bei der Polizei, in Universitäten und vielen anderen Bereichen des Öffentlichen Dienstes. Bundesfinanzminister Scholz wäre also gut beraten, vorhandenes Geld in andere Bereiche als ausgerechnet in das Militär zu stecken.

    Ergänzende Anmerkung André Tautenhahn: Einer dieser Bereiche wäre Bildung. Im Jahr 2008 hatte Kanzlerin Merkel auf einem Bildungsgipfel in Dresden versprochen, die Bildungsausgaben bis zum Jahr 2015 auf 10 Prozent des BIP zu erhöhen. Sie stagnieren aber aktuell immer noch auf einem unterdurchschnittlichen Niveau bei rund 4 Prozent.

  9. Anti-IS-Kampf: Wadephul (CDU) für Militär-Einsatz im Mittleren und Nahen Osten
    Das “Gejammer” über einen amerikanischen Rückzug aus Syrien sei groß gewesen, sagte der CDU-Politiker Johann Wadephul im Dlf. Für die Sicherheitslage Europas sei es zukünftig wichtig, über eigene Militäreinsätze im Mittleren und Nahen Osten nachzudenken.
    Quelle: Deutschlandfunk

    Anmerkung unseres Lesers A.L.: Das “Gejammer” des MdB Johann Wadepfuhl (CDU) über fehlende Militäreinsätze im Mittleren und Nahen Osten scheint die neue Leitlinie in der Außenpolitik der CDU/CSU zu sein. Dass die dahinter liegende NATO-Doktrin unbegrenzter Militäreinsätze in Konkurrenz zu dem bundesdeutschen Verfassungsgebot der Nichtangriffskriegsführung von deutschem Boden aus steht, verschweigt der Abgeordnete. Sieht das NATO-Statut nicht vor, Kriegseinsätze nur bei Angriffen Dritter auf ein Mitgliedsland der NATO als Rechtfertigungsgrund für Militäreinsätze gelten zu lassen?

  10. Gekaperte Staaten von Europa. Wie Regierungen Lobbyismus für Konzerne betreiben
    In Brüssel ihre Interessen durchzusetzen, wird für Konzerne immer bedeutsamer. Dabei bekommen sie oft und gerne Unterstützung durch die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten. Das zeigt die lobby-kritische Brüsseler Organisation CEO in einem neuen Bericht.
    Die Europäische Union trifft Entscheidungen, die den Alltag der Menschen in Europa, aber auch das Handeln und die Profitmöglichkeiten von Unternehmen in zunehmendem Ausmaß prägen. Die Chancen, auf diese Entscheidungen Einfluss zu nehmen, sind gleichwohl extrem ungleich verteilt. So haben Konzernlobbys (wie etwa der »European Round Table of Industrialists«) einen sehr viel unmittelbareren Zugang zu den EU-Institutionen. Doch nicht nur das: Wie CEO in einem aktuellen Bericht zeigt, sind auch Regierungen der EU-Mitgliedstaaten gerne bereit, in Brüssel im Sinne des jeweils nationalen Kapitals Einfluss auszuüben. Der Zugang zu nationalen Politikerinnen und Beamten, den die Konzerne haben, geht dabei weit über den Zugang von Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften hinaus. Ein Beispiel: Die Mitarbeiterinnen der Ständigen Vertretung der Niederlande führten zwischen Juni 2017 und 2018 über 500 Lobby-Gespräche, wovon 73 Prozent auf Konzerne und nur 15 Prozent auf Nichtregierungsorganisationen oder Gewerkschaften entfielen.
    Quelle: Blickpunkt WiSo
  11. Streit mit Italien Frankreich ruft Botschafter zurück
    Seit Monaten liegen die Regierungen in Paris und Rom über Kreuz. Nun hat Frankreich seinen Botschafter für Gespräche zurückgerufen. Die Einmischungen Italiens seien eine “inakzeptable Provokation”.
    Frankreich hat nach wochenlangen Streitigkeiten mit Italien seinen Botschafter aus dem Nachbarland für Gespräche zurückgerufen. Damit reagiere man auf die “wiederholten, grundlosen Angriffe und die unerhörten Äußerungen” von italienischen Regierungspolitikern, teilte das Außenministerium in Paris mit. Nach einer Serie “extremer Erklärungen” Italiens seien interne Beratungen nötig. “Unstimmigkeiten zu haben, ist eine Sache, aber die Beziehungen für Wahlziele zu manipulieren, ist eine andere.”
    Quelle: Tagesschau

    Anmerkung unseres Lesers G.R.: Na so was! Da mischt sich Frankreich (zusammen mit Deutschland, den USA und anderen) offen in die Krise in Venezuela ein und weint auf der anderen Seite Krokodilstränen, weil die italienische Regierung mit den Gelbwesten sympathisiert. Wenn es noch eines weiteren Beweises der heuchlerischen Politik des Westens bedurfte, hier ist er.

  12. „Unverantwortlicher Kahlschlag“ bei Funke-Medien
    Als „unverantwortlichen Kahlschlag“ bezeichnete der stellvertretende Vorsitzende der ver.di, Frank Werneke, die Pläne der Funke-Gruppe, mindestens 150 von rund 6.000 Arbeitsplätzen bundesweit abzubauen sowie Redaktionen, Druckereien und Verlagsabteilungen zu schließen: „Hier geht es um die Existenzgrundlage von unseren Kolleginnen und Kollegen und deren Familien.“ Sie hätten bereits in den vergangenen Jahren zum Erhalt ihrer Arbeitsplätze Sparprogramme und Stellenabbau mittragen müssen und seien dadurch einer erheblichen Arbeitsverdichtung und einem steigenden Druck ausgesetzt. „Und jetzt soll die Dosis ein weiteres Mal erhöht werden und zwar drastisch. Die Folgen für die Presse- und Meinungsvielfalt werden spürbar sein”, warnte Werneke und kündigte an, mit den in ver.di organisierten Beschäftigten mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln um jeden einzelnen Arbeitsplatz zu kämpfen.
    Bereits jetzt brüste sich die Funke-Zentralredaktion damit, wesentliche Inhalte für die großen Funke-Medien (wie zum Beispiel das Hamburger Abendblatt, die Braunschweiger Zeitung, die Thüringer Allgemeine Zeitung oder auch die Westdeutsche Allgemeine Zeitung) bundesweit zu liefern und damit täglich mehr als fünf Millionen Menschen zu erreichen: Dass mit dieser Strategie weder der Bedarf an regionaler Berichterstattung gedeckt werden könne, noch große wirtschaftliche Erfolge zu erzielen seien, liege auf der Hand, so Wernke weiter. „Statt einer vernünftigen Strategie für ausdifferenzierte Informationen im Norden, Westen, Osten oder der Mitte Deutschlands, wo vollkommen unterschiedliche gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen herrschen, wird Einheitsbrei produziert.“ Durch eine Kette an publizistischen und unternehmerischen Fehlentscheidungen werde ein einstmals stolzer und bedeutender Verlagskonzern systematisch vor die Wand gefahren, kritisierte Wernke. Ordentliche Gewinne seien offenbar wichtiger als die Kolleginnen und Kollegen und die Qualität der Funke-Medien.
    Quelle: ver.di
  13. Die Diktatur des Volontariats
    Die „Guten“ und „Anständigen“ in unserem Land brauchen dringend eine Image- und Marketingberatung. Ihr Auftritt im Kulturbetrieb schreckt viele Menschen ab – und treibt sie den schlechten Alternativen in die Arme. […]
    Zugegeben, die Geschichte um Veronika Kracher ist ein extremes Beispiel dafür, wie die Selbstgerechtigkeit die Debattenkultur der Stunde dominiert. Doch stets geht es darum, moralisch Abstand zu denen zu gewinnen, die man für rückständig, rechts, illiberal oder was auch immer hält. Gemeinhin ist damit die AfD und – mitgefangen mitgehangen – der dazugehörige AfD-Wähler gemeint. Wie sie es wagen können, eine Partei wie dieser ihre Stimme zu geben, wo doch das demokratische Parteienspektrum im Lande ansonsten so gut bestellt sei – das ist die Gretchenfrage der Progressiven.
    Moralische Verurteilung statt Analyse – offenbar kommt heute kein Qualitätsmedium mehr ohne Selbstgerechtigkeitsjournalismus aus, Volkspädagogik inklusive: man erklärt den AfD-Wählern von oben herab, wie dumm sie sich eigentlich verhalten. Statt der Stimmung im Lande investigativ nachzuspüren – Caterina Lobensteins Bericht über die Arbeiterstadt Bitterfeld ist eine der wenigen Ausnahmen – spielt man sich als Gesinnungsagent mit Presseausweis auf. Nüchterne Distanz als Leitmotiv der eigenen journalistischen Arbeit: Fehlanzeige. Ein ganzer Geschäftszweig des „Journalismus“ besteht mittlerweile daraus, was Jungjournalistinnen wie Veronika Kracher oder Margarete Stokowski an eloquenten Sprechblasen ausblubbern. Im Qualitätsjournalismus übernehmen andere Größen: Dunja Hayali oder Anja Reschke zum Beispiel.
    Dieser neue Duktus des bento-, Jetzt- und ze.tt-Journalismus steht in wechselseitiger Interaktion mit dem jungen, hippen Milieu, welches – mit stolzgeschwellter Brust das »geschichtlich Gute, unzweifelhaft Wahre, immerdar Schöne« zu vertreten – seinen Kulturkampf in die Netzwerke trägt. Dort schwingt die Keule der Selbstgefälligkeit mit voller Wucht. Die Debattenkultur ist dabei längst von Fanatismus geprägt. Zelotisch geht man jene an, die das postmaterialistisch-liberale Weltbild nicht teilen. Man zieht unangemessene Vergleiche (alle Andersdenkenden sind Nazis), überzieht die eigene Einschätzung und legt einen rigiden Moralismus an den Tag.
    Quelle: Makroskop

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