Bundespräsident Köhler tritt zurück

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Das hat es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht gegeben. Ein Bundespräsident tritt aus seinem Amt zurück, nicht etwa aus Alters- oder Gesundheitsgründen sondern offenbar aus politischen Gründen. Die Kritik an seinen Äußerungen zum Bundeswehreinsatz zur Sicherung von Wirtschaftsinteressen lasse „den notwendigen Respekt vor dem höchsten Staatsamt vermissen“, gab Köhler zur Begründung an. Die Gründe dürften jedoch ganz andere sein. Wolfgang Lieb

Die NachDenkSeiten gehörten zu den ersten Medien, die das Interview Köhlers im Deutschlandradio aufgegriffen haben. Wir haben die Irritationen bei der Veröffentlichung dokumentiert und wir haben die Frage nach der Vereinbarkeit der Umdeutung der Bundeswehr von einer Verteidigungs- zu einer imperialen Interventionsarmee mit dem Grundgesetz aufgeworfen. Wir haben uns gewundert, dass die Äußerungen Köhlers von den Medien zunächst kommentarlos zur Kenntnis genommen wurden.

Erst Tage danach gab es kritische Stimmen in den Medien und auch von Politikern der Oppositionsparteien. Die Bundeskanzlerin ließ über eine Sprecherin erklären, dass sie zu Köhlers Äußerungen keine Stellung nehmen will, schließlich habe der Bundespräsident seine Äußerungen präzisiert „und dem ist nichts hinzuzufügen“ (laut dpa). Rückhalt sieht anders aus.

Köhler reagierte auf die Vorhalte und auf die mangelnde Unterstützung durch die Bundesregierung erkennbar beleidigt. Es sei eine Unterstellung, dass er einen grundgesetzwidrigen Einsatz der Bundeswehr zur Sicherung von Wirtschaftsinteressen befürwortet habe. Diese Unterstellung „entbehre jeder Rechtfertigung“, meinte Köhler.

Dazu noch einmal das einschlägige Zitat:

“In meiner Einschätzung sind wir insgesamt auf dem Wege, in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe, mit dieser Außenhandelsabhängigkeit, auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren – zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch negativ auf unsere Chancen zurückschlagen, bei uns durch Handel Arbeitsplätze und Einkommen zu sichern. Alles das soll diskutiert werden – und ich glaube wir sind auf einem nicht so schlechten Weg.”

Wir haben auf den NachDenkSeiten Köhler sozusagen zugute gehalten, dass er sich mit dieser Äußerung, die ja die unausgesprochene und verbreitete Stimmung in konservativen und Militärkreisen wiedergibt, einfach „verplappert“ hat, da ja auch das ganze Interview ziemlich unausgeschlafen wirkte. Aber dass er den „militärischen Einsatz „ zur Sicherung von Wirtschaftsinteressen für „notwendig“ halte, ist alles andere als eine „Unterstellung“. Was heißt denn die Wahrung „unserer Interessen“ um „zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch negativ auf unsere Chancen zurückschlagen, bei uns durch Handel Arbeitsplätze und Einkommen zu sichern“ anderes als die Wahrung von Wirtschaftsinteressen?

Man könnte Köhlers Entschluss ja noch nachvollziehen, wenn er auch schon in der Vergangenheit so sensibel reagiert hätte. Hat er aber nicht den Satz “Offen will ich sein, notfalls auch unbequem.” nicht geradezu zu seinem Leitspruch erhoben, ließ er nicht sogar vom Berliner Hofschreiber und Bild-Kolumnisten Hugo Müller-Vogg ein Buch unter diesem Titel erscheinen?

Hat er sich während der Großen Koalition nicht geradezu als der „schwarz-gelbe Präsident“ zu profilieren versucht, dem die neoliberalen „Reformen“ nicht weit genug gehen konnten? Hat er sich nicht, wie kein anderer Bundespräsident vor ihm in die aktuelle Politik eingemischt? Köhler war während seiner ersten Amtszeit alles andere als ein überparteilicher Repräsentant des gesamten Volkes, sondern – und das als höchstes Staatsorgan – ein Parteigänger der neoliberalen „Reformer”.

Auf den NachDenkSeiten können Sie Dutzende von Artikeln über Köhlers Reden nachlesen, wo wir kritisiert haben, dass sich das Staatsoberhaupt mit seinen Äußerungen weit von seiner Rolle als Integrationsfigur und Wahrer der Interessen Aller entfernt hatte. Hat er z.B. am 21. Juli 2005 bei seiner Erklärung zur Auflösung des Deutschen Bundestags nicht in völlig überzogener Weise geradezu einen nationalen Notstand als Begründung herangezogen („Unsere Zukunft und die unserer Kinder steht auf dem Spiel.“), um seine Entscheidung verfassungsfest zu machen?

Warum also plötzlich diese Empfindlichkeit?

Wohlgemerkt, Köhler tritt nicht wegen seiner Äußerungen zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr zurück, sondern weil sie zu Missverständnissen hätten führen können und er dafür kritisiert wurde, und weil er sich und das Amt damit beleidigt fühlt. Köhler hätte ja seine Kritiker in der Sache widerlegen und seine Position zu Bundeswehreinsätzen klarstellen können.
Aber außer blässliche Dementis seiner Pressestelle und nachgeschobene Erklärungsversuche hörte man nichts. Persönlich hat er jetzt nur noch seinen sofortigen Rücktritt erklärt. Eine Klarstellung ist das nicht.

Das ist ein Amtsverständnis nach dem Motto: Ich darf „offen und unbequem“ alles sagen, aber ich verbitte mir jede Kritik, weil ich Bundespräsident bin: das Amt als Schutzschild gegen Kritik also.
Was ist das für ein Amtsverständnis eines Präsidenten in einem demokratischen Staat. Einem Staat der doch vom Meinungsstreit lebt und in dem auch das höchste Staatsamt nicht sakrosankt über den Bürgern schwebt und selbst das Staatsoberhaupt nicht für alle verbindliche Wahrheiten verkünden darf und kann.

Man weiß, aus vielen Indizien, die aus dem Schloss Bellevue an die Öffentlichkeit gelangt sind, dass Köhler offenbar oftmals zu unkontrollierten, ja jähzornigen Reaktionen neigt. Man muss angesichts des Anlasses und der abrupten Vorgehensweise Köhlers hinter dem Rücktritt eher eine unpolitische Reaktion verletzter Eitelkeit und des Verlustes an Selbstbeherrschung sehen.

Die missglückte Äußerung zu den Bundeswehreinätzen dürfte allerdings bei Köhler wohl nur das „Fass zum Überlaufen“ gebracht haben. Seine zweite Amtszeit musste bislang eine Enttäuschung für den ständig um Anerkennung ringenden Staatsmann gewesen sein. Ständig wurde im vorgehalten, dass er sich angesichts der tiefsten Krisen, in denen das Land steckt, nicht mit richtungsweisenden Worten eingeschaltet habe.
Ideenlosigkeit, ja sogar Amtsmüdigkeit wurde ihm nachgesagt.

Und Köhler schien tatsächlich ratlos. Wie sollte aber auch jemand die Richtung weisen können, der als ehemaliger Finanzstaatsekretär und späterer Chef des Internationalen Währungsfonds zutiefst mit den Rezepten verhaftet war, die mit der Finanz- und Wirtschaftskrise eklatant gescheitert sind?

Köhler sah offenbar keinen Ausweg mehr und hat deshalb mit seinem Rücktritt die Konsequenzen gezogen. Der Rücktritt ist auch ein Eingeständnis des Scheiterns. Des Scheiterns eines Politikkonzepts, das Köhler verkörperte.

Das immerhin ehrt ihn, im Gegensatz zu vielen anderen Spitzen des Staates, die sich und uns noch immer vormachen, sie könnten weiter machen, wie bisher.

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