Die Meta-Politik-Show

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Bei mir lief neben dem Schreibtisch gestern über 10 Stunden der Fernseher. Meine Beobachtungen sind also medial vermittelt. Es ging um die Wahl des Staatsoberhaupts. Eigentlich ein höchst politische Angelegenheit. Doch es ging den ganzen Tag nicht um Politik. Es ging eher um eine Casting-Show. Es ging um Mehrheiten und es ging darum, ob die politischen Lager geschlossen abstimmen und ob die Linke Joachim Gauck unterstützen würde. Über Politik haben eigentlich nur die Vertreter der Linken gesprochen, wenn sie von den Reportern gefragt wurden, warum sie Gauck nicht wählten. Dass Christian Wulff im dritten Wahlgang die absolute Mehrheit bekommen hat, verhindert wenigstens neue Legendenbildungen. Wolfgang Lieb

Nämlich erstens die Legende, dass die Wahlmänner und Wahlfrauen der Linken einen möglichen Kandidaten jenseits von CDU/CSU und FDP verhindert hätten.
Zweitens umgekehrt, dass Wulff nur durch das Wahlverhalten der Linken Bundespräsident geworden ist.
Drittens, die Legende, dass – hätten die Linken für Gauck gestimmt – ein rot-rot-grüner Bundespräsident hätte gewählt werden können.

Der Wahlausgang war – so spannend er auch im Fernsehen zu inszenieren versucht wurde – eigentlich keine Überraschung. Es war von Anfang an klar, dass am Ende Wulff zum Bundespräsidenten gewählt würde. SPD und Grünen ist es mit ihrem Angebot Gauck – das von Unionisten und Liberalen eigentlich nicht abgelehnt werden konnte – in den ersten beiden Wahlgängen gelungen, die Unzufriedenheit der Wahlmänner und Wahlfrauen von CDU und FDP (sowohl mit dem Vorschlag des Kandidaten Wulff, aber auch mit der Politik der Regierung) per Stimmzettel sichtbar zu machen. Doch hätte es dazu dieser Aktion überhaupt bedurft? Was haben SPD und Grüne dadurch politisch gewonnen? Hat Gauck irgendeine politische Botschaft dieser Parteien verkörpert und in die öffentliche Diskussion eingebracht?

Ist an diesem Tag auch nur in Andeutungen deutlich geworden, dass selbst innerhalb der schwarz-gelben Koalition Zweifel an der sozialen Ausgewogenheit des „Sparpakets“ bestehen? Sind Fragen nach der Handlungsfähigkeit der Regierung gegenüber der Finanzwelt aufgeworfen worden? Ist über den deflationären Sparkurs in Europa und der ganzen Welt auch nur in Andeutungen gesprochen worden.

Klar, weder Gauck noch Wulff boten dafür einen Aufhänger, aber genau das war das Problem mit diesen beiden Kandidaten, die so gar nichts darüber vermitteln konnten, wie man aus der dramatischen Krisensituation wieder unter Wahrung des sozialen Friedens wieder herausfinden könnte.

Sicher wird in den an der Oberfläche schwimmenden Medien nunmehr kolportiert werden, dass Merkel und die Regierungskoalition geschwächt worden seien, dass Wulff im ersten Wahlgang 44 Stimmen weniger bekommen hat, als die Schwarz-Gelben an Wahlmännern und Wahlfrauen in die Bundesversammlung entsandten. Aber was hilft eine Schwächung der Regierung, wenn keine inhaltliche Auseinandersetzung darüber stattfindet, worin diese Schwäche besteht.

Diese politische Schwäche ist auch den ganzen Wahltag über nicht thematisiert worden. Bestenfalls dadurch, dass Merkel es nicht schaffte „ihre“ Leute auf Linie zu bringen. Nun eignet sich das Fernsehen nicht gerade dazu, analytische Betrachtungen über politische Schwächen anzustellen – und würden auch noch so viele Politikwissenschaftler vor die Mikrophone geholt. Da werden vor allem Biografien der Kandidaten bebildert und Interview-Versatzstücke gesendet, die mit keinem Wort hinterfragt wurden. Niemand hat den individualistischen Freiheitsbegriff Gaucks genauer betrachtet. Und was eigentlich Wulff „Versöhnen“ will und wofür er „Mut“ machen will, das blieb genauso im Vagen. Luc Jochimsen konnte gerade noch mit drei Sätzen die soziale Dimension ihres Gesellschaftsbilds skizzieren und damit ihre Gegenkandidatur begründen.

Der ganze Wahltag wurde inszeniert, wie eine Casting-Show bei der der beliebteste Kandidat gefunden werden sollte. Das Public Viewing auf der Reichstagswiese und die ständigen „Fan“-Interviews passten so richtig ins Bild.

Die SPD und die Grünen haben erreicht, was sie mit der Nominierung Gaucks erreichen wollten: Sie haben die Regierungskoalition und gleichzeitig die Linke ein wenig vorgeführt. Sie haben Merkel „einen eingeschenkt“ und der Linken das Etikett angeheftet, dass sie durch die Nichtwahl des ehemaligen Stasi-Beauftragten Gaucks noch mit dem SED-Regime verhaftet sei. Solche taktischen Machtspiele werden dann Politik genannt.

Schon die Nominierung des Kandidaten Gauck durch SPD und Grünen, aber noch mehr die Erpressungsversuche gegenüber der Linken – erst im Laufe des Wahltags – haben gezeigt, dass diese beiden Parteien noch immer nicht im Fünf-Parteien-System angekommen sind. SPD und Grüne meinen offenbar nach wie vor, dass man durch Ausgrenzung bei gleichzeitiger Forderung nach einem politischen Kotau die Linke entweder auf die eigene Linie bringen oder aber eliminieren könne. Sozialdemokraten und Gründe haben immer noch nicht begriffen, dass sie sich damit selbst schwächen und einer noch schwächeren Regierung das Überleben sichern. Denn Schwarz-Gelb hat schon längst erkannt, dass die Spaltung des linken Lagers ihre beste Lebensversicherung ist.

Letztlich kann das „linke“ Lager eigentlich nur froh sein, dass Gauck nicht Bundespräsident geworden ist. SPD, Grüne und Linke hätten sich sonst nämlich die gesamte Amtsperiode dessen erzliberalen Parolen vorhalten lassen müssen und hätten nicht nur gegen die Bundesregierung opponieren, sondern sich auch noch vom Bundespräsidenten die Leviten lesen lassen müssen und sich dagegen noch nicht einmal wehren können – weil es ja „ihr“ Bundespräsident ist und man gegen den Bundespräsidenten „aus Respekt vor dem Amt“ ohnehin nichts sagen darf.

Das „Amt“ des Bundespräsidenten wurde jedenfalls nicht gestärkt, dass die ersten beiden Wahlgänge aus dem schwarz-gelben Lager als Denkzettel an ganz andere Adressen missbraucht wurden. Mit der Wahl Wulffs muss man sich darüber hinaus sogar fragen, ob nicht der Anfang vom Ende dieses Amtes begonnen hat.

Christian Wulff ist geradezu das Gegenstück von Horst Köhler. Der zurückgetretene Bundespräsident verstand sich als schwarz-gelber Präsident, der sich in die aktuelle Politik einzumischen versuchte und schließlich den „Respekt“ vermisste, dass im Kabinett niemand auf ihn hörte.

Wulff dürfte das Gegenteil von Köhler sein, ihm geht es weder um die Einmischung in die operative Politik und auch nicht – wie er von sich sagt – um die Versöhnung zwischen Politik und Bürgerinnen und Bürgern sondern um die Versöhnung mit der herrschenden Politik.

Er ist von seiner ganzen politischen Biografie und seinem Naturell nicht der Mahner, der über das aktuelle Tagesgeschehen hinaus Orientierung für die Politik und die Bevölkerung anbieten könnte. Welchen Anspruch er an seine Amtsführung hat, welche Botschaft er vermitteln könnte, bleibt völlig im Vagen. Wie in Niedersachsen dürfte er im Lande herum reisen und für gute Laune sorgen.

Wulff ist nett, strebsam und vor allem durchschnittlich. Selbst das Attribut höflich muss man ihm seit gestern absprechen. Es gehört sich einfach nicht, in salbungsvollen Worten nur seinem Gegenkandidaten zu danken und jeglichen Respekt gegenüber seiner weiteren Herausforderin Luc Jochimsen vermissen zu lassen.

Seine kurze Rede nach seiner Wahl – auf die er sich lange und gut hätte vorbereiten können – war belanglos, ja geradezu grotesk: Da redete er von Abstimmung in freier und geheimer Wahl und von Gewissensentscheidung und den ganzen Wahltag über konnte man aus aller Munde erfahren, dass das Gegenteil eingefordert wurde, nämlich Parteiräson und Parteidisziplin.

Belanglos war sie, weil ihm etwa zum Zusammenwachsen von Ost- und Westdeutschland nur Plattitüden eingefallen sind: er möchte in seinem Amt „zur inneren Zusammenarbeit, zur inneren Einheit unseres Land und zu einem noch besseren gegenseitigen Verständnis“ beitragen. Gerade so, als ob Zusammenarbeit oder besseres gegenseitiges Verständnis noch die Probleme wären.
Welcher Anstoß geht von folgendem Satz aus: „Parallelgesellschaften in unserem Land verhindern wir am ehesten dadurch, dass wir aufeinander zugehen und nicht aneinander vorbeileben“? Das waren die Worte des neuen Amtsträgers, dessen Amt vor allem vom Wort lebt.

Ich befürchte, dass das Amt des Bundespräsidenten von Christian Wulff im Wortsinne „bekleidet“ wird. Will sagen: Er wird die herrschende Politik freundlich lächelnd mit Verständnis heischenden Worten begleiten, er wir Jugendlichkeit ausstrahlen, mit einer hübschen jungen Frau mit zeitgeistigem Tatoo und Kinderlachen in der Ecke des Amtszimmers. Die Regenbogenpresse wird schöne Geschichten und Bilder vom „Hofe“ abdrucken und Deutschland wird endlich wieder seine „Royals“, also so etwas wie Prinz Daniel und Prinzessin Victoria von Schweden haben. Der Glanz im Schloss Bellevue wird das zunehmende Elend in den Hütten überstrahlen, so ist zu befürchten.

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