Hinweise des Tages

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Dieser Service der NachDenkSeiten soll Ihnen einen schnellen Überblick über interessante aktuelle Artikel und Sendungen verschiedener Medien verschaffen. Heute u. a. zu folgenden Themen: Volksentscheid in Hamburg, ein Volksentscheid ist kein Zaubertrank, nach Beust-Rücktritt, Kurt Beck liebäugelt mit sozialliberalen Koalitionen, Egalitarismus-Forschung, Merkel in China, der Afghanistan-Einsatz ist unterschätzt worden, INSM, krudes Menschenbild, Kopfpauschale, gespenstisches Vertrauen in die Märkte, Preis für Kakao steigt in ungeahnte Höhen, Bonitätswächter straft Musterschüler Irland ab, Vorbild Irland, die Leere hinter dem Link. Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert. (JK/AM/RS)

  1. Volksentscheid in Hamburg – Klassenkampf von oben
  2. Ein Volksentscheid ist kein Zaubertrank
  3. Nach Beust-Rücktritt
  4. Kurt Beck liebäugelt mit sozialliberalen Koalitionen
  5. Egalitarismus-Forschung – Die nächste “Große Idee”
  6. Transferleistungen: Unserer Mittelschicht geht es prächtig
  7. Merkel in China – Misston in der purpurnen Wolke
  8. Der Afghanistan-Einsatz ist unterschätzt worden
  9. Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft
  10. Krudes Menschenbild
  11. Alles Lüge – Kopfpauschale
  12. Gespenstisches Vertrauen in die Märkte
  13. Preis für Kakao steigt in ungeahnte Höhen
  14. Bonitätswächter straft Musterschüler Irland ab
  15. Vorbild Irland
  16. Die Leere hinter dem Link

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Volksentscheid in Hamburg – Klassenkampf von oben
    1. “Massive Form von demokratisch geführtem Klassenkampf
      Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik zum Hamburger Volksentscheid gegen die Primarschule
      Der Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik hat dem Hamburger Senat vorgeworfen, den Widerstand gegen die Primarschule in der Hansestadt unterschätzt zu haben.
      Ute Welty: Die sogenannte Primarschule bleibt in Hamburg graue Theorie. Im Volksentscheid hat sich eine deutliche Mehrheit der Wähler dagegen ausgesprochen, dass die Grundschule von vier auf sechs Jahre verlängert wird. Damit würde die Zeit in der weiterführenden Schule und eben auch im Gymnasium verkürzt. Vorangegangen war dem Volksentscheid eine zum Teil sehr emotionale Diskussion mit markigen Sprüchen der Primarschulgegner wie “Hände weg von meinem Kind”. Darüber spreche ich jetzt mit Micha Brumlik, Erziehungswissenschaftler an der Uni Frankfurt. Guten Morgen, Herr Brumlik!
      Micha Brumlik: Guten Morgen!
      Welty: Müssen die Hamburger Eltern noch mal die Schulbank drücken, weil sie nicht kapiert haben, was gut ist für ihr Kind?
      Brumlik: Diese Hamburger Eltern, die die Wahl gewonnen haben, die wissen zumindest, was sie glauben, was jetzt für ihr Kind gut ist. Das war eine massive Form von demokratisch geführtem Klassenkampf um der Vorteile des eigenen Kindes willen. Das kann man auch niemandem verdenken. Das Unfaire an der ganzen Sache ist nur, dass jene Kinder, die davon betroffen sind, Eltern haben, die entweder, weil sie Emigranten sind, nicht wählen dürfen, oder weil sie Eltern haben, die aufgrund eigener Unbildung gar nicht willens und in der Lage sind, sich an einem so komplizierten Verfahren zu beteiligen.
      Quelle: DRadio
    2. Zäune und Wachmannschaften
      Die Hamburger haben gegen die Schulreform gestimmt. Doch die panische Abgrenzung der Mittelschicht wird das Problem verschärfen.
      Wenn Historiker eines Tages unsere Zeit untersuchen werden, wird ihnen das Ergebnis der heutigen Volksabstimmung eine wertvolle Quelle sein. Das Votum bedeutet nicht nur das vorläufige Aus für das längere gemeinsame Lernen. Es ist auch eine Aussage über die Ängste der Mittelschicht. So unverfälscht bekommt man sie selten zu sehen.
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      Die Hamburger entschieden am Sonntag nicht nach politischer Sympathie oder Antipathie; schließlich schlossen sich alle in der Bürgerschaft vertretenen Parteien dem Reformkonzept an. Sie entschieden im Namen ihrer Kinder. Das macht ihre Aussage so kraftvoll.
      Die Reformgegner hatten nicht viele gute Argumente. Nicht umsonst lernen Kinder in allen anderen europäischen Ländern mit Ausnahme Österreichs mindestens bis zur sechsten Klasse zusammen. Die These, Kinder lernten besser, wenn sie unter ihresgleichen seien, ist längst widerlegt. Man kann sogar Bundeskanzlerin werden, ohne in der vierten Klasse gesiebt zu werden. Das angeprangerte Umbauchaos: eine temporäre Erscheinung. Die Behauptung, das Gymnasium werde schleichend abgeschafft – Panikmache.
      Quelle: Zeit.de
    3. Die Entzauberung
      Die Volksabstimmung bedeutet zuallererst das Scheitern eines dringend notwendigen und im Prinzip richtigen Projekts. Mit Unterstützung aller anderen Parlamentsfraktionen machten CDU und Grüne – genauer: der reformfähige Teil der CDU und der kompromissbereite Flügel der Grünen – aus einer verbreiteten Erkenntnis konkrete Politik. Sie lautet, x-fach belegt: Das frühe Verteilen der Kinder auf unterschiedliche Schulen mag den kurzfristigen, kurzsichtigen Interessen der Wohlhabenden und Gebildeten dienen; denn es schreibt ihren Chancenvorsprung fort. Dem langfristigen Interesse der Gesellschaft, auch der “guten Gesellschaft”, dient es nicht; denn es verschärft die Konflikte mit den Ausgeschlossenen auf eine Weise, die alle zu spüren bekommen werden.
      Dieses traurige Ergebnis sollte man nicht zuerst den Initiatoren des Volksentscheids verübeln. Nicht alle von ihnen – und erst recht nicht alle Neinsager bei der Abstimmung – sind Ideologen. Viele bangten wohl schlicht um die glücklichen Umstände des eigenen Lebens. Das ist bildungspolitisch fatal, aber menschlich verständlich. Dass sie uns eine zweite Botschaft vermittelten, ist sogar zu begrüßen: Die Mehrheit hat die Grenzen schwarz-grüner Träume aufgezeigt.
      Quelle: FR

      Anmerkung Jürgen Karl: Das Ergebnis des Hamburger Volksentscheides sollte man sich wirklich noch einmal genauer anschauen. Ein geradezu lehrbuchhaftes Beispiel für die Mechanismen der Meinungsmache. Der herrschenden Elite gelingt es offenbar ohne weiteres dank ihrer Medien- und Kampagnenmacht die öffentliche Meinung in ihrem Interesse zu beeinflussen. Aber gerade auch unter dem Aspekt, wie weit die soziale Polarisierung in Deutschland inzwischen fortgeschritten ist.
      Das Wort gesellschaftliche Verantwortung existiert im Wortschatz der sogenannten besseren Kreise offenbar nicht mehr. Es geht nur noch darum seine eigenen Privilegien zu verteidigen und zwar mit allen Mitteln, wie auch am skrupellosen agieren des Gründers der Initiative “Wir wollen lernen”, dem Blankeneeser Rechtsanwalt Walter Scheuerl, sehr schön zu sehen war.
      Wie durch viele Studien inzwischen empirisch belegen, ist der Zutritt zum Gymnasium eines der entscheidenden Elemente sozialen Aufstiegs in Deutschland. Und dieser soll dem “Pöbel” weiter verwehrt bleiben.
      Der wesentliche Aspekt des Erfolges der Hamburger Bürgerinitiative ist die verblüffend wirkmächtige Illusion der Mittelstandslüge (nicht umsonst spielt die FDP perfekt auf dieser Klaviatur), die den primären Augenmerk des sich zum “Mittelstand” rechnenden Personenkreises darauf richten lässt sich vom sogenannten Prekariat nach unten abzugrenzen, als zu verstehen, dass sie damit zur politischen Manövriermasse der herrschenden Eliten werden, ohne irgendeinen Vorteil aus den Abgrenzungsbestrebungen zu ziehen. (zur Illusion Mittelstand siehe auch nochmals Anmerkung Roger Strassburg unten, sowie „Hurra wir dürfen zahlen“)
      Einer der zentralen Vorgaben der Hamburger Schulreform war die Chancengleichheit zu verbessern. Die Initiatoren der Initiative “Wir wollen lernen” haben sich dagegen klar für die Erhaltung ihrer Privilegien eingesetzt und damit deutlich gemacht, dass sie an einer gerechteren Chancenverteilung nicht das mindeste Interesse haben. Zugute kam ihnen dabei, dass das Interesse des sogenannten Prekariats bzw. der untere sozialen Schichten an der Partizipation im demokratischen Entscheidungsprozesse äußerst gering ist und somit die Möglichkeiten politische Richtungsentscheidungen mit zu gestalten nicht wahr genommen werden. Wie gestern bereits berichtet, war gerade die Beteiligung am Volksentscheid in den besseren Hamburger Wohnviertel besonders hoch (In Bezirken mit auffallend wenig Armen lag die Wahlbeteiligung bei über 60 Prozent).
      Auch der jüngste Gesetzentwurf aus dem Familienministerium bezüglich der Streichung des Elterngeldes für Minijobbern und Hartz-IV Aufstockern, zeigt dass dieses politische Kalkül funktioniert.
      Zwar kommt man hier in bedrohliche Nähe der Argumentation, der Gegner stärkerer plebiszitärer Elemente im politischen Entscheidungsprozess der Bundesrepublik, aber vor dem Hintergrund des Ausganges des Hamburger Volksentscheides, der gezeigt hat, dass sich Entscheidungen durch die Kampagnenfähigkeit der herrschenden Eliten entsprechend lenken lassen, sollte die Forderung nach mehr Volksentscheiden kritisch diskutiert werden.

      Ergänzende Anmerkung Roger Strassburg zum Hinweis Nr. 3 vom 19.07.2010: Grotesk ist auch, dass die Mittelschicht schon bei einem Monatsnetto von 1.700 Euro beginnt, und die Oberschicht bereits bei 3.600 Euro. 3600 Euro mögen ja ein überdurchschnittliches Einkommen sein, aber “Oberschicht” ist das noch lange nicht – schon 2007 lag dieses Einkommen (brutto) unter dem Medianeinkommen in den USA. Damals lag das Medianeinkommen in den USA mit $49.486 auf dem zweiten Platz knapp hinter Luxemburg, während Deutschland mit $35.292 (KKP) weit dahinter am 14. Platz lag. (Siehe auch im deutschen Wikipedia – da wird nicht das Medianeinkommen, sondern das Durchschnittseinkommen verglichen. Auch da liegt Deutschland weit hinter Luxemburg, den USA und anderen).
      Mit diesen Zahlen wird dem normalen Bürger weisgemacht, er gehöre mit seinem eher mageren Einkommen schon zu den höheren Schichten, während die Einkommen der eigentlichen Absahner, über die man nicht spricht, ohne sich dem Vorwurf “Neid” aussetzen zu lassen, in einer ganz anderen Dimension liegen.
      Das ist Volksverdümmung. Leider scheint diese zu funktionieren.

  2. Ein Volksentscheid ist kein Zaubertrank
    Das Plebiszit kann etwas Wunderbares sein, wenn es Ausdruck einer kollektiven Verantwortung für das Gemeinwesen ist. Dann ist es die Erfüllung der Demokratie. Das Plebiszit kann aber auch etwas Furchtbares sein, es kann die Demokratie zerstören, wenn sich die Egoismen addieren und Vorurteile gegenüber Minderheiten zuschlagen. Manchmal ist das Plebiszit ein guter Hirte, kümmert sich um neue Kindergärten und Umgehungsstraßen und um den Umweltschutz; es schreibt ihn, so wie einst in der Schweiz, mit Sorgfalt und großen Buchstaben in die dortige Verfassung. Ein andermal aber rüttelt es an den Grundfesten dieser Verfassung, weil es – wie bei der Schweizer Abstimmung gegen Minarette – im Namen der Mehrheit eine Minderheit kujoniert und sie der Rechte beraubt, die diese braucht, um als Minderheit in der Mehrheit zu leben.
    Das Plebiszit ist nicht per se gut. Wenn eine Mehrheit der Bürger die Todesstrafe gutheißt, besagt das nicht, dass die Todesstrafe auch richtig ist. Mehrheit ist nicht unbedingt gleichzusetzen mit Wahrheit, Richtigkeit und Verfassungsmäßigkeit. Das gilt im Parlament – das gilt auch für das Plebiszit. Die plebiszitäre Demokratie braucht deshalb, genauso wie die parlamentarische, ein Korrektiv, ein Kontrollorgan: das Verfassungsgericht.
    Aus einem plebiszitären Grundrauschen, das nun schon eine Generation lang währt, ist mittlerweile eine kraftvolle Bewegung geworden. Aktive und ehemalige Verfassungsrichter, Professoren des Staatsrechts und auch immer mehr Politiker loben das Plebiszit – nicht als Wundermittel, aber als Medizin. Es geht nicht um Abstimmungsorgien, sondern nur um die Anreicherung des repräsentativen Prinzips durch plebiszitäre Elemente. Der Bürger- und Volksentscheid ist gewiss kein Zaubertrank, den eine Demokratie nur in sich hineinschütten müsste. Es ist ein Hilfsmittel. Jede Medizin hat Nebenwirkungen; wer geheilt werden will, muss sie in Kauf nehmen. Und es verhält sich mit Volksbegehren und Bürgerentscheid ebenso: Man muss sich Indikation und Dosierung genau überlegen. Bei alledem gilt: Wer eine lebendige Demokratie will, darf an den alten Bequemlichkeiten nicht festhalten. Er muss es mit Carlo Schmid halten – und an den Menschen glauben. Der Demokrat ist kein Rindvieh.
    Quelle: SZ
  3. Nach Beust-Rücktritt
    Hamburgs Grüne verweigern Bekenntnis zur CDU
    Für Hamburgs Grüne kommt es knüppeldick: Ihre Schulreform wurde abgeschmettert, mit Ole von Beust wirft ihr wichtigster Partner hin. Die CDU wirbt um den Erhalt der Koalition. Doch die Grünen wollen sich nicht festlegen. Denn es gibt auch andere Optionen.
    Hamburg – Die Niederlage hat sie tief getroffen. Geknickt sitzt Christa Goetsch am Montag vor Dutzenden Journalisten im Hamburger Rathaus. Die Grünen-Schulsenatorin hat den härtesten Tag ihrer zweijährigen Amtszeit hinter sich. Per Volksentscheid haben die Bürger der Hansestadt das schwarz-grüne Primarschul-Projekt abgeschmettert. Monatelang hatte Goetsch leidenschaftlich für die Reform gekämpft, zusammen mit CDU-Bürgermeister Ole von Beust.
    Doch die Niederlage beim Volksentscheid muss sie nun alleine verdauen. Denn Beust geht. Noch bevor die Wahllokale am Sonntag geschlossen hatten, verkündete der Bürgermeister seinen Rücktritt zum 25. August.
    Quelle: Spiegel-Online

    Kommentar AM: Man muss ich vorstellen, ein Politiker einer Partei links von der Mitte hätte sich so verhalten wie von Beust. Nicht mal das Abstimmungsergebnis hat er abgewartet. Aber keine harte Kritik. Vergleichen Sie das mal mit der verfolgenden Kommentierung des Rücktritts von Lafontaine im März 1999. Peter Frey vom ZDF hat noch 2009 das Sommerinterview mit Lafontaine über weite Strecken mit diesem Thema gefüllt. Andere Medien genauso. Wo bleiben die jetzt? Wo bleiben die Fragen an die Grünen, ob sie wirklich mit einer solchen Truppe wie der Union in Hamburg weitermachen wollen?

  4. Kurt Beck liebäugelt mit sozialliberalen Koalitionen
    Der SPD-Ministerpräsident erklärt, was er an der FDP schätzt, und zollt dem neuen Staatsoberhaupt Respekt.
    Quelle: Die Welt

    Kommentar: Erübrigt sich, spricht für sich selbst.

  5. Egalitarismus-Forschung – Die nächste “Große Idee”
    Schon lange nicht hat ein Buch in gesellschaftswissenschaftlich und politisch interessierten Kreisen derart eingeschlagen wie Gleichheit ist Glück von Richard Wilkinson und Kate Pickett. Es ist, als eröffneten sie uns einen neuen Blick auf unsere Gesellschaften. Als fiele uns etwas wie Schuppen von den Augen. Nämlich: Dass egalitäre Gesellschaften besser funktionieren als solche, die durch grobe Reichtumsdifferenzen zerrissen sind. Nun würde man annehmen, dass dies keine große Neuigkeit ist. Was ist aber dann das Spezifische dieses Buches? Warum sorgt es gerade jetzt für Aufsehen? Wieso wird es in der internationalen Debatte bereits als game changer angesehen – als Studie, die die Diskurse und möglicherweise sogar die Politik auf eine neue Bahn bringen könnte?
    Zunächst: Wilkinson und Pickett fügen sich ein in eine Reihe von Forschungsergebnissen der modernen „Glücksforschung“. Schon Richard Layard unterstrich in seinem Buch Die glückliche Gesellschaft, „dass die Menschen heute nicht glücklicher sind als vor 50 Jahren. Und das, obwohl sich das reale Durchschnittseinkommen in diesem Zeitraum mehr als verdoppelt hat“. Wenn der Reichtum einer Gesellschaft wächst – also das Nationaleinkommen pro Kopf –, aber parallel auch die Ungleichheit, dann werden die Menschen oft sogar unglücklicher. Denn dann setzt ein „Statuswettlauf“ ein, und „wir fühlen ein großes Bedürfnis, mit anderen mitzuhalten“. Wilkinson und Pickett beweisen nun anhand einer Fülle von Fakten aus rund 200 internationalen Datensätzen, dass in Gesellschaften mit groben Ungleichheiten die Menschen im Durchschnitt unglücklicher sind. Gewiss sind auch in diesen Gesellschaften die Reichen glücklicher als die Armen, aber in jedem einzelnen Einkommenssegment sind die Menschen unglücklicher als in egalitären Gesellschaften. Also: In Gesellschaften, die schroff in reich und arm gespalten sind, sind die Reichsten keineswegs besonders glücklich, im Gegenteil. Egalitäre Gesellschaften sind also für alle besser, nicht nur für die, die heute unterprivilegiert sind. Kurzum: Der Egoismus ist sogar für die Egoisten unkomfortabel.
    Quelle: Freitag

    Anmerkung von Leser A.G.: ein Punkt zur Nachlese der Hamburger Entscheidung gegen das längere gemeinsame Lernen: Ein wesentliches Argument der Reformgegner ist ja, dass Kinder nun einmal unterschiedlich begabt seien. Damit wird frühe Selektion gerechtfertigt: Starke zu Starken, Schwache zu Schwachen.
    Fakt ist: Es gibt keine ungleiche Befähigung in dem Ausmaß, wie allgemein vermutet wird. Das Gerede vom ungleich verteilten Talent ist nur einen Kampfformel, um Besitzstände im Bildungssystem zu sichern.
    S. zu den neuesten neurobiologischen Erkenntnissen zuletzt Werner Siefer, Das Genie in mir: Warum Talent erlernbar ist (2009). Auf dieses Buch sollten die NDS einmal hinweisen, da dem Autor sehr daran gelegen ist, durch die Widerlegung von Vorurteilen mittels naturwissenschaftlicher Fakten eine Chancengleichheit in der Bildung möglich zu machen.
    Die NDS sollten darauf hinweisen, dass die Ideologie (!) vom Talent im kollektiven deutschen Gedächtnis tief verwurzelt ist. Ein ur-konservativer Mythos, kaum dem Sumpf klassischer Genie-Duselei und -verklärung entstiegen, der uns aus seinem Grabe im Denken regiert!
    Gegen diese mittelalterliche Verdunkelung muss das Licht der neuesten naturwissenschaftlichen Erkenntnisse gesetzt werden, denn nur so lässt sich überzeugend behaupten, dass eine Abiquote von 90% (Finnland) eben nicht mit einem allgemeinen Verfall der Standards und gemeinsames Lernen über 6 oder sogar 9 Jahre nicht Niveauverlust bedeuten muss.

  6. Transferleistungen: Unserer Mittelschicht geht es prächtig
    Das Bürgertum fühlt sich vom Staat ausgequetscht wie eine Zitrone. Zu Unrecht. Neue Zahlen belegen: Die Mitte bekommt viel mehr Geld zurück, als sie zahlt. Und nutzt das Angebot des Staates ausgiebig.
    Quelle: FAZ

    Anmerkung unseres Lesers J.A.: Ein groteskes Stück Propaganda, daß (natürlich) den meisten FAZ-Kommentatoren sauer aufstößt und wahrscheinlich weitere Kürzungen bei den Sozialleistungen vorbereiten soll. Die Reichen und Gutverdiener sind also nicht die Riesenprofiteure von brutalem Lohndumping, Vermögenssteueraussetzung, Erbschaftsteuersenkung, Senkung von Spitzensteuersatz und Unternehmensbesteuerung usw. Wenn es nicht die Mittelschicht ist, werden ja die armen Reichen von der Bevölkerungsmehrheit ausgeplündert (z. B. durch die Senkung des Spitzensteuersatzes um 11 Prozentpunkte). Von der fortgesetzten Senkung der Reallöhne und der Rentenansprüche hat der Autor auch noch nicht gehört. Indiskutabel und unsäglich, aber vielleicht wacht die FAZ lesesende Mittelschicht langsam auf.

  7. Merkel in China – Misston in der purpurnen Wolke
    Obwohl sich die Chinesen auch in Zukunft kaum davon werden abhalten lassen, ihre eigenen Interessen durchzusetzen, dürfe man sie nicht als Partner in wichtigen internationalen Fragen verlieren, meinen deutsche Diplomaten. Schon wird darüber nachgedacht, welches Potential eine Achse Berlin-Peking haben könnte. In vielen Fragen hätten beide Seiten ein gemeinsames Interesse, ein Gegengewicht zu den USA aufzubauen, etwa beim Klimaschutz oder bei der Reform des internationalen Finanzsystems. Sogar ein gemeinsames Pilotprojekt zum zivilen Wiederaufbau in Afghanistan wird hinter verschlossenen Türen vorbereitet. Ob Deutsche und Chinesen eines Tages gemeinsam afghanische Polizisten, Richter oder Finanzbeamte ausbilden? Es wäre ein Novum in den Beziehungen, gewissermaßen eine zusätzliche Oktave auf der deutsch-chinesischen Tonleiter.
    Quelle: FR
  8. Der Afghanistan-Einsatz ist unterschätzt worden
    Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen hat eingeräumt, dass die internationale Gemeinschaft den Einsatz am Hindukusch unterschätzt hat. Rasmussen machte deutlich, dass er mit weiter steigenden Opferzahlen rechnet. Die Militäroffensiven in das Kerngebiet der Taliban würden “unweigerlich zu heftigeren Gefechten führen”, schreibt der Generalsekretär. “Bedauerlicherweise wird es mehr Opfer geben.” Die militärischen Aktionen seien aber von enormer politischer Bedeutung. “Sie tragen dazu bei, die Taliban sowohl politisch als auch militärisch zu schwächen.”
    Quelle: NZZ

    Anmerkung Orlando Pascheit: Wen möchte Herr Rasmussen auf den Arm nehmen? Es geht nicht um die internationale Gemeinschaft, sondern um die Regierungen der USA und der übrigen Natostaaten. Die Mehrheit der Bevölkerung dieser Länder dürfte schon längst eine gesunde Skepsis gegenüber dem afghanischen Abenteuer entwickelt haben. Und Rasmussen schämt sich nicht, die steigenden Opferzahlen zu verteidigen. Es ist schlicht gelogen, wenn Rasmussen behauptet, dass die Taliban durch die laufenden Aktionen sowohl politisch als auch militärisch geschwächt würden. Die Sicherheitslage ist so mies wie noch nie. Dem trägt die internationale Gemeinschaft mit dem Abzug ihrer Truppen Rechnung. Verbrämt wird dieser Vorgang mit Formulierungen wie, die Afghanen seien dann endlich Herr im eigenen Haus.

  9. Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft
    Vor zehn Jahren nahm die »Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft« ihre Arbeit auf. Die arbeitgebernahe PR-Agentur hat den Stil von Öffentlichkeitsarbeit in Deutschland verändert: PR und Journalismus vermischen sich. Ändert die INSM jetzt ihren Stil?
    Was derzeit auf der Agenda steht? Na klar: Sparen. Mehr Einnahmen führen »strukturell« zu nichts. Nur das Streichen hilft – und Tipps gibt es auch: Die Kohlesubventionen könnten gestrichen werden. Und die »Bundes-Fusel-Behörde«, die noch immer ein Branntwein-Monopol überwacht, das es so längst nicht mehr gibt, gehört abgeschafft. Auch die GEZ kann aufgelöst werden, die Gebühren werden vom Finanzamt eingezogen. Etwa so sieht der »Sparkatalog« aus, den die dem Arbeitgeberverband Gesamtmetall nahestehende »Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft« derzeit verbreitet: Bis auf die Steinkohlesubventionen sind es lächerliche Beträge, die die INSM nennt. Wo zweistellige Milliardenbeträge herkommen sollen, bleibt offen. Im Kleingedruckten steht etwas von Sozialleistungen, die »zielgenauer« eingesetzt werden müssten.
    Über die Finanzkrise, über deren Ursachen und Konsequenzen steht dagegen kein Wort im weitverzweigten Info-Angebot rund um die »Initiative«. Inhaltlich gibt es also nichts Neues bei der INSM, die zum Januar von Köln nach Berlin gezogen ist. Dafür aber in der Umsetzung: Ihre Kampagne für das Sparen bei den Armen etwa setzt die INSM konventionell in Annoncen um: »Wer seinen Haushalt im Griff hat, verdient Respekt«. Auch unterlegt wird dies sehr traditionell: Etwa durch Interviews und Statements des INSM-Geschäftsführers und Ex-Handels-Funktionärs Hubertus Pellengahr, der zum Januar den Laden übernahm.
    Quelle: Neues Deutschland
  10. Krudes Menschenbild
    Seit ihr Plan publik wurde, das Elterngeld einseitig für Familien mit niedrigen Einkommen zu kürzen, sieht es ziemlich düster aus um Frau Schröder. Selbst in der FDP ist, wahrscheinlich in Erinnerung an die eigenen Steuersenkungsideen, von einem “völlig irrsinnigen” Vorschlag die Rede.
    Dieses Urteil ist jetzt vielleicht ein bisschen hart. Schließlich wollte die Diplom-Soziologin Schröder, deren Doktorarbeit sich mit den in der CDU anzutreffenden Wertvorstellungen von “Gerechtigkeit und Gleichheit” befasste, nur ein paar “Anreize” setzen. Dabei kann es, folgt man dem Familienministerium, nicht immer gleich zugehen. Vielmehr müssen Bezieher von Hartz IV durch Abschläge animiert werden, eine Arbeit zu suchen, Männer mit höheren Einkommen dagegen lassen sich nur durch ein unverändertes Elterngeld dazu bewegen, nicht zur Arbeit zu gehen.
    Wer derartige Überlegungen reichlich bizarr findet, muss sich nicht wundern. Schließlich sind sie auf dem Mist von einflussreichen Wirtschaftswissenschaftlern gewachsen. Ihr von Adam Smith, dem Gottvater der Zunft, geprägtes Weltbild sieht den Menschen als Wesen, das nur eines im Sinn hat: seinen eigenen Nutzen zu maximieren. Dabei geht es ihm meist um (mehr) Geld. Anreize, vornehmlich finanzielle, seien “das Wesentliche der Ökonomie”, behauptet denn auch der US-Professor Edward Lazear.
    Quelle: FR
  11. Alles Lüge – Kopfpauschale
    Mit den Eckpunkten zur Gesundheitspolitik von Anfang Juli hat sich die schwarz-gelbe Koalition endgültig von der solidarischen Finanzierung der Krankenversicherung verabschiedet. Der Arbeitgeberanteil soll bei 7,3 Prozent des Bruttolohns festgeschrieben werden. Die künftig Jahr für Jahr steigende Lücke zwischen den Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung und den Einnahmen des Gesundheitsfonds wäre dann alleine von den Mitgliedern – hauptsächlich Arbeitnehmer und Rentner – über eine vom Einkommen unabhängige und nach oben offene Kopfpauschale zu schließen. Ein steuerfinanzierter Sozialausgleich soll verhindern, dass die Kopfprämie im Einzelfall mehr als zwei Prozent des Einkommens ausmacht.
    So eklatant wie die verteilungspolitische Schieflage des Vorhabens ist, so dreist ist auch die »Mehr-Solidaritäts- Lüge« der Kanzlerin. Bei einem Defizit aller Kassen von angenommen zwölf Milliarden Euro betrüge die erforderliche Kopfpauschale für jedes der rund 50 Millionen Mitglieder im Schnitt monatlich 20 Euro. Um das gleiche Finanzvolumen über einen einkommensproportionalen Beitrag einzunehmen, wäre im heutigen System eine Beitragssatzerhöhung um ca. 1,2 Prozentpunkte erforderlich. Davon entfiele je die Hälfte auf Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Die Zusatzbelastung würde also erstens paritätisch getragen und zweitens entfiele auf alle Mitglieder eine gleiche relative Belastung in Höhe von 0,6 Prozent ihres versicherungspflichtigen Einkommens.
    Quelle: AK-Sozialpolitik [PDF – 226 KB]
  12. Gespenstisches Vertrauen in die Märkte
    Die Märkte versetzen Europas Regierungen in Aufruhr. Gerade in Krisenzeiten führen sie ein schwer nachvollziehbares Eigenleben. Deshalb muss sich die Politik ihnen widersetzen.
    Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Marktvertrauens. Als Karl Marx 1848 die erste Zeile seines berühmten Manifests niederschrieb, war es die Angst vor dem Kommunismus, die die Regierungen umtrieb. Heute ist es die Furcht, dass sich die Stimmung am Markt gegen sie wendet und die Spreads für ihre Staatsanleihen in die Höhe treibt. Die Regierungen überall auf der Welt kürzen ihre Haushalte, obwohl die Arbeitslosigkeit hoch bleibt und die Nachfrage der Privathaushalte kaum Lebenszeichen von sich gibt. Viele nehmen Strukturreformen vor, an die sie nicht wirklich glauben – nur weil es für die Märkte sonst schlecht aussähe.
    In Krisenzeiten führt das Marktvertrauen ein Eigenleben. Es wird zu einem vergeistigten Konzept, größtenteils frei von realökonomischem Gehalt. Es verwandelt sich in das, was die Philosophen als “gesellschaftliche Konstruktion” bezeichnen – etwas, das nur deshalb real ist, weil wir daran glauben.
    Wäre die ökonomische Logik eindeutig, müssten die Regierungen ihr Handeln nicht mithilfe des Marktvertrauens rechtfertigen. Dann wäre klar, welche politischen Maßnahmen funktionieren und welche nicht. Die Bemühungen um das Vertrauen der Märkte wären überflüssig.
    Quelle: FTD
  13. Preis für Kakao steigt in ungeahnte Höhen
    Die massiven Preissteigerungen für Agrarrohstoffe ziehen verstärkt Spekulanten an. Auch die Hedge-Fonds-Branche mischt mit.
    Um von weiteren Preissteigerungen zu profitieren, hat sich der Hedge-Fonds Armajaro Ende vergangener Woche über die Londoner Warenterminbörse Liffe die Lieferung von 240.100 Tonnen Kakaobohnen gesichert – der größte Kontrakt seit 1996 und sieben Prozent der weltweiten Kakao-Jahresproduktion. Insgesamt hält die Liffe überhaupt nur 270.000 Tonnen zur sofortigen Lieferung bereit. Der Preis des Rohstoffs stieg auf den höchsten Stand seit 1977.
    Damit versetzt der Londoner Hedge-Fonds einerseits den Schokoladeherstellern einen herben Schlag – sie müssen eine Preissteigerung von 150 Prozent binnen zweieinhalb Jahren verkraften. Zudem könnte das Geschäft die Kritiker von Agrarrohstoffspekulanten, vor allem Globalisierungsgegner und Politiker, auf den Plan rufen. Bereits 2006 und 2007 hatten von Spekulanten getriebene Preisanstiege für Aufregung gesorgt. Seinerzeit waren wegen der steigenden Lebensmittelkosten in Teilen der Dritten Welt Unruhen ausgebrochen.
    Auch jetzt sind die Preise für Grundnahrungsmittel wie Weizen, Reis und Mais wieder explodiert – vor allem deshalb, weil die Hitzewelle in Europa die Ernten massiv drückt. Studien belegen aber, dass bereits 30 Prozent des Preisanstiegs bei Agrarrohstoffen auf Spekulanten zurückgehen.
    Quelle: FTD

    Anmerkung Orlando Pascheit: Wir dürfen es uns aussuchen, Deflation oder erneute Blasenbildung. Der generelle Trend, dass die Masseneinkommen der Produktivitätsentwicklung der Unternehmen hinterher hinken, wird fortgeschrieben. Die hohe Arbeitslosenzahl in Europa und den USA läßt Arbeitnehmer immer niedrigere Gehälter akzeptieren. Das heißt, die Unternehmen produzieren mehr Waren mit mit immer weniger Beschäftigten, die tendenziell weniger verdienen. Durch den Preiskampf der Firmen um die schwindende Massenkaufkraft droht Deflation, hinzukommt, dass der sparende Staat droht. Auf der anderen Seite zieht die Spekulation wieder an, so dass wir uns genauso gut fragen können, wo platzt die nächste Blase. Die Rohstoffmärkte sind ein guter Kandidat. Aber auch die Aktienmärkte bieten Möglichkeiten, hier insbesondere Schwellenländeraktien. Speziell in Südostasien ist auch eine Imobilienblase nicht auszuschließen. Auch wenn der Euro aus den Schlagzeilen verschwunden ist, die spekulative Blasen am Devisenmarkt haben sich noch nicht erledigt.

  14. Bonitätswächter straft Musterschüler Irland ab
    Ob im Kampf gegen die Staatsschulden oder beim Wiederaufbau des Bankensystems: Dublin gilt anderen krisengeplagten Euro-Staaten als Vorbild. Die Ratingagentur Moody’s senkt dennoch die Bonitätsnote.
    Die Ratingagentur Moody’s hat Irlands Bonitätsnote erneut herabgestuft. Mit dem Verweis auf einen “allmählichen aber bedeutsamen Verlust von Finanzstärke” senkte die Agentur das Rating um eine Stufe auf Aa2. Es ist die dritte Stufe von oben. Den Ausblick setzten die Analysten auf stabil.
    Als weiteren Grund nannten sie die Umstrukturierung des Bankensektors, die den Staatshaushalt stärker belasten könne. Sie stuften die Bonitätsnote der Bad Bank des Landes, deren Verbindlichkeiten voll vom Staat garantiert werden, ebenfalls auf Aa2 herunter.
    Investoren sorgen sich um eine Reihe von schuldengeplagten Euro-Staaten. Irland ist angeschlagen, seit ein Immobilienboom mit der Finanzkrise abrupt endete. Das Land stürzte in eine schwere Rezession, die Regierung musste einige Banken stützen.
    Im vergangenen Jahr schwoll das Haushaltsdefizit auf 14,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) an und übertraf damit noch den Fehlbetrag Griechenlands, das von der EU und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) mit einem 110 Mrd. Euro schweren Rettungspaket gestützt wird. Sein Toprating bei Moody’s verlor Irland im April 2009.
    Nachdem die irische Regierung rasch ein hartes Sparprogramm auf den Weg brachte, galt das Land als Vorbild für Länder wie Griechenland. Auch beim Wiederaufbau des Bankensektors geht der Inselstaat voran, als bisher einziges Land hat Irland eine nationale Bad Bank ins Leben gerufen, die den Banken faule Immobiliendarlehen abnimmt.
    Die Herabstufung könnte das Land teuer kommen: Am Dienstag will die Regierung in Dublin mit Anleihen von sechs und zehn Jahren Laufzeit 1,5 Mrd. Euro am Kapitalmarkt aufnehmen. Oliver Whelan, Chef der irischen Schuldenagentur, sagte zwar in einem Radiointerview, er erwarte keine Folgen für die Transaktion. Beobachter wie Alan McQuaid, Chefökonom von Bloxham, zeigten sich aber skeptischer: “Der Zeitpunkt ist angesichts der Bondauktion morgen nicht gut, und das wird die Prämie vergrößern, die gezahlt werden muss, um Geld aufzunehmen.”
    Quelle: FTD
  15. Vorbild Irland
    Ein Zufallsfund aus dem Jahre 2005, in dem über eine Studie des arbeitgebernahen IW Köln berichtet wird. Zitat:
    Als Vorbild dient den IW-Ökonomen Irland: “Die Iren kommen mit halb soviel aus wie Deutschland – ihre Wirtschaft boomt seit Jahren”, heißt es. Für das IW ist der direkte Zusammenhang von niedriger Sozialquote und hohem Wachstum erwiesen. Das geringere Sozialbudget führe dazu, daß die Personalzusatzkosten der Unternehmen, über die “viele soziale Extras” finanziert würden, deutlich niedriger seien als in den meisten anderen EU-Ländern. “Nicht zuletzt deshalb lag das irische Wirtschaftswachstum nach den schon legendären neunziger Jahren auch im Jahr 2003 um mehr als drei Prozentpunkte über dem Deutschlands”, schreiben die IW-Forscher. Kaufkraftbereinigt erhielt jeder Bundesbürger mit durchschnittlich 7300 Euro im Jahr etwa anderthalbmal soviel an Sozialleistungen wie ein Ire.
    Heute, gerade mal 5 Jahre später, liegt Irland ökonomisch am Boden. Ich habe neulich erst wie folgt aus einem Bericht der New York Times zitiert:
    Statt für ihre Anstrengungen Belohnung zu erhalten, werden die Iren bestraft. Der wirtschaftliche Einbruch verlief weitaus schärfer, als wenn die Regierung mehr Geld ausgegeben hätte, um die Menschen in Beschäftigung zu halten. Mangels Konjunkturstütze schrumpfte die irische Wirtschaft letztes Jahr um 7,1% und verharrt weiterhin in der Rezession.
    Die Arbeitslosigkeit in dem 4,5 Millionen Einwohner-Land stieg auf über 13%, und die Zahl der Langzeitarbeitslosen (= alle, die länger 1 Jahr und länger ohne Job sind) hat sich mehr als verdoppelt, auf aktuell 5,3%.
    Quelle: Weissgarnix
  16. Die Leere hinter dem Link
    Erst werden die Beiträge produziert, dann ins Netz gestellt, dann wieder gelöscht: alles von Gebührengeldern für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Ein Bericht aus einem absurden System.
    Es ist nicht so, dass Volker Denkel für die Arbeit, die er gerade macht, auch noch einen pompösen Titel haben wollte. Aber wenn, dann läge der Name auf der Hand. Er ist Depublizist. Denkel ist preisgekrönter Online-Journalist. Gemeinsam mit seiner Kollegin Katharina Wilhelm hat er anlässlich einer Botticelli-Ausstellung im Frankfurter Städel-Museum im vergangenen Jahr ein Special für den Hessischen Rundfunk entwickelt, das in interaktiver Form „das Rätsel Frau“ in den Bildern des italienischen Malers ergründete. Dafür wurde er mit dem Axel-Springer-Preis für Nachwuchsjournalisten ausgezeichnet und für den Grimme-Online-Award nominiert.
    Volker Denkel arbeitet immer noch in der Multimedia-Abteilung des Hessischen Rundfunks, aber im Moment publiziert er nicht. Er ist einer von drei Redakteuren und zwei Technikern, die jetzt mehrere Monate lang damit beschäftigt sind, Inhalte aus den Online-Angeboten des HR herauszunehmen.
    Im Zwölften Rundfunkstaatsvertrag, der letztes Jahr in Kraft trat, haben die Ministerpräsidenten dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk im Internet neue Grenzen gesetzt. Einige wenige Inhalte sind gar nicht mehr zulässig – diese Angebote wie die Kontaktbörse „Liebesalarm“ von Eins Live und die Urteilsdatenbank des ARD-Ratgebers Recht sind längst gelöscht. Aber auch die meisten anderen Inhalte dürfen nur noch eine begrenzte Zeit im Netz bleiben. Um die Vorgaben zu erfüllen, haben ARD und ZDF „Verweildauerkonzepte“ entwickelt, in denen festgelegt ist, welche Arten von Inhalten welche Lebensdauer bekommen. Deren Genehmigung und Umsetzung muss bis Ende August abgeschlossen sein. Deshalb sind in den Online-Redaktionen der Anstalten in diesen Wochen viele Leute wie Volker Denkel damit beschäftigt, etwas zu tun, das das Gegenteil dessen ist, was sie eigentlich als ihre Arbeit verstehen. „Ich werde von Rundfunkgebühren dafür bezahlt, mit Rundfunkgebühren erstellte Inhalte zu löschen“, fasst ein verantwortlicher Redakteur den Irrwitz zusammen.
    Quelle: FAZ

    Anmerkung Jürgen Karl: So eine kleine Ironie hat der Beitrag schon. Waren es nicht gerade die großen Zeitungsverlage, die wesentlich darauf gedrängt haben, das die öffentlich-rechtlichen Sender ihre Beiträge im Netz nach einer begrenzten Zeit wieder löschen müssen?