Biedermänner und ein Brandstifter

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Wenn ich die öffentliche „Debatte“ um den Brandstifter Sarrazin betrachte, drängt sich mir das gleichnamige Drama des Schweizer Schriftstellers Max Frisch auf. Obwohl immer erkennbarer wird, dass Sarrazin ganz offen mit den gerade in Deutschland brandgefährlichen Syndromen, nämlich der Rassenhygiene und einer negativen Eugenik zündelt, reagieren die Biedermänner mit Gutgläubigkeit, Feigheit oder überwiegend gar mit aktiver Unterstützung. Manche helfen Sarrazin – wie in Max Frischs Parabel – sogar noch dessen Zündschnur zu vermessen. Wolfgang Lieb

Den einen gilt Sarrazin als „Klartext-Politiker“ (Bild) und sie unterstützen dessen biologistisch begründete Abwertung von Türken und Arabern ganz offen. Geradezu als Beleg für die Richtigkeit solcher rassistischen Thesen wird verkündet, das fast 90 Prozent der Bild-Leser der Meinung sind: „Ja, Sarrazin legt die Finger in unsere Wunde! Er hat Recht!“.

„Alle Juden teilen ein bestimmtes Gen, Basken haben bestimmte Gene, die sie von anderen unterscheiden”, sagte Sarrazin der „Welt am Sonntag” und entlarvt damit die kulturelle Verbrämung seiner Diffamierung von Nichtdeutschen als plumpen Rassismus. Dass Gene „kein Schicksal“ sind oder dass Anhänger des islamischen Glaubens noch nicht einmal einer „Rasse“ zugeordnet werden können, sei hier nur am Rande erwähnt.

Der ansonsten überall nur Antisemitismus witternde und sein „islamophober“ Bruder im Geiste, Henryk M. Broder, nennt die Kritik an Sarrazin in der Bild am Sonntag den ersten „Fall einer Hexenjagd in Deutschland seit Mitte des 17. Jahrhunderts“ und denunziert sie als „Hysterie“.

Das Lob der Rechtsextremisten ist Sarrazin ohnehin sicher. (Auf die zahlreichen Links verzichte ich.) Sie bedauern nur, dass wenn NPD, DVU oder die „Junge Freiheit“ das Gleiche wie Sarrazin sagen, nicht soviel Echo kommt. Im braunen Milieu wird daraus gleich eine Kampagne zur Abschaffung des Strafrechtsparagrafen gegen „Volksverhetzung“ und die Rechtsausleger der CDU sehen eine Chance die Denkblockaden aufgrund der Nazi-Vergangenheit aufzubrechen.

In den „gepflegteren Milieus“ reagiert man „teetassenhaft“: „Wenn er sich ein bisschen tischfeiner ausgedrückt hätte, hätte ich ihm in weiten Teilen zustimmen können“, zitiert der das Buch herausgebende Verlag Helmut Schmidt. „Da wird wieder einmal in typischer Art und Weise auf den Überbringer der schlechten Nachricht eingeprügelt“, sagte der Chef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Hans-Olaf Henkel der rechtslastigen „Jungen Freiheit“. Zu Guttenberg wird in der BamS zitiert, Sarrazin habe die Grenze der Provokation überschritten und seine Äußerungen seien „unpassend“. Dass die Behauptungen zum großen Teil wissenschaftlich unhaltbar, bestenfalls Halbwahrheiten und demagogisch zugespitzt sind, sagt er nicht.

Wieder Andere, wie etwa der Prediger mit dem in „freudiger Erregung eingerasteten Kasperlegesicht“, Peter Hahne, wiegeln ab. Man brauche „Tabubrecher zum Wachrütteln“ (BamS). Ja sogar die Rolle des furchtlosen Aufklärers wird ihm von manchen zuerkannt. Sarrazin hat es geschafft, selbst die Kanzlerin zu einer Erklärung zu zwingen: Seine Thesen könnten „für viele Menschen in diesem Land verletzend“ sein.

Aber in der Sache wird nur ganz selten widersprochen und dass er Zahlen (wie etwa die Ablehnung des Staates durch Türken und Araber) aus der Luft greift oder nur solche Statistiken nutzt, die in sein Feindbild passen, wird kaum irgendwo erwähnt – klare Gegenpositionierungen muss man mit der Lupe suchen.

In den meisten der zahllosen Interviews betätigen sich die Interviewer als Stichwortgeber, damit Sarrazin in endlosen Wiederholungen seine kruden Thesen vom Aussterben der Deutschen, von „Fäulnisprozessen“, von der genetisch bestimmten „kulturellen“ Grunddisposition der islamischen Einwanderer zu Gewalt, Terrorismus, Bildungs- und Sprachresistenz und von der „weitgehend funktions- und arbeitslosen Unterklasse“ verbreiten kann. Die meisten Interviewer sind unfähig zur Gegenwehr in der Sache.

Niemand fragt ihn danach, was ihn von den Untergangspredigern des deutschen Volkes und den Rassenfanatikern während Deutschlands schrecklichster Epoche unterscheidet. Der neunmalkluge Frank Schirrmacher verschiebt in der FAZ deshalb lieber auf die „Intelligenzdebatten, die vor fast genau hundert Jahren in den Vereinigten Staaten stattfand“ und tut damit den Vorwurf des Rassismus ab.

Man kann und muss die Probleme bei der Integration der überwiegend ins Land geholten Ausländer benennen [PDF -148 KB]. Die meisten Muslime, die angeworben wurden, sind nicht arm, weil sie dumm sind, sondern weil sie ihre Arbeitsplätze verloren haben und weil ihre Kinder als Arme schlechte Bildungschancen haben. Man müsste also zumindest auch danach fragen, was die 94 Prozent der Deutschen gegenüber den 6 Prozent der Migranten mit türkischer Abstammung getan haben, um die von Sarrazin selektiv zitierten Statistiken und Teilwirklichkeiten zu ändern. Nicht seine Kritiker verweigern eine Diskussion über die Realitäten, sondern er selbst und seine offenen oder latenten Unterstützer verweigern eine Analyse einer lange geleugneten Einwanderung und einer fehlenden Integrationspolitik.

So ermöglicht man es Sarrazin – wie in Max Frischs Parabel – in „die beste und sicherste Tarnung“ zu schlüpfen, nämlich als den Verkünder der „blanken und nackten Wahrheit“. Und die Biedermänner scheinen wie in Frischs Nachspiel auch nach der historischen Katastrophe nichts dazu gelernt zu haben.

Wie unterschiedlich ist doch die „Diskussionskultur“, wenn es in Deutschland gegen solche geht, die die sozialen Missstände, die Ursachen von Armut oder die Bildungsmisere anprangern.
Man vergleiche zum Beispiel nur einmal die Tonlage, die Abwertung oder die Polemik in der öffentlichen Auseinandersetzung mit der Linkspartei oder speziell mit Oskar Lafontaine. Da werden alle Register gezogen, um jemand nieder zu schreiben. Im Gegensatz dazu wirft Sarrazin keiner – wie das bei Lafontaine die Regel ist – „Besserwisserei“, „Scharfmacherei“, „rücksichtslosen Sozialdemagogie“, „ideologische Verblendung“, „rechthaberischen Populismus“, „Ahnungslosigkeit“ oder (in seiner Rolle als Finanzsenator) Mitverantwortung für Zustände vor, für die er jetzt pauschal einer Minderheit die Schuld zuschiebt. Niemand fragt ihn danach, warum er sich in Berlin „aus der Verantwortung geschlichen“ und bei der Bundesbank seine Schäfchen ins Trockene gebracht hat.

Während bei der Linkspartei, selbst wenn ihre (westlichen) Repräsentanten sich seit der Gründung der Bundesrepublik sich als gestandene Demokraten erwiesen haben, ständig der Verdacht der Nähe zur SED-Diktatur geäußert wird, werden bei Sarrazin die Argumentationsmuster, die eine enge Geistesverwandtschaft zur Nazi-Ideologie geradezu aufdrängen, geleugnet oder verharmlost.

Als Oskar Lafontaine einmal das Wort „Fremdarbeiter“ im Zusammenhang von Lohndumping durch ausländische Arbeitnehmer benutzte, da wurde versucht, ihn in die rechtsradikale Ecke zu stellen. Wenn Sarrazin halbe Wahrheiten und damit ganze Lügen über die Überfremdung Deutschlands durch integrationsunwillige Einwanderer aus islamisch geprägten Ländern verkündet und das Ende der deutschen Kultur an die Wand malt, dann gilt das als „Klartext“ oder schlimmstenfalls als „Provokation“ oder „Tabubruch“. Der Feind steht eben im heutigen Deutschland eben immer links.

Dass in Deutschland selbst das lesende Bürgertum Sarrazin begeistert hinterher rennt und schon vor der offiziellen Vorstellung die dritte Auflage seiner Kampfschrift in Druck ist und 70.000 Exemplare an die Buchhandlungen ausgeliefert sind, müsste ein Alarmsignal sein. Aber Deutschlands Biedermänner spielen wieder einmal die Arglosen, die dem Brandstifter die Zündhölzer reichen.

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