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Heute unter anderem zu folgenden Themen: Atom-Deal; EUKommission will Finanztransaktionssteuer blockieren; schwankende Stimmung; wir sparpakten und kaputt; Chancen der Arbeitszeitverkürzung; Privatversicherer im Glück; Pharma-Lobby setzt sich durch; plötzlich steigt die Miete; Lobbykratie; Schulkampf in Niedersachsen; 1,5 Millionen junge Menschen ohne Berufsausbildung; Generation Exzellenz; Nachbetrachtungen zu Sarrazin; Neuköllner SPD lädt Gunnar Heinsohn ein; neue Fakten zum CDU-Spendenskandal; zerstörter Irak; Fini schwört Berlusconi die Treue. (KR/WL)

  1. Atom-Deal
  2. EUKommission will Finanztransaktionssteuer blockieren
  3. Robert von Heusinger: Unverhofft
  4. DGB: “Wir sparpaketen uns kaputt”
  5. Steffen Lehndorff: Chancen der Arbeitszeitverkürzung
  6. Johanno Strasser: Acht Thesen zur “Neuen Kultur der Arbeit”
  7. Koalition beglückt Privatversicherer
  8. Gesundheitsreform: Rösler will Pharma-Lobby schonen
  9. Plötzlich steigt die Miete
  10. Lobbykratie – Die inoffizielle Macht
  11. Schulkampf in Niedersachsen – Das Aufbegehren der Eltern
  12. 1,5 Millionen junge Menschen ohne Berufsausbildung
  13. Generation Exzellenz
  14. Nachbetrachtungen zu Sarrazin
  15. Neuköllner SPD lädt Gunnar Heinsohn ein
  16. Neue Fakten zum CDU-Spendenskandal Ende der 90er Jahre
  17. Zerstörtes Land
  18. Italien: Treueschwüre bei der Scheidung
  19. Ein Entscheid von historischer Tragweite

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Atom-Deal

    1. Röttgens Niederlage
      Dass die Regierung den Stromkonzernen ihr versprochenes Milliardengeschenk tatsächlich überreicht, war zwar zu erwarten. Doch dass die Konzerne sich dabei auf ganzer Linie durchsetzen, ist nach dem langen regierungsinternen Streit schon überraschend. Und die Dreistigkeit, mit der die Regierung den Kniefall vor der Atomlobby als “Revolution” und “anspruchsvollstes Konzept der Welt” verkauft, ist schwer erträglich. (…)
      Vor allem für Norbert Röttgen ist die Entscheidung eine bittere Niederlage. Der Umweltminister, der als klarer Befürworter von Atomkraft ins Amt kam, hat inzwischen verstanden, dass längere Laufzeiten weder dem Klima noch der Volkswirtschaft nutzen, sondern vielmehr den Umstieg auf erneuerbare Energien und zu mehr Effizienz blockieren. Doch er musste erfahren, dass gute Argumente gegen 100 Milliarden Zusatzgewinn wenig ausrichten können.
      Nun steht er mit leeren Händen da: Statt dem von ihm propagierten Höchstwert von acht Jahren Laufzeitverlängerung sind zwölf herausgekommen – die wegen der Art der Berechnung in der Realitiät eher 15 bis 20 bedeuten werden. Nicht mal ein Bauernopfer war ihm vergönnt: Weil konkrete Sicherheitsauflagen fehlen, wird wohl auch von den ältesten Kraftwerke zunächst kein einziges vom Netz gehen – obwohl zwei davon wegen Pannen seit zwei Jahren still stehen und acht nicht gegen Flugzeuge geschützt sind.
      Quelle: TAZ

      Anmerkung unseres Lesers G.K.:
      Das “Revolutions”-Gefasel von Frau Merkel soll darüber hinwegtäuschen, daß mit der Atomindustrie die schwarz-gelbe Klientel ein weiteres Mal schamlos beglückt werden soll. Die Merkel´sche “Revolution” bedeutet

      • die zeitliche Verlängerung der mit der Atomenergie verbundenen Risiken,
      • die Produktion zigtausender zusätzlicher Tonnen Atommüll,
      • die zeitliche Verschleppung des Umstiegs auf erneuerbare Energiequellen,
      • und daraus drohende Wettbewerbseinbussen auf dem Sektor der erneuerbaren Energien.
    2. 127 Milliarden Euro mehr für Stromkonzerne
      Die vier großen Energiekonzerne RWE, Eon, EnBW und Vattenfall können nach einer unabhängigen Berechnung durch den schwarz-gelben Atomkompromiss auf Mehreinnahmen von mehr als 120 Milliarden Euro hoffen. Das Freiburger Öko-Institut ging dabei am Montag für die nächsten Jahre von leicht steigenden Strompreisen aus. Nur 25 Prozent des zusätzlichen Geldes würden durch die Brennelementesteuer bis 2016 und Sonderabgaben für den Ausbau der Öko-Energien vom Staat abgeschöpft.
      Dem Öko-Institut zufolge bekommt Deutschlands größter Energieversorger Eon mit etwa 53,5 Milliarden Euro auch den größten Teil des Geldes. Dahinter folgen RWE mit rund 32,8 Milliarden, die Energie Baden-Württemberg (EnBW) mit knapp 26,5 Milliarden und Vattenfall mit etwa 9 Milliarden. 4,7 Milliarden entfallen auf andere Versorger. Nicht eingerechnet in die Analyse ist das Geld, das die Konzerne in die Sicherheit der Meiler stecken müssen.
      Insgesamt nur rund 31,7 Milliarden Euro aus den zusätzlichen Gewinnen sollen laut Öko-Institut in Staatskasse und die Förderung erneuerbarer Energien fließen.
      Quelle: Swissinfo
    3. Börse freut sich mit Atomkonzernen
      Kaum ist die Entscheidung über längere Laufzeiten für Atomkraftwerke gefallen, sind die Aktien der Energiekonzerne enorm beliebt. Denn an der Börse hatte man mit derartigem Entgegenkommen der Politik gar nicht gerechnet.Die Entscheidung der Bundesregierung falle „klar positiv“ für die beiden Energieriesen RWE und E.ON aus, erklärten Analysten der DZ-Bank. Im Durchschnitt dürften die Meiler zwölf Jahre länger laufen – deutlich mehr als die von den Experten zuvor angenommenen zehn Jahre. Die Beiträge der Versorger zur Förderung von erneuerbaren Energien fielen zudem deutlich geringer aus als von den Analysten prognostiziert und seien „weitgehend zu vernachlässigen“. Offenbar gebe es auch keine verbindlichen Anforderungen für höhere Sicherheitsstandards der Atomkraftwerke. Zudem sei auch nicht zu erwarten, dass auch der Bundesrat den Plänen der schwarz-gelben Bundesregierung zustimmen müsse.
      Quelle: FR
    4. Atomkraft und Merkels Laufzeit
      Eine „Revolution der Energieversorgung“ nennt die Bundeskanzlerin den Atombeschluss. Die längeren Laufzeiten für eine in die Jahre gekommene Großtechnologie – selbst die jüngsten Meiler sind schon mehr als zwei Jahrzehnte am Netz – kann sie kaum gemeint haben. Revolutionär ist eher die Art, wie der nächtliche Beschluss zustande kam. Gegen Ende der Verhandlungen ließ Angela Merkel die Details telefonisch von den Chefs der vier großen Energiekonzerne abnicken. Wenn das die Revolution war – wer regiert dann eigentlich? Die technologische Brücke, von der die Kanzlerin gerne spricht, ist eine, bei der das andere Ufer noch lange im Nebel liegt. Die Grundwidersprüche der Atomkraft bleiben bestehen: Sie soll länger genutzt werden, obwohl Störfälle so immer wahrscheinlicher werden und es kein Endlager für radioaktiven Abfall gibt.
      Fifty-fifty wolle man die zusätzlichen Profite mit den Unternehmen teilen, hatte Wirtschaftsminister Rainer Brüderle gesagt, aber der Staat hat mit den 30 Milliarden Euro, die er angeblich einnimmt, den Kürzeren gezogen. Weil die Konzerne ihre Zahlungen auch noch von der Steuer absetzen können, schrumpft der staatliche Anteil weiter. Und wenn man dann noch Steuergelder gegenrechnet, die über Jahrzehnte in die Atomwirtschaft geflossen sind, dann hat der Staat ein verdammt schlechtes Geschäft gemacht. 165 Milliarden Euro waren es laut einer für Greenpeace erstellten Studie. – Merkel zementiert dabei nicht nur die Macht der Stromkonzerne, sondern auch die politischen Lager. Zur Erbmasse der Grünen gehört der Ausstieg. Damit ist Schwarz-Grün im Bund vorerst ausgeschlossen. Die FDP kann sich als Sieger fühlen. Doch weil die Koalition eine so umstrittene Technologie ohne Not stärkt und Großkonzernen Milliarden zuschachert, könnte das am Ende ihre eigene Laufzeit beschränken.
      Quelle: Tagesspiegel
    5. Im Interesse des Stromkartells
      Drei Studien, drei Meinungen. Im Mai legte der Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung in einem Gutachten dar, wie Deutschland bis zum Jahr 2050 komplett mit Strom aus erneuerbaren Energiequellen versorgt werden könnte. Letzte Woche präsentierte das Wirtschaftsministerium in Schleswig-Holstein eine Studie, nach der die Offshore-Windkraftanlagen vor der deutschen Küste bereits im Jahr 2030 eine Leistung von 30 bis 45 Gigawatt aufbringen dürften. Doch die Studie der Bundesregierung zur Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke rechnet für das Jahr 2050 nur mit maximal 15 Gigawatt aus Offshore-Windkraft – und etwa der Hälfte des Stroms aus erneuerbaren Quellen. Wie kommt es zu so unterschiedlichen Ergebnissen? Die vielen Fehler in der Laufzeitenstudie der Bundesregierung legen den Verdacht nahe, dass sie nur dazu dient, die im Koalitionsvertrag beschlossene Verlängerung der AKW-Laufzeiten zu rechtfertigen.
      Quelle: taz

      Siehe dazu auch:
      Stuttmann
      Quelle: Stuttmann-Karikaturen

  2. EUKommission will Finanztransaktionssteuer blockieren
    Gegenargumente von WEED (World Economy, Ecology & Development) zu einem internen Papier der EU Kommission, welche der FTS kritisch gegenüber steht.
    Quelle: Kampagne “Steuer gegen Armut” [PDF – 85 KB]
  3. Robert von Heusinger: Unverhofft
    Unverhofft kommt oft, weiß der Volksmund, wissen die Börsianer. Die abgelaufene Woche war mal wieder beispielhaft: Während sich die Tristesse breitgemacht hatte, der Double Dip, also das erneute Abtauchen zumindest der US-Wirtschaft in die Rezession, als ausgemachte Sache galt, da kippten neue Konjunkturdaten das pessimistische Weltbild: Zur Wochenmitte überraschte der US-Einkäuferindex für die Industrie. Wie kann die Volkswirtschaft in der Rezession versinken, wenn die Unternehmen optimistischer werden?, fragten nicht wenige Analysten. Aber es kam noch besser: Die US-Arbeitsmarktdaten hielten zum Wochenschluss viele positive Nachrichten bereit: Nicht nur, dass die Prognosen für den Beschäftigungsabbau mit minus 100.000 Jobs doppelt so pessimistisch waren wie die veröffentlichten Daten, auch die beiden Vormonate wurden nach oben revidiert. So schuf der private Sektor mehr als 200.000 Jobs in den vergangenen Monaten. Das ist zwar nicht die Welt. Aber dass die US-Wirtschaft schnurstracks in die Rezession steuert, ist nun deutlich unwahrscheinlicher als noch vor sieben Tagen.
    Quelle: FR

    Anmerkung Orlando Pascheit: Geschätzter Robert von Heusinger, dass sich an der Börse innerhalb von sieben Tagen die Welt verändert ist die Grundlage aller Börsengeschäfte, aber können wir tatsächlich davon ausgehen, dass nicht eingetretene Prognosen, hier zum Arbeitsmarkt, als Kennzeichen für eine Stabilisierung der US-Wirtschaft angesehen werden können. Was ist passiert? Im privaten Sektor wurden im August nicht erwartete 67.000 Stellen geschaffen und auch im Vormonat konnte der Zuwachs auf 107.000 Stellen erhöht werden. So what? Die amerikanische Volkswirtschaft hat dennoch zum dritten Mal in Folge in der Summe Jobs verloren. Soll man jetzt daraus, dass die US-Wirtschaft im August “nur” 54.000 Jobs verloren hat, schließen, dass eine Kehrtwende erreicht wurde bzw. die strukturellen Probleme der US-Wirtschaft beseitigt sind? Solange die Unterbeschäftigung der USA fast 17 Prozent erreicht (U-6 Konzept), kann von Wende nicht gesprochen werden.

  4. DGB: “Wir sparpaketen uns kaputt”
    Quelle: DGB [PDF – 295 KB]
  5. Steffen Lehndorff: Chancen der Arbeitszeitverkürzung
    Dass Arbeitszeitverkürzung ein machtvolles Instrument der Beschäftigungssicherung sein kann, ist selten zuvor so eindrucksvoll demonstriert worden wie im vergangenen Jahr. 2009 ist die pro Kopf geleistete tatsächliche Arbeitszeit der abhängig Beschäftigten gegenüber 2008 im Durchschnitt um knapp eine Wochenstunde zurückgegangen. (1) Auch die auf einer anderen Datenbasis beruhende Arbeitszeit-Berechnung des IAB ergibt für 2009 eine Arbeitszeitverkürzung um etwa 3%.(2) Dies entspricht rechnerisch – unter Zugrundelegung der Vollzeit- und Teilzeitstruktur des Jahres 2008 – einem Volumen von rund 1,2 Millionen Beschäftigungsverhältnissen.
    Bis zur Krise war der Gedanke, dass radikale Arbeitszeitverkürzungen helfen können, Arbeitsplätze zu sichern oder gar zu schaffen, politisch ein toter Hund…
    Ausgangspunkt aller Überlegungen zur zukünftigen gewerkschaftlichen Arbeitszeitpolitik sollte die Differenziertheit der Arbeitszeitwelten in den Betrieben und der Arbeitszeitinteressen der Beschäftigten sein. Gerade diese Differenziertheit ermöglicht es den neuen Hauptakteuren gewerkschaftlicher Arbeitszeitpolitik, den Betriebsräten, mit dem Rückenwind ihrer Organisation Gesellschaftspolitik im Betrieb zu machen. Eine solche Anlage von Arbeitszeitpolitik bietet zugleich die besten Chancen, breite öffentliche Sympathien für gewerkschaftliche Initiativen zu gewinnen.
    Mein Motto wäre deshalb: Erst fördern, dann fordern. Der Erfahrungsaustausch über Arbeitszeit- gleich Gesellschaftspolitik im Betrieb muss ins Zentrum der Organisation gerückt werden, wenn die Differenziertheit der betrieblichen Arbeitszeitrealitäten und die Vielfalt der Arbeitszeitinteressen der Beschäftigten ernst genommen werden sollen. Wenn das Unterschiedliche zum Gegenstand praktischer Politik im Betrieb gemacht wird, kann das Gemeinsame entdeckt werden.
    Quelle: Gegenblende
  6. Johanno Strasser: Acht Thesen zur “Neuen Kultur der Arbeit”
    Wir stehen in der Mitte Europas an der Schwelle zu einer neuen Arbeitsgesellschaft, in der die Erwerbsarbeit gerechter verteilt und humaner gestaltet werden kann, in der sie aber insgesamt einen geringeren Teil der Lebenszeit einnimmt. Die Moderne, die bisher in imponierender Weise das menschliche Können gesteigert und damit den Raum der Handlungs- und Genussmöglichkeiten erweitert hat, ist jetzt an dem Punkt angelangt, wo die Frage in den Vordergrund tritt, was die Menschen mit ihren erweiterten Möglichkeiten anfangen sollen. Selektiver Konsum nach Maßgabe eines frei gewählten Selbstbildes und zivilgesellschaftliche Eigentätigkeit können bei weiterer Reduzierung der Erwerbsarbeitszeiten einen größeren Raum einnehmen, die Lasten der Familienarbeit können gerechter verteilt und der Eigenarbeit neue Chancen eröffnet werden.
    Gleichzeitig treten durch die Krise der herkömmlichen Wachstumsstrategie Verteilungsfragen wieder in den Vordergrund. Eine Gesellschaft der reifen Moderne wird nur dann eine humane und demokratische Gesellschaft sein können, wenn sie die Arbeit und die Genussmöglichkeiten gerechter verteilt, wenn sie beide Ziele, die Befreiung von der Arbeit und die Befreiung der Arbeit verfolgt und die Räume der Selbsttätigkeit für alle erweitert.
    Quelle: Gegenblende
  7. Koalition beglückt Privatversicherer
    Union und FDP wollen die jahrzehntealte Trennung zwischen privater und gesetzlicher Krankenversicherung aufbrechen. Künftig sollen private Krankenversicherer für neue Arzneimittel die gleichen Preise zahlen wie gesetzliche Krankenkassen.
    Quelle: FTD

    Die FTD bringt auch einen angemessenen Kommentar:

    Krankenkassenreform, aber richtig
    Wenn die Koalition die Trennung zwischen privaten und gesetzlichen Kassen aufweichen will, sollte sie nicht am bestehenden System rummurksen, sondern Mut zum Systemwechsel haben.
    Was die Koalition als verstärkte Zusammenarbeit zwischen gesetzlichen und privaten Krankenkassen preist, ist in Wahrheit ein dramatischer Einschnitt. Er macht das deutsche Gesundheitssystem noch ungerechter, als es ohnehin schon ist. Und er ist zugleich das Eingeständnis, dass das bestehende Zweiklassenmodell gescheitert ist.
    Quelle: FTD

  8. Gesundheitsreform: Rösler will Pharma-Lobby schonen
    Die ursprünglichen Äußerungen des Bundesgesundheitsministers Philip Rösler zur Reformierung des Gesundheitssystems, ließen harte Einschnitte auch für die Pharmahersteller erwarten. Doch nun werden zumindest die Pharma-Importeure bei den Sparplänen geschont…
    Da die Importeure von günstigen Arzneimittel nicht negativ durch die Reform des Gesundheitssystems betroffen sein sollen, werden die höheren Zwangsrabatte der Krankenkassen bei ihnen nach Vorschlag des Gesundheitsministers keine Anwendung finden. Es gelten weiter nur sechs Prozent Zwangsrabatt statt 16 Prozent wie bei den deutschen Pharmaherstellern.
    Die Arzneimittel-Importeure nutzen Preisunterschiede auf dem europäischen Markt und kaufen zum Beispiel im Ausland günstige Arzneimittel ein, die sie anschließend in Deutschland weiter vertreiben können. Je höher die Preisdifferenz desto größer der Gewinn.
    Quelle: Heilpraxisnet
  9. Plötzlich steigt die Miete
    Fast 20 Jahre lang war Ruhe: Die Nebenkosten stiegen zwar, aber so manche Wohnung wurde sogar billiger und war für neue Mieter günstiger als für ihre Vorgänger. Jetzt schlagen die Vermieter zu, bis zu 15 Prozent mehr verlangen sie. Vor allem in der Zeit seit Jahresbeginn sind die Kosten fürs Wohnen in die Höhe geschossen.Wer günstig wohnen will, muss also weiter aus den Städten hinausziehen – aber das liegt nicht jedem. In der Innenstadt gilt laut Empirica: Große, schön renovierte und gut ausgestattete Wohnungen sind schon in den vergangenen Jahren teurer geworden – jetzt ziehen die Preise für die kleineren, schlechter ausgestatteten Wohnungen nach – in unterschiedlichen Städten mit unterschiedlichem Tempo…
    Überraschend ist der merkliche Mietanstieg in vielen deutschen Großstädten nicht. Forscher, Bausparkassen und Mieterverbände warnen seit langem vor Engpässen bei bezahlbarem Wohnraum vor allem in Ballungsräumen. Das Gros der Experten hält allerdings 270 000 bis 350 000 pro Jahr für erforderlich, um eine neue Wohnungsnot zu vereiteln. Und die droht vor allem in großen Städten, zumal es dort weit mehr Single-Haushalte gibt als auf dem Land. Die Leidtragenden der steigenden Mieten sind nicht nur Studenten, sondern vor allem Familien mit überschaubarem monatlichen Budget.
    Quelle: FR-online
  10. Lobbykratie – Die inoffizielle Macht
    Quelle 1: 3sat auf YouTube (4 Teile)
    Quelle 2: 3sat
  11. Schulkampf in Niedersachsen – Das Aufbegehren der Eltern
    Das niedersächsische Schulgesetz verhindert Gesamtschulen und kappt die Lernzeit um ein Jahr. Nun wollen Eltern das Gesetz per Volksentscheid kippen.
    Als das Abitur an Gymnasien um ein Jahr verkürzt wurde, hatten Eltern und Schüler geschimpft und sich gefügt. Dass nun auch die Gesamtschulen die Abiturrallye um Wissen und Punkte mitmachen müssen, brachte die Unzufriedenen zusammen. Eltern und Pädagogen gründeten im vergangenen Jahr ein Netzwerk für “Gute Schulen”. Als das nichts bewirkte, starteten sie im November ein Volksbegehren. Sie fordern darin, das Abitur an allen Schularten wieder nach Klasse 13 zu vergeben und mehr Gesamtschulen zuzulassen. Die Göttinger Gruppe besteht im Wesentlichen aus den Eltern der Lichtenbergschule.
    Fast 150.000 Unterschriften für das Volksbegehren sind vom Landeswahlleiter bisher als gültig anerkannt worden.
    Quelle: taz

    Anmerkung G.L.: Die Gesamtschule ist tot? Die Gesamtschule lebt! Durch die Weiterentwicklung der internen Schulstruktur und neuen, individualisierten Unterrichtsformen hat die Gesamtschule an vielen Orten von einem Auslaufmodell zu einem Zukunftsmodell mutiert (um einen Begriff aus der Genforschung zu verwenden, die neuerdings auch bei ewig gestrigen Politikern Anklang findet).

  12. 1,5 Millionen junge Menschen ohne Berufsausbildung
    In Westdeutschland sind rund 1,5 Millionen jungen Menschen ohne abgeschlossene Berufsausbildung. Etwa jeder Fünfte im Alter zwischen 25 und 34 Jahren fällt in diese Gruppe. Der Großteil davon entfällt auf Hauptschulabsolventen oder Leute ohne Abschluss. Aber auch rund 280 000 Realschüler haben anschließend keine Berufsausbildung absolviert. Dies ergab eine Studie der Bertelsmann-Stiftung und des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, die dieser Zeitung vorliegt.
    Wer keine Berufsausbildung oder kein Abitur hat, auch das macht die Studie deutlich, trägt wiederum ein deutlich höheres Risiko, arbeitslos zu werden. Von den Realschulabgängern ohne Lehre waren 2007 knapp 23 Prozent ohne Arbeit, unter den Hauptschulabgängern ohne Ausbildung waren es sogar 25 Prozent. Von den Hauptschülern, die anschließend eine Lehrstelle fanden, mussten dagegen nur noch 9 Prozent den Gang zur Arbeitsagentur antreten…
    Die Bundesagentur für Arbeit zählte allein im vergangenen Jahr rund 105.000 Teilnehmer in berufsvorbereitenden Maßnahmen, etwa um den Hauptschulabschluss nachzuholen, und knapp 32.000 Einstiegsqualifizierungen. Dafür gab die Behörde insgesamt fast 600 Millionen Euro aus. Aber auch die Unternehmen qualifizieren Bewerber immer häufiger auf eigene Kosten nach, weil es ihnen andere Bewerber fehlen. Der Grund dafür liegt vor allem am demographischen Umbruch. Im Osten Deutschlands ist der Geburtenrückgang schon deutlich am Ausbildungsmarkt zu spüren.
    Zwar gab es nach Angaben der Arbeitsagentur auch im jüngst zu Ende gegangen Ausbildungsjahr wieder mehr Bewerber als Lehrstellenangebote. Im August betrug die rechnerische Lücke rund 27.000. Sie war jedoch deutlich kleiner als im Vorjahr (42.000). In den kommenden Jahren wird sich dieser Trend fortsetzen, Lehrstellen werden häufiger unbesetzt bleiben. Das Handwerk rechnet in diesem Jahr schon damit, dass rund 10.000 Kandidaten fehlen.
    Quelle: FAZ
  13. Generation Exzellenz
    Obwohl Hochschulen exzellente Leistungen von den Beschäftigten fordern, sind die Wege in die Wissenschaft steinig – Reformen darum nötig, meint Andreas Keller von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft.
    Kernpunkte des „Templiner Manifests“ sind eine bessere Absicherung und Strukturierung der Promotion und berechenbare Perspektiven für Postdocs. Zentral ist die Forderung nach einem „Tenure Track“, der promovierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern den dauerhaften Verbleib in der Wissenschaft ermöglicht – unabhängig davon, ob eine Berufung auf eine Professur erfolgt oder nicht. Daueraufgaben in Hochschule und Forschung sollten auf Dauerstellen erledigt werden. Nur so lassen sich Kontinuität und Qualität der Arbeit in Forschung, Lehre und Wissenschaftsmanagement sichern. Und nur dann eröffnen sich berufliche Perspektiven neben der Professur.
    Weiter fordert das „Templiner Manifest“ ein Recht auf Work-Life-Balance und die Durchsetzung eines ausgeglichenen Geschlechterverhältnisses auf allen Karrierestufen. Die Unterzeichner treten für Mitbestimmung auf Augenhöhe sowie für einen besseren tarifvertraglichen Schutz von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ein.
    Quelle 1: FR
    Quelle 2: Templiner Manifest
  14. Nachbetrachtungen zu Sarrazin
    1. Die Aufregungsspirale
      Hat Bundesbankvorstand Thilo Sarrazin in der vergangenen Woche zu viel mediale Aufmerksamkeit erhalten? Der sprichwörtliche “Blick aufs Wesentliche” wird in so mancher blitzartig geborenen Debatte schnell verstellt…
      Es ist ja auch zu schön. Hier kann jeder mitreden. Gesundheitsreform, Verseuchung des Golfs von Mexiko, Pakistans Elend und das Erstarken des Islamismus dort – das ist doch alles so kompliziert oder so wenig beeinflussbar oder doch so weit weg. Ein paar einfache, provokante Thesen jedoch bringen Auflage und Quote. Man muss sich noch nicht einmal mit ihnen auseinandersetzen. Wer provoziert, bekommt in unserer Mediengesellschaft zwar die meiste Aufmerksamkeit, doch er erstickt auch jede vernünftige Auseinandersetzung. Die einen fühlen sich bestätigt, die anderen angewidert. Mehr will kaum einer wissen.
      Der “Spiegel”, der Sarrazin mit einem Vorabdruck adelte, hat sich in der nächsten Ausgabe sofort von ihm distanziert. Manche nennen das Heuchelei. Man kann es auch journalistisches Versagen nennen, denn es hätte keines neuen Buches bedurft, um kritische Fragen zur Integrationspolitik zu stellen. Spätestens, wenn Thilo Sarrazin kein wichtiges Amt mehr innehat, wird es im medialen Kasperletheater heißen: der Vorhang zu und alle Fragen offen.
      Quelle: DLF
    2. Standpunkt: Dancing the Sarrazin?
      Eine Stellungnahme des Philosophen Frieder Otto Wolf zu den grundlegenden Mängeln von Thilo Sarrazins Thesen und der Frage, weshalb sich niemand an derartigen Sündenbock-Debatten beteiligen sollte.
      Die Sarrazin-Debatte ist zweifellos mehrfach ärgerlich: Das gilt sowohl für die Heuchelei der Medien, die diesen Mann erst pushen und hypen, um ihn dann öffentlich zu prügeln, als auch für die intellektuelle Unredlichkeit, mit der sie überwiegend geführt wird. Bedauerlicherweise ist das kein Grund, diese Debatte von Seiten des organisierten Humanismus zu ignorieren. Im Gegenteil sollten wir uns als organisierte HumanistInnen in drei zentralen Punkten davon angesprochen fühlen – und selbstverständlich generell jeder Heuchelei und Unredlichkeit entgegen treten.
      Ich beschränke mich im Folgenden auf einige grundsätzliche Fragen, gehe also nicht im Einzelnen auf Sarrazins Thesen ein, sondern auf deren Machart.
      Quelle: Wissenrockt.de
    3. Und Katzen würden Whiskas kaufen
      Können 18 Prozent dennoch zu Recht als “Umfrage-Schock” bezeichnet werden? Immerhin klingt das so, als könnte eine Sarrazin-Partei als dritt- oder viertstärkste Kraft in den Bundestag einziehen.
      Der Trick bei dieser Art von Umfrage ist allerdings, dass diese 18 Prozent so gut wie nichts mit tatsächlich zu erwartenden Stimmen bei einer Wahl zu tun haben. Wichtig ist hier die Fragestellung und die lautet: “Könnten Sie sich vorstellen, eine neue Partei zu wählen, wenn Thilo Sarrazin Vorsitzender dieser Partei wäre?” Jeder Befragte verfügt dabei praktisch über beliebig viele Stimmen. Denn es geht nur darum, ob man sich vorstellen (!) kann, (irgendwann einmal) eine solche Partei zu wählen. Die meisten der 18 Prozent können sich wahrscheinlich auch vorstellen, noch ganz andere Parteien zu wählen.
      Quelle: Bildblog
    4. Definieren Sie Rassismus, Herr Dohnanyi
      Klaus von Dohnanyi – gehobener Herkunft wie Thilo Sarrazin, den er verteidigt – spricht von “Soziale Rassen”, die bestimmte gemeinsame Eigenschaften hätten. Dazu gehöre ein bestimmter Intelligenzquotient und eine bestimmte Fruchtbarkeitsquote. Man dürfe nicht “gedankenfeige” sein und solle sich nicht scheuen Worte wie “Rasse” zu benutzen und darüber nachzudenken. Natürlich nicht in einer “rassistischen” Weise. Definieren Sie Rassismus, Herr Dohnanyi.
      Quelle: Klassismus

      Anmerkung KR: Beim Deutschlandfunk können Sie nachlesen, was Dohnanyi über Sarrazin gesagt hat. Beispiel: „Na ja, also es ist ja so: Er bestätigt, was in der Forschung offenbar unbestritten ist und auch die Schweizer Biologin, auf die er sich bezieht, ja in einem Artikel in diesen Tagen wieder bestätigt hat, dass Intelligenz offenbar erbbar ist.“
      Bei so viel Faktenresistenz fällt mir nur noch eine Frage ein: Ist es Frechheit oder Dummheit?

  15. Neuköllner SPD lädt Gunnar Heinsohn ein
    Die Bezirksverordneten trafen sich am 27. und 28. August zu einer Klausurtagung im Brandenburgischen Zeuthen. 40 Funktionärinnen und Funktionäre diskutierten zwei Tage lang mit hochkarätigen Referenten über neue Wege in der Kinder- und Bildungsförderung. Im Zentrum stand die Debatte über einen Paradigmenwechsel weg vom Alimentierungsprinzip, hin zu einer starken institutionellen Förderung von Kindern und Familien.
    Am Freitag begrüßten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Prof. Dr. Gunnar Heinsohn (Universität Bremen), der über die “Veränderungen der Sozialstruktur durch Wanderungsbewegungen und demographische Entwicklung” referierte. Er präsentierte sozio- und demographische Fakten, die verdeutlichten, dass dringender Handlungsbedarf besteht, um dem demographischen Wandel und dem damit einhergehenden Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Als Lösungsmöglichkeit schlug Prof. Heinsohn unter anderem alternative Formen der finanziellen Familienunterstützung als Anreizinstrument und ein neues Zuwanderungsrecht vor, um dem Geburtenrückgang und Fachkräftemangel – und letztendlich auch den damit einhergehenden Folgen für die Sozialkassen – zu begegnen.
    Quelle: SPD Neukölln

    Anmerkung unseres Lesers C.W.: Die Debatte über Thilo Sarrazins abstruse Thesen über die vererbliche Intelligenz von Migranten ist nun seit mehr als einer Woche im Gange. Ausschließen will ihn nun auch sein eigener Kreisverband. Und was macht die räumlich benachbarte Neuköllner SPD? Sie lädt Professor Dr. Dr. Gunnar Heinsohn zu einer Klausurtagung in ein nobles Seehotel ein. Von ihm will man Erkenntnisse für ein Programmpapier zur Familienpolitik gewinnen. Damit Solidarität Zukunft hat…
    Der emeritierte Ordinarius für Sozialpädagogik ist Experte für Demographie, für Kriege, für Geldtheorien und für den Sozialstaat sowieso und, ach ja – auch fürs Mittelalter. Wie die SPD meint, ein hochkarätiger Referent. Er schreibt ja auch sehr viel, gerne in den Flaggschiffen der etablierten Presseorgane der Republik. Er muss sich also auskennen. So ist Prof. Heinsohn der Ansicht, in Neukölln würden zu viele „Transferbabys“ geboren – von „Niedrigleistern des Auslands“ nämlich.
    In Neukölln gibt es sehr viele davon. Daher sollte man ihnen das Elterngeld streichen, das Kindergeld sowieso. Ach ja, und die Sozialhilfe gibt es viel zu lange, die muss man auf fünf Jahre begrenzen, schreibt Heinsohn. Der Vorsitzende der Bremer SPD, Uwe Beckmeyer, nennt Heinsohns Äußerungen menschenverachtend und bescheinigt ihm elitäres Rassedenken [PDF – 53 KB].
    Die Neuköllner Sozialdemokratie hingegen lädt ihn ein, will durch seinen Vortrag Erkenntnisse gewinnen. Gestern verkündigte ihr mediales Aushängeschild, Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky, dass er die Kindergartenpflicht ab dem ersten Lebensjahr einführen will. Welcher Bevölkerungsgruppe Herr Buschkowsky hier kollektiv unterstellt, sie könne nicht für ihre Kinder sorgen, liegt auf der Hand. Und welche originellen Vorschläge noch von ihm in Zukunft kommen mögen, wer weiß? Und von wem wird er sich dabei inspirieren lassen? Die Sozialdemokraten Neuköllns sind nicht nur „vom alten Schlag“. Es sind auch nützliche Idioten der ultrarechten Freunde der Herren Sarrazin und Heinsohn.

  16. Neue Fakten zum CDU-Spendenskandal Ende der 90er Jahre
    Die CDU hat nach neuen Recherchen vorsätzlich falsche Angaben in ihren Rechenschaftsberichten der Jahre 1998 und 1999 gemacht. Bislang unbekannte Dokumente aus der Schatzmeisterei der CDU und neue Aussagen der Großspender Karl und Ingrid Ehlerding zeigen demnach, dass die Partei vier falsche Spendenbescheinigungen für die größte Einzelspende in ihrer Geschichte ausgestellt und einen Darlehensvertrag fingiert hat, um gesetzeswidrige Geldtransfers zu verschleiern. Es geht um fünf Millionen Mark, die das Milliardärsehepaar Ehlerding 1998 an die CDU zahlte. In einem Buch, das am kommenden Montag erscheint, schreiben die beiden Journalisten Michael Mueller und Rudolf Lambrecht, dass die Partei treibende Kraft bei der Verschleierung der Spende gewesen sein soll.
    Quelle: Berliner Zeitung
  17. Zerstörtes Land
    Der Grundsatz ist an die zweihundert Jahre alt. Carl von Clausewitz hat ihn sinngemäß so ausgedrückt: Der Zweck des Krieges ist der Friede. Ziel ist nicht nur die gewaltsame Niederwerfung des Feindes, sondern gerade die Gestaltung der Beziehungen mit ihm danach. Heute nennt man das gelegentlich Plan B. Und vergisst das Prinzip. Die USA und die willige Koalition sind, unter wahrheitswidriger Vorspiegelung von Gründen und Umgehung des von den UN festgelegten internationalen Rechts, in den Irak eingefallen, ohne mehr als vage Vorstellungen für die nationalen (irakischen) und internationalen (nahöstlichen) Folgen zu entwickeln. Seit sie die Kampftruppen abgezogen haben, ist das deutlicher als vorher. Die Infrastruktur, vom Trinkwasser- und Stromnetz über das Gesundheitswesen bis zur Volksbildung, liegt in den Scherben, die Saddams Kriege, zwölf Jahre Sanktionen und zuletzt Bushs Krieg verursacht haben. Kurz: Das spät nachgeschobene Kriegsziel, eine Art Plan B light, „Demokratisierung“ genannt, ist nicht erreicht.
    Die Washingtoner Polit-Technokraten setzen in Irak auf genehme Statthalter ihrer Wahl. Vertrauen im Volk haben die nicht. Auch kein Vertrauen zueinander. Aber ihnen hinterlassen die Abziehenden den Wiederaufbau, den Frieden mit den Nachbarn und die Selbstbehauptung in der regionalen und internationalen Politik. Auf jedem einzelnen Gebiet war Irak unter Saddam schon wesentlich weiter. Clausewitz konnte noch von einer Gewissheit ausgehen: Nach dem Krieg mag es (und wird es wahrscheinlich) Sieger und Verlierer geben; aber das innere Gefüge der Staaten wird sich nicht verändert haben. Für einen „Plan B“ nach einem Interventionskrieg, der das Gefüge von Staat und Gesellschaft des Unterlegenen gerade verändern sollte, entfällt diese Voraussetzung. Der Umbau danach kann nur vom besiegten Volk geleistet werden. Ihm Verwüstung und administratives Chaos zu überlassen ist noch deutlicher zu verurteilen als die Verlogenheit, mit der diese Kriege begründet worden sind.
    Quelle: FR
  18. Treueschwüre bei der Scheidung
    Fini trennt sich von Berlusconi, aber will die Koalition nicht platzen lassen. Die Regierungspartei „Volk der Freiheit“, 2009 als Fusion von Berlusconis Wahlverein „Forza Italia“ und Finis „Alleanza Nazionale“ gegründet, sei einmal „eine faszinierende politische Idee“ gewesen, sagte Fini. Nun existiere sie nicht mehr: „Eine Rückkehr ins gemeinsame Haus ist also unmöglich.“ Im Parlament hat sich Fini bereits wieder auf eigene Beine gestellt: Etwa 45 Abgeordnete und Senatoren sind aus Berlusconis Fraktion ausgeschieden und haben unter dem Namen „Zukunft und Freiheit“ eine eigene Gruppe gegründet. Noch mehr Gefolgsleute hat Fini zwar an Berlusconi verloren, die Gruppe der „Separatisten“ ist aber so stark, dass Berlusconi seine Mehrheit im Abgeordnetenhaus verloren hat. Berlusconi muss nun, zweieinhalb Jahre nach seinem großen Wahlsieg, über jedes seiner Vorhaben mit den „Finianern“ verhandeln. Für einen, der bisher meist mit „Eil“- oder „Notdekreten“ regierte, deren nachträgliches Abnicken ihm eine ebenso üppige wie gefügige Parlamentsmehrheit garantierte, ist das eine vergleichsweise unbequeme Entwicklung.
    Berlusconi hätte aber auch von Neuwahlen keine große Besserung zu erwarten. Den Umfragen nach ginge er aus ihnen zwar als Sieger hervor, wäre aber stark geschwächt. Ferner ist offen, ob es dem durch Skandale und schwache Reformleistungen angeschlagenen Berlusconi tatsächlich gelingt, mit der Kraft seiner Person die „abtrünnigen Finianer“ unter die parlamentarische Vier-Prozent-Hürde zu drücken. Weil im Gegenzug aber auch Fini nicht weiß, ob er mit seiner neuen, formell noch nicht einmal gegründeten Partei den Einzug ins Parlament schafft, und weil die linke, zerstrittene Opposition auch keinerlei Aufwind vonseiten der Wähler spürt, strebt faktisch niemand nach Neuwahlen – außer der Lega Nord.
    Quelle: Tagesspiegel
  19. Ein Entscheid von historischer Tragweite
    Sollte Spanien Menschenrechtsverbrechen aus der Zeit des Bürgerkriegs und der Franco-Diktatur nicht verfolgen, müssen argentinische Gerichte tätig werden. Später Sieg für Ermittlungsrichter Garzón. Ein Berufungsgericht in der Hauptstadt Buenos Aires hat am Freitag die Wiederaufnahme eines entsprechenden Verfahrens angeordnet, wie die argentinische Tageszeitung Página/12 am Samstag berichtete. Die Klage der beiden sollte auch zur konkreten Unterstützung des spanischen Ermittlungsrichters Baltasar Garzón dienen, der sich für die Opfer der lateinamerikanischen Diktaturen der 1970er Jahre eingesetzt hatte. In Spanien selbst hatte Garzón im Oktober 2008 ein Verfahren zur Untersuchung von Menschenrechtsverbrechen während des Spanischen Bürgerkrieges und der Franco-Diktatur eingeleitet. Nur zwei Monate später waren ihm die Ermittlungen von der spanischen Staatsanwaltschaft aus der Hand genommen worden.
    Quelle: taz

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