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Heute unter anderem zu folgenden Themen: Arbeitsmarkt; getarnte Werbung; Wirtschaftskrise kostet NRW-Kommunen 2010 drei Milliarden Euro; Deutsche Bank auf Expansionskurs; Abkommen mit der Schweiz legalisiert Steuerflucht; Roland Kochs lohnender Wechsel; Pfeffersprayer war ein Agent Provocateur; Lobbypedia; wer bleiben will, muss arbeiten; Hetzer Wilders lobt Merkel und Seehofer; Gesetz hilft gegen Zwangsheirat nicht; Nahles will Laizisten in der SPD ausbremsen; vom Schlachtfeld zum Bildungsidyll; Bachelor im Niemandsland; Müllhalde des Nordens; bloß nicht zum Griechen; Haiti in den Zeiten der Cholera; Rezension vonHeiner Flassbecks „Die Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts“; Atomdebatte im Bundestag. (WL)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Arbeitsmarkt im Oktober 2010
  2. Getarnte Werbung: Die fragwürdigen PR-Kampagnen der Bundesregierung
  3. IMK: Wirtschaftskrise kostet NRW-Kommunen 2010 drei Milliarden Euro Einnahmen
  4. Ulrike Herrmann: Deutsche Bank auf Expansionskurs
  5. Abgeltungssteuer: Abkommen mit der Schweiz legalisiert Steuerflucht
  6. Bund der Steuerzahler in der Kritik: “Die haben sich unglaubwürdig gemacht”
  7. Roland Koch: Lohnender Wechsel
  8. Stuttgart 21: Pfeffersprayer war ein Agent Provocateur
  9. Lobbypedia
  10. Wer bleiben will, muss arbeiten
  11. Hetzer Wilders lobt Merkel und Seehofer
  12. Gesetz hilft gegen Zwangsheirat nicht
  13. Genossin Nahles will Laizisten in der SPD ausbremsen
  14. Ehemalige Rütli-Schule: Vom Schlachtfeld zum Bildungsidyll
  15. Bachelor im Niemandsland
  16. GEW: Ohne Wehrpflicht fehlen 70.000 Studienanfängerplätze
  17. Die Schuldenbremse als Bildungsbremse
  18. Der furchteinlösende Stachel des Gesetzes
  19. Müllhalde des Nordens
  20. Bloß nicht zum Griechen
  21. Haiti in den Zeiten der Cholera
  22. Die EU schafft sich ab – Rezension vonHeiner Flassbecks „Die Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts“
  23. Zu guter Letzt: Atomdebatte im Bundesrat

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Arbeitsmarkt im Oktober 2010
    1. Arbeitsmarktzahlen
      5,507 Millionen “Arbeitslosengeld-Empfänger/innen” (SGB III und SGB II)
      4,767 Millionen Arbeitslosengeld II-Empfänger/innen – 129.000 (2,6%) weniger als im Oktober 20092
      2,945 Millionen registrierte Arbeitslose – 283.000 (8,8%) weniger als im Oktober 2009
      Veränderungsraten (registrierte Arbeitslose) in den Ländern (Oktober 2009 – Oktober 2010):
      Männer und Frauen: –18,1% in Thüringen bis +1,0% in Bremen
      Frauen: –16,8% in Thüringen bis +2,6% in Bremen
      Männer: -19,2% in Thüringen bis –0,2% in Bremen
      unter 25 Jahre: -29,3% in Thüringen bis –2,7% in Bremen
      69,2% der Arbeitslosen sind im Rechtskreis SGB II (Hartz IV) registriert (Oktober. 2009: 66,7%)
      Im Oktober 2010 wurden von der Statistik der BA insgesamt 2,945 Millionen Arbeitslose registriert, 283.000 bzw. 8,8% weniger als im Oktober 2009.
      Von diesen 2,945 Millionen Arbeitslosen waren 0,909 Millionen (30,8%) im Rechtskreis SGB III und 2,037 Millionen (69,2%) im Rechtskreis SGB II (Hartz IV) registriert.
      Als Arbeitsuchende waren im Oktober 2010 insgesamt 5,472 Millionen Frauen und Männer
      registriert, 485.000 (8,1%) weniger als im Oktober 2009. Die von der Statistik der BA ermittelte
      „Unterbeschäftigung ohne Kurzarbeit“ betrug im Oktober 2010 4,060 Millionen, 383.000 (8,6%)
      weniger als im Oktober 2009.
      Nach vorläufigen, hochgerechneten Daten hatten 0,826 Millionen (arbeitslose und nicht arbeitslose) Frauen und Männer Anspruch auf das beitragsfinanzierte Arbeitslosengeld (SGB III) und 4,767 Millionen Anspruch auf Arbeitslosengeld II. Bereinigt um die Zahl der etwa 86.000 sog. Aufstocker (gleichzeitiger Bezug von Arbeitslosengeld und Arbeitslosengeld II) hatten im Oktober 2010 etwa 5,507 Millionen erwerbsfähige Frauen und Männer Anspruch auf Arbeitslosengeld (SGB III) bzw. Arbeitslosengeld II, 339.000 weniger als vor einem Jahr (BA-Monatsbericht, S. 18).
      Quelle: Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugend berufshilfe e.V. (BIAJ) [PDF – 463 KB]
    2. Arbeitslosenzahl sinkt unter drei Millionen
      Es ist soweit: Der Wirtschaftsaufschwung sorgt dafür, dass die Marke von drei Millionen Arbeitslosen fällt. Die tolle Nachricht wollte Arbeitsministerin Ursula von der Leyen nicht für sich behalten, brüskierte damit die Bundesagentur – und patzte auch noch.
      Nächster Durchbruch auf dem Arbeitsmarkt: Die Zahl der Arbeitslosen ist im Oktober auf 2,945 Millionen gesunken. Das teilte Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) am Mittwoch in Berlin mit. Dies sei der niedrigste Wert seit 1991, sagte die Ministerin. Später musste sich ihr Ministerium zähneknirschend korrigieren. Ein Blick in die Allzeit-Statistik der Bundesagentur für Arbeit offenbarte: Im Oktober ’91 waren es zwar 2,647 Millionen Arbeitslose – aber auch der Oktober ’92 war mit 2,927 Millionen besser als der aktuelle Kalendermonat. Das letzte Mal unter drei Millionen lag die Zahl im November 2008.
      Quelle: stern.de

      Anmerkung unseres Lesers G.K.: Ein viel gravierenderer “Patzer” unserer Bundesarbeitsministerin ist, dass sie überhaupt die Behauptung aufstellt, die heutige Arbeitslosigkeit sei niedriger als zu Beginn der 90er Jahre. Und da ist es völlig gleichgültig, ob sie für diesen Vergleich den Oktober 1991 oder den Oktober 1992 heranzieht, denn beides läuft auf einen Vergleich von Äpfeln mit Birnen hinaus:

      • Seit dem Beginn der 90er Jahre wurde die Arbeitslosenstatistik mehrmals “bereinigt”. Allein in den vergangenen Jahren wurden z.B. folgende statistische “Bereinigungen” (treffender: Manipulationen) vorgenommen: Große Teile der 58 jährigen und älteren Arbeitslosen wurden aus der Statistik entfernt, kranke Arbeitslose und von privaten Arbeitsvermittlern betreute Arbeitslose werden ebenfalls nicht mehr in der offiziellen Arbeitslosenstatistik ausgewiesen.
      • Beim Vergleich mit den Arbeitslosenzahlen zu Beginn der 90er Jahre wirkt sich besonders gravierend aus, dass sich der Anteil der Vollzeitarbeitsplätze reduziert und im Gegenzug der Anteil der zumeist prekären, nicht vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer drastisch ausgeweitet hat.

      Diese Entwicklung spiegelt sich in der starken Zunahme der Teilzeitarbeitsplätze, Mini-/Midijobs und 1-Euro-Jobs wider. Dies führte zu einer deutlichen Aufhübschung sowohl der Arbeitslosenstatistik als auch der Beschäftigungsstatistik: Obwohl die Zahl der von den Beschäftigten abgeleisteten Arbeitsstunden von 52 Milliarden Stunden in 1991 um 7,7 Prozent auf 48 Milliarden Stunden in 2008 (dem Jahr vor dem Abschwung) abgesunken ist, hat sich die Zahl der Beschäftigten in diesem Zeitraum von 35,1 Millionen auf 35,9 Millionen (+2,3 Prozent) erhöht.
      FAZIT:
      Ministerin von der Leyen und nahezu sämtliche Mainstreammedien streuen der Bevölkerung Sand in die Augen, wenn sie behaupten, die Arbeitslosigkeit sei auf dem niedrigsten Stand seit Anfang der 90er Jahre. Wegen der seit ca. 20 Jahren betriebenen Manipulationen an der Arbeitslosenstatistik sowie wegen der in diesem Zeitraum eingetretenen deutlichen Reduzierung des Anteils der vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer (was auch zum starken Anstieg prekärer Beschäftigungsverhältnisse mit beitrug) ist dieser Vergleich äußerst unseriös.

    3. Was die offizielle Statistik verbirgt
      Millionen Menschen in Deutschland sind arbeitslos. Die genaue Zahl veröffentlicht die Bundesagentur für Arbeit jeden Monat. Doch nicht jeder Erwerbsfähige, der einen Job sucht, taucht in der Statistik auf. tagesschau.de erklärt in Fragen und Antworten, wer aus welchen Gründen fehlt.
      Quelle: ARD Tagesschau

      Anmerkung WL: Ein interessanter Überblick aus einer gewiss ausgewognen Quelle.
      Ergänzende Anmerkung unseres Lesers V.W.: In der Realität sieht die Zahl der Arbeitslosen (und das Überangebot an Arbeitskräften) lt. Bundesagentur für Arbeit (aktuellster offizieller Monatsbericht, September 2010) wie folgt aus:

      • In Sperrzeiten gemäß §144 SGBIII (ALGI): 61.930 Menschen
      • Teilnehmer an „ausgewählten Maßnahmen aktiver Arbeitsmarktpolitik“: 1.430.234 Menschen
      • 1-€-Zwangsarbeit nach §16d SGB II: 324.238 Menschen
      • Leistungsempfänger ALGI: 866.000 Menschen
      • Leistungsempfänger ALGII: 4.832.000 Menschen (ohne Angehörige)

      Das sind 7.514.402 Menschen. Von dieser Statistik abzuziehen sind (je nach Ansicht) 1.396.000 Millionen zu Niedriglöhnen arbeitende ALG II-Bezieher („Aufstocker“), die durch den von den Argen mit verursachten Druck auf die Löhne weniger als ALG II verdienen.
      Die tatsächliche Arbeitslosigkeit liegt also lt. Bundesagentur bei mindestens 6.118.402 Menschen.
      Hinzu kommen Arbeitsuchende/Erwerbsfähige, die keinen Anspruch auf Leistungen des SGB haben, z.B. mehrere Millionen (in keiner Statistik erfasste) erwerbsfähige Lebenspartner und Kinder, die mit über den ALG II-Sätzen verdienenden Erwerbstätigen zusammenleben. Ebenfalls mitzählen müßte man mehrere Millionen in den Vorruhestand gedrängte Frührentner („58er-Regelung“ gemäß § 53a Abs. 2 SGB II.).

    4. Stefan Sell: Tatsächlich 4,4 Millionen Arbeitslose
      Arbeitslose im engeren Sinne haben nicht etwa unter 2 Millionen sondern über 4 Millionen.
      Die Stellenreserve umfasst über 800.000 Menschen. Wir haben eine Unterausweisung von Arbeitslosigkeit, das zeigt die Gegenüberstellung von unter 3 Millionen zu tatsächlich 4,4 Millionen, wenn man richtig rechnet.
      Quelle: ARD Morgenmagazin
  2. Getarnte Werbung: Die fragwürdigen PR-Kampagnen der Bundesregierung
    “Gar nicht weggeduckt hat sich, wenn es darum ging die eigenen Erfolge unters Volk zu bringen, das Ministerium dieser Dame. Teure Werbekampagnen von Ministerien kennen wir ja. Doch der Familienministerin hat das nicht gereicht. Nein, Zeitungsartikel und Hörfunkbeiträge wurden produziert und gesendet, beziehungsweise abgedruckt.
    Im Klartext: Wir hören Radio oder lesen Zeitung, denken, hier waren unabhängige Journalisten am Werk. In Wirklichkeit aber reinste Eigenwerbung, direkt aus dem Ministerium der Frau von der Leyen.
    Quelle 1: SWR Report
    Quelle 2: SWR Report Textfassung [PDF – 45 KB]

    Anmerkung M.H.: Propaganda bezahlt vom Steuerzahler. Wenn man nicht wüsste, dass dieser investigative Beitrag von “Report Mainz” zu den “PR-Kampagnen der Bundesregierung” über drei Jahre alt ist, müsste man sagen, “aktueller geht’s nicht”.

  3. IMK: Wirtschaftskrise kostet NRW-Kommunen 2010 drei Milliarden Euro Einnahmen – Unterstützung notwendig
    Der geplante nordrhein-westfälische Nachtragshaushalt und die Änderung des Gemeindefinanzierungsgesetzes sind notwendig und grundsätzlich dazu geeignet, die vorliegende Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts im größten Bundesland abzuwehren. Daher ist es akzeptabel, dass die vorgesehenen zusätzlichen Ausgaben über Schulden finanziert werden. Zu diesem Ergebnis kommt das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung.
    Auch wenn sich die Wirtschaft derzeit erhole, habe die globale Finanz- und Wirtschaftskrise eine eklatante Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts ausgelöst, die weder in Nordrhein-Westfalen noch in der Bundesrepublik insgesamt überwunden sei. “Eine solche Störung löst sich nicht binnen eines halben Jahres in Luft auf”, schreiben Prof. Dr. Gustav A. Horn und Dr. Achim Truger in ihrer Stellungnahme zur Anhörung, die der Haushalts- und Finanzausschuss des Landtages heute abhält.
    Die Krise habe insbesondere die Kommunalfinanzen “dramatisch” getroffen, so die Wissenschaftler. Das IMK beziffert die von der Krise verursachten Einnahmeverluste bei den Städten und Gemeinden in NRW für dieses Jahr auf mindestens drei Milliarden Euro. Neben konjunkturbedingten Mindereinnahmen und Mehrausgaben sind in dieser Summe auch die Auswirkungen der verschiedenen Steuersenkungen der vergangenen beiden Jahre enthalten. So reduzieren allein die in den Konjunkturpaketen, im Wachstumsbeschleunigungsgesetz und im Bürgerentlastungsgesetz enthaltenen Steuerermäßigungen die Einnahmen der NRW-Kommunen 2010 um mehr als eine Milliarde Euro. In den kommenden Jahren ist mit ähnlich hohen Ausfällen zu rechnen.
    “Vor diesem Hintergrund ist eine Stützung der nordrhein-westfälischen Kommunen zur Sicherstellung der kommunalen Handlungsfähigkeit dringend erforderlich”, fassen die Forscher zusammen. Höhere Schlüssel- und Investitionszuweisungen hätten auch einen positiven Effekt auf die Gesamtwitschaft, weil Investitionen und konsumtive Ausgaben der Kommunen besonders effektiv die Binnenachfrage stärkten. Die Verschuldungssituation des Landes lasse es zu, den Kommunen die notwendige Unterstützung zu gewähren.
    Quelle: Die Stellungnahme steht als IMK Policy Brief zum Download bereit [PDF – 60 KB]
  4. Ulrike Herrmann: Deutsche Bank auf Expansionskurs
    Die Deutsche Bank macht alles richtig. Sie kauft andere Banken, baut ihre Marktmacht und ihre Margen aus. Zudem arbeitet sie an der “Diversifizierung”, wie es so schön im Betriebsdeutsch heißt. Nicht nur das Investmentgeschäft soll Gewinne bringen, man will auch bei den Vermögenden und den Privatkunden zum unumstrittenen Marktführer aufsteigen. Wer wissen will, wer zu den Gewinnern der Finanzkrise gehört, ist an dieser Adresse ganz richtig: die Deutsche Bank, geführt von Josef Ackermann. Und so bleibt als einzige Folge der Expansionsstrategie: Die Deutsche Bank wächst immer weiter und ist erst Recht “too big to fail”, falls es zu einer neuen Finanzkrise kommen sollte. Womit ja zu rechnen ist bei diesem umtriebigen Investmentbanking.
    Quelle: taz
  5. Abgeltungssteuer: Abkommen mit der Schweiz legalisiert Steuerflucht
    Aufgrund der zu erwarteten unterschiedlichen Höhe der Steuerlast bleibt die Schweiz als Anlageort zwecks Steuervermeidung außerordentlich attraktiv. Durch das Abkommen wird Steuerhinterziehung teilweise sogar legalisiert. Kein Wunder, dass sich auch der Schweizer Bankenverband sehr zufrieden zeigt.
    Das gemeinsame Vorgehen gegen Steuerflucht innerhalb der EU wird durch die Herangehensweise der Bundesregierung untergraben. Effektiv bekämpft werden kann Steuerflucht nur durch einen automatischen Informationsaustausch, der eine Besteuerung aller Vermögenserträge nach dem am Wohnsitz geltenden Steuerrecht gewährleistet. Dieses Instrument ist mit dem neuen Abkommen aber auf absehbare Zeit vom Tisch.
    Besonders problematisch ist zudem die rückwirkende, anonyme Abgeltungssteuer, die ebenfalls Bestandteil des Abkommens ist und faktisch auf eine Amnestie hinausläuft. Steuerhinterziehung in Millionenhöhe ist aber kein Kavaliersdelikt, sondern ein schweres Verbrechen, das erheblichen Schaden für die Allgemeinheit bedeutet. Entsprechend muss sie auch behandelt werden. Durch das laxe Vorgehen gegen Steuerflucht gehen dem Fiskus jährlich zweistellige Milliardenbeträge verloren. Reiche Privatpersonen und große Unternehmen können sich so systematisch ihrer Verantwortung für die Finanzierung staatlicher Leistungen entziehen. Einspringen müssen jene, die diese Möglichkeiten nicht haben, also Arbeitnehmer und Empfänger staatlicher Transferleistungen.
    Quelle: attac
  6. Bund der Steuerzahler in der Kritik: “Die haben sich unglaubwürdig gemacht”
    Mit dem jährlich erscheinenden Schwarzbuch über den “sorglosen Umgang mit dem Geld der Steuerzahler” prangert der Verband in über hundert kleinen Geschichten die Übeltaten vom Stadtkämmerer bis zum Bundesfinanzminister an. Am Donnerstag erscheint die mittlerweile 38. Ausgabe.
    Doch der Dauerbrenner ist zugleich Sinnbild für den Verband selbst. So vorhersehbar wie die ewig wiederkehrenden Episoden über teure Dienstreisen und Fehlplanungen ist auch der Ruf des Präsidenten Karl Heinz Däke nach Ausgabenkürzungen und Steuersenkungen…
    Und auch beim Schwarzbuch scheint es der Steuerzahlerbund offenbar nicht immer ganz genau zu nehmen. Seit Jahren schon beklagt sich der Bundesrechnungshof darüber, dass sich nicht immer alle Vorwürfe auch durch Fakten erhärten ließen. “Die Milliardensummen, die angeblich verschleudert werden, sind hochgerechnete Zahlen und nur zu einem sehr geringen Teil belegt”, sagt Bundesrechnungshof-Präsident Dieter Engels.
    Unter Politikern hat der Steuerzahlerbund deshalb kein hohes Ansehen.
    Quelle: Spiegel Online

    Anmerkung WL: Es ist klar, dass Politiker allergisch reagieren, wenn ihnen die Verschleuderung von Steuergeldern vorgeworfen wird. Auf die entscheidende Kritik am Steuerzahlerbund geht jedoch auch der Spiegel nicht ein: In dem sich selbst als Interessenvertretung der Steuerzahler aufschwingenden Bund kommen die Steuerzahler zu 60 bis 70 Prozent aus Unternehmen und gewerblichen Mittelstand. Kein Wunder also, dass dieser Bund ständig den „schlanken“, um nicht zu sagen den ausgehungerten Staat propagiert. Dem Steuerzahlerbund geht es auch nicht um Steuergerechtigkeit, so war er immer mit dabei, wenn es um die Senkung von Gewinn- und Vermögenssteuern ging. Er kämpft für Privatisierung und danach statt für (sozial gestaffelte) Steuern für gleiche Gebühren für die privatisierten Leistungen der Daseinsvorsorge. Vor allem aber geht es dem Steuerzahlerbund um die Senkung oder besser gleich Abschaffung der Sozialabgaben, die privat finanziert werden sollen und am besten mit einer für alle gleich hohen Kopfpauschale. Er gehört zu den sozialstaatsfeindlichen Lobbygruppen.

  7. Roland Koch: Lohnender Wechsel
    Ein Ministerpräsident von Hessen verdient rund 176.000 Euro plus Spesen (Sachbezüge) und Altersversorgung. Ex-Ministerpräsident Roland Koch (CDU) hat aus seiner Meinung nie einen Hehl gemacht: „Politiker verdienen zu wenig “, erklärte er vor der Landtagswahl Anfang 2008. Zuvor hatte er in seiner Funktion als Aufsichtsratschef des Flughafenbetreibers Fraport das Grundgehalt des Vorstandsvorsitzenden und seines Kassenwarts von 550.000 auf 700.000 Euro erhöht. Möglicherweise mit Blick auf eine dann doch gescheiterte eigene Managertätigkeit bei Fraport. Jetzt ist ihm vielleicht der große Sprung gelungen – ungefähr eine Verzehnfachung seines Gehalts. Sofern er, wie vermutet, Vorstandsvorsitzender des Baukonzerns Bilfinger und Berger werden sollte. Der Vergütungsbericht 2009 gibt Auskunft, was der scheidende Chef Herbert Bodner so 2009 kassierte. So bekommt Bodner ein Grundgehalt von 674.000 Euro, Tantiemen von zuletzt 770.000 Euro, Sachbezüge von 50.000 Euro, eine Altersversorgung von 270.000 Euro sowie die PSU. Das steht für Performance Share Unit und ist eine auf künftige Kursgewinne Anreizende Geste der Aktionäre für die Profit puschende Politik des Vorstandes.
    Quelle: Frankfurter Rundschau

    Anmerkung MB: Welche Interessenskollisionen – um ausdrücklich das böse K-Wort zu vermeiden – es im Baugeschäft und insbesondere in der Privatisierungsvariante PPP (Private Public Partnership) gibt, beschreibt Jens Berger im Spiegelfechter: „Bilfinger Berger sieht seine Zukunft vor allem als Dienstleister und PPP-Auftragnehmer zulasten des Steuerzahlers, Roland Koch ist ein bekennender Fan der Privatisierung zulasten des Steuerzahlers. Hier findet zusammen, was zusammen gehört“.
    Damit Private Public Partnership in Hessen noch mehr gefördert wird, gibt es dort ein PPP-Kompetenzzentrum (in anderen Bundesländern gibt es so etwas oder so etwas ähnliches auch); dieses Kompetenzzentrum ist dem hessischen Finanzministerium angegliedert und hat einen Beirat und einen Förderverein.
    Das Kompetenzzentrum soll an der Realisierung der folgenden Ziele mitwirken:

    • Definition und Optimierung der PPP-Bedingungen für das Land und die Kommunen
    • Behebung des kommunalen Investitionsstaus
    • Belebung des Baumarktes mit besonderem Augenmerk auf mittelständige Unternehmen
    • Schaffung eines Netzwerks der im PPP-Markt tätigen Unternehmen, Verbände und Institutionen

    Dem Beirat des Kompetenzzentrums gehören u.A. an: Bankenverband Hessen e.V., Bauindustrieverband Hessen/Thüringen e.V., Verband Baugewerblicher Unternehmer Hessen e.V. und die Vereinigung hessischer Unternehmerverbände.
    Und dem Förderverein „PPP in Hessen“ (Der Verein „PPP in Hessen“ soll allen am PPP-Prozess Interessierten eine Plattform bieten, sich aktiv an der Entwicklung und Gestaltung von PPP in Hessen zu beteiligen. Wir hoffen, dass der Vereins regen Zuspruch finden wird und das Geschehen rund um Public Private Partnership beleben und voranbringen wird.) gehört u.A. Herr Detlev Knop, Bilfinger Berger AG an.
    Zum Thema Interessenkonflikte im kommunalen Dienstleistungssektor Private Public Partnership s. auch „PPP und andere Grausamkeinten
    .

  8. Stuttgart 21: Pfeffersprayer war ein Agent Provocateur
    Die erste größere Falschbehauptung aus Polizeipräsidium und Innenministerium, wonach am 30.09.2010 Pflastersteine geflogen seien, musste schein-souverän zurückgenommen werden…
    Es gibt glücklicherweise Filmaufnahmen von VersammlungsteilnehmerInnen, die die Abläufe nach Ende des offiziellen Videos darstellen. Sie zeigen deutlich, wie der „Pfeffer“sprayer nach seinem Angriff auf die PolizeibeamtInnen und nach Abtauchen von anderen Vermummten an den Weg geleitet wird. Und wohin wird der Täter gebracht? Richtig: Zu PolizeibeamtInnen. Mitten in die Reihen der Polizei hinein. War dies gar eine durchgeführte Festnahme? Natürlich nicht. Diese Vorgehensweise dient lediglich der Sicherung des Täters. Er wurde von seinen KollegInnen zu seinem Schutz in einen Schutzraum geleitet, weil er nur so tat, als würde er den Widerstand gegen „Stuttgart 21“ unterstützen wollen. In Wahrheit
    handelt es sich um einen von Steuergeldern finanzierten Agent Provocateur, der sogar noch selbst zum Täter geworden ist, aber straffrei bleiben „muss“.
    Quelle: Neue Rheinische Zeitung
  9. Mit der Lobbypedia startet heute Deutschlands erstes Online-Verzeichnis mit dem Ziel, Licht in das Dickicht des Lobbyismus zu bringen
    Lobbypedia ist ein Medium, das auf der selben Software wie die Wikipedia basiert, das in der Startphase allerdings redaktionell betreut wird. Wir haben formal ähnliche Beiträge wie die Wikipedia, aber mit einem kritischeren Blick und richten unseren Fokus auf die Verflechtungen von Geld, Macht und Politik. Das ist natürlich ein weites Feld. Wir versuchen daher, dieses Feld häppchenweise zu erschließen. Dafür haben wir zunächst drei Themenportale, Bau- und Immobilienlobby und Stuttgart 21, Finanzlobby und Seitenwechsler aufgestellt, die wir nun relativ umfassend erschließen wollen. Wir hoffen, dass wir im nächsten halben Jahr bei den für uns wichtigen Themen bei Google in die Top 10 kommen, wie es beispielsweise unsere britischen Kollegen von powerbase.info geschafft haben. Wir sind nicht Wikileaks und es ist sicher keine große Sensation, was wir hier präsentieren. Aber wir bemühen uns, eine Chronologie [eher: ein kritisches Gedächtnis?] zu erstellen, in der der Nutzer auch Informationen findet, auf die er woanders nicht ohne weiteres stößt.
    Quelle 1: Telepolis
    Quelle 2: Lobbypedia
  10. Wer bleiben will, muss arbeiten
    Nach Deutschland kommen immer weniger Menschen, nach Spanien immer mehr. In allen Ländern steht eines im Mittelpunkt: die Arbeit. Zahlen, Gesetze, Politik und Selbstverständnis der europäischen Länder mit den größten Wanderungsbewegungen
    Quelle: taz
  11. Hetzer Wilders lobt Merkel und Seehofer
    Ausgerechnet der Rechtspopulist und Islamhasser Geert Wilders lobte Merkel und Seehofer dafür, “die Führung auf dem Gebiet der Islamkritik” übernommen zu haben.
    In einer Rede vor dem Parlament in Den Haag bezog sich Wilders auf die Äußerungen Seehofers und Merkels zu Problemen bei der Integration von Zuwanderern, die auch in Deutschland bisweilen hitzige Debatten zur Folge hatten. “Frau Merkel, Sie haben recht”, sagte Wilders in seiner an diesem Mittwoch von der Partei für die Freiheit (PVV) veröffentlichten Rede.
    “Wenn selbst die Bundeskanzlerin sagt, dass die multikulturelle Gesellschaft vollkommen gescheitert ist, dann will das etwas heißen”, sagte Wilders bei einer Parlamentsdebatte über das Programm der von seiner Partei gestützten Minderheitsregierung aus Rechtsliberalen und Christdemokraten.
    “Die wichtigste Politikerin der Christdemokraten im wichtigsten Land Europas durchbricht ein Tabu und sagt, wie es ist. Und sie sagt, was Millionen Menschen denken.”
    Umgehend ließ die Kanzlerin über Regierungssprecher Steffen Seibert erklären, sie habe sich nicht “islamkritisch” geäußert. Seibert sagte wörtlich: “Das ist nicht wahr. Man wird die Kanzlerin nicht als Islamkritikerin interpretieren können, weil sie natürlich vor einer wichtigen Weltreligion Respekt hat.”
    Merkel kritisiere keine Religion, sondern konkretes Fehlverhalten Einzelner. Seibert betonte: “Die Bundeskanzlerin äußert ihre Überzeugung unabhängig davon, wer ihr im In- und Ausland beipflichtet oder widerspricht. Mit Sicherheit macht sie keine Äußerungen, um genau aus dieser Ecke Beifall zu bekommen.”
    Quelle: SZ

    Anmerkung WL: Zuerst versucht man mit populistischen Stammtischparolen, wie „Multikulti ist gescheitert“ oder wer des „christliche Menschenbild“ nicht akzeptiere, „der ist bei uns fehl am Platz“ den rechtsradikalen Rand in der Gesellschaft zu bedienen und dann, wenn man sich dort auf Merkel oder Seehofer bezieht, um seine ausländerfeindlichen Parolen zu propagieren, dann spielt man den Unschuldsengel, wenn man von dieser Seite Beifall erhält. Dann war alles anders gemeint. Man zündelt herum und wundert sich, dass Feuer ausbricht und Schuld sind dann die Anderen. Das nennt man üblicherweise scheinheilig.

  12. Gesetz hilft gegen Zwangsheirat nicht
    Zwar weiß man auch nach jahrelangen aufgeregten Debatten noch immer wenig über das wirkliche Ausmaß dieser Menschenrechtsverletzung. Dennoch wird die Union in dieser Frage gern aktiv. So will sie zeigen: Wir tun etwas gegen Parallelgesellschaften, für die unterdrückte muslimische Frau! Das kostet nicht viel, bedient das gern genutzte Bild von den rückständigen Muslimen und lenkt wunderbar ab von anderen Versäumnissen. Die Koalition will Zwangsheirat als eigenständigen Straftatbestand definieren, der mit bis zu fünf Jahren Haft geahndet werden kann. Diese Strafe aber kann bereits heute für eine Zwangsehe verhängt werden.
    Positiv ist allein, dass die Union ihre jahrelange Blockade gegen ein längeres Rückkehrrecht von zwangsverheirateten Frauen endlich fallen lässt. Frauen, die in Deutschland gelebt haben und gegen ihren Willen im Ausland festgehalten werden, sollen künftig nach Deutschland zurückkommen können. Diesen Fortschritt aber konterkariert die Koalition durch eine gravierende Verschlechterung an anderer Stelle: Aus dem Ausland nachgezogene EhepartnerInnen müssen künftig wieder drei statt bislang zwei Jahre verheiratet sein, um ein eigenständiges Aufenthaltsrecht zu bekommen. Für Frauen, die nach Deutschland zwangsverheiratet werden, heißt das: ein Jahr länger in einer Ehe, die bestenfalls ungewollt, schlimmstenfalls massiv gewalttätig ist.
    Quelle: taz
  13. Genossin Nahles will Laizisten in der SPD ausbremsen
    Vor zwei Wochen hat sich in Berlin ein »Arbeitskreis Laizistinnen und Laizisten in der SPD« konstituiert. 50 Sozialdemokraten, darunter Ingrid Matthäus-Maier und Rolf Schwanitz, der ehemalige Staatsminister im Kanzleramt, beschlossen zehn Forderungen für eine konsequente Trennung von Staat und Kirche. Einer der in Berlin gewählten Sprecher der Gruppe ist Michael Bauer aus Nürnberg. Er ist seit 1993 SPD-Mitglied und seit 2000 Geschäftsführer des Humanistischen Verbands Nürnberg:
    “Es gibt in der SPD Arbeitskreise von Christinnen und Christen, von jüdischen Mitgliedern, vielleicht wird es irgendwann auch mal einen für Muslime geben, und da hat sich eine Gruppe von Sozialdemokraten gesagt: Alles schön und gut, aber die Interessen der nichtreligiösen, der konfessionsfreien Menschen in der Partei müssen auch Gehör finden.  Wir fordern die Trennung von Staat und Kirche mit dem Ziel, dass endlich über eine Neuformulierung des Verhältnisses zwischen dem Staat und den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften diskutiert wird. Zu unserem Ansatz der Trennung von Staat und Kirche gehören zwei Grundforderungen. Zum einen fordern wir, bei bestimmten Themen eine negative Gleichbehandlung von allen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. Denn angesichts bestimmter Kirchenprivilegien, die sich über die Jahrhunderte aufgebaut haben, kann man sich nur an den Kopf fassen. Dazu gehört, dass deutsche Bischöfe nicht etwa von den Kirchen oder von Kirchensteuereinkünften bezahlt werden, sondern vom Steuerzahler aus dem Staatshaushalt. In Bayern werden sowohl der evangelische Landeskirchenrat mit dem Landesbischof an seiner Spitze als auch sämtliche katholischen Bischöfe und außerdem Domdignitäre, -kapitulare, Pfarrhäuser und so weiter aus dem Staatshaushalt aus allgemeinen Steuermitteln ­finanziert. Was hat so eine Regelung im 21. Jahrhundert noch zu suchen? …
    Aber es stimmt, dass die Generalsekretärin Andrea Nahles, die ja selbst ein Buch geschrieben hat über ihre katholische Frömmigkeit, uns untersagt hat, den Namen SPD zu verwenden, ebenso wie den Begriff »sozialdemokratisch«. Anscheinend versucht die Genossin Nahles über den Weg des Markenrechts Dinge auszubremsen, die ihr nicht gefallen. Das nehme ich mit einem gewissen Amüsement zur Kenntnis. Wir haben die Homepage darum umbenannt in »laizistische-sozis.de« und sind auf eine andere Domain umgezogen. …  Wir wollen ja nicht die Kirchen abschaffen oder den Leuten ihren Glauben ausreden. Und wir sagen auch nicht, das habe alles keinen Platz in der SPD. Aber es kann ja wohl auch nicht sein, dass andersherum nichtreligiöse Menschen keinen Platz in der SPD haben sollen. Die SPD ist eine Volkspartei, die das gesamte Spektrum der Gesellschaft repräsentieren sollte. Und 40 Prozent der Menschen in Deutschland sind nun mal nicht religiös. … Natürlich gibt es christlich-jüdische Werte, die in die Tradition unserer Kultur eingeflossen sind, das ist selbstverständlich. Es sind aber nicht die einzigen Werte, die unsere Gesellschaft ausmachen. Dazu gehören auch Werte aus Humanismus und Aufklärung, wie Selbstbestimmung und Toleranz. Abgesehen davon würde es mich interessieren, was genau solch ein »christlich-jüdischer Wert« sein soll. Wenn damit die Menschenwürde und die Menschenrechte gemeint sind, dann muss man darauf hinweisen, dass der Vatikan, als Repräsentant der katholischen Kirche, die entsprechende europäische Charta bis heute nicht anerkannt hat.”
    Quelle: Jungle-World
  14. Ehemalige Rütli-Schule: Vom Schlachtfeld zum Bildungsidyll
    Eingetretene Türen, Attacken auf Lehrer, Chaos im Unterricht – die Rütli-Schule galt jahrelang als Inbegriff von Schulterror. Das ändert sich: Im Problembezirk Berlin-Neukölln entsteht eine vorbildliche Bildungsoase. Die benachbarten Schulen dagegen darben weiter.
    Quelle: Spiegel Online

    Anmerkung Orlando Pascheit: So bedauerlich es ist, dass nur einer, vor allem durch die Medien bekannt gewordenen Schule geholfen wurde und anderen Schulen nicht die gleiche Therapie zuteil wird, eines wurde klar demonstriert: Es geht. Wer meint, dass vor allem Migranten eine Bringschuld hätten – Sarrazin fordert eine klare „Erwartungskultur“ gegenüber Migranten – , wird im Fall der Rütlischule eines anderen belehrt. Es ist unser Einsatz, der der Nicht-Migranten, in der Hauptsache der Berliner Senat also der Staat, der diesen Jugendlichen neue Perspektiven eröffnet. Festangestellte Schulsozialarbeiter und interkulturelle Moderatoren halten Kontakt zu den meist türkischen und arabischen Eltern und übersetzen für die Lehrer bei Hausbesuchen, wenn die Eltern nicht gut Deutsch sprechen. Neue Freizeitangebote wurden geschaffen. Um Problemschüler kümmert sich ein Netz von Schulpsychologen, Mitarbeitern des Jugendamtes und der Polizei. Es liegt an uns, den Wahlbürgern, von der Politik zu verlangen, die Mittel für solche Programme zur Verfügung zu stellen, damit dieses Geschwätz von der „Selbstabschaffung“ verschwindet. Die Erfolge an der ehemaligen Rütlischule mit 90 Prozent Schülern aus nichtdeutschen Familien lassen sich auf viele Schulen in sozialen Brennpunkten der Republik – nicht mit Migrationshintergrund – übertragen.

  15. Bachelor im Niemandsland
    1. Hartz IV statt Master-Studium
      Bald könnten es zehntausende Studierende sein, die keinen Master-Studienplatz mehr bekommen, prophezeit Florian Keller, Sprecher der Studierendenvertretungen. Denn in diesem Semester konkurrieren nur die ersten Bachelor-Absolventen um einen Master-Platz. Die Masse der Bachelor-Studenten werde erst nächstes Jahr fertig, sagt GEW-Vorstand Keller. Er fordert daher, das Bildungsministerium solle mit einem Bundesgesetz für das Recht auf ein Master-Studium sorgen. Das Ministerium wies diese Forderung auf Anfrage der Berliner Zeitung gestern zurück. Ihm sei von einem bundesweiten Mangel an Masterstudienplätzen nichts bekannt. Es sei auch nicht seine Aufgabe, darüber Statistik zu führen. Ein Gesetz auf Bundesebene “steht nicht zur Debatte”, so eine Sprecherin. Ein solches liege nicht in der Zuständigkeit des Bundes.
      Quelle: Berliner Zeitung
    2. Da bleiben massenhaft Leute auf der Strecke
      Der »Bachelor«-Hochschulabschluss wird für viele zur Sackgasse: Der »Master« ist oft nicht möglich. Ein Gespräch mit Florian Keller, Vorstandsmitglied beim »freien zusammenschluß von studentInnenschaften« (fzs), dem bundesweiten Dachverband von Studierendenvertretungen:
      “Gegenwärtig schließen noch sehr viele Studierende mit Diplom oder Magister ab. Erst im nächsten Jahr wird das Gros der ersten Generation von Bachelor-Studierenden fertigwerden und in großer Zahl einen Master anstreben. Dann wird der Mangel auf alle Fälle zum Massenphänomen. Wir rechnen mit Zehntausenden, die gezwungenermaßen zunächst kein Master-Studium aufnehmen können. … Wer Lehrer im geregelten Schuldienst werden will, braucht einen Master. Mit dem Bachelor kann man vielleicht einen Volkshochschulkurs leiten, letztlich steht da für viele eine berufliche Umorientierung an. Und trotzdem bekommen die Absolventen reihenweise den Weg zum Master verbaut, selbst jene mit besten Noten. Das ist hochgradig ungerecht und führt außerdem zu einer grotesken Situation: Überall in Deutschland wird über akuten Lehrermangel geklagt, und jene, die Lehrer werden wollen, hindert man daran. Hier hakt es im System. … Der Bachelor hält einfach nicht das, was seine Verfechter versprochen haben. Er taugt oft nicht zum berufsqualifizierenden Regelabschluss. Das belegen auch die Befunde der angesprochenen Studie des Internationalen Zentrums für Hochschulforschung in Kassel: Die Chancen, einen Job zu finden, stehen vergleichsweise schlecht, und auch die Bezahlung fällt deutlich geringer aus, verglichen mit Absolventen der klassischen Studienabschlüsse.
      Quelle: junge Welt
  16. GEW: Ohne Wehrpflicht fehlen 70.000 Studienanfängerplätze
    Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat Bund und Länder gemahnt, das „Programm zur Aufnahme zusätzlicher Studienanfänger (Hochschulpakt 2020)“ schnellstmöglich aufzustocken. „Wenn die Wehrpflicht zum 1. Juli 2011 wie angekündigt ausgesetzt wird, brauchen wir 70.000 zusätzliche Studienanfängerplätze. Die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK) von Bund und Ländern muss daher in ihrer heutigen Sitzung die Weichen für einen entsprechenden Ausbau der Studienkapazitäten stellen“, unterstrich das für Hochschulen verantwortliche GEW-Vorstandsmitglied Andreas Keller.
    Quelle: GEW
  17. Die Schuldenbremse als Bildungsbremse
    Anfang Juni hat die Bundesregierung ein Sparpaket vorgelegt, um damit den Vorgaben der im Grundgesetz verankerten „Schuldenbremse“ nachzukommen. Unter dem Motto “Wir leben über unsere Verhältnisse!” wird bei den Ausgaben der Rotstift angesetzt. In Hessen hat dies bereits zu Kürzungen im Bildungsbereich geführt. Wer aber genauer hinsieht, stellt fest, dass die Ausgabenentwicklung keineswegs dramatisch ist. Und ein kritischer Blick auf Einnahmenseite zeigt: In Wirklichkeit ist das Haushaltsdefizit die Folge drastischer Steuersenkungen.
    Quelle: GEW [PDF – 106 KB]
  18. Der furchteinlösende Stachel des Gesetzes
    Aus den USA wird erneut eine »sting operation« des FBI gemeldet. Gemeint ist eine von Agenten der Bundespolizei in Szene gesetzte »terroristische Verschwörung«. Der Begriff kommt vom Wort »sting«, das als Substantiv Stachel und als Verb anstacheln, jemanden zu etwas veranlassen, bedeutet. Solche Operationen, bei denen naive Menschen von Agenten in angebliche Anschlagpläne verwickelt und manchmal sogar mit nicht funktionsfähigen »Bomben« ausgerüstet werden, finden in den Vereinigten Staaten regelmäßig statt. Sie sollen die Furcht schüren und wach halten, dass eine zunehmende Zahl von Einwohnern der USA bereit sei, sich am »weltweiten Dschihad« zu beteiligen.
    Quelle: junge Welt
  19. Müllhalde des Nordens
    Globalisierung konkret: In immer größeren Mengen wird Elektronikschrott aus Industriestaaten in Armutsregionen der Welt »entsorgt«. In den Industrienationen gibt es genaue Vorschriften und Entsorgungswege. Doch es mangelt immer wieder an der Durchsetzung der Gesetze und an Kontrollen. Ungeachtet des Basler Rahmenabkommens schippern ganze Müllflotten über die Weltmeere, um die ausgeworfenen Reste einer wachstumsorientierten Weltökonomie bei den Schwächsten abzuladen. Der aktuelle Fall bestätigt zudem, daß Nigeria neben Indien und China zu einem bevorzugten Zielort der »schwarzen Entsorgung« geworden ist. Gesundheitsgefährdend bis hochgiftig ist vieles, was an einzelnen Stoffen in der modernen Elektronik verbaut ist. Blei in den Bildschirmen von Computern, in den älteren Modellen auch noch Arsen. Im PC selbst stecken Kadmium, Selen oder Chrom. Mobiltelefone bestehen gar aus bis zu 45 chemischen Elementen. Darunter befinden sich die bei direktem Kontakt mit dem menschlichen Organismus besonders gefährlichen Blei, Beryllium und Antimon. Während die Giftstoffe zum Teil als für die technische Funktionalität unabdingbar gelten und im Gerät in der Regel gut geschützt verbaut sind, kann jede unqualifizierte Demontage sie freisetzen. Dies ist nicht nur für die Umwelt, sondern auch für die Menschen, die dies ohne Schutz tun, eine erhebliche Gefährdung. Denn in Ländern wie Indien oder Nigeria wird oft unter primitivsten (billigsten) Bedingungen versucht, das zu gewinnen, was noch wertvoll ist.
    Quelle: junge Welt
  20. Bloß nicht zum Griechen
    Die EU zwingt Griechenland die alleinige Verantwortung für zehntausende Flüchtlinge auf. Das Land ist überfordert, die humanitären Zustände sind katastrophal. Nach dem Wahlsieg der sozialdemokratischen Pasok im Herbst 2009 besuchte der neue stellvertretende Innenminister Spyros Vouyia das Lager Pagani und fand es “schlimmer als Dantes Inferno”. Doch erst als die zu jenem Zeitpunkt schon seit Wochen anhaltenden Revolten fortdauerten und die Gefangenen aus Verzweiflung Brände in ihren Zellen legten, schloss die Regierung das Lager vorläufig. Kürzlich besuchten Aktivisten von Welcome to Europa mit ehemaligen Gefangenen den heute leer stehenden Komplex. Unter ihnen ist der junge Afghane Aziz Sultani. Als er eine der Fabrikhallen aus grauem Beton betritt, geht er zielstrebig auf eines der Doppelstockbetten aus rostigem Metall zu. “Das war meins”, sagt er. Wochenlang hat er darin geschlafen. Und damit hatte er noch Glück. “Wir haben es gezählt: An einem Tag waren 254 Leute hier drin”, sagt Sultani. Für sie gab es 39 Stockbetten aus Metall, darin dünne, zerschlissene Matratzen. In einer Ecke sind zwei mit Seitenblechen verdeckte Löcher im Boden, die Toiletten. Daneben eine kleine Zelle, die einzige Dusche. Jedem Gefangenen standen 2,5 Quadratmeter zur Verfügung – wegen der doppelten Zellengröße haben Häftlinge in Deutschland schon Schadenersatz zugesprochen bekommen. “Die Toiletten sind ständig übergelaufen, dann floss das Wasser über den Boden, auf dem die Menschen lagen, für die es keine Betten mehr gab”, erzählt Sultani. “Es war unerträglich heiß, viele wurden krank. Niemand wusste, wie lange wir hier bleiben sollten und was danach mit uns passieren würde.”
    “Angesichts des akuten Geldmangels ist es unwahrscheinlich, dass sich die Situation der Flüchtlinge in Griechenland verbessert”, glaubt  Migrationsforscher Kasparek. “Die neue Regierung hat mehrfach solche Absichtserklärungen abgegeben, tatsächlich hat sich die Lage aber weiter verschlechtert.” Die neuen Pläne sollen “lediglich der EU und den Gerichten signalisieren, dass sich etwas bewegt”.
    Quelle: taz
  21. Haiti in den Zeiten der Cholera
    Der Mangel an Trinkwasser und verunreinigtes Wasser, erklären Helfer vor Ort, seien nach wie vor eines der großen Probleme Haitis. Gemüse liege in den Märkten regelrecht im Dreck und werde nur unzureichend erhitzt konsumiert. Ein 16-Liter-Kanister mit Trinkwasser kostet inzwischen 200 Gourdes, umgerechnet etwas mehr als vier Euro. Das ist unerschwinglich für den Großteil der Bevölkerung, die zu vier Fünftel mit durchschnittlich 77 Eurocent am Tag ihren Lebensunterhalt bestreiten muss. Viele Menschen sind daher regelrecht gezwungen, kontaminiertes Wasser aus dem Fluss zu nutzen – nicht nur für die Wäsche und zum Baden, sondern auch fürs Kochen und zum Trinken.
    Diese Probleme hätten sich seit dem Erdbeben vom Januar, das rund 300.000 Tote forderte, noch verschärft, sagt der Hospitalmanager des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in Haiti, Andreas Fabricius. Das DRK betreibt seit dem Erdbeben ein großes Behelfskrankenhaus in Carrefour. Eine der Ursachen für den Ausbruch der Cholera sieht Fabricius in den schweren Regenfällen der letzten Wochen, die zu Überschwemmungen geführt hätten und auch dazu, dass Latrinen übergelaufen seien. Die Koordinatorin der deutschen Hilfsorganisation Humedica, Caroline Klein, warnt davor, von einer Eindämmung der Suche zu reden. Das Gegenteil sei der Fall: “Wir wissen, dass die Cholera sich im Norden weiter ausbreitet und es einen großen Bedarf an Hilfe gibt. Die Situation ist definitiv nicht unter Kontrolle und es gibt noch immer betroffene Orte, die komplett ohne medizinische Versorgung sind”, heißt es in einer Erklärung.
    Quelle: taz
  22. Die EU schafft sich ab – Rezension vonHeiner Flassbecks „Die Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts“
    Bei seinem neuesten Buch „Die Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts“ handelt es sich weniger um einen Beitrag zur aktuellen Finanzkrise, wenngleich diese natürlich auch behandelt wird, sondern vielmehr um einen makroökonomischen Blick auf die sowohl in Deutschland wie auch global (vor-)herrschende Wirtschaftspolitik und ihre theoretischen Grundlagen. Solle der „Traum, Europa auf Dauer zu einem funktionierenden Wirtschafts- und Politikgebilde zu formen“, nicht schon bald zum Alptraum werden, bedürfe es einiger Einsichten, die in fundamentale wirtschaftspolitische Neuausrichtungen münden müssten.
    Zentral für Flassbecks Analyse ist die Zurückweisung der einzelwirtschaftlichen beziehungsweise unternehmerischen Sicht in Fragen der Volkswirtschaft und in Fragen des internationalen Handels. Denn was für einen Unternehmer betriebswirtschaftlich sinnvoll sei, könne makroökonomisch und global schädlich sein. Er attestiert dem neoliberalen Mainstream-Diskurs, diesen Unterschied weitestgehend misszuverstehen.
    Quelle: Literaturkritik
  23. Zu guter Letzt: Atomdebatte im Bundesrat

    Atomdebatte im Bundesrat

    Quelle: Harm Bengen

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