Heiner Flassbeck zur aktuellen Eurokrise und zur Marktwirtschaft des 21. Jahrunderts

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Für Heiner Flassbeck gibt es nur eine zielführende Lösung der Eurokrise: „Kurzfristig sind die Zinsdifferenzen durch eine gemeinsame, von allen EWU-Ländern getragene Euroanleihe zu beseitigen, und es muss verhindert werden, dass die angeschlagenen Defizitländer durch ein kontraproduktives Kaputtsparen der öffentlichen Haushalte in eine weitere Rezession abgleiten. Gleichzeitig muss den Finanzspekulanten das Handwerk gelegt werden.“ Und: „Will man den Euro – und mit ihm das ganze europäische Projekt – retten, gibt es mittel- und langfristig nur einen einzigen Ausweg: Die Wettbewerbsfähigkeit der Länder mit Auslandsschulden muss wiederhergestellt werden und die außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte müssen beseitigt werden. Das kann innerhalb der EWU nur durch eine Umkehr der Lohnstückkostenpfade erreicht werden: Deutschland braucht stärker steigende Lohnstückkosten als die EWU-Partner, die Südeuropäer dagegen unterdurchschnittliche.“ (S. 214f.) So lautet das Resümee in Flassbecks neuem Buch „Die Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts“. Wolfgang Lieb

Wenn man diesen Lösungsvorschlag vor dem Hintergrund der gestrigen Regierungserklärung der Kanzlerin liest, dann wird schlaglichtartig deutlich, wie national verengt und ökonomisch borniert der wirtschaftspolitische Kurs in Deutschland ist: “Wir dürfen nicht den Fehler machen, die Vergemeinschaftung des Risikos als Lösung erscheinen zu lassen” sagte Merkel und wies die Einführung gemeinsamer Euro-Bonds, die auch EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso, Luxemburgs Ministerpräsident Jean-Claude Juncker fordern, brüsk zurück. Stattdessen verlangte Merkel der deutschen Boulevard-Presse folgend erneut Sanktionsmechanismen gegen „Haushaltssünder“ nach dem – wie Flassbeck meint – „primitiven Prinzip, dass, wer Schulden hat, auch Schuld hat“ (S. 212). Primitiv nennt Flassbeck dieses Prinzip, weil es die einzelwirtschaftliche Logik zum Ganzen erkläre. Eine Nation die in der Schuldenfalle stecke, könne nicht einfach nur den Gürtel enger schnallen, sie konkurriere vielmehr mit ihren Gläubigern und deshalb müsse es unter anderem der Gläubiger auch zulassen, dass der Schuldner wieder auf einen grünen Zweig komme. (S. 207) Die fundamentale Fehlentwicklung, die der Verschuldung zugrunde liege, sei das außenwirtschaftliche Ungleichgewicht und nicht, wie in Deutschland behauptet, das Ungleichgewicht in den öffentlichen Haushalten (S. 77). Dem Problem der Staatsschulden werde wesentlich mehr Aufmerksamkeit gewidmet, als dem weit wichtigeren Problem der Zahlungsbilanz und der Ungleichgewichte in der internationalen Wettbewerbsfähigkeit (S. 79). Wie man es auch drehe und wende, aus dem Verhältnis von öffentlicher Schuldenstandsquote, Defizitentwicklung und Zinsdifferenzen am Kapitalmarkt ließen sich keine sinnvollen Erkenntnisse für die Stabilitätsprobleme innerhalb der EWU gewinnen. Die massiven Sparanstrengungen die jetzt etwa von den südeuropäischen Staaten abverlangt würden, verschärften nur die Rezession und leerten die öffentlichen Kassen weiter.

Die Regierung verstoße seit Jahren gegen die einfache Lehre: „Wenn der Gläubiger Deutschland die Rückzahlungsfähigkeit seiner Schuldner in Südeuropa systematisch untergräbt, indem er ihre relative Wettbewerbsposition permanent verschlechtert, wird er damit leben müssen, dass er auf faulen Krediten sitzen bleibt und dem Schuldner durch Stundung, verbesserte Zinskonditionen oder gar Schuldenerlass entgegenkommen muss, will er keinen Totalausfall seiner Vermögensansprüche riskieren.“ (S. 214)

Deutschland sei gefangen in der Ideologie, dass ausschließlich sparen und niedrige Löhne mehr Beschäftigung und Wachstum schafften und solange man nur diesen „Tunnelblick“ (S. 238) habe, sieht Flassbeck nur noch den Ausweg aus der Eurokrise, „dass die Südeuropäer einschließlich Frankreichs eine eigene Währungsunion mit einem „Süd-Euro“ gründen“, (S. 216) würde diese Süd-Union gegenüber dem „Nord-Euro“ um 30 oder besser gar 40 Prozent abgewertet, dann wäre die Wettbewerbsfähigkeitslücke mit einem Schlag mehr als ausgeglichen – ein in Deflation verharrendes Deutschland bliebe mit seiner tollen Wettbewerbsfähigkeit allein zurück.

So aktuell die Schlusskapitel des neuen Buches von Heiner Flassbeck sind, obwohl sie schon im Sommer geschrieben wurden, so spannend liest es sich für den an ökonomischen Grundfragen Interessierten. Es ist immer wieder faszinierend mit welch einfachen und zugleich überzeugenden Argumenten der in Genf arbeitende Direktor der UNCTAD (United Nations Conference on Trade and Development) die Glaubenssätze der herrschenden ökonomischen Lehre ad absurdum führt. Was Heiner Flassbeck im Pleisweiler Gespräch nur thesenhaft und in Ausschnitten vortragen konnte, kann man in der „Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts“ ausführlich nachlesen.

Das derzeitige wirtschaftliche System versage, weil es nicht mehr aus einem Zusammenspiel von unabhängiger Politik, Unternehmertum und Arbeitnehmerinteressen gebildet werde, sondern weil die Politik von vorneherein darauf ausgerichtet sei, die Arbeitnehmer zu schwächen und die Unternehmen zu stärken (S. 13). Marktwirtschaft könne aber nicht ohne strikte Regeln und ohne einen durchgreifenden Schiedsrichter funktionieren, darüber hinaus müsse der Staat das gesamte System makroökonomisch steuern.

So sei etwa der zentrale Geburtsfehler der europäischen Union, dass man der Zentralbank nur die Aufgabe der Geldwertstabilität und nicht auch die Verantwortung für Beschäftigung gegeben habe. Mit diesem Fehler habe die Ideologie der Flexibilisierung der Arbeitsmärkte und die weitere Ideologie, wonach die Inflationsrate unabhängig von den Arbeitsmärkten geldneutral sei, aufrecht erhalten werden können. Wäre man diesen Glaubenslehren nicht gefolgt, so hätte die große Krise der Europäischen Währungsunion, an deren Wurzel das deutsche Lohndumping stehe, wahrscheinlich vermieden werden können. (S. 19).

Wie im Pleisweiler Gespräch geht Flassbeck mit dem „Herdentrieb“ und der Tatsache, dass auf den Finanzmärkten keine Werte geschaffen würden und im Gegenteil sogar noch die Realwirtschaft geschädigt würde, hart ins Gericht (S. 25f.) Aus einem Casino könne eben nicht mehr herauskommen als hineingetragen würde, dort gebe es allenfalls ein Nullsummenspiel (S. 28). Flassbeck erläutert das am Beispiel der Rohstoffmärkte, die eben nicht von Angebot und Nachfrage sondern von Spekulationen getrieben würden (S. 31). „Die Herde gewinnt, so lange sie rennt“. Das Anreizsystem auf den Finanzmärkten funktioniere also gerade umgekehrt, wie auf den normalen Märkten, wo der Investor nur gewinnen könne, wenn er sich von der Masse abhebe (S. 41).

Das „Wirtschaftwunder“ der 50er und 60er Jahre sei vor allem deshalb zustande gekommen, weil die Teilhabe der Menschen am gemeinsam erarbeiteten Zuwachs der Wertschöpfung garantiert gewesen sei (S. 41). Mit der Ideologie vom sog. „Standortwettbewerb“ sei es zu einer Stagnation der Kaufkraft und des Wachstums gekommen. Das Gegenteil von dem, was die neoklassische Theorie behaupte, sei eingetreten: Mit dem Zurückbleiben der Reallöhne hinter der Produktivität sei die Beschäftigung systematisch gesunken und nicht etwa angestiegen. Der einzige „Erfolg“ sei der Exportboom gewesen und der sei wiederum ursächlich für die Krise des europäischen Währungssystems.

Anders als „98 Prozent der Ökonomen“ glaubten, müsse die Wirtschaft darauf setzen, dass die Produkte, die mit einer immer besseren Technologie erzeugt würden, auch abgesetzt würden, und das gehe eben nur, wenn die Reallöhne der Produktivität folgten. Wenn dann noch dafür gesorgt würde, dass nicht zu viel gespart würde, dann könnte auch eine Marktwirtschaft im 21. Jahrhundert noch funktionieren. „Die gesamte Wirtschaftspolitik der letzten 30 Jahre, die Reformen des Arbeitsmarktes, die Versuche zur Verbesserung des Standorts Deutschland, alles war unternehmerischem Handeln abgeschaut, ohne jede gesamtwirtschaftliche Perspektive“ (S. 53)

Hinter dem Widerstand gegen den Mindestlohn stehe die „äußerst primitive“ Vorstellung vom Arbeitsmarkt nach dem Motto: „Wer zu viel bekommt, muss entlassen werden, wer zu wenig bekommt, geht“ (S. 56). Aber kein Mensch wisse, wie viel die Arbeit jeweils wert sei, die „Entlohnung gemäß Produktivität“ sei in der Realität einer arbeitsteiligen Marktwirtschaft eine von Ökonomen erfundene Fiktion. Das wichtigste Prinzip der Marktwirtschaft sei: Die Masse der Menschen müsse vollständig am Wertzuwachs partizipieren, weil man sie nicht nur als Produzenten der Güter brauche, sondern auch als Nachfrager, wenn man auf Dauer erfolgreich wirtschaften wolle. „Das Wunder der deutschen Nachkriegsentwicklung war ein Lohnwunder“ (S. 58).

Das Versagen der herrschenden Volkswirtschaftlehre zeige sich nirgendwo deutlicher als am Beispiel des Euro: Die deutsche Preisentwicklung sei weit hinter der der übrigen Europartner zurückgeblieben. Wegen der Inflationsdifferenzen zwischen den Mitgliedstaaten und der auseinanderlaufenden Angebotspreise hätten sich die Marktanteile vor allem zugunsten Deutschlands verschoben. Das Verhältnis der Nominallöhne zur Produktivität (die Lohnstückkosten) bestimme nämlich vornehmlich, wie sich die Güterpreise bei funktionierendem Wettbewerb entwickelten. Ein weiterer zentraler Faktor für die Produktionsentwicklung sei die Auslastung und der Umfang des Kapitalstocks. (Die Geldpolitik nehme nur indirekt Einfluss auf die Preisentwicklung, indem sie durch die Zinspolitik die Investitionen stimuliere oder bremse.)
„Hätte man den Teilnehmern der EWU 1999 gesagt, dass es die zentrale Voraussetzung für die Lebensfähigkeit jeder Währungsunion ist, dass sich jedes Mitgliedsland um die Einhaltung der Lohnregel (Inflation plus Produktivitätsgewinn) bemüht, hätte man sich die übrigen Maastricht-Kriterien sparen und die fatalen Handelsungleichgewichte vermeiden können“ (S. 76).

Um seine These von den Handelsungleichgewichten zu untermauern, geht Flassbeck ausführlich auf die herrschende Freihandelstheorie ein. Ricardos Theorem der „komparativen Vorteile“, auf das sich die herrschende Lehre nach wie vor stütze, sei „realitätsfern“. So sei etwa weder Lohndumping, noch die Tatsache, dass die Wechselkursbildung heute ein Spielball der Spekulanten geworden sei, erfasst. Vor allem werde auch nicht auf die Direktinvestitionen eingegangen, die hohe Produktivität der entwickelten Länder in Länder mit niedrigsten Löhnen verlagerten und auf diese nicht etwa „komparative Vorteile“ sondern Monopolgewinne ermöglichten. Statt über ein realitätsferne Freihandelstheorie, sollte man lieber eine Diskussion über ein vernünftiges Wechselkurssystem und über das Lohndumping einzelner Länder führen, womit sich einzelne Länder ungerechtfertigte Vorteile verschafften. Handel sei eben keine Einbahnstraße: „Wer immer gewinnt, wird am Ende verlieren“ (S. 88).

Flassbeck kennt selbstverständlich auch die Diskussion um die „Grenzen des Wachstums“ bzw. über die Sättigungsthese. Der herrschend (quantitative) Wachstumsbegriff unterstelle, dass aufgrund der Ideologie der sog. „Konsumentensouveränität“ die Unternehmer und der Staat schlichte Befehlsempfänger der Verbraucher seien. Die „Konsumentensouveränität“ unterstelle, dass die Wirtschaft dem Menschen diene und nicht umgekehrt. Wirtschaft sei aber eben nicht machtfrei. Die Konsumenten seien nicht in der Lage die Welt zu verändern, sie seien vielmehr Teil eines Systems, das gar nicht in erster Linie dafür gemacht sei, ihre Wünsche zu erfüllen. Das System müsse umgekehrt so gestaltet werden, dass es die Wünsche der Menschen erfüllt, die Marktwirtschaft also solche allein tue das nicht (S. 90).

Nur wenn man konsequent eine Wirtschaft analysiere, in der es weder Konsumentensouveränität noch die Übereinstimmung von einzelwirtschaftlichen und gesamtwirtschaftlichen Zielen und Ergebnissen gebe, könne man ein realistisches Bild von Wirtschaft entwerfen. Nur auf dieser Basis könne Wirtschaftspolitik gezielt und zielgenau eingreifen, um das System „den wohlverstandenen Wünschen der Menschen und den von der Natur gesetzten Grenzen anzupassen (S. 91). Das sei die Herausforderung zu Beginn des 21. Jahrhunderts.

Der konstruierte Konflikt zwischen Ökonomie und Ökologie sei ein Scheinkonflikt. Es gebe keine Definition der Güter, deren Produktion man zum Wachstum zählen müsse oder nicht: „Wachstum ist das, was die Gesellschaft wünscht“ (S. 92). Der Staat müsse als Pionierunternehmen für das Produkt Umweltschutz auftreten. Mit der Politik der Lohnsenkung jedoch habe man sich um die alten Märkte geschlagen, statt neue Märkte zu schaffen.

Derzeit rede man nur noch über die Schuldenkrise. Man komme allerdings um eine simple Wahrheit nicht herum: Die Schulden des einen, sind immer die Vermögen eines anderen (S. 103). Wenn zu viele hoch verschuldet seien und zur gleichen Zeit versuchten, ihre Schulden herunterzubringen, rissen sie das System noch weiter in die Tiefe. Nur massive Zinssenkungen durch die Notenbank und höhere Schulden des Staates könnten eine Volkswirtschaft stabilisieren, die auf diese Weise das Gleichgewicht verliere.
So habe die Schuldenkrise in Griechenland nichts mit einem Bankrott zu tun, sondern mit der Panik von „Märkten“ verstärkt durch Politik und Medien. Es wäre darum gegangen in dieser Situation den „Märkten“ einen so kräftigen Schuss vor den Bug zu geben, dass sie sich nicht mehr aus der Deckung trauten (S. 104). Hätte man von Anfang an mit dem Mittel der Euro-Anleihe der Spekulation den Garaus gemacht, hätte das ganze Spektakel erst gar nicht gegeben.

Man brauche im Übrigen das ganze „Kartenhaus des Bankensystems“ dazu gar nicht. Die Banken seien nichts anderes als Kreditvermittler im Auftrag des Staates, denn sie leiteten letztlich die von der Zentralbank zur Verfügung gestellte Liquidität an Kreditnehmer weiter. Es sei auf Dauer nicht hinnehmbar, dass die Banken vom Staat billiges Geld via Zentralbank bekämen und damit wiederum Staatsanleihen dieses Staates kauft, die weit höhere Zinsen abwerfen (S. 190). Dass die Europäische Zentralbank nicht direkt, sondern nur über den Umweg der Refinanzierung der Banken Staatsanleihen kaufe, sei nur der Ideologie zu verdanken, wonach nur die Weisheit der „Märkte“ den Staat hindere, das Geld zu verschleudern. Wenn aber Finanzmarktakteure dank der Finanzmarktliberalisierung ein Währungssystem, ja die Weltwirtschaft an den Rand des Zusammenbruchs führten, dann störe das die Neoliberalen nicht weiter. Der Aberwitz sei, dass im Frühjahr 2010 die gleichen Akteure, die mit ihren Wettschulden die Staaten in immer höhere Defizite getrieben hätten, nun anfingen über Staatsbankrotte zu reden.

Auf den Finanzmärkten, seien die Dinge fundamental schief gelaufen. Marktwirtschaft müsse endlich wieder als ein dienendes Element der Demokratie zurückgeführt werden. Nur weil die Finanzmärkte nach der großen Depression der 30er Jahre strikt reguliert worden seien, habe es das große Wirtschaftswunder gegeben. Entscheidende Voraussetzung sei die Beendigung der Spekulation mit Währungen. Wechselkurse zwischen Währungen seien neben dem Zins der wichtigste Preis einer offenen Volkswirtschaft. Sie bewegten die gesamte Palette der Außenhandelspreise. Solange das monetäre Problem nicht gelöst sei, löse man auch kein anderes.
Man müsse das Währungssystem möglichst handelsneutral machen, d.h. die nominalen Wechselkurse müssten der Inflationsdifferenz der Länder folgen, also den realen Wechselkurs konstant halten.

Kern des Problems innerhalb des Europäischen Währungssystems sei, dass ein Land über Jahrzehnte Lohnzurückhaltung betreibe, ohne dass es die Möglichkeit der Auf- oder Abwertung gebe.

„Wer klare und einfache Diagnosen hat, hat in der Regel auch klare und einfache Therapien“ (S. 177) schreibt Flassbeck. Bei allem Verständnis für didaktische Zuspitzung und dafür, dass er die Irrlehren der herrschenden Lehre bis ins Absurde treiben möchte, an manchen Stellen sind seine Diagnosen doch etwas zu einfach und dementsprechend auch die Therapievorschläge.
Die Empirie gibt ja Flassbeck Recht, wenn er das Lohndumping in Deutschland als eine zentrale Ursache der ökonomischen Ungleichgewichte herausstellt, aber müsste man nicht noch das Steuerdumping auch noch erwähnen?
Gibt es für die Schuldenkrise Griechenlands nicht auch noch andere Probleme als das ökonomische Ungleichgewicht? (Siehe den heutigen Beitrag von Niels Kadritzke)
Sind es wirklich nur die Lohnstückkosten, die die Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft auf Dauer bestimmen? Ist da nicht doch wieder zuviel Denken in den Kategorien des „Standortwettbewerbs“ im Spiel und eben nicht die Tatsache, dass einzelne Unternehmen mit ihren Produkten miteinander in Konkurrenz stehen? Führt es nicht wenigstens auch zu einem Wettbewerbsvorteil, wenn ein Staat gemessen an anderen viel für Bildung und Wissenschaft und damit für Innovation und im Ergebnis für Produktivität tut? Oder umgekehrt, könnte es auf Dauer nicht auch zu Wettbewerbsverschiebungen im Positiven oder im Negativen kommen, wenn ein Staat hohe Steuern einzieht, um hohe soziale oder Umweltstandards zu haben und andere Staaten solche volkswirtschaftlichen Kosten vernachlässigen?
Das sind Fragen, auf die Heiner Flassbeck sicher auch logische oder zumindest plausible Antworten geben könnte – vielleicht in einem nächsten Buch.

Man kann Flassbecks Zorn über die herrschenden Ideologien und über seine heruntergekommene Wirtschaftswissenschaft nur zu gut verstehen, er entschuldigt zwar gleich am Anfang dafür, aber es hätte ihm besser angestanden und er hätte mit seinem neuen Buch vielleicht mehr zweifelnde Ökonomen erreicht, wenn er ihnen nicht alle paar Seiten vorgehalten hätte, dass sie entweder ignorant oder aber nur einer bornierten Unternehmerlogik folgten.

Heiner Flassbeck, Die Markwirtschaft des 21. Jahrhunderts, Westend Verlag Frankfurt/Main 2010, 242 Seiten, 22,95 Euro

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