Schäuble auf dem Weg in eine Teufelsspirale für Deutschland und Europa

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Vor dem heutigen Treffen der EU Finanzminister in Brüssel legte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble seine innerhalb der Bundesregierung nicht unumstrittene Position zur Rettung des Euros und der Europäischen Währungsunion in der Financial Times Deutschland dar. Wenn sich Schäuble durchsetzt, so führt das in eine Teufelsspirale nach unten für Deutschland und das gesamte Europa. Wolfgang Lieb

Interessant ist zunächst einmal Schäubles regierungsoffizielles Eingeständnis, dass die krisenbedingten Nettokosten der Unterstützung des Finanzsektors durch die G20-Länder vom Internationalen Währungsfonds auf 1,7 Prozent vom BIP, nämlich auf 905 Milliarden Doller geschätzt werden.
Zusammen mit den durch die Finanzkrise erforderlichen Konjunkturimpulsen erhöhte sich dadurch die Staatsverschuldung der Eurozone in nur einem Jahr um fast 10 Prozentpunkte (auf 78,7 Prozent vom BIP 2009, gegenüber 69,3 Prozent in 2008). Das ist das offene Eingeständnis, dass die derzeitige „Schuldenkrise“ eine unmittelbare Folge der der Finanzkrise ist.

Schäuble verliert allerdings kein Wort darüber, wie es zu dem Finanzcrash kommen konnte und welche Verantwortung dafür auch die Politik (bzw. die vorherrschende Deregulierungsideologie) trug, geschweige denn, dass er eine Andeutung darüber macht, was die Bundesregierung und die EU tun sollte, um die Wiederholung solcher Krise zu verhindern. Im Gegenteil: Schäuble spart bei seiner Schuldenkrisenanalyse den Finanzsektor komplett aus und kommt auf das typisch neoliberale Begründungsmuster, dass nämlich das hohe Verschuldungsniveau „in Wahrheit“ damit zu erklären sei, dass „viele Länder Europas und der G20 deutlich über ihre Verhältnisse gelebt“ hätten – „und dazu gehört auch Deutschland“, behauptet er.

Auf die Idee, dass Deutschland seit Jahren „unter“ seinen Verhältnissen gelebt hat, weil es durch Lohndumping und einem Unternehmen-Steuersenkungswahn einen riesigen Leistungsbilanzüberschuss erzielt hat, kommt Schäuble nicht. Gegen die Staatsverschuldung von 78,7 Prozent vom BIP stehen nach der jüngsten Untersuchung des DIW 307 Prozent des BIP an privatem Nettovermögen. Den Zusammenhang zwischen öffentlicher Armut und privatem Reichtum blendet er einfach aus. Dass die privaten Nettovermögen von 1991 bis 2009 um 99% auf 7.370 Milliarden gestiegen sind, stört ihn nicht.

Wer in Deutschland „über seinen Verhältnissen“ gelebt hat, zeigt sich vor allem in der Verteilung dieses immens gewachsenen Vermögens: Die obersten 20% der Vermögensverteilung besitzen rund 80% des Nettogeldvermögens (Bruttogeldvermögen minus Konsumentenkredite), während alleine die obersten 10% zwei Drittel besitzen. Die untersten 25% besitzen nicht nur kein Nettogeldvermögen, sondern sie verfügen sogar über ein negatives Nettogeldvermögen – sprich, sie haben mehr Schulden als Guthaben. Zwei Drittel der Deutschen verfügen laut DIW über gar kein oder nur ein sehr geringes Nettogeldvermögen.

Wenn man noch hinzunimmt, dass Deutschland mit seiner ausschließlich auf Export orientierten Wirtschaftspolitik – wie selbst der Sachverständigenrat einräumt – seit dem letzten Jahrzehnt im Vergleich zu anderen EU-Staaten ein „sehr niedriges Wachstum“ zu verzeichnen hatte, brauchte sich Schäuble eigentlich nicht darüber zu wundern, dass man „zu lange mehr ausgegeben als eingenommen“ hat.

Typisch für seine eindimensionale Finanzpolitik, lobt Schäuble die „Schuldenbremse“, die nun gerade eine aktive Zukunftsvorsorge durch den Staat etwa durch eine antizyklische Konjunkturpolitik vollends ausschließt [PDF – 32 KB]. Wenn man Steuermehreinnahmen durch höhere Löhne und konjunkturelle Dynamik nicht im Blick hat, bleibt als vermeintlich einzige Lösung zum Schuldenabbau nur noch das „Sparen“. Schäuble hat sich damit wieder einmal auf das ökonomische Niveau der „schwäbischen Hausfrau“ begeben. Schäuble hat nichts daraus gelernt, dass auch alle seine Vorgänger aufs Sparen setzten und regelmäßig sogar mehr neue Schulden aufnehmen mussten. Er verweigert die Erfahrung, dass die meisten Länder, die Schulden abbauen konnten, dies vor allem dadurch geschafft haben, weil die Konjunktur die staatlichen Kassen füllte. Zuletzt zu beobachten im Jahre 2007, wo man dank eines günstigeren Konjunkturverlaufs schon von einem ausgeglichenen Haushalt träumen konnte.

Genauso typisch für die eindimensionale Sichtweise seiner Finanzpolitik fällt Schäubles Blick beim Sparen natürlich vor allem auf die Sozialleistungen:

„Mehr als die Hälfte des deutschen Bundeshaushaltes entfallen in diesem Jahr auf Sozialleistungen. Also haben wir kaum eine andere Wahl, als diese, zumindest moderat, zurückzuschneiden. Doch lässt sich diese Art von Haushaltskonsolidierung nur erreichen, wenn eine Mehrheit sie als sozial gerecht empfindet. Ob Sozialhilfeempfänger, staatlich gefördertes Unternehmen oder Beamter: Alle müssen Opfer bringen.“

Soziale Gerechtigkeit spielt sich also für Schäuble nur noch zwischen Sozialhilfeempfängern, Beamten und staatlichen geförderten Unternehmen (also etwa der Bahn) ab. Die Gewinner der Finanzkrise, diejenigen, die ein Millionen- oder gar Milliardenvermögen angehäuft haben oder die Einkommensmillionäre bleiben bei dieser Art sozialer Gerechtigkeit außen vor.

Was die Gewinnerseite anbetrifft, so kommt von ihm nur der Verweis auf die Beiträge der „Finanzinstitute“: Gemeint ist wohl die lächerliche Bankenabgabe von etwas über einer Milliarde, der allein schon bis Ende 2009 – wie die FTD am 19. April 2010 berichtete – 98 Milliarden an staatlichen Kosten zur Stützung der Finanzinstitute gegenüber stehen. Geradezu an systematische Volksverdummung grenzt der Hinweis Schäubles auf die „zusätzlichen Steuern für große Energieunternehmen“. Schäuble meint wohl die Brennelementesteuer für die Atomkonzerne von jährlich 2,3 Milliarden bis 2016 (!) im Gegenzug für die Verlängerung der Laufzeiten für die Atomkraftwerke, wodurch nach Berechnungen der Baden-Württembergischen Landesbank Zusatzgewinne von mindestens 119 Milliarden anfallen.

Diese „konsequent unsoziale“ „Sparpolitik“ erklärt nun Schäuble auch noch zu einem „positiven Beispiel für andere Euroländer“. Sie sei notwendig „um das Vertrauen der Märkte“ wiederherzustellen. Dass die Schuldenkrise in den europäischen Peripherländern vor allem gerade mit der Panik dieser „Märkte“ zu tun hat, dass Irland durch die Übernahme der Bankenschulden in eine Schuldenkrise geraten ist und Griechenland wie die anderen Südeuropäer vor allem deshalb verschuldet sind, weil sie gerade auch von Deutschland durch Lohndumping in hohe Leistungsbilanzdefizite getrieben worden sind und aufgrund der Währungsunion sich nicht durch eine Abwertung ihrer Währung dagegen wehren können, übersieht Schäuble einfach.

„Krisenvermeidung- und bewältigung“ in der Eurozone besteht für Schäuble nur in einer konsequenten Sparpolitik und in „semiautomatischen Sanktionen für Regierungen“ die sich an den europäischen „Stabilitätspakt“ nicht halten, nämlich indem man für sie EU-Mittel einfriert und deren Stimmrecht in der EU aussetzt. Warum sollten die armen Länder auch noch etwas mitzureden haben? Dass man mit solchen Folterinstrumenten für die Ländern, die in Schwierigkeiten geraten sind, deren „Marsch in die Deflation“ nur noch beschleunigt, so dass sie ihre Schulden schon gar nicht mehr abtragen können, entzieht sich Schäubles durch seine ideologischen Scheuklappen verengten Blick.

Schäuble lehnt eine Verbilligung staatlicher Kreditaufnahmen der Krisenstaaten durch gemeinsame Eurobonds (Übernahme von Staatsanleihen durch die EU-Länder) und „unverblümte“ Finanztransfers von den reicheren an die armen Länder strikt ab. Der Gedanke, dass die EZB vorübergehend Staatsanleihen der armen Länder aufnimmt, um die Spekulation abrupt zu stoppen, kommt ihm schon gar nicht. Er unterstützt damit die Paradoxie, dass die Banken über die Zentralbank billiges Geld erhalten und dieses Geld gleichzeitig wieder mit hohen Risikoaufschlägen (und damit Gewinnen) an die Schuldnerstaaten als Kredite vergeben können und das noch mit der Garantie, dass ihre Kredite durch den europäischen Rettungsschirm abgesichert sind.

Die Währungsunion sei entwickelt worden „um zu Strukturreformen zu ermutigen“. Diesen Satz sollte man sich merken. Es sind die „Strukturreformen“ die in Deutschland vor allem im letzten Jahrzehnt durchgesetzt worden sind, nämlich Lohnsenkung, Unternehmenssteuersenkung, Sozialabbau, Deregulierung, Privatisierung (Abbau des Staatsvermögens) und Zurückdrängung einer aktiven staatlichen Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik. Das deutsche System der Umverteilung von unten nach oben soll nach Schäuble also in die übrigen europäischen Länder exportiert werden. Nach deutschem Vorbild sollen auch die anderen Mitgliedsländer so „ihre Wettbewerbsfähigkeit … stärken“.

Deutschlands „Kurs einer wachstumsfreundlichen Rückführung des Defizits könnte, zusammen mit seinen Vorschlägen zur Stärkung des finanzpolitischen Rahmens Europas (Sanktionen !), als Entwurf für eine europäische Wirtschafsregierung dienen“, meint Schäuble. Am deutschen Wesen soll also Europa genesen… Bis dann alles in Scherben fällt, weil die europäischen Peripherländer in eine lähmende Deflation fallen und ihre Kredite nicht mehr bedienen können und die anderen Länder ihre kreditgebenden Banken ein weiteres Mal retten müssen. Wenn Deutschland das dann überhaupt noch könnte, weil zwischenzeitlich durch die Exporteinbußen der deutschen Wirtschaft (nahezu 60 Prozent unserer Exporte gehen in EU-Länder) die Wirtschaftskraft fehlt, um noch ausreichende Bonität gegenüber den eigenen Kreditgebern darstellen zu können.

Schäubles Kurs führt in eine Teufelsspirale. Man kann nur noch hoffen, dass er heute durch die anderen europäischen Finanzminister gestoppt wird.

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