Gewerkschaften springen auf den falschen Zug auf: Nach der Wirtschaft wollen sich nun auch die Gewerkschaften in die Schule einmischen

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Der DGB, und die Einzelgewerkschaften IG BCE, GEW, IG Metall und ver.di wollen mit verschiedenen Aktivitäten und Projekten Schülerinnen und Schüler auf ihrem Weg ins Berufsleben unterstützen. Eine löbliche Idee, könnte man meinen.
Doch es ist der „falsche Zug“ auf den die Gewerkschaften aufgesprungen sind. Die Arbeitgeberseite hat sich dort mit ihrem einseitigen ideologischen Weltbild schon längst breit gemacht hat. Die Gewerkschaften machen sich nur noch zum Trittbrettfahrer interessenbezogener Einflussnahme auf öffentliche Schulen. Wolfgang Lieb

Seit Jahren kritisieren wir die massive Einflussnahme der Wirtschaft, von Wirtschaftsverbänden und wirtschaftsnahen Think-Tanks auf die öffentlichen Schulen.

  • Da ist z.B. „SEIS macht Schule“, ein Selbstevaluations- und Steuerungsinstrument für Schulen, das die Bertelsmann Stiftung entwickelt hat, um die „Qualität“ unserer Schulen allerdings nach ihren Kriterien zu messen und zu steigern. Die Handreichung wurde von vielen Schulen in allen Bundesländern aufgegriffen, inzwischen sogar gegen Bezahlung. Da ist das bertelsmannsche Projekt „Wirtschaft in die Schule“, oder die „Toolbox Bildung“. Diese Einflussnahme „verkauft“ die Stiftung unter dem Tarnwort „eigenverantwortliche Schule“. Das ist das ideologische Einfallstor für Deregulierung und dem unkontrollierten Zugriff von Partikularinteressen auf die Schule [PDF – 409 KB] und – was für Schüler und Eltern vielleicht am schlimmsten ist – einer der Auslöser für den schulpolitischen Flickenteppich, der jeden Ortswechsel zum Problem werden lässt.
  • Wirtschaft und Schule“ nennt sich das Projekt mit dem die arbeitgeberfinanzierte INSM ganze Unterrichtseinheiten „nach modernen didaktisch-methodischen Gesichtspunkten“ zusammenstellt. Mit Themen wie „Wie machen wir unsere Wirtschaft fit?“ oder „Weshalb sind Reformen notwendig?“ oder „Warum sind Unternehmer wichtig für unser Land?“. Unter dem Vorwand, Schülern einen erfolgreichen Start ins Berufsleben zu ermöglichen, wird Hauptschülern, Realschülern, Gymnasiasten und Berufsschülern das Weltbild dieser neoliberalen Propagandaagentur vermittelt: Mehr “Eigenverantwortung”, Abbau sozialer Leistungen, Rückzug des Staates, weniger Mitbestimmung – das alles natürlich unter dem nun auch von Bundeskanzlerin Merkel übernommenen Slogan: “Mehr Freiheit”. Unterrichtsziel: Der Mensch ist nur noch für die Wirtschaft da.
  • Mit „Handelsblatt macht Schule“ steuert dieses Wirtschaftsblatt Unterrichtseinheiten etwa über die „Wirtschaftsordnung“ bei. Dabei werden natürlich nahezu ausschließlich die Begründer und Anhänger der wirtschaftsliberalen „Freiburger Schule“, Walter Eucken und Alfred Müller-Armack, vorgestellt. Das „ordnungspolitische Leitbild“ lautet: „Die Marktwirtschaft ist sozial“ oder „Freiheit auf dem Markt ist der Prüfstein für sozialen Fortschritt“.
  • Auch auf Landesebene gibt eine kaum noch überschaubare Zahl von Initiativen, mit denen z.B. die hessische Landesarbeitsgemeinschaft SchuleWirtschaft Wettbewerbe für die „Politik- und Wirtschaftskurse der hessischen Schulen mit gymnasialem Bildungsgang ausschreibt.
  • Man könnte noch zahlreiche weitere Beispiele für Zugriffe der Wirtschaft auf die Schulen und Schülerinnen und Schüler anführen. (Googeln Sie einfach einmal unter der Domaine www.nachdenkseiten.de die Suchworte Wirtschaft Schule) Es gibt inzwischen ein ganzes Netzwerk solcher Initiativen teilweise sogar getragen von quasi-neutralen universitären An-Instituten.

Angesichts eines solchen Generalangriffs der Arbeitgeberseite auf die Köpfe von Kindern und Jugendlichen in den öffentlichen Bildungseinrichtungen ist es auf den ersten Blick vielleicht sogar verständlich, wenn nun auch Gewerkschaften mit ihrem Projekt „Gewerkschaften in der Schule“ in diesen Kampf um die Lerninhalte eingreifen wollen und mit verschiedenen Aktivitäten Schülerinnen und Schüler „auf ihrem Weg ins Berufsleben“ unterstützen wollen.

Das hört sich pluralistisch an, nach dem Motto was den Arbeitgebern recht ist muss den Arbeitnehmervertretern billig sein.

Leider ist das nur auf den ersten Blick eine gute Idee.

Damit geben die Gewerkschaften der Arbeitgeberseite erst eine Legitimation, so weiter zu machen wie bisher. Künftig wird es heißen: Was die Gewerkschaften dürfen, können die Arbeitgeber schon lange.

Wenn die beteiligten Gewerkschaften die Hoffnung haben, damit ein Gegengewicht zur Arbeitgeberseite liefern zu können, dann täuschen sie sich selbst. Sie haben nicht im Ansatz die Ressourcen zur Verfügung mit denen die Gegenseite arbeiten kann. Es wird deshalb bestenfalls ein kläglicher Versuch sein, Inhalte aus der Arbeitswelt den ökonomischen Ideologien der Wirtschaftsverbände und ihrer Lobbyorganisationen entgegenzustellen.

Die Wirtschaftsseite tritt darüber hinaus viel raffinierter auf: Nur die wenigsten Initiativen gehen von den Arbeitgeberverbänden oder einzelnen Unternehmen selbst aus. Sie bedienen sich „gemeinnütziger“ Stiftungen, wie der Bertelsmann Stiftung, oder sie verstecken sich hinter einer neutral anmutenden Wirtschaftszeitung, wie dem „Handelsblatt“, oder sie tarnen sich hinter angeblich am Gemeinwohl orientierten PR-Agenturen, wie etwa der INSM.
Diese pseudoneutrale Tarnung war der Türöffner in die Schulen hinein und bei nicht sensibilisierten Lehrerinnen und Lehrer. Auch die Schülerinnen und Schüler werden dadurch getäuscht und in die Irre geführt.

Die meisten Schulleiterinnen und Schulleiter sperren sich gegen parteipolitische Aktivitäten in den Schulen – und das zu Recht. Viele von ihnen werden auch die Initiative der Gewerkschaften mit dem Hinweis auf die weltanschauliche Neutralität ihrer Schule abwehren. Übrigens genauso, wie sie solche Versuche von Seiten des BDI, des BDA oder der IHK für das Image ihrer Schule eher kritisch betrachten würden, weil der Interessensbezug zu offensichtlich wäre und sich vielleicht die Lehrerschaft und Eltern dagegen wenden würden. Die Arbeitgeberverbände haben längst begriffen, dass sie sich das Mäntelchen von quasi-neutralen Fach-„Experten“ umhängen müssen und gerade deshalb ihre „Vorfeld“-Organisationen aufgebaut. Meistens finanzieren sie diese auch nur diskret oder jedenfalls nur für Eingeweihte erkennbar.

Und wenn die Schulen gewerkschaftliches Material zulassen sollten, dann dürfte zur Wahrung der Pluralität oder der „Ausgewogenheit“ zumindest stets verlangt werden, dass dagegen immer auch gleichzeitig die Positionen der Arbeitgeberseite gestellt werden müssten.

Zug in die falsche Richtung

Doch selbst wenn es den Gewerkschaften gelänge auf das Trittbrett des „fahrenden Zuges“ intereressengebundener Einflussnahme auf die öffentlichen Schulen und auf Unterrichtsinhalte aufzuspringen, so wäre das der Zug in die falsche Richtung.

Die staatlichen Schulen dürfen nicht zum Spielball von gesellschaftlichen Einzelinteressen werden, das gilt für die Kirchen, wie für Sozialverbände oder Banken genauso wie für die „Tarifpartner“. Die Schulen haben einen Bildungsauftrag der Allgemeinheit. Die Inhalte der Schulbildung sind im Rahmen eines transparenten und demokratischen Abstimmungsprozesses abzustecken. Die Curriculas und Lernziele sind von den fachlich ausgebildeten Lehrer/innnen nach pädagogischen Prinzipien umzusetzen.

Die Gewerkschaften hätten besser daran getan, politisch darauf hinzuwirken, dass die einseitige Einflussnahme der Wirtschaft mit ihrer einzelwirtschaftlich bornierten Unternehmenslogik auf Schulen und Lerninhalte endlich wieder tabuisiert würde. Sie hätten die vorherrschende ideologisierte Irreführung skandalisieren müssen, statt nunmehr selbst an diesem Skandal mitzuwirken.

Die Gewerkschaften stoßen mit ihrer Initiative „Schule und Arbeitswelt“ das ohnehin schon weit geöffnete Tor interessen- und klientelbezogener Einflussnahme auf die Schule noch weiter auf.

Es wäre im Interesse von Pluralität und Ausgewogenheit sinnvoller und effizienter gewesen, wenn Gewerkschaften verlangt hätten, dass die Gestaltung der Schulorganisation und die Lernziele in einem demokratischen Verfahren auch unter Beteiligung der Arbeitgeberseite, aber auch anderer gesellschaftlicher Interessengruppen transparent diskutiert und festgelegt würden. Auch mit Sitz und Stimme in Schulbuchkommissionen könnten die Gewerkschaften die Interessen und die Sichtweise von Arbeitnehmern zur Wirtschaft besser einbringen, als durch Aktivitäten wie sie etwa in dem „Infoflyer Initiative Schule und Arbeitswelt“ (abrufbar hier) beschrieben werden. Aktivitäten, die – weil schon keine Waffengleichheit bei den finanziellen Ressourcen besteht – im Sande verlaufen dürften und für die Arbeitgeberseite ein Alibi liefern, sich noch intensiver auf die Schule zu stürzen.

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