Weltjugendtag zwischen Weltjugendfestival und Weltpapsttag

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Ein persönlicher Eindruck.

Ich will vorausschicken, dass ich protestantisch, ja noch mehr, pietistisch sozialisiert bin und gerade deswegen vielleicht auch zum Agnostiker geworden bin, und dass ich schon deshalb mit einer Institution wie der Kirche, zumal der katholischen oder gar mit einer Person als Nachfolger Petri und oder gar einer Erlösung aus allen Sünden durch apostolischen Ablass meine Probleme habe. Ich maße mir weder in Glaubensfragen noch in theologischen Fragen ein kompetentes Urteil an. Aber Ich wohne nun mal in Köln und ich konnte so den Weltjugendtag von außen beobachten.
Es sind also nur Eindrücke, die ich wiedergeben möchte.
Man muss ja nicht alles kritisieren oder gar schlecht reden. Deshalb zuerst zu dem, was ich sehr eindrucksvoll und positiv empfand.

Köln verwandelte sich für wenige Tage zu einer Weltstadt der Jugend. Bis in die äußersten Stadtviertel begegneten einem junge, zumeist fröhliche Menschen in kleineren und größeren Gruppen meist mit einer Nationalflagge vornedran, aber ohne dass die Fahnen zu einem Symbol der Abgrenzung wurden. Köln war ein Sprachbabylon und dennoch verstand man sich. Das war Multikultur im besten Sinne. Die meist jüngeren Männer und Frauen zogen singend, lachend, freundlich und freudig erregt durch die Stadt. Es herrschte eine ausgelassene Stimmung wie Straßenkarneval ohne Alkohol und ohne Schunkeln. Trotz keineswegs durchgehend schönen Wetters zogen Menschen aller Hautfarbe und hörbar aller Sprachen durch die Straßen, sie drängten nicht in die Kneipen und die Häschen & Mäuschen-(H&M)-Boutiquen blieben absolut leer. Die jungen Leute entsprachen auch keineswegs einem Vorurteil, das man bei kirchlich gebundenen Menschen oftmals mit sich herumträgt. Sie wirkten ganz überwiegend nicht frömmelnd, geschweige denn bigott. Es waren fröhliche, offene, eher euphorisierte, hoffnungsfrohe oder begeisterungsfähige Gesichter, die einem entgegenstrahlten.
Wenn man das mit den Aufmärschen zu den Fußballspielen vergleicht, so waren da keinerlei Aggression, keinerlei Gegeneinander und schon gar keine tumpen, den anderen niedermachenden Schlachtgesänge. Gitarrenlieder und rhythmisches Trommeln und nicht grölender Gesang oder die „dicke (nur laute) Karnevalstrumm“ bestimmten die Tonart – jugendbewegt eben. Pärchen gingen Händchen in Händchen und küssten sich, so dass man beileibe nicht auf den Gedanken kommen konnte, es gäbe das katholischen Verbot der vorehelichen körperlichen Liebe und schon gar nicht, hätte man Ernst genommen, dass der Gebrauch des Kondoms als sündig eingestuft würde. Solche Beklemmungen schienen den jungen Frauen und Männern fremd. Es überwog wohl eine Einstellung, die man so kennzeichnen könnte: Lasst der Kirche was der Kirche ist, lasst den Papst einen guten Mann sein, lasst mich aber mein Leben, meine Einstellung zur Welt, zur Sexualität und zu meinem persönlichen Glück so leben, wie ich das für richtig halte.
Keine asketischen Pilgermärsche und schon gar keine kasteienden Prozessionen. Ein fröhliches Durch-die-Straßen-Ziehen, ein offenes Aufeinander-Zugehen, kaum Aggression auch bei stundenlangem Schlangestehen oder bei beängstigenden Menschenzusammenballungen.

Nun ist völlig klar, dass die Jugend der Welt, die sich jetzt zu Hundertausenden in Köln traf, keinen repräsentativen Querschnitt bildete. Dennoch gestehe ich, dass es schön wäre, wenn man diesen äußeren Eindruck auch der gegenseitigen Rücksichtnahme häufiger erleben könnte.
Man möchte dieses ausgelassene Bild gerne immer in seiner Stadt haben, es wäre eine Bereicherung. Die wichtigste (ganz weltliche) Erkenntnis für mich ist, dass es für das gegenseitige Kennenlernen junger Menschen aus allen Erdteilen, für das gegenseitige Verstehenlernen, ja vielleicht sogar für die Völkerverständigung und damit für den Frieden in der Welt kein besseres Mittel gibt, als die persönliche Begegnung – und sei sie auch nur oberflächlich.

Deshalb würde ich auch den Kritikern entgegentreten, die den Kostenaufwand von angeblich 130 Millionen Euro und dem staatlichen Zuschuss von angeblich 30 Millionen Euro für diesen Weltjugendtag für nicht angemessen halten. Darüber kann man dann streiten, wenn man mit viel größerem Recht den staatlichen, kommerziellen Aufwand für die kommende Fußballweltmeisterschaft bestreitet. Für das Miteinander und die friedliche Verständigung kommt dabei jedenfalls erheblich weniger raus und die Kommunen, Länder und Bund haben für Stadien, Verkehrsanbindungen ein Vielfaches an Steuergeldern ausgegeben.

Auch den Kölnern möchte ich mein Kompliment machen, jedenfalls denen, die ich erlebt habe.
Es gab eine geradezu aufdringliche Hilfsbereitschaft. Kaum jemand von den Gästen aus fernen Ländern konnte auf den Stadtplan schauen, ohne dass ihm – in welcher Sprache und mit welchen Handzeichen auch immer – Hilfe angeboten wurde. Niemand störte sich an den Gesängen in der Straßenbahn, ja sogar dass die Fahrpläne oft völlig auseinander gerieten, wurde – ausnahmsweise – klaglos hingenommen. Von keiner Gastfamilie in meinem Viertel habe ich Klagen gehört. Für den Kölner war das eben wie Karneval. Er kann mit Menschenmassen gut leben, er wird nicht gestresst und er reagiert nicht aggressiv.
Die Köbese (hochdeutsch: Kellner) waren eher freundlicher als normal, in den Kneipen hatte man (natürlich) Karnevalsmusik laufen und die Klofrau sang kräftig mit und schnauzte nicht herum, wenn die jungen Leute keinen Obolus entrichteten: Eine offene, sich dem Fremden öffnende, tolerante Atmosphäre. Man spürte, dass Köln seit Jahrhunderten eine nur noch Wenigen bekannte Pilgerstadt für die Reliquien der Heiligen drei Könige ist. Es gab sogar (verbilligtes) „Pilger“-Kölsch und der Nepp hielt sich in Grenzen.

Meine insgesamt äußerst positiven Gefühle gegenüber dem Weltjugendtag überzog ein Raureif, als ich donnerstags am Nachmittag mit dem Fahrrad den Rhein entlang fuhr, wo die Menschen – nach Ankunft des Papstes – auf dessen Bötchenfahrt von Rodenkirchen bis zur Zoobrücke und wieder zurück zum Dom ausharrten. Stundenlang vor der Fahrt von Benedikt XVI. vom Rodenkirchener Anleger auf dem Katamaran namens „RheinEnergy“ harrten die Jugendlichen aus, um ihrem vorbeischippernden Idol zuzujubeln. Die rhythmisch unterlegten „Benedetto“-Schlachtrufe ließen mich erschauern. Wie Hunderttausende angesichts eines huldvoll grüßenden, kaum erkennbaren älteren Menschen in Begeisterungsstürme ausbrechen konnten, hat mich beängstigt. Wem oder was wurde da zugejubelt? Wie kann man auf den Poller-Wiesen den Rhein zum indischen Ganges machen und wie die Hindus hüfthoch in das ziemlich kalte Wasser steigen, um begeistert einem in gebotener Distanz auf seinem Protz-Schiff verharrenden, nichtssagende (wenn man sie überhaupt hören konnte oder sprachlich verstanden hat) Freundlichkeiten von sich gebenden „Phantom“ zuzujubeln.
Ist das nicht schierer Personenkult? Wem würden diese Massen auch sonst noch zujubeln? Wer könnte sie in gleicher Weise animieren, die rationale Distanz aufzugeben, und wer könnte ihnen sonst noch zum Objekt ihrer Anbetung werden? Als „konvertierter“ Kölner kann man solche ängstlichen Gedanken wieder abschütteln, indem man daran denkt, dass auf dem Rosenmontagszug auch Millionen von Menschen dem Karnevalsprinzen zujubeln. Aber da bettelt man wenigstens noch um „Kamelle“ (Süßigkeiten) und „Strüüssje“ (kleinen Blumengebinden), aber vor allem weiß man, dass des Prinzen „Herrschaft“ spätestens am Aschermittwoch vorbei ist. Der Papst bleibt und fühlt sich womöglich bestätigt in dem, was er als Hirte seinen Schafen verkündet.
Also ich würde da an seiner Stelle, nachdem wie ich sonst die jungen Menschen erlebt habe, was deren Gläubigkeit (jedenfalls an seine Glaubenssätze) anbetrifft, sehr vorsichtig sein.

Als meine positive Einstellung zu kippen drohte, kamen mir Erinnerungen des in der ehemaligen DDR veranstalteten Weltjugendfestivals in den Sinn, das ich als Student in Berlin früher einmal in Ostberlin besucht habe. Auch dort trafen sich unzählige fröhliche junge Leute aus aller Welt. Auch dort eine offene, auf eine menschlichere und friedlichere Zukunft hoffende Jugend, dort versammelt unter einem anderen, ähnlich abgehobenen ideologischen Vorzeichen – vielleicht ganz ähnlich wie die jungen Leute in Köln sich als Minderheit oder jedenfalls als von einer Mehrheit der Welt und von inhumanen (ökonomischen und politischen) Kräften bedroht fühlend und daraus ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelnd. Eine, autosuggestive, etwas gekünstelte, letztlich unehrliche selbstbeweihräuchernde Euphorie, wie ich damals empfand und wie es mich auch anlässlich des katholischen Weltjungendtages jedenfalls immer wieder ankam.

Auf dem riesigen Marienfeld, dem gigantischen Pilgerfeld in einem gesichtslos gewordenen und seiner Kultur und Geschichte sprichwörtlich abgegrabenen Braunkohleabbaugebiet, bei der „Vigil“ genannten nächtlichen Gebetsfeier am Samstagabend und beim Schlussgottesdienst am Sonntagmorgen war ich nicht. Da überwog die Beschwerlichkeit des Weges meine Neugierde.
Was ich auf dem Bildschirm gesehen habe, war choreografisch oftmals durchaus ansprechend inszeniert, auch die Kirchenlieder haben die Form rhythmisch unterlegter populärer Songs angenommen – eine Mischung aus Gregorianik und Pop.
Was ich aber geradezu als beleidigend gegenüber den Hunderttausenden jungen Pilgern empfand, die einen wirklich beschwerlichen Anmarsch und eine eiskalte, absolut ungemütliche Nacht unter freiem Himmel zu erleiden und einen geradezu chaotischen Abmarsch zu ertragen hatten, das waren die unzähligen unter dem hoch aufgetürmten Baldachin uniformiert aufgereihten katholischen Würdenträger. Da drängten sich mir Bilder von Parteitagen der chinesischen Staatspartei auf. Da dokumentierte sich die (im Askese übenden Pilgerkontext) idealisierte (ausschließlich männliche) Vermittlungs-Hierarchie der „ecclesia militans“, also der um ihren weltlichen Machtanspruch streitenden Kirche.
Wenn man dazu noch in der Kölner Lokalzeitung lesen musste, dass für die kirchlichen Würdenträger ausschließlich für den Abschlussgottesdienst den Priestern , Bischöfen und Kardinälen – vom Kölner Paramentenhaus Wefers 4500 geliefert und großteils aus Kostengründen in Thailand geschneidert – einheitliche weiße Priestergewänder, die beim Gebet ein Kreuz abbildeten, von der Kirche sozusagen als Souvenir zur Verfügung gestellt wurden, dann wird eine Diskrepanz zu den sprichwörtlich im Dreck und Müll liegenden Pilgern erkennbar, die man wohl nur als strenggläubiger Katholik ertragen kann. Zwischen der goldenen Seide für den Papst, der doch so viel von den heiligen drei Königen redete, zur armseligen Krippe des Jesuskindes war da doch eine fast zynische Diskrepanz.
Dass die katholische Jugend der Welt da noch in Begeisterungsstürme ausbrach, stimmt doch sehr nachdenklich. Überhaupt stellt sich die Frage, warum mussten diese Höhepunkte des Weltjugendtages weit außerhalb der Stadt in einem riesigen Braunkohlebaggerloch auf Zuckerrübenfeldern stattfinden. Warum mussten sich unzählige Menschen einen äußerst beschwerlichen, weiten Weg in eine trostlose, rekultivierte Landschaft aufmachen und – weil eine Rückkehr zu den Nachtasylen nicht möglich war – eine Nachtlang halb erfrieren und anschließend in einem völligen Chaos teilweise über viele Stunden wieder ihren Rückmarsch in die Zivilisation ausgesetzt werden? Musste es unbedingt auf einer Fläche sein, die einer Million Menschen Platz bot. Hätte man nicht in urbaner Umgebung mehrere Veranstaltungen mit dem Papst organisieren können. Wäre der Papst damit nicht den Pilgern viel näher gewesen, als auf seinem künstlich aufgeschütteten Hügel im Rübenfeld unter einem riesigen postmodernen Baldachin?

Nein, den kirchlichen Organisatoren des Weltjugendtages genügte es nicht, dass Hunderttausende von jungen Menschen in einer Stadt zusammen kamen, sie mussten – wie zu einer massenhaften Machtdemonstration, um nicht zu sagen Masseninszenierung – an einer Stelle zusammengeführt werden, damit das superlative Bild durch die Welt ging, eine Million Menschen, noch mehr, die jungen Menschen der Welt huldigen dem Papst – ihrem kirchlichen Oberhaupt.
Da geriet der Weltjugendtag zum Weltpapsttag. Man wollte Stärke und Masse zeigen. Wie schwach fühlt sich die Katholische Kirche inzwischen eigentlich?

Besonders schade finde ich, dass dieser ganze Einsatz an Emotionen, dieser ganze Aufwand, soweit ich das beurteilen kann und soweit es für mich als Nichtkatholik von Interesse ist, praktisch mit keiner nennenswert neuen Botschaft verknüpft war. Ich will die Hoffnungen auch vieler Jugendlichen und vor allem von jungen Frauen hier gar nicht nennen, die auf diesem Weltjugendtag enttäuscht worden sind. Es gab aber auch kein Signal in punkto Ökumene, die evangelische Kirche bleibt für die katholische Kirche eine Art freikirchliche Sekte. In der jüdischen Synagoge in Köln streckte in großherziger Weise der Gemeindevorsteher die Hand aus, von Ratzinger kam aber keine Andeutung von Schuld seiner Kirche im Hinblick auf den Nationalsozialismus und den Holocaust, geschweige denn im Hinblick auf den über die Geschichte andauernden Beitrag des Christentums zum Antisemitismus. Die Vertreter des Islam in Deutschland wurden bei ihrem kurzen Empfang nur mit einem Bekenntnis des Papstes gegen den islamisch verbrämten Terrorismus in einen öffentlichen Zusammenhang gebracht.
Benedikt XVI. trat sympathisch zurückhaltend und freundlich auf, er vermied die Selbstinszenierungen seines Vorgänger Johannes Paul II., von seinen früheren Positionsbestimmungen als extrem konservativer Glaubenshüter in Sachen Sexualität, der Rolle der Frau in der Kirche, im Hinblick Gemeinschaft der Christen hat er als Papst aber keinerlei Abstriche gemacht. Über den Kardinal Ratzinger haben selbst manche Katholiken gelästert, sein Nachtgebet sei wohl: Lieber Gott, ich mach Dich fromm, wenn ich in den Himmel komm.
Als Benedikt XVI. hätte er auf dem Weltjugendtag seine Lästerer Lügen strafen können. Das hat er als Papst versäumt. Er genoss lieber – ziemlich weltlich und all zu menschlich – die massenhafte Huldigungen einer mit ihren Fragen und Hoffnungen allein gelassenen Jugend der Welt.