Berufsbildungsbericht 2011: Bildungsministerin setzt auf die Verblödung der Öffentlichkeit durch die veröffentlichte Meinung

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Die Vorstellung des Berufsbildungsberichts ist seit Jahren eine PR-Show der Bundesbildungsministerin. In jedem Frühjahr wird eine Verbesserung der Ausbildungslage junger Menschen verkündet und der sog. Ausbildungspakt in höchsten Tönen gelobt. Da werden dann irgendwelche Statistiken herausgepickt, die Ministerin Schavan als Jubelmeldungen verkündet. Mit der tatsächlichen Lage auf dem Ausbildungsmarkt haben solche Meldungen kaum etwas gemein. Die Darstellung des BMBF ist eine Beschönigung der Lage, um nicht zu sagen, die Bildungsministerin betreibt reine Propaganda zugunsten der Spitzenverbände der Wirtschaft und zulasten hunderttausender junger Leute. Und die veröffentlichte Meinung plappert das munter nach. Wolfgang Lieb

Im letzten Jahr wurde die schlimme Lage mit der „mangelnden Ausbildungsreife“ der Jugendlichen beschönigt.
In diesem Jahr wird z.B. die Zahl der angebotenen Ausbildungsstellen nicht mit der Zahl der Nachfragenden verglichen, sondern als Erfolg wird gemeldet, dass „die Zahl der angebotenen Stellen 2010 deutlich höher als vorausgesagt (!)“ war. Was ist das für ein Erfolg, dass das Angebot an Lehrstellen auch im Jahr 2010 um 0,8 Prozent zurück ging, aber um 17.000 Stellen weniger als die Bundesregierung selbst (!) vorausgesagt hatte? Was ist das für ein Erfolg, wenn im mitgelieferten Datenreport zum Berufsbildungsbericht [PDF – 7 MB] festgestellt wird, dass zum 30. September 2010 immer noch rund 84.500 Nachfrager nach einem Ausbildungsplatz erfolglos geblieben sind?

Schavan meldet als Erfolg, dass „trotz demografisch bedingtem Nachfragerückgang mehr neue betriebliche Ausbildungsverträge als im Vorjahr geschlossen werden“. Warum sollte ein demografisch bedingter Nachfragerückgang im Widerspruch („trotz“) zu „mehr“ (tatsächlich ja weniger) Ausbildungsverträgen stehen? Trotz demografisch bedingtem Nachfragerückgang, konnte doch die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage wiederum nicht geschlossen werden, so lautete die ungeschönte logische Schlussfolgerung.
Da jammert die Wirtschaft ständig über einen drohenden Fachkräftemangel und mahnt wegen des demografischen Wandels den Import von ausländischen Fachkräften an und ist dennoch nicht bereit und in der Lage dem hiesigen Fachkräftenachwuchs ausreichend Ausbildungsplätze bereitzustellen.

Die Zahl der Altbewerber reduzierte sich spürbar, zwischen 2008 und 2010 um fast 30%“, feiert Schavan ihren Berufsbildungsbericht:

Die Antwort auf die Frage, warum sich die Zahl der Altbewerber spürbar reduzierte, gibt sie allerdings nicht. Nach aller Erfahrung liegt das vor allem daran, dass es viele Altbewerber satt haben, über lange Zeit in Warteschleifen zu hängen und sich einfach nicht mehr um einen Ausbildungsplatz bewerben. Nach den Ergebnissen des Mikrozensus ist die Ungelerntenquote in der Bevölkerung mit 14,9 % (in der Altersgruppe der 10- bis 29-Jährigen) nach wie vor sehr hoch, heißt es dazu im Datenreport. Der Report weist auf eine weitere, höchst bedenkliche Tendenz hin: „Der rechnerische Anteil derjenigen in der Wohnbevölkerung, der einen Vertrag im dualen System abschließt, ist im Jahr 2009 von 64,6% auf 61,6% gesunken.“

Und auch die Zahl der jungen Menschen im so genannten Übergangssystem verringerte sich. Nach den erstmals vorliegenden Ergebnissen der Schnellmeldung der Integrierten Ausbildungsberichterstattung für den Berufsbildungsbericht 2011 sank die Zahl der Eintritte in das Übergangssystem in den letzten fünf Jahren um rund 94.000 Personen (-22,5%), allein zwischen 2009 und 2010 um 7%“, beschönigt Schavan.

Im Datenreport heißt es dagegen: „Ende 2009 befanden sich nach Berechnungen des BIBB bundesweit 165.365 Auszubildende in einer öffentliche geförderten außerbetrieblichen Ausbildungsformen, das waren insgesamt 10,5% aller Auszubildenden.“
Der DGB nennt, wenn man das „Übergangssystem“ insgesamt erfasst, noch viel erschreckendere Zahlen: „Allein im Jahr 2010 landeten mehr als 320.000 Jugendliche in den Warteschleifen und Ersatzmaßnahmen des so genannten ‚Übergangssystems’. Und dies ohne Aussicht auf eine qualifizierte Ausbildung, die zu einem Berufsabschluss führt. Wir müssen endlich den Wildwuchs der Warteschleifen lichten und durch ein transparentes, anschlussfähiges Ausbildungssystem ersetzen, das allen Jugendlichen eine Ausbildungsgarantie bietet.“

Gerade beim Übergang von der Schule in den Beruf rächte sich, das der Ausbildungspakt von Bundesregierung und Spitzenverbänden der Wirtschaft auch Jugendliche für versorgt zählt, die keinen Ausbildungsplatz erhalten, sich aber mit Bewerbungstrainings, Praktika und Einstiegsqualifizierungen über Wasser hielten. „So wird der Blick auf die tatsächliche Lage am Ausbildungsmarkt verstellt“, stellt der DGB fest.

Kein Wort verliert die Bildungsministerin in ihrer Pressemeldung über die nach wie vor desolate Ausbildungssituation von Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Der Datenreport stellt dazu einmal mehr fest: „Jugendliche mit Migrationshintergrund haben selbst unter gleichen Voraussetzungen im Hinblick auf Schulabschluss, Schulnoten und sozialer Herkunft schlechtere Chancen auf eine Ausbildung.“

Leider verfängt diese plumpe Regierungs-Propaganda wieder einmal. Man braucht sich dazu nur die heutigen Schlagzeilen der Zeitungen anzusehen:
Die Rheinische Post titelt: „Lage auf dem Ausbildungsmarkt verbessert sich
Das ZDF meldet, „eine gute Nachricht“ oder „ein tolles Signal an die jungen Leute“
Der Spiegel jubelt: Juhu, wir werden weniger
Die Zeit setzt sogar noch eine Falschmeldung in die Überschrift: Mehr Ausbildungsplätze für Schulabgänger

Und so weiter und so fort, gehen Sie einfach selbst einmal unter dem Suchwort „Berufsbildungsbericht“ z.B. die Google News durch, Sie werden kaum eine kritische Stimme finden. Die Nachrichtenagenturen und die Berichterstattern haben sich nicht einmal die Mühe gemacht, den ergänzend veröffentlichten Datenreport auch nur zu überfliegen. Der sogenannte „Qualitätsjournalismus“ frisst der Regierungspropaganda einfach nur aus der Hand.

Die Berichterstattung über Darstellung der beruflichen Ausbildungssituation durch die Bundesbildungsministerin ist wieder einmal ein typisches Beispiel, dass wir uns auf den NachDenkSeiten zu Recht über die Verblödung der Öffentlichkeit durch die veröffentlichte Meinung beklagen.

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