Finnland, ein weiteres Menetekel

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Quer durch Europa gewinnen „rechtspopulistische“ Parteien unaufhaltsam an Boden. Mit Fremdenfeindlichkeit, chauvinistischer Kritik an Europa und vorgespiegeltem sozialem Nationalismus bringen sie die etablierten, wirtschafts- und sozialpolitisch kaum noch unterscheidbaren „Volks“-Parteien in Bedrängnis. So jetzt auch in Finnland. Wenn es den fortschrittlicheren Kräften in Deutschland und Europa nicht gelingt, der großen Mehrheit der Menschen ihre Ängste vor einem weiteren sozialen Absturz zu nehmen, und die politische Linke es nicht schafft, den konservativen und rechtsextremen Parteien eine demokratische und soziale Zukunftsvision entgegen zu setzen, dann werden nicht nur die einzelnen Länder sondern Europa von der Rechten überrollt. Das konservative Geschwätz, dass rechtsextreme Kräfte in der Regierungsverantwortung „entzaubert“ würden, hat sich schon einmal in der europäischen Geschichte als tragischer Irrtum erwiesen. Das gesellschaftliche Klima ist auch bei uns schon durch Fremden- und Europafeindlichkeit vergiftet, die Tabubrüche werden weiter gehen und eine Rechtsverschiebung des politischen Spektrums ist schon Wirklichkeit. Wolfgang Lieb

In Frankreich, die Front National mit Marine Le Pen, in den Niederlande, die „Partij voor de Vrijheid“ des Geert Wilders, in Belgeien, der „Vlaams Blok“, in der Schweiz, die Schweizerische Volkspartei (SVP), in Österreich, die „Freiheitliche“ Partei des Heinz-Christian Strache, in Italien, Umberto Bossi mit Silvio Berlusconi, in Dänemark, die „Dänische Volkspartei“ und auch sonst in allen skandinavischen Ländern, auch in England, mit Nigel Farage mit seiner Unabhängigkeitspartei UKI, in Osteuropa sowieso: Überall in Europa erzielen „rechtspopulistische“ Parteien und deren Partei-„Führer“ sprunghafte Wahlerfolge, stellen wie in Ungarn Regierungen oder mischen durch direkte Regierungsbeteiligung oder durch Duldung in zahlreichen Regierungen mit.

Jetzt auch in Finnland, wo die Partei des Timo Soini, der sich selbst so nennenden „Wahren Finnen“ (auch Basisfinnen genannt) ihren Stimmenanteil von 4 auf 19 Prozent fast verfünffacht hat und knapp hinter den Konservativen (20,4%) und hauchdünn hinter den Sozialdemokraten (19,1%) zur drittstärksten Partei wurden. Die „Wahren Finnen“ werden wohl auch in der künftigen Regierung des Konservativen Jyrki Katainen an der Regierung beteiligt sein.

Auch in Finnland waren es offenbar die „klassischen“ Themen der europäischen Rechtspopulisten, die Wähler mobilisiert (Steigerung der Wahlbeteiligung von 67,9 auf 70,4%) und den „Wahren Finnen“ Zulauf von anderen Parteien verschafft haben: Rassismus und Ausländerfeindlichkeit, Europakritik und Euro-Skeptizismus, die Ablehnung von Rettungshilfen an in Finanznot geratene Mitgliedsstaaten der Europäischen Union mit der Begründung, dass man das Geld für die schon abgebauten eigenen sozialen Sicherungssysteme viel dringender brauche.

In Finnland, das mit einer Ausländerquote von gerade mal 2,9 Prozent einen verschwindend geringen Ausländeranteil hat, lässt sich am deutlichsten belegen, dass das Schüren von Ausländerfeindlichkeit keinen realen Aufhänger braucht.

Selbst in einem prosperierenden Land wie Finnland gelingt es offenbar, nationalistische Stimmungen gegen Europa hoch zu peitschen. Und das in einem Land, das ein Bruttoinlandsprodukt pro Kopf hat, das mit über 32.000 Euro höher liegt als das deutsche, das mit einer Staatsverschuldung von unter fünfzig Prozent und einem Haushaltsdefizit von 2,5 Prozent im europäischen Vergleich sehr gut da steht und das darüber hinaus seit Jahren einen Exportüberschuss erzielt. Die Kritik an der Übernahme einer Kreditgarantie von angeblich 1,4 Milliarden Euro im Rahmen des Europäischen Rettungsfonds reicht aus, um jede fünfte abgegebene Stimme einzusammeln. Die Ursachen für den Rechtsruck (die konservative „Sammlungspartei“ und die „Wahren Finnen haben zusammen 13 % zugenommen und kommen auf knapp 40%) können auch nicht in der weltweiten Finanzkrise liegen: Zwar hatte Finnland 2009 mit 8,2 Prozent einen dramatischen Wachstumseinbruch zu verzeichnen, doch die Wachstumsrate erreichte mit 3,1 Prozent ein Jahr später schon wieder einen ordentlichen Wert. Selbst die Atomkatastrophe in Fukushima hat den Grünen in Finnland nichts an Stimmen gebracht. Das Land wird seine 2 Atomkraftwerke weiterbauen.

Es wäre höchst gefährlich, wenn man sich in Deutschland zurücklehnte und den Rechtspopulismus als finnisches oder als ein Phänomen unserer europäischen Nachbarländer abtun würde. Auch bei uns – das hat der Wirbel um Sarrazin bewiesen – könnte sich nach Bild-Zeitungs-Umfragen jeder Fünfte vorstellen, eine Partei zu wählen, die ausländerfeindliche Parolen zum Programm erhebt. Auch bei uns schürt vor allem die Springerpresse (aber auch der konservative Mainstream) ganz offen den Chauvinismus gegen die „faulen“ Griechen und die „über ihre Verhältnisse lebenden“ Portugiesen oder Spanier. Eine Volksabstimmung über den Euro hätte auch bei uns erschreckende Ergebnisse. Allein die Tatsache, dass es in Deutschland noch keiner „Führer“-Figur gelungen ist, sich an die Spitze einer rechtspopulistischen Bewegung zu setzen, hat uns bisher finnische Wahlergebnisse erspart. Doch machen wir uns nichts vor, das gesellschaftliche Klima ist durch Sarrazin und die Springer-Presse (und ihre Nachplapperer in anderen sog. Leitmedien) auch bei uns schon vergiftet, die Tabubrüche werden weiter gehen und eine Rechtsverschiebung des politischen Spektrums ist längst Wirklichkeit.

Ein Phänomen, das man in Finnland beobachten kann, sollte der deutschen Linken (also sowohl den Sozialdemokraten, der Linkspartei, aber auch den derzeit auf der Anti-Atomkraft-Welle schwimmenden Grünen) zu denken geben: Ein wesentliches Motiv für die Wähler/innen der „Wahren Finnen“ war nach Aussagen vieler Wahlforscher die nicht mehr ausreichend erkennbare Unterscheidbarkeit zwischen der konservativen, der liberalen und der sozialdemokratischen Partei.

Es ist dort ganz ähnlich wie bei uns, wo jede Partei mit jeder koalieren kann und sich FDP, CDU/CSU, SPD und – mit Ausnahme einiger ökologischen Konturen – auch die Grünen in ihren gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Leitbildern auf den vom Grafen Lambsdorff schon vor 30 Jahren und von Schröder auch gegenüber Sozialdemokraten und Grünen erpresserisch durchgesetzten neoliberalen Agenda-Kurs eingeschworen haben. Da gibt es zwischen diesen Parteien sicherlich härtere und mildere Varianten auf der Grundlage dieses letztlich konsensual getragene Paradigmas, aber eine klare Abgrenzung etwa der Sozialdemokraten gegen die ausländerfeindlichen Parolen von Sarrazin – etwa durch dessen Ausschluss aus der Partei – oder ein klares Programm für ein demokratischeres, ökologischeres und vor allem sozialeres Europa von Seiten der SPD und der Grünen ist nicht erkennbar. Es fehlt einer sich selbst vom marktliberalen Lager abgrenzen wollenden linken politischen Strömung ein eigenständiges und alternatives wirtschaftspolitisches Konzept und ein für die Mehrheit der Bevölkerung Hoffnung auf eine Verbesserung stiftendes Leitbild.

Das ist die große Lücke, in die Rechtspopulisten hineinstoßen können. Die konservativen Parteien werden, sofern sie nicht ohnehin überrollt werden, dieses offene Tor bestenfalls dadurch ein Stück weit zuhalten, dass sie sich dem Rechtspopulismus wie in Frankreich, Österreich, Italien oder Holland einfach anbiedern. Doch dadurch wird der Rechtsschwenk aber nur noch gefestigt.

Wird das politische Spektrum noch weiter nach rechts verschoben, dann droht Europa wieder in nationalistische Grabenkämpfe wie in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts zurückzufallen und darüber hinaus würde jeder Einzelstaat seine Festung gegenüber den Flüchtlingen dieser Welt ausbauen. Der ökonomische Standortwettbewerb zu Lasten der arbeitenden Menschen und der Schwachen würde noch schärfer werden. Gewinnen würde kaum jemand, und schon gar nicht diejenigen, die in ihrer Sorge um einen sozialen Abstieg aus Protest die Rechtspopulisten gewählt haben.

Ein in Frieden zusammen lebendes und politisch geeintes Europa hätte in einer Welt, in der sich die ökonomischen Gewichte von den traditionellen Industriemächten auf die aufkommenden Schwellenländer verlagern, nur dann eine Chance, wenn die fortschrittlichen Kräfte in Deutschland und ganz Europa ein von den Interessen und der demokratischen Mitsprache der großen Mehrheit getragenes und eine europäische Identität stiftendes alternatives Zukunftsmodell anbieten könnten. Ein Modell, das den Menschen die Angst nähme, von einer von anonymen Wirtschafts- und Finanzinteressen gesteuerten EU-Bürokratie überrollt und von Zuwanderern von innerhalb und außerhalb Europas zusätzlich belastet zu werden.

Wenn es der deutschen und der europäischen Linken nicht gelingt, eine solche demokratische und soziale Zukunftsvision dem konservativen Rückfall in die Vergangenheit entgegen zu setzen, dann wird Finnland nicht das letzte Menetekel eines Wahlsiegs der Rechtspopulisten bleiben. Im Gegenteil: Rechtsextreme und rechtskonservative Kräfte werden die Überhand vollends gewinnen. Das beschönigende konservative Geschwätz, dass solche rechtsextremen Kräfte „entzaubert“ würden, wenn sie in die Regierungsverantwortung kämen, hat sich zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts schon einmal als tragischer Irrtum erwiesen.

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