An Barroso lassen sich typische Phänomene aufzeigen

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Als Ergänzung zum letzen Eintrag zum Thema (24.10.) die faktenreiche Analyse eines unserer Nutzer:

Vielen Dank (unter anderem) für Ihren Bericht “Barroso ruft zur Reform der Sozialsysteme auf ” mit dem Hinweis auf die entsprechende Mitteilung der U-Kommission unter Ihrem Präsidenten Barroso. Der Beitrag bietet eine gute Gelegenheit, sich einmal klar zu machen, dass sich an der Person Barrosos viele Phänomene aufzeigen lassen, die heutzutage bei vielen Politpersonen und in der praktischen Politik zu erkennen sind.

Etwa:
In seinen Anfangsjahren als Politiker war Barroso Chef einer maoistischen Partei. Er gehört also zu den nicht seltenen Politikern, die sich gewendet haben von besonders fanatischen Linksaktivisten zu besonders eifrigen Neoliberalen.

Oder:
An der Parteienlandschaft seines Heimatlandes Portugal kann man erkennen, wie weit inzwischen politische Begriffe ihre Bedeutung gewandelt haben. Liest man die Liste der Parteien Portugals naiv, so hat es den Anschein, als sei das Land fast total in linker Hand: Bis auf die rechts-populistische PP, die es im Schnitt auf etwa 6-9% bringt, haben alle Parteien linke Namen: die Sozialisten (PS), die Sozialdemokraten (PSD, Barrosos Partei), das kommunistische Wahlbündnis (CDU) und der Linke Block (BE). In Wirklichkeit weiß man: Die PSD ist eine rechtskonservative Partei, die “Sozialisten” sind “modern”-sozialdemokratisch, d.h. die beiden Parteien stehen weit rechts von dem, was ihr Name sagt.

Schließlich:
Barroso gehört zu den Wahlverlierern, die nachträglich in höchste Ämter gehievt werden (s. Bangemann, Eichel, Steinbrück u.a.). Gerade mal zwei Jahre im Amt als Ministerpräsident erlebte er am 13. Juni 2004 bei den Europawahlen sein Waterloo. Seine extreme Sparpolitik hatte die Arbeitslosenzahlen verdoppelt und seine opportunistische Unterstützung des Bush’schen Irakkrieges wurde im Land abgelehnt. Die Wahlbeteiligung bei der Europawahl war auf alarmierende 24% (!) gesunken und der PSD/PP-Block erhielt nur noch 33.2% der Wählerstimmen. In absoluten Zahlen war die Wählerschaft von PSD/PP auf die Hälfte der Wähler von 1999 gesunken. Gewählt hatten den Block nur noch knapp 8% der Wahlberechtigten. Anders gesagt: 92% der portugiesischen Wähler hatten deutlich gemacht, dass sie nichts von Barroso und seiner Partei hielten, und schon gar nicht in der europäischen Politik.
Und unglaublich: Gerade mal 14 Tage nach der Wahl, am 28. Juni 2004, wurde Barroso vom EU-Gipfel zum neuen Präsidenten der Europäischen Kommission auserkoren. Deutlicher kann man nicht demonstrieren, dass man auf den Wählerwillen pfeift, wenn es in den politischen Kram passt. Noch als Ergänzung: Bei den Neuwahlen 8 Monate später am 20. Februar 2005 sackte die PSD noch weiter ab und erzielte das schlechteste Wahlergebnis seit 1974, dem Bestehen der neuen Demokratie.

Zurück zur Gegenwart. Wie Ihr Bericht zeigt: Ohne Legitimation des Wählers, ja trotz dessen dokumentiertem massivem Misstrauen darf Barroso seine einseitige neoliberale Politik mit nicht zu unterschätzender Macht vorwärtstreiben.

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