Was für den SPIEGEL „Chaos“ und „Anarchie“ ist, das ist in unseren Nachbarländern demokratische Normalität. Wie man den Wählerwillen auch anders interpretieren kann.

Rot ist das Cover beim SPIEGEL ja immer noch, doch die Farbe hat nichts mehr mit der politischen Gesinnung zu tun, sondern allenfalls noch etwas mit der Zornesröte der Redaktionsoberen. Da hat doch der SPIEGEL, allen voran der Leiter der Berliner Redaktion, Gabor Steingart, und mangels eigener Positionen der wieselflinke Chefredakteur Stefan Aust, mit dem Spitznamen die „linke Bügelfalte“, alles getan und geschrieben, dass der nach deren Meinung historische Irrtum des deutschen Sozialstaates, der mit Bismarck begonnen und von Adenauer fortgesetzt wurde, endlich wieder revidiert wird und wir zwingend von der sozialen Marktwirtschaft in die Marktgesellschaft wechseln müssten. Aber der blöde Wähler bockte. Die Mehrheit der Deutschen hält am Sozialstaat fest.

Einseitige Darstellung der Wahlreaktion aus Grossbritannien

Einer unserer Leser, Peter Hammels, macht uns auf die selektive Wahrnehmung der Reaktionen Großbritannien auf die Wahl in Deutschland, hier bei SpiegelOnline, aufmerksam. Ein Beispiel für die tägliche Manipulation. Das große Bild der Manipulation setzt sich aus solchen kleinen Mosaiksteinchen zusammen. Zu Ihrer Information übernehmen wir Hammels Leserbrief an SpiegelOnline.

Die liberal-konservative „The Times“ hielte eine Koalition zwischen Linkspartei und Konservativen ökonomisch für das Vernünftigste

Eine Koalition zwischen Union, FDP und Die Linke.PDS könnte ein schlüssiges Konzept gegen die wirtschaftliche Malaise anbieten, nämlich eine vernünftige Mischung aus angebots- und nachfrageorientierter Wirtschaftspolitik – aber das ist natürlich undenkbar. Deshalb fürchtet „The Times“: “Whoever’s in charge, Germany is a loser”.

Medienmanipulation und Umfragedesaster: Wir von den NachDenkSeiten fühlen uns durch den Ausgang der Wahl bestätigt.

Die „krawallige“ Kritik des Kanzlers an der „Medienmacht und Medienmanipulation“ hat auch ihr Gutes: Eine Debatte über die Rolle der Medien in der Demokratie und über deren politische Ausrichtung wurde angestoßen.
Wir von den NachDenkSeiten haben die manipulative Rolle von großen meinungsprägenden Multiplikatoren und die wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Parteinahme durch die meisten Medien in unseren Einträgen im „Kritischen Tagebuch“, in unseren Rubriken „Manipulation des Monats“ oder „Strategien der Meinungsmache“ seit langem kritisiert.
Wir haben auch die Possenspiele mit den demoskopischen Umfragen lächerlich gemacht. Zum Beleg dafür brauchen Sie nur ein wenig auf unserer Eröffnungsseite zu scrollen.
Wir haben auf den NachDenkSeiten auch immer wieder behauptet, dass entgegen dem Mainstream der veröffentlichten Meinung, der nahezu unisono neoliberale „Reformen“ propagiert, eine Mehrheit der Bevölkerung für den Sozialstaat und für soziale Gerechtigkeit eintritt.
Machen wir es doch einmal wie die Politiker: Wir danken den Wählerinnen und Wähler dafür, dass sie das, was wir immer nur behaupten konnten, mit ihrer Stimmabgabe in ihrer Mehrheit so deutlich bestätigt haben! „Die Deutschen hängen am Sozialstaat und lieben die Umverteilung. Es ist ein Stück von ihnen.“ Das musste selbst die „Welt am Sonntag“ am Wahltag voller Resignation einsehen.

Ein lesenswerter Beitrag zum „Mediendebakel“:
Quelle: TAZ

Lesen Sie auch beispielhaft unsere Medienkritik:
Quelle: NachDenkSeiten vom 15.8.2005
Quelle: NachDenkSeiten vom 31.8.2005

Hinweis: Die INSM schleicht sich nun auch in Jugendmedien ein

Der bereits einschlägig bekannte, neoliberale Think Tank „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM) hat sein Millionen-Budget auch dazu genutzt, in der Jugendserie „Marienhof“ politische Themen auf eine den Wünschen der Auftraggeber entsprechende Weise zu platzieren:

Quelle: ver.di

Laut ARD wurde das Thema “Neue soziale Marktwirtschaft” im Jahr 2002 sieben Mal für 58.670 Euro platziert. Aber auch andere Verbände, z.B. der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), investierten reichlich in die Förderung ihrer Geschäfte:

Quelle: EPD (Link nicht mehr erreichbar – 10. Mai 2006)

Joachim Jahnke: „Anbei ein Modellvergleich …

… den Sie – bei Interesse – in den NachDenkSeiten bringen können und der für Sie hier zwischengespeichert ist. Ich nehme an, dass sich die Diskussion um den richtigen Wirtschaftskurs nach diesem Wahlergebnis eher verstärkt in Deutschland fortsetzen wird.“

Danke vielmals. Sehr interessant, auch wenn ich die Einordnung Österreichs und der Niederlande nicht so ganz nachvollziehen kann.

Schröder pokert weiter. Trotz einer Wahlniederlage erklärt er sich zum Kanzler. Mit einer großen Koalition wird eine Mehrheit links vom bürgerlichen Lager umgedreht.

Gerhard Schröder ist eine Spielernatur. Seit der Bundestagswahl 2002, die Schröder durch Irak-Krieg und Oderflut entgegen aller Trends mit etwa 6000 Stimmen gerade noch einmal gewonnen hat, hat die SPD bei allen 11 Landtagswahlen teilweise dramatisch verloren. Schröder und Müntefering haben alle diese Niederlagen schön geredet, ja – gemessen an den vorausgehenden Umfragewerten – sogar dem staunenden Wahlvolk als Siege verkauft. So auch am Wahlabend der vorgezogenen Bundestagswahl.