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Titel: Hans-Werner Sinns unverantwortliche Panikmache

Datum: 7. Juli 2011 um 11:53 Uhr
Rubrik: Euro und Eurokrise, Rente, Strategien der Meinungsmache
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Für die BILD ist Hans-Werner Sinn „Deutschland klügster Wirtschafts-Professor“. Kritischere Beobachter, wie FTD-Kolumnist Thomas Fricke halten Sinn indes eher für einen „Rumpelökonomen“. Hans-Werner Sinn hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er Griechenland lieber heute als morgen in den Staatsbankrott schicken und die Hellenen am liebsten aus der Eurozone werfen würde. Doch die Sinn´sche Radikallösung fand überraschenderweise abseits von BILD & Co keinen großen Anklang. Für Sinn scheint dies Grund genug zu sein, abermals nachzulegen und via BILD ein Schreckensszenario aufzubauen, das seinen Forderungen Nachdruck verleiht. Bei näherer Betrachtung erscheint Sinns Warnung vor einer „Gefährdung der deutschen Renten“ im Falle einer Fortführung der Rettungsprogramme jedoch reichlich abstrus. Von Jens Berger

„TOP-ÖKONOM SINN WARNT – Griechen-Rettung gefährdet Renten!“, so titelte in dieser Woche die BILD-Zeitung. Unter der reißerischen Überschrift bleibt der eigentliche Artikel jedoch inhaltlich mau. Sinn lässt sich in BILD lediglich mit dem Satz „Was nach Griechenland und Portugal fließt, um dort den Lebensstandard aufrechtzuerhalten, geht zulasten des Lebensstandards der Deutschen“ zitieren, um dann schließlich ohne Überleitung zur steilen These zu kommen, „[dass] die deutschen Rentner zu den ersten Opfern der Rettungspakete gehören [werden]“. Leider erklären jedoch weder Hans-Werner Sinn noch die BILD oder der verlagsinterne Zweitverwerter WELT den Lesern, wie man denn zu einem solchen Schluss kommen kann. Das ist freilich verständlich, da ein solcher Schluss wahrlich in die Kategorie „Rumpelökonomie“ gehört.

Die Rente ist sicher

Die gesetzliche Rentenversicherung ist weder kapitalgedeckt noch steuerfinanziert, sondern ein sogenanntes Umlageverfahren. Die ausgezahlten Renten stammen nahezu komplett aus den von Arbeitnehmern und Arbeitgebern im gleichen Zeitraum eingezahlten Versicherungsbeiträgen. Der Staat zahlt lediglich einen – zu geringen – Bundeszuschuss, der die versicherungsfremden Leistungen der Rentenversicherung ausgleichen soll. Wenn Sinn also davor warnt, dass die Griechenland-Rettung, die bei näherer Betrachtung ohnehin eher eine Rettung der Gläubigerbanken ist, die „Renten gefährdet“, so kann dies ja nur heißen, dass die Beitragszahlungen in die Rentenversicherung durch die Garantien der Bundesregierung gefährdet werden. Da stellt sich jedoch unweigerlich die Frage, wie sich Hans-Werner Sinn ein solches Szenario konkret vorstellt, schließlich prognostiziert er selbst doch einen phantastischen Aufschwung.

Es macht wohl wenig Sinn, sich ernsthaft darüber Gedanken zu machen, wie Hans-Werner Sinn eine Gefährdung der Renten begründet – alle möglichen Ansätze sind absurd und selbst wenn Sinn ein „Rumpelökonom“ sein mag, so ist er dennoch nicht dumm. Sinns BILD-Zitat ist wohl vielmehr vor dem Hintergrund zu sehen, dass er dem uninformierten Leser den – falschen – Eindruck vermitteln will, dass die Rente direkt vom Staat ausgezahlt wird. Diese gezielt gestreute Desinformation dient in diesem Falle der Stimmungsmache für weitere neoliberale Sparprogramme zu Lasten der ärmsten der Armen . Wer nämlich tatsächlich glaubt, dass eine äußerst moderat steigende Staatsverschuldung womöglich die Auszahlung der eigenen Rente gefährden könnte, der glaubt vielleicht auch der alltäglichen Meinungsmache aus dem Sinn-Lager.

Wem gehören die Schrottpapiere?

Dabei ist die grundsätzliche Frage, wer im Falle einer Umschuldung eigentlich die Zeche zahlen muss, durchaus begründet. Nachdem die Politik alles in ihrer Macht stehende getan hat, um privaten Gläubigern deren „Schrottpapiere“ abzukaufen, hat mittlerweile in der Tat der öffentliche Sektor die Rolle als größter Gläubiger Griechenlands eingenommen. Selbst im Falle einer Umschuldung ist jedoch die Gleichung, nach der die Staathaushalte der Eurozone direkt in Haftung genommen werden können, zu kurz gedacht. Hauptgläubiger Griechenlands sind der IWF und die EZB. Letztere hält zusammen mit den europäischen Notenbanken nach Angaben der Financial Times fast die Hälfte aller auf dem Markt befindlichen Griechenland-Anleihen. Da die Notenbanken der Eurozone diese Papiere größtenteils zu niedrigen Marktpreisen erworben haben, würde eine moderate Umschuldung womöglich sogar von den Zentralbanken durch deren Reserven abzufedern sein.

Selbst wenn die EZB oder die Bundesbank durch die Rettungspakete langfristig Verluste ausweisen sollten, so müsste dafür nicht zwingend der Steuerzahler haften. Es gibt zwischen der EZB, der Bundesbank und der Bundesrepublik weder eine Anstaltslast noch eine Gewährträgerhaftung, die festlegen würde, dass der Steuerzahler für Verluste der Zentralbank in Rechenschaft zu ziehen ist. Das Finanzministerium müsste sich jedoch darauf einstellen, dass es für einige Jahre auf die Gewinne der Bundesbank, die stets in den aktuellen Haushalt einfließen, verzichten müsste.

Nicht gestellte Fragen

Ein reales Ausfallrisiko für den Staat besteht jedoch bei den Garantien für die bilateralen Kredite, die im ersten „Rettungspaket“ über die KfW vergeben wurden. Hierbei geht es immerhin um 22,4 Milliarden Euro, für die Deutschland bürgt. Bei einem Haircut von 40% müsste der Bund somit Ausfälle in Höhe von fast neun Milliarden Euro ausgleichen. Es ist absolut notwendig, die Bundesregierung dafür zu kritisieren, dass sie diese Kosten dem Steuerzahler ohne eine erkennbare Notlage aufbürdet. Es ist auch notwendig, dass wir uns Gedanken darüber machen, ob wir weiterhin mit der Staatsfinanzierung den Finanzsektor subventionieren. All diese Punkte kritisiert Hans-Werner Sinn jedoch wohlweislich nicht. Stattdessen betreibt er unverantwortliche Panikmache, wenn er suggeriert, dass die „Rettungsprogramme“ die Rente gefährden könnten. Verängstigte und verunsicherte Leser der BILD sind dabei für „Deutschlands klügsten Wirtschafts-Professor“ offenbar nicht mehr als die Kollateralschäden seiner
Meinungsmache.


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