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Titel: Wirtschaft in der Schule: Der Zug fährt auch ohne uns – Gewerkschaften sollten sich einmischen!

Datum: 13. Juli 2011 um 10:34 Uhr
Rubrik: Bildung, Gewerkschaften, Lobbyorganisationen und interessengebundene Wissenschaft
Verantwortlich:

Eine Replik auf Wolfgang Liebs Beitrag „Gewerkschaften springen auf den falschen Zug auf: Nach der Wirtschaft wollen sich nun auch die Gewerkschaften in die Schule einmischen“ vom 18. Februar 2011.
Von den Mitgliedern der Steuerungsgruppe der Initiative Schule und Arbeitswelt, Jeanette Klauza (DGB), Martina Schmerr (GEW), Oliver Venzke (IG BCE) Bernd Kaßebaum (IG Metall), Gunther Steffens (ver.di) und Klaus Buchholz (IG Metall).

Vorwort
Nach Veröffentlichung des Beitrags von Wolfgang Lieb, der sich sehr grundsätzlich und kritisch mit der gewerkschaftlichen Initiative Schule und Arbeitswelt auseinandergesetzt hat, sind die Mitglieder der Steuerungsgruppe auf ihn zugegangen und haben ein Treffen mit ihm verabredet. Ziel war es, mit Wolfgang Lieb über die Kritikpunkte zu sprechen und zu einem Austausch zu kommen. In diesem guten und konstruktiven Gespräch konnten einige Punkte konkretisiert und differenziert werden. Darüber hinaus hat sich die Initiative Schule und Arbeitswelt entschlossen, ein Angebot Wolfgang Liebs anzunehmen auch öffentlich zu seinem Beitrag Stellung zu nehmen. Wir bedanken uns bei Wolfgang Lieb für die Diskussion und die Veröffentlichung unseres Beitrags.

Am 18. Februar 2011 hat Wolfgang Lieb auf den Nachdenkseiten die Aktivitäten der „Initiative Schule und Arbeitswelt“ von DGB und Einzelgewerkschaften grundlegend in Frage gestellt. Unter dem Titel „Gewerkschaften springen auf den falschen Zug auf: Nach der Wirtschaft wollen sich nun auch die Gewerkschaften in die Schule einmischen“ skizziert er zunächst verschiedene Versuche von Unternehmen, Wirtschaftsverbänden und wirtschaftsnahen Think-Tanks, Einfluss auf das öffentliche Schulwesen zu nehmen. Dass die Gewerkschaften im Rahmen der „Initiative Schule und Arbeitswelt“ nunmehr ihrerseits Angebote zur Berufsorientierung, zum Übergang in die Ausbildung oder zur Unterrichtsgestaltung machen, hält Wolfgang Lieb für keine gute Idee. Vielmehr machten sich die Gewerkschaften damit zum „Trittbrettfahrer interessenbezogener Einflussnahme auf öffentliche Schulen“ und würden das ohnehin schon weit geöffnete Tor klientelbezogener Einflussnahme auf die Schule noch weiter öffnen. Mithin würden die gewerkschaftlichen Aktivitäten – so Wolfgang Lieb – „für die Arbeitgeberseite ein Alibi liefern, sich noch intensiver auf Schule zu stürzen“.

Wir teilen Wolfgang Liebs Beschreibung der schulpolitischen Aktivitäten der Unternehmerseite und ihres geschickten Vorgehens. Die Beobachtung und Kritik der zunehmenden Einflussnahme der Wirtschaftslobby auf Schulen – sei es als Markt zukünftiger Kunden oder als Vermittler von Denkweisen über Wirtschaft und Gesellschaft – betrachtet die „Initiative Schule und Arbeitswelt“ als wichtige Aufgabe. So hat sie zuletzt – gemeinsam mit der Hans-Böckler-Stiftung (HBS) – im April 2011 VertreterInnen der Gewerkschaften und WissenschaftlerInnen im Rahmen einer Arbeitstagung in Bad Münder die Diskussion über die ökonomische Bildung an Schulen geführt.[1] Neben einschlägigen Initiativen der Unternehmerseite im Schulbereich wurde hier insbesondere der massive Wirtschaftslobbyismus im Hinblick auf ökonomische Lehrplaninhalte und ein eigenes Fach „Wirtschaft“ unter die Lupe genommen. Die GEW und die IG Metall [PDF – 615 KB] haben zudem zur Information ihrer Mitglieder Broschüren zu diesem Thema veröffentlicht.[2] Auch der DGB, die anderen Gewerkschaften sowie die Hans-Böckler-Stiftung haben über diese problematische Entwicklung berichtet.[3]

Anders als Wolfgang Lieb andeutet, verbinden die Gewerkschaften mit ihren Aktivitäten keinesfalls die naive Hoffnung, die Arbeitgeberseite überbieten oder aushebeln zu können.[4] Dazu sind die Kräfteverhältnisse in der Tat viel zu ungleich. Dennoch sind die verschiedenen Ansatzpunkte des Arbeitgeberlagers bei der Entwicklung gewerkschaftlicher Gegenstrategien zu berücksichtigen. Außerdem – und das sei hier richtig gestellt – gehört es nicht zum Ziel der Initiative, den häufig eindimensionalen und klientelgeleiteten Materialien und Konzepten der Arbeitgeber schlicht eine gleichermaßen ideologisch gefärbte Variante zur Seite zu stellen. Das Postulat Wolfgang Liebs, wonach „die staatlichen Schulen […] nicht zum Spielball von gesellschaftlichen Einzelinteressen werden [dürfen]“, teilen wir ohne Einschränkung.

Die Motive der Gewerkschaften basieren vielmehr auf bildungspolitischen Grundsätzen und gemeinsamen Werten. Die Gewerkschaften wollen „Eine gute Schule für alle“ [5]. Eine nicht aussortierende Schule. Eine Schule, die Wert legt auf die Persönlichkeitsbildung, auf die Selbstbestimmung und die Kritik- und Handlungsfähigkeit junger Menschen. Eine Schule, die an den Werten Chancengleichheit und individuelle Förderung, Solidarität und Respekt, Nachhaltigkeit und Demokratie ausgerichtet ist.

Unser Engagement orientiert sich an Maßstäben, wie sie etwa im „Beutelsbacher Konsens“ niedergelegt wurden: Junge Menschen dürfen im Rahmen schulischer Bildungsprozesse nicht durch einseitige und manipulative Darstellungen „überwältigt“ werden. Vielmehr muss der Unterricht gesellschaftliche Kontroversen „multiperspektivisch“ und ausgewogen abbilden, an der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler orientiert sein und darauf abzielen, ihre Urteilsfähigkeit zu verbessern. Die Gewerkschaften vertreten – im Gegensatz zu den meisten Wirtschaftsverbänden – einen umfassenden Bildungsbegriff. Wir wollen eine sozioökonomische Bildung, die diesem Anspruch und den Schülerinnen und Schülern gerecht wird und die Wirtschaftsorganisation und die Arbeitswelt in alle ihren Facetten beinhaltet. Die politischen und gesellschaftlichen Zusammenhänge von Arbeit und Wirtschaft ebenso einbindet wie soziale, ethische, rechtliche und ökologische Aspekte.
Es ist der Anspruch des DGB und der Gewerkschaften, dass Schülerinnen und Schüler unabhängig von rein wirtschaftlich geleiteten Interessen ihren beruflichen und privaten Lebensweg aktiv und eigenverantwortlich gestalten können.

Die gewerkschaftliche „Initiative Schule und Arbeitswelt“ nahm ihren Ausgang in Folge der ersten PISA-Studie, die neben dem Leistungsproblem die erschreckende soziale Ungerechtigkeit des deutschen Schulwesens zum Thema der öffentlichen Diskussion machte. Wo Schule zuvor zumeist als Politik-Domäne der GEW betrachtet wurde, haben seither auch weitere DGB-Gewerkschaften die Bildungspolitik aufgewertet. Es geht ihnen um die Bildungs- und damit um die Lebens- und Erwerbschancen der Kinder ihrer Mitglieder. Deswegen wollen und müssen sich die Gewerkschaften einmischen.

Seither haben IG BCE, GEW, IG Metall, ver.di und DGB – teilweise mit Unterstützung der Hans-Böckler-Stiftung (HBS) – verschiedene Aktivitäten und Angebote entwickelt. Das inhaltliche Spektrum umfasst:

  • lokale Aktivitäten zu Schulpolitik oder „Schule und Arbeitswelt“,
  • Angebote zur Berufs- und Arbeitsweltorientierung,
  • Vermittlung von betrieblichen Kontakten oder Betriebserkundungen,
  • Produktion und Verbreitung von Unterrichtsmaterialien,
  • Lehrerfortbildungen,
  • Aktivitäten zum Themenfeld Ökonomische Bildung.

Viele dieser Aktivitäten wären ohne das Engagement von ehrenamtlichen Kolleginnen und Kollegen, die zum Teil unter äußerst schwierigen zeitlichen und materiellen Bedingungen den Kontakt zu Schulen halten oder Veranstaltungen – auch schulischer Art – bestreiten, nicht denkbar. Die Initiative Schule und Arbeitswelt will innerhalb der Gewerkschaften Aufmerksamkeit schaffen und die Motivation und das Commitment von Kolleginnen und Kollegen fördern bzw. erhalten. Die Argumente Wolfgang Liebs können den Kritikern innerhalb der Gewerkschaften weitere Argumente an die Hand geben oder KollegInnen aus der Initiative entmutigen. Es ist uns daher ein wichtiges Anliegen, uns mit ihnen auseinander zu setzen.

Einen kleinen, ja bescheidenen Teil dieses hohen Anspruchs an die Bildung unserer Kinder versucht die Initiative einzulösen, indem sie ihre gewerkschaftliche Expertise aus der Arbeitswelt und der Interessenvertretung einbringt. Dies tut sie durch Projekte zur Berufsorientierung und Lebensplanung, durch Einblicke in die Produktionsweise aus Arbeitsnehmersicht, durch Unterrichtsmaterialien zur Mitbestimmung, durch Lehrerfortbildungen zur Wirtschafts- und Finanzkrise und dergleichen. Gewerkschaftliche Positionen, differenzierte Sichtweisen der Sozioökonomie sowie viele Facetten des Arbeitslebens – zum Beispiel Arbeitsbedingungen, Entlohnung und Interessenvertretung – sind in Schulen unterbelichtet. Die Initiative trägt damit nicht zuletzt dem schlichten Umstand Rechnung, dass die meisten Kinder sich später einmal in der Welt der Arbeitnehmer bewegen werden und nicht im Unternehmerreich. Eine „Arbeitnehmerbildung“ ist jedoch in den wirtschaftsnahen Konzepten kaum vorgesehen.

Ein schwerwiegender Einwand Wolfgang Liebs gegen die Aktivitäten der „Initiative Schule und Arbeitswelt“ lautet, dass diese „den Arbeitgebern eine Legitimation geben [werden], so weiter zu machen wie bisher“. Damit überschätzt er jedoch die Möglichkeiten und die Reichweite unseres Tuns ganz erheblich. Was würde sich an dem Engagement der Unternehmer und Arbeitgeber ändern, wenn die Gewerkschaften ihre einschlägigen Aktivitäten einstellen würden? Nichts. Nie haben die Wirtschaftslobbyisten ihr Tun als Reaktion auf gewerkschaftliche Aktivitäten begriffen. Vielmehr beschwören sie seit einigen Jahren durch ein gut funktionierendes Netzwerk die Unternehmerfeindlichkeit schulischer Inhalte und erhebliche ökonomische Wissensdefizite junger Menschen. Sie versuchen auf diese Weise, die Hoheit über die öffentliche Diskussion zu „Ökonomischer Bildung“ zu erlangen und ihre neoliberalen Vorstellungen zu implementieren.

Dass manche von ihnen dabei Schulen regelrecht überschütten mit einschlägigen Unterrichtsmaterialien – freilich stets zu hochaktuellen Fragen und bisweilen mit äußerst gewerkschafts- und mitbestimmungskritischen Tönen – und dass sich Lehrkräfte teilweise händeringend an die Gewerkschaften wenden, um auch aktuelles Material aus gewerkschaftlicher oder Arbeitnehmersicht zu bekommen, dürfte an sich schon Grund genug sein, als Gewerkschaften aktiv zu sein.

Statt des „kläglichen Versuchs“ der Gewerkschaften, „Inhalte aus der Arbeitswelt den ökonomischen Ideologien der Wirtschaftsverbände und ihrer Lobbyorganisationen entgegenzustellen“, sollten die Gewerkschaften – so Wolfgang Lieb – zum einen darauf hinwirken, „dass die einseitigen Einflüsse endlich wieder tabuisiert werden“ und dass die Gestaltung schulischer Lernziele in einem demokratischen Verfahren aller gesellschaftlichen Interessengruppen erarbeitet werden, so auch etwa in Schulbuchkommissionen. Mit diesen beiden Forderungen wird sich die Initiative auseinander setzen. Möglicherweise haben die Gewerkschaften bisher die wirtschaftslobbyistische Einflussnahme auf das öffentliche Schulwesen nicht ausreichend, öffentlichkeits- und politikwirksam genug verurteilt. Ob es damit getan ist, ist jedoch angesichts gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse, der Wirkungsmacht und der Pseudo-Neutralität marktradikaler, neoliberaler Ideologien mehr als fraglich.

Für Wirtschaftsvertreter stehen – das stellt Wolfgang Lieb richtig fest – die Tore der Bildungsverwaltung und –politik schon seit Jahren selbstverständlich und weit offen. Sie spazieren hindurch als unverdächtige zukünftige Arbeitgeber, deren Ansprüchen viele junge Schulabsolventinnen und -absolventen nicht genügen, oder auch als Geldgeber für oder Nutzer von Bildungsprogrammen. Das Etikett der weltanschaulichen Einseitigkeit haftet dabei zumeist dem anderen Sozialpartner – den Gewerkschaften – an. Dass sich nunmehr endlich auch in den Reihen von WissenschaftlerInnen öffentlich beachteter Protest regt und die Legitimation dieser Entwicklungen einfordert, begrüßen und unterstützen wir.[6]

Auch den Hinweis Wolfgang Liebs, dass sich die Gewerkschaften bisher zu wenig in die institutionellen demokratischen Verfahren der Schulorganisation eingebracht haben, nehmen wir sehr ernst und werden wir prüfen. Auch wir stellen Defizite der bildungspolitischen Interessenvertretung der Gewerkschaften fest. Allerdings überschätzt Wolfgang Lieb womöglich die Erfolgsaussichten auf den benannten Feldern. Abgesehen davon, dass der föderale Flickenteppich eine große Hürde darstellt, werden die „gesellschaftlichen Interessengruppen“ selten bereits bei Erarbeitungsverfahren eingebunden, sondern allenfalls in manchen Ländern und zu manchen Themen angehört. Und auch das im Großen und Ganzen nur bei gesetzgebenden Verfahren. In Kommissionen für Lehrpläne und Bildungsstandards wird allenfalls der parteipolitische Proporz beachtet und bei Schulbüchern werden in der Regel Einzelpersonen qua ihrer fachlichen Qualifikation einbezogen, nicht jedoch gesellschaftliche Interessengruppen. Dennoch – und hier geben wir Wolfgang Liebs Kritik durchaus recht – muss der Weg institutioneller demokratischer Einflussnahme die Aktivitäten der Gewerkschaften für und an Schulen ergänzen oder mindestens flankieren. Ersetzen können wird sie diese – allein schon wegen der Flut „grauer“ Unterrichtsmaterialien und aktueller Schulprojekte auf dem Tagesmarkt – unseres Erachtens nicht.

Wolfgang Lieb sagt schließlich den gewerkschaftlichen Aktivitäten zu Schule und Arbeitswelt allein schon wegen der fehlenden „Waffengleichheit bei den finanziellen Ressourcen“ voraus, dass sie im Sande verlaufen dürften. Da wir – wie oben bereits erwähnt – nicht der Illusion erliegen, es in Masse und Ausstattung den Unternehmern gleichtun zu können, machen wir den Erfolg unserer Initiative indessen von einer Reihe weiterer Fragen abhängig:
Wie stark gelingt es uns, Kolleginnen und Kollegen in Betrieben, aber auch Lehrkräfte an Schulen für gemeinsame Projekte zu gewinnen? Wie können wir in Zukunft die Qualität unserer Aktivitäten und Materialien sicher stellen? Wie schaffen wir es, das Thema Bildung (weiterhin und) zunehmend in der allgemeinen Gewerkschaftsagenda, aber auch in den regionalen gewerkschaftlichen Aktivitäten zu verankern?

Misserfolg und Erfolg unserer Aktivitäten liegen eng beieinander. Für den nachhaltigen Erfolg ist notwendig, dass diese gemeinsame schulpolitische Arbeit auf eine breitere Basis gestellt wird und sich mehr GewerkschafterInnen engagieren. Dies kann nur gelingen, wenn sie von den Verantwortlichen, von den gewerkschaftlichen Gremien und Gliederungen unterstützt werden. Daran zu arbeiten, betrachten wir als eine Zukunftsaufgabe.

Anmerkung WL: Ich bin den Kolleginnen und Kollegen dankbar für diese Replik. Sehr gefreut habe ich mich auch über die angenehme und konstruktive Diskussion am 29. April in Frankfurt a.M. Was kann man sich mehr wünschen, als wenn auf einen kritischen Beitrag auf den NachDenkSeiten ein konstruktiver Dialog stattfindet?

Ich habe mich davon überzeugen lassen, dass aus der Lehrerschaft ein Bedarf für Materialien zur ökonomischen Bildung vorhanden ist und von vielen Lehrerinnen und Lehrern auch von den Gewerkschaften ein entsprechendes Engagement erwartet wird. Vor allem aber, dass man diesen Bedarf nicht nur durch die Unternehmerseite oder durch wirtschaftliche Interessengruppen abdecken lassen sollte.

Nach diesem Gespräch will ich gerne eingestehen, dass meine damals gewählte Überschrift „Die Gewerkschaften springen auf den falschen Zug auf“ die Realität nicht (mehr) trifft: Der Zug ist (leider) längst abgefahren, ja noch mehr, er lässt sich auch nicht mehr aufhalten. Eine Skandalisierung der einseitigen, interessenbezogenen Einflussnahme von Unternehmer(verbänden) auf die ökonomische Bildung, geht (leider) inzwischen auch an der politischen Praxis nahezu aller Schulbehörden vorbei.
Die Kultusministerien haben für solche Einflussnamen auf die Inhalte ökonomischer Schulbildung Tür und Tor geöffnet und es besteht kaum Aussicht hier wieder einen Riegel vorzuschieben. Und es belegt nur die Dominanz des vorherrschenden ökonomischen Denkens, dass die oft unverhohlen einer Unternehmerlogik folgenden Lehrmaterialien von den Kultusbehörden als neutral oder gar „wissenschaftlich“ betrachtet werden, während die „multiperspektivischen“ Sichtweise in den gewerkschaftlichen Unterrichtshandreichungen häufig als ideologisch gefärbt abgetan wird. Das ist geradezu paradox.

Das Einfallstor sind die für den ökonomischen Unterricht besonders geeigneten „Unterrichtsmaterialien“. Diese können (auch um – didaktisch sinnvoll – aktuelle Diskussionen im Unterricht aufgreifen zu können) durch (meist veraltete) Lehrbücher offenbar nicht ersetzt werden.
Im Übrigen halte ich es durchaus für sinnvoll, wenn auch die Gewerkschaften sich bei der Vermittlung von Betriebspraktika oder mit Rat und Tag bei der Berufsorientierung einschalten.

Bei meinem Gespräch mit den Kolleginnen und Kollegen in Frankfurt wurde ich mit Material der gewerkschaftlichen Initiative Schule und Arbeitswelt überhäuft. Ich habe mir die Materialien gründlich angesehen und kann nur bestätigen, dass die Inhalte den in dieser Replik beschriebenen pädagogischen Zielen und Werten verpflichtet sind.
Umso mehr sollten die (meist) einseitig interessenbezogenen (ideologisch gefärbten) Einflussnahmen der Unternehmensseite in der Kritik von Lehrerinnen und Lehrern, aber vor allem auch der Schulbehörden stehen. Der „Beutelsbacher Kompromiss“, wonach Schüler nicht „überwältigt“ (also indoktriniert) werden dürfen, wird bei vielen Unterrichtsmaterialien aus der Wirtschaft mehr als gesprengt.

Es ist leider so, dass das Engagement der gewerkschaftlichen Kolleginnen und Kollegen auf dem Feld der Schule eher eine „Selbstausbeutung“ darstellt, weil die Gewerkschaftsorganisationen dafür viel zu wenig Ressourcen zur Verfügung stellen (können). Von einer „Waffengleichheit“ ist man, angesichts der Summen und der Mengen, die von der Wirtschaft dafür eingesetzt werden, weit entfernt. Allerdings sehe ich ein, dass von gewerkschaftlicher Seite trotz dieses Ungleichgewichts die „Waffen“ auch nicht gleich niedergelegt werden dürfen.

Es wäre schön, wenn der begonnene Diskurs in den Gewerkschaften auf fruchtbaren Boden treffen würde und die gesellschaftspolitische Bedeutung der Bildung noch stärker in den Vordergrund gewerkschaftlichen Engagements gerückt werden könnte.


[«1] „Was unsere Kinder zukünftig denken – Ökonomische Bildung an allgemeinbildenden Schulen“. Arbeitstagung der Hans-Böckler-Stiftung und der gewerkschaftlichen Initiative Schule und Arbeitswelt am 8./9. April 2011 in Bad Münder

[«2] Siehe: IG Metall (Hg.): Wirtschaft in der Schule. Die Auseinandersetzung um ökonomische Bildung an allgemeinbildenden Schulen. Dezember 2010. Online unter: www.igmetall.de (über Suchfunktion „Wirtschaft in der Schule“) sowie: GEW-Privatisierungsreporte 1-13, online unter: www.gew.de/Privatisierungsreports.html

[«3] Schule DGB – Arbeitsfelder

[«4] Alleine der Arbeitskreis Schule und Wirtschaft hat über 400 regionale Netzwerke

[«5] Siehe den gleichnamigen Beschluss des DGB-Bundeskongresses von 2006

[«6] Siehe die „Initiative für eine bessere ökonomische Bildung“ (iböb) um Reinhold Hedtke et. al. (www.iboeb.org)


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