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Titel: IMK zu Reallohnverlusten

Datum: 20. Juli 2011 um 14:32 Uhr
Rubrik: Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Hartz-Gesetze/Bürgergeld, Ungleichheit, Armut, Reichtum
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Neue Befunde aus dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP), nach denen vor allem Arbeitnehmer mit niedrigerem Einkommen in den vergangenen zehn Jahren große Reallohnverluste hinnehmen mussten, haben für große Aufmerksamkeit gesorgt. Mehrere aktuelle Studien und Analysen von Forschern der Hans-Böckler-Stiftung leuchten Hintergründe dieser Entwicklung aus. Eine Mitteilung der Hans-Böckler-Stiftung

Ein wesentlicher Aspekt ist danach die Entwicklung des Tarifsystems. Es stabilisiert die Lohnentwicklung in Deutschland. Die Tariflöhne sind in den vergangenen Jahren deutlich stärker gestiegen als die effektiven Bruttoeinkommen. Allerdings sinkt die Reichweite des Tarifsystems, abzulesen an der Tarifbindung, seit etwa anderthalb Jahrzehnten. Gleichzeitig wuchs der Niedriglohnsektor, atypische Beschäftigungsformen wie Leiharbeit oder Minijobs breiteten sich stark aus. Die Arbeitsmarktreformen der vergangenen Dekade haben dazu erheblich beigetragen und so das Tarifsystem weiter unter Druck gebracht. Die folgenden Links führen Sie zu kurzen Zusammenfassungen relevanter Untersuchungen:

Die Löhne und Gehälter in Deutschland haben sich zwischen 2000 und 2010 weitaus schwächer entwickelt als die Gewinn- und Kapitaleinkommen. Real – also nach Abzug der Inflation – sind die durchschnittlichen Bruttoeinkommen pro Beschäftigtem um vier Prozent zurückgegangen, hat Dr. Reinhard Bispinck, der Leiter des WSI-Tarifarchivs, berechnet. Schwierige wirtschaftliche Rahmenbedingungen und die Deregulierung am Arbeitsmarkt haben dazu beigetragen, dass sich die Bruttoeinkommen in den Nullerjahren schwach entwickelten. Deutlich besser sieht es bei der Entwicklung der tariflichen Löhne und Gehälter aus, zeigt Bispincks Analyse: Sie lagen am Ende des Jahrzehnts real um knapp sieben Prozent höher als am Anfang. Allerdings blieb auch das Wachstum der durchschnittlichen Tariflöhne in vielen Branchen hinter dem Anstieg von Produktivität und Preisen zurück, die den neutralen Verteilungsspielraum definieren. Und weil zeitgleich die Tarifbindung sank, manche Unternehmen in wirtschaftlichen Schwierigkeiten tarifliche Öffnungsklauseln nutzten oder Tarifsteigerungen auf noch vorhandene übertarifliche Lohnbestandteile anrechneten, schlugen Steigerungen der Tarife nur zum Teil auf die Bruttoverdienste durch (Bericht aus Böckler Impuls, Februar 2011).

In vielen Ländern sind die Einkommen heute ungleicher verteilt als vor zwei Jahrzehnten. Besonders deutlich hat sich die Schere in Deutschland geöffnet. Die Mittelschicht schrumpft. Auch bei den Vermögen hat die Konzentration nach den aktuellsten vorliegenden Zahlen deutlich zugenommen (Bericht aus Böckler Impuls, März 2011, mit Befunden aus dem Buch “Des Reichtums fette Beute” von Gustav A. Horn, aus einem von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Forschungsprojekt zur Vermögensverteilung sowie Forschungsergebnissen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung).

Zahlreiche europäische Staaten unterstützen eine stabile Tarifbindung, beispielsweise werden viele Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklärt [PDF – 145 KB]. Die WSI-Forscher Dr. Reinhard Bispinck und Dr. Thorsten Schulten analysieren in einem Beitrag für das Magazin Mitbestimmung (neue Ausgabe 7/8 2011), wie sich das Tarifsystem in Deutschland und bei seinen Nachbarn entwickelt hat und was Gewerkschaften, Politik und Arbeitgeber für eine Re-Stabilisierung tun können.

(Bitte beachten Sie den Hinweis am Ende des Absatzes) Manche Ökonomen halten die deutsche Konsumschwäche für überwunden. Tatsächlich geht der Trend nach oben, die Zuwachsrate liegt aber noch weit unter dem langjährigen Durchschnitt. Darauf weist das Institut für Markoökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung hin. Das IMK sieht einen deutlichen Zusammenhang zur Deregulierung des Arbeitsmarkts, der Ausdehnung des Niedriglohnsektors und der zunehmenden Einkommensungleichheit seit der Jahrtausendwende. Das bedeute auch, dass die Politik einen Beitrag zur nachhaltigen Überwindung der Konsumschwäche leisten könne. Etwa durch einen Mindestlohn und bessere Regulierung bei der Leiharbeit (PM vom 31.5. 2011; WICHTIGER HINWEIS: Das IMK hat in seinem Prognose-Update vom 27. Juni seine Vorhersage für den privaten Konsum angehoben: Die Konsumausgaben werden 2011 um 1,7 und 2012 um 1,3 Prozent steigen. Die Analyse in der verlinkten PM bleibt gleichwohl aktuell).


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