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Titel: Appellieren Sie an Ihre Medien, vor allem an die Intendanten von ARD und ZDF, endlich mit dem Börsen-Zirkus aufzuhören

Datum: 19. August 2011 um 15:47 Uhr
Rubrik: Banken, Börse, Spekulation, Medienkritik
Verantwortlich:

Die Schwankungen an den Börsen sagen nahezu nichts über das Wohlergehen unserer Volkswirtschaften und sehr viel über das Verhalten großer Spekulanten. Etwa ab Mai haben diese ans Aussteigen gedacht, ab der zweiten Hälfte des Juli steigen sie aus, die Kurse sinken, seit einigen Tagen rasant. Volkswirtschaftlich betrachtet ist dieser Vorgang ziemlich unbedeutend. Die Aktienbörsen sind ein Teilmarkt des Kapitalmarktes. Sie sind ein Markt für Vermögenswerte und um vieles unbedeutender als z.B. der Markt für die Produkte der Chemie oder des Maschinenbaus oder der „Markt“ für Kranken- und Alterspflege. Albrecht Müller.

Wo bleiben denn die ausführlichen Berichte über die reale Ökonomie zum Beispiel im Pflegebereich? Oder meinetwegen über den Maschinenbau, der für unsere Volkswirtschaft um mehrere Dimensionen wichtiger ist als der Aktienmarkt.

Darüber wird offensichtlich nicht berichtet, weil es dort den spielerischen Charakter des Spekulierens nicht gibt. Berichte über das Spielcasino der Finanzmärkte sind hingegen offenbar reizvoll. Vielleicht auch deshalb, weil die Damen und Herren Medienmacher auf den Aktienmärkten privat unterwegs sind.

Aber was hat das mit uns zu tun? Zum wiederholten Mal appellieren wir daran, diesen Unsinn einzustellen. Die Börsennachrichten gehören nicht in die Aufmacher unserer Medien. Die Börsenberichte gehören nicht in die beste Sendezeit.

Einer unserer ersten Artikel in der NachDenkSeiten, ein Beitrag vom 1.12.2003, beschäftigte sich schon mit den Geschehen an den Börsen. Siehe den Anhang. Der Artikel stammt vom 23. Oktober 1999. Es war eine Kolumne im Vorwärts. Ich habe damals erklärt, wie wenig die damals sprunghaft steigenden Aktienkurse über den Wohlstand eines Volkes aussagen, und ich habe erklärt, wie sie zum Beispiel wesentlich von der Öffentlichkeitsarbeit der Unternehmen abhängen. Ich habe nichts zurückzunehmen. Vermutlich ist die Lektüre dieses früheren Beitrags auch für Sie noch von Gewinn.

Die jetzigen Kursschwankungen und konkret die Kurseinbrüche der letzten Tage haben auch nicht unbedingt etwas mit Rezessionsängsten zu tun. In dieser Einschätzung unterscheide ich mich etwas von Wolfgang Lieb, dessen Artikel von heute ich ausgesprochen informativ finde – eben mit Ausnahme der These in der Überschrift, am Anfang und am Ende, dass die Rezession die Hauptursache des sinkenden Kurse sei. Das ist ein Teilelement, ohne Zweifel.

Zum wiederholten Male geben wir hier die Entwicklung des DAX wieder, heute in der Fassung von Spiegel online:

Dax Entwicklung Seit 1988
Quelle: Spiegel ONLINE

Es gibt im Verlauf der Entwicklung der DAX Kurse viele Bewegungen, die nichts oder wenig mit der realen Wirtschaftsentwicklung zu tun haben. Zum Beispiel war im März des Jahres 2000, also ein halbes Jahr nach Veröffentlichung meiner Kolumne, keine deutliche Rezession erkennbar und dennoch brachen die Kurse ein. Zum Beispiel sind die Kurse zwischen 2003 und 2007 quasi explodiert. Ich sehe in der damaligen realen Wirtschaftsentwicklung keine Basis für diesen Sprung. Genauso wenig zwischen 2009 und dem Mai 2011.

Die massiven Kursschwankungen sind eindeutig spekulationsgetrieben. Die Erwartung einer Rezession oder eines Aufschwungs oder auch nur die Propaganda für beides beeinflusst selbstverständlich dann auch solche Bewegungen. Der Kern aber ist das Spekulationsverhalten großer Zocker. Sie steigen rechtzeitig ein und steigen rechtzeitig aus und der Rest bleibt auf der Strecke.

Anhang:

Titel: Luftbuchungen

Datum: 1. Dezember 2003 um 11:15 Uhr
Rubrik: Veröffentlichungen der Herausgeber
Verantwortlich: Albrecht Müller

Wie wenig steigende Aktienkurse über den Wohlstand eines Volkes aussagen.
Gegen den Strom. vorwärts.

An jedem Abend informiert uns das Fernsehen darüber, wie sich die Aktienkurse entwickelt haben; schon tagsüber wird man von mehreren Sendern auf dem laufenden gehalten; der Wirtschafts- und Börsenteil meiner Regionalzeitung ist mit drei Seiten genauso lang wie der politische Teil; der Fernsehsender n-tv, lässt die neuesten Aktienkurse im Programm mitlaufen und seine Berichterstatter/innen bekommen eine traurig-belegte Stimme, wenn sie Kursrückgänge vermelden. Man muss den Eindruck gewinnen, das deutsche Volk sei ein Volk von Aktienbesitzern und wir alle seien ständig scharf darauf zu erfahren, wie viel reicher uns das Geschehen an den Börsen gerade wieder gemacht hat.

Tatsächlich sind heute 7,9 Prozent der Deutschen im Besitz von Aktien; Aktienfonds eingerechnet 12,7 Prozent. Warum wird trotz dieser vergleichsweise geringen Zahl so ausführlich über Aktienmärkte berichtet und so getan, als beträfe das Auf und Ab der Börsenkurse uns alle oder zumindest eine Mehrheit von uns?

Das hat zum einen damit zu tun, dass wie beim Lotto diejenigen, die sich daran beteiligen, beachtlich gewinnen können. Das hat einen sportlichen Reiz, auch für die “Zuschauer”. Zum andern rührt die hohe Aufmerksamkeit daher, dass in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt wird, der Anstieg von Aktienkursen würde auch volkswirtschaftlich betrachtet Werte schaffen. Dies sei ein Zeichen, dass es wirtschaftlich aufwärts geht. Das Zitat aus BUSINESS WEEK ist nur eine von vielen Meldungen.

Dass Aktienkursfeuerwerke nicht viel mit dem Wohlergehen einer Volkswirtschaft zu tun haben müssen, sieht man schon daran, dass der Dax – das Maß der Börsendurchschnittsentwicklung der wichtigsten deutschen Aktien – in den vergangenen Jahren häufig stieg, während gleichzeitig die Arbeitslosigkeit zunahm und die deutsche Volkswirtschaft nur mäßig wuchs, wenn überhaupt.

Ohne Zweifel hat der Kapitalmarkt, dessen Teil der Aktienmarkt ist, eine wichtige volkswirtschaftliche Funktion. Der Kapitalmarkt sorgt dafür, dass die gesparten Finanzmittel zum “besten Wirt” gehen, wie die Volkswirte sagen, also dorthin strömen, wo dieses Kapital am produktivsten investiert wird. Diese Funktion des Kapitalmarkts ist wichtig. Auch der Teil, den man heute in Deutschland Neuer Markt nennt, wo also Aktien junger, risikoreicher Unternehmen ausgegeben und gehandelt werden, hat eine wichtige Teilfunktion. Es ist wichtig, dass Menschen mit guten neuen Ideen eine Chance haben, sich bei anderen, die Risiken einzugehen bereit sind, Kapital beschaffen können. Wenn mit dem Kapital in Maschinen oder Anlagen, in Computer oder andere Produktionsmittel investiert wird und Menschen mit diesem eingesetzten Kapital arbeiten, werden in der Tat Werte geschaffen.

Diese Art von Wertschöpfung durch Einsatz von Kapital und Arbeitskräften ist aber etwas anderes als das, was auf den Aktienmärkten geschieht, wenn dort die Kurse steigen. Richtig ist, dass der Buchwert eines Unternehmens sich verdoppelt, wenn der Aktienkurs sich verdoppelt. Aber mit dieser Höherbewertung werden genauso wenig Werte geschaffen, wie mit der Emission, also der Ausgabe von Aktien gegen das Geld neuer Aktionäre. Insofern ist die Vermutung von BUSINESS WEEK, es seien in Deutschland auf dem Neuen Markt für 59 Milliarden Dollar neue Vermögenswerte geschaffen worden, nicht richtig.

Wenn ein Unternehmen Aktien auf den Markt bringt, damit Geld einnimmt und bei sich Vermögen – in der Sprache von BUSINESS WEEK “wealth” – schafft, muss es andere geben, die diese Aktien kaufen, dafür mit Geld bezahlen, also ihr Konto räumen oder andere Wertpapiere verkaufen usw. Per saldo – das ist nach Adam Riese und der Saldenmechanik zwangsläufig- entstehen dabei keine neuen Werte.

Nehmen wir eine aktuelle Neuemission, das Beispiel von Constantin-Film, eines Unternehmens der Film- und Medienwirtschaft, das im September an die Börse ging. Der Ausgabekurs lag bei 19,50 Euro. Er sprang noch am selben Tag auf 80 Euro. Der Tages-Schlusskurs lag bei 63 Euro, am nächsten Tag bei 50 Euro, eine Woche nach dem Tag der Emission bei 49 Euro. Diese Schwankungen zeigen, dass das Buchwerte sind, deren realer Hintergrund bestenfalls die Erwartung ist, dass das Unternehmen mit dem eingenommenen Geld etwas Vernünftiges anfängt, gut wirtschaftet und Gewinne erzielt. Dass Aktienkursschwankungen auch ganz andere Hintergründe haben können, hat die Zeitung “Die Woche” vom 3. September beschrieben. Da werden Anlegern am Neuen Markt Tipps gegeben, unter anderem: “Wer ausschließlich auf Zeichnungsgewinne spekuliert, sollte sich vor allem auf Unternehmen konzentrieren, die im Vorfeld des Börsengangs mit großen PR-Kampagnen für hohe Aufmerksamkeit sorgen und die Investoren sprichwörtlich “heiß” machen.” Und man solle darauf achten, dass die Branche, zu der die Aktien emittierende Firma gehört, ”derzeit an der Börse “in” ist”.

Kurzfristige Wertsteigerungen sind – so das Kalkül – Ergebnis von Spekulationen darauf, dass die Propaganda für die Emission einer Aktie so professionell gemacht ist, dass es aus diesem Grund zu einem Kursfeuerwerk kommt, bei dem man kurz einsteigt und mit etwas Glück rechtzeitig wieder aussteigt.

Aber merke: Auch dabei gibt es neben den Gewinnern immer auch Verlierer. Volkswirtschaftlich sind solche Vorgänge ohne positive Bedeutung. Es ist eine Art von Spekulationsspiel, das nichts darüber sagt, ob dabei Werte geschaffen werden.

Der Präsident des Club of Rome, einer Vereinigung von Industriellen und Wissenschaftlern, warnte im Juli vor den spekulativen Elementen der heutigen Kapitalmärkte. Der wirkliche Wert eines Unternehmens und seine Bewertung am Aktienmarkt klafften oft zu weit auseinander, meinte er. Noch gewichtiger dürfte die Einschätzung des US-Notenbankpräsidenten Alan Greenspan sein, der seit längerem schon die Sorge äußert, am Aktienmarkt entwickle sich eine “gefährliche spekulative Blase”.

© Vorwärts / 23. Oktober 1999


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