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Titel: 100 Tage Große Koalition: „Immer nur lächeln, lächeln trotz Weh und tausend Schmerzen, doch wie´s da drin aussieht, geht niemand was an.“

Datum: 26. Februar 2006 um 15:26 Uhr
Rubrik: Arbeitslosigkeit, Bundesregierung, Strategien der Meinungsmache, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
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Auf diesen Refrain eines Evergreens aus Franz Lehárs Operette „Das Land des Lächelns“ spielt diese Woche die Titelgeschichte des SPIEGELs an. In ganz Deutschland scheint diese seit langem aus der Mode gekommene Operette auf allen Spielplänen zu stehen: Bei Konjunkturforschern, bei Ministern, bei Händlern, bei Konsumenten, bei Managern, bei Börsianern, bei Arbeitsvermittlerinnen, sogar bei Ex-Ministern, Talkmastern oder bei Spaßmachern, so fabuliert der SPIEGEL in gewohnter Oberflächlichkeit. Die Operette gilt als eine leicht bekömmliche Musikgattung, die vor allem der Unterhaltung und der Ablenkung von den Sorgen des Alltags dienen soll. Doch wie´s da drin aussieht, geht eben niemand was an!

Es stimmt: Die üblichen Miesmacher halten sich zurück, sie spürten allmählich den “Verdruss am Verdruss” (Regierungssprecher Thomas Steg). Die Wirtschaftslobby braucht die Parteien nicht mehr gegeneinander aufzuhetzen, sie vernetzt sich direkt mit der Regierung oder ihren ehemaligen Repräsentanten. Eine kritische Opposition kommt mangels Masse und hauptsächlich mit sich selbst beschäftigten Oppositionsparteien nicht mehr vor. Die Große Koalition überzieht ihre knallharten Basta-Entscheidungen – wie die Rente mit 67 oder Kürzungen des Arbeitslosengeldes für Junge – mit der süßen Soße der Harmonie. Die Kanzlerin schweigt beredt nimmt die leitenden Journalisten zur Hofberichterstattung auf ihre Antrittsbesuche mit, und bekanntermaßen schafft Außenpolitik in Deutschland immer die höchsten Popularitätswerte – die Stimmung ist gut.

Wir haben auf den NachDenkSeiten die Miesmache der Meinungsmacher in diesem Lande immer verurteilt: Weil es ohne Optimismus mit der Wirtschaft nicht aufwärts gehen kann, weil die Miesmacher unser Land schlechter geredet haben als es da steht, weil die Wirtschaft Ängste geschürt hat, um ihre Interessen mittels von ihr als alternativlos erklärten grundlegenden Struktur- “Reformen” durchzusetzen. Zwar hat die Wirtschaft bei der Bundestagswahl überwiegend auf Schwarz-Gelb gesetzt, doch mit der Großen Koalition lässt es sich offenbar auch ganz gut leben. Deshalb jetzt die Flucht in die Operette, ins Land des Lächelns, in die Unterhaltung, in die Ablenkung der Menschen von einer stur fortgesetzten und sogar noch beschleunigten “Reform”-Politik. Dabei lebt die Union komfortabel damit, dass die Sozialdemokraten ständig versichern, dass sie die Politik der Großen Koalition bestimmten und mit Müntefering und Steinbrück die Noske`schen “Bluthunde” abgeben.

Eine falsch angelegte und erfolglose Politik, wird aber durch eine gute Stimmungsmache nicht besser und schon gar nicht erfolgreich. Das merkten die Operettendarsteller spätestens, wenn man sie die Musikpaläste einmal verließen und sich wieder mit der Realität einlassen würden. Joachim Jahnke hat dankenswerter Weise anhand der nüchternen Wirtschaftsdaten des Statistischen Bundesamtes dargestellt, was die “Reform”-Politik der Großen Koalition in den ersten 100 Tagen zum angeblich Besseren gewendet hat. Die Wirklichkeit ist desillusionierend:

  • Im letzten Quartal 2005 verzeichnen wir mit 1,8 Millionen die höchste je registrierte Zahl an Langzeitarbeitslosen.
  • Im Januar 2006 mit 1,9 Millionen die höchste Zahl an arbeitslosen älteren Menschen über 50 Jahre.
  • Im Verhältnis zum dritten Quartal ist im vierten Quartal 2005
    • der Staatskonsum um 6,3%
    • die Bruttolohn- und Gehaltssumme um 3,5% gesunken.
  • Im Verhältnis zu 2004 ist zu Ende des Jahres 2005 ist
    • die Bruttolohn- und Gehaltssumme um 2,6%,
    • der Konsum privater Haushalte um 0,7% gesunken.

Dafür – oder gerade deshalb – sind die Sparquote der Vermögenden und die Unternehmens- und Vermögenseinkommen weiter um 6,5% gestiegen.

Das Wachstum des Bruttoinlandsprdodukts im letzten Quartal sackte gegen Null, der Inlandsumsatz der gewerblichen Wirtschaft liegt gegenüber dem Vorjahr um 1,6% und der Einzelhandelsumsatz im Januar um 2% niedriger. Die Zahl der Beschäftigten ist weiter im Rücklauf und die Arbeitslosigkeit stieg entgegen aller Schönrednerei erneut über die 5-Millionen-Marke.

Wie gesagt, wir wollen die Stimmung nicht kaputt reden, wir wollen die Operettenregisseure und das Operettenpublikum aber daran erinnern, dass hinter ihrer guten Stimmung eben noch lange keine bessere Politik steht – im Gegenteil die harte Wirklichkeit sieht leider ganz anders aus: Im internationalen Vergleich fällt Deutschland immer weiter zurück.

Wie sehr das “Klima” von der Wirklichkeit abweicht zeigt ebenfalls Joachim Jahnke http://www.jjahnke.net/rundbr9.html in seinen gobal news 246 vom 24.02.06, wo er die Entwicklung des ifo-Geschäftsklimaindex mit der Entwicklung des Bruttoinlandsprdodukts vergleicht: Noch nie habe sich der Index so weit von den Realitäten der statistischen Daten nach oben gelöst.

Die BILD-Zeitung berichtet am 24.2.06 wie die Erfolgsautorin Hera Lind und andere Promis ihre Millionen, um sie an der Steuer vorbei zu schleusen, mit steuermindernden Anlagen in Ost-Immobilien verzockten. Im hinteren Teil der gleichen Ausgabe berichtet das gleiche Blatt gestützt auf eine Verbraucherumfrage unter 31.000 Deutschen unter 14 Jahren, dass 11,17 Millionen oder 17,2% der Deutschen keinen einzigen Cent frei verfügbares Einkommen haben, weitere 6,58 Millionen unter 50 Euro, weitere 10,42 Millionen bis zu 100 Euro und 8,58 Millionen gerade einmal bis zu 150 Euro finanziellen Spielraum im Monat haben. Das heißt weit mehr als die Hälfte aller Deutschen haben nicht mehr als 150 Euro von ihrem Nettoeinkommen, die sie über den dringenden Lebensbedarf hinaus für Konsumausgaben im Monat zur Verfügung haben. (Siehe dazu noch einmal Joachim Jahnke)

So sieht das also im Land des Lächelns “drin aus”.

Gustav Horn, Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) sagt zu diesen ernüchternden Zahlen: “Das sind erschreckende Zahlen, die belegen, unter welchem massiven Druck die Einkommen und Löhne stehen. Wir stecken in der tiefsten Konsumkrise der Nachkriegsgeschichte. Wo soll der Konsum herkommen, wenn die Leute immer weniger im Geldbeutel haben?”

Diese Frage sollten sich unsere Operettendarsteller stellen. Aber da würde ihnen ja nur das Lächeln vergehen.

Dazu auch Wolfgang Storz in der FR.


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