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Titel: BUCHKRITIK – Nikolaus Piper: “Willkommen in der Wirklichkeit”

Datum: 20. Mai 2005 um 16:33 Uhr
Rubrik: Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Rezensionen
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Unter der Überschrift „Mangelnder analytischer Durchblick“ erschien am 18.5.05 in der Frankfurter Rundschau eine Rezension von Achim Truger.

Einige Auszüge:

„Die Reformbuchschwemme auf dem deutschen Markt reißt nicht ab….
Bei diesem Werk handelt es sich um einen ziemlich farblosen Nachzügler, in dem auf wenig unterhaltsame Weise die Standardlitanei der Mainstream-Reformdebatte heruntergeleiert wird ….
Ansonsten ist das gesamte Buch seltsam unstrukturiert und mit Fehlern durchzogen. Das ist schade, denn gerade für einen Nachzügler hätte es doch möglich sein müssen, die bisherige Debatte klarer aufzuarbeiten und zu strukturieren. Es scheint stellenweise so, als habe Piper in die Debatte hineingehorcht und dann einfach mal ein paar Sachen zusammengeschrieben…
Besser als in folgendem Zitat kann man den mangelnden analytischen Durchblick und das Phrasenhafte von Pipers Werk nicht ausdrücken: “Nicht Sparen muss das Leitmotiv sein, sondern Freiheit, Wettbewerb und Wachstum.” Die Lektüre des Buches ist reine Zeitverschwendung.“

Dtv 2004, 180 Seiten, 12 Euro

P.S.:
Warum nehmen wir in die NachDenkSeiten die Kritik an einem Buch eines Autors auf, der wie Sinn, Henkel, Rogowski, Miegel, Nolte, Steingart und viele andere nur die immer gleichlautenden neoliberalen Litaneien nachbetet? Der Grund ist: Nikolaus Piper ist Leiter der Wirtschaftsredaktion der Süddeutschen Zeitung. Man kann sich nahezu täglich nicht nur durch die Lektüre seiner Beiträge, sondern auch der meisten anderen Artikeln im Wirtschaftsteil dieser Zeitung davon überzeugen, welche wirtschaftspolitische Linie dort nicht nur vertreten, sondern regelrecht propagiert wird.

Für viele gilt ja die „SZ“ als eine links-liberale Zeitung; das mag sie im politischen Teil, in ihren rechtspolitischen Positionen oder im Feuilleton auch sein. Viele meinen aber – vielleicht weil Nik Piper vor langen Jahren einmal beim sozialdemokratischen Vorwärts war – , dass auch im Wirtschaftsteil dieser Zeitung – jedenfalls gemessen an FAZ oder Welt – eher ein offener, wirtschaftspolitischer Geist herrsche. Das Gegenteil ist leider richtig: Piper gehört mit zu den journalistischen Wortführern, die den Agenda-Kurs der rot-grünen Bundesregierung herbeigeschrieben haben, ja noch mehr, die ihn als zu zögerlich kritisieren und permanent eine Erhöhung der Dosis der neoliberalen Rezeptur einfordern.

Wenn irgendwo Kritik an wirtschaftsliberalen Vorschlägen oder an ihrem Scheitern aufkommt, ist Piper stets vorne mit dabei, solche kritischen Einwände abzuwiegeln. Ein ganz alltägliches Beispiel dafür findet sich in der SZ vom 19. Mai 2005, wo sich Piper zu einer Verteidigung des Deutsche Bank Chefs Ackermann aufschwingt. Selbst dem angekündigten Abbau tausender Arbeitsplätze gewinnt er noch etwas Positives ab: „Und kaum jemand hat wahrgenommen, das von dem Arbeitsplatz-Abbau vor allem Fachkräfte betroffen sind, die auf dem internationalen Markt sofort einen neuen Job finden.“

Es gibt nahezu keine wirtschafts- oder gar gesellschaftspolitische Wirklichkeit, die von Piper nicht unter sein starres neoliberales Dogmengebäude subsumiert werden würde. Wie für einen schlechten Juristen ist für ihn sein wirtschaftspolitisches Credo quasi ein vorgegebenes Gesetz, unter das jeder Lebenssachverhalt nur noch mittels ökonomischer Interpretationskunst eingeordnet werden muss. Das Ergebnis ist immer vorhersagbar und immer gleich: Mehr Markt, weniger Staat bzw. Deregulierung und Sozialabbau.

Bei jemand, der sein ökonomisches Handwerkszeug in der „Freiburger Schule“ gelernt hat, ist das nicht verwunderlich, ja noch nicht einmal vorwerfbar, nachdenklich muss jedoch stimmen, dass jemand als Leiter der Wirtschaftsredaktion unter dem Mantel der Unabhängigkeit und Neutralität gleichzeitig Mitglied der „neoliberalen Internationalen“ (Dieter Plehwe), nämlich der Mont Pèlerin Gesellschaft ist (siehe Wikipedia).

Nikolaus Piper würde jetzt sicherlich sofort mit dem Vorwurf kontern, wir seien „Verschwörungstheoretiker“. Wer sich mit der strategischen Einflussnahme der MPS auf Politik und Gesellschaft als „Weltanschauungsgemeinschaft“ einmal näher befasst, wird feststellen, dass „Verschwörung“ vielleicht nur deshalb das falsche Wort ist, weil dieses Netzwerk ganz offen und erklärtermaßen und mit viel Geld für die Vormachtstellung marktradikaler Konzepte und für die Zurückdrängung sozialstaatlichen Denkens in den Köpfen der nach Meinung des Gründervaters Friedrich August von Hayek „manipulierbaren Masse“ kämpft.

Siehe zur Mont Pèlerin Gesellschaft etwa: Dieter Plehwe, Internationale Vorbilder und transnationale Organisation deutscher Neoliberaler, in: Ulrich Müller/Sven Giegold/Malte Arhelger (Hrsg.) Gesteuerte Demokratie?, Hamburg 2004. Mit vielen weiteren Nachweisen.


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