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Titel: ITALIEN – Gibt es eine Wahrheit jenseits des Fernsehens

Datum: 27. Mai 2006 um 15:30 Uhr
Rubrik: Länderberichte, Medienkonzentration, Vermachtung der Medien, Rezensionen, Strategien der Meinungsmache
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Volker Bahl bespricht das Buch von Alexander Stille: “Citizen Berlusconi”.

Angesichts der aktuellen Ereignisse nach der Wahl und dem dennoch knapp geglücktem Regierungswechsel in Italien weg von Berlusconi, dem Medientycoon, hin zur Regierung Prodi ist es sinnvoll, bezüglich der Entstehung dieser so unversöhnlich scheinenden Gegensätze einmal etwas tiefer zu schürfen ,und dass man sich etwas abwendet von dem oberflächlichen Geplätscher der Zeitungs- und sonstigen Medienberichterstattung. Dazu bietet sich eine hervorragende Recherche von einem Italo-Amerikaner an:

Alexander Stille
“Citizen Berlusconi”
(Verlag C.H. Beck)

Aber wer jetzt meint nur, wie so oft geschehen, seine Distanz zu diesem “schrecklichen” Italien mit seinem Berlusconi befriedigen zu wollen, liegt hier falsch, denn die Ausgangsthese von Stille ist es , dass es sich bei den italienischen Verhältnissen gerade nicht um einen Sonderfall – eben Italien – handelt, sondern allenfalls um einen Extremfall ,von dem was wir so beiläufig heute Mediengesellschaft nennen. Und wie in einem Spiegel können wir dabei gleich unsere eigenen “Verhältnisse” dort mit studieren. Dies scheint besonders angebracht, weil gerade die Einführung des Privatfernsehens wurde bei uns durch eine große “Medienkoalition” vollzogen, die die Folgen dieser Einführung seither “gemeinsam” geflissentlich übersieht. Und die These (= nicht von Stille ), dass die aktuell so vordergründig geführte Werte-diskussion der konservativen Seite ( von der Layen ) so scheinheilig ist, weil hier die Konservativen die moralischen Flurschäden ihrer so mächtig vorangetriebenen Einführung des Privatfernsehens und der damit verbundenen Zerrüttung eines jeden Anstands- und zwischenmenschlichen Mitgefühls – gerade bei den sog. “Unterschichten” – “irgendwie” wieder flicken wollen – ohne die eigentliche Ursache nennen zu wollen, zeigt die Dimensionen dieser politischen Koalition des Verschweigens.

Wenn Stille auch seine Parallelen eher in den USA -angefangen bei Reagan bis jetzt bei Bush jun. – sieht, so geht unsere Assoziation eher in Richtung des Medienkanzlers Schröder, dessen Glaubenssatz es war, mit Bildzeitung und Fernsehen im Rücken könne er regieren, wie er wolle.

Der Darstellung von Stille für Italien liegt die Feststellung zu Grunde, dass der Medienbruch von der guten alten “Gutenberg-Galaxis ” der Printmedien hin zur fernseh-dominierten ( Leitmedium ) Mediengesellschaft jene Tradition von klaren Fakten und Ideen und der Genauigkeit des Umgangs mit ihnen aufgelöst hat, und vor allem Persönlichkeiten in den Mittelpunkt gestellt hat. Diese Erkenntnis spitzt sich dann in dem “Glaubensbekenntnis” von Berlusconi zu : es gibt keine Wahrheit – außer sie ist im Fernsehen. Dieser Glauben führte dann in der Folge konsequenterweise dazu, die “absolute Fernsehmacht” in Italien anzustreben, wozu ihm – eine Ironie der Geschichte – der vom Absturz bedrohte “Sozialist” Craxi die letzten Empfehlungen ausgesprochen hat ( so drohte die bisherige Unterstützung durch die Politik für Berlusconi auszufallen )…

Dem Inhalte nach ging es um die Konsolidierung eines maroden ,eher vom Konkurs bedrohten privaten Medienimperiums durch die Übernahme staatlicher Macht ( Staat als Beute ) und der Form nach gab es Anleihen an einen anderen “Aufsteiger” der fernsehgeleiteten massenmedialen Entwicklung – den Fußball. So war schon der Name der Belusconischen Parteigründung “Forza Italia” ( “Vorwärts Italien”) der Schlachtruf der italienenischen Fußballfans. Die Übernahme des bekanntesten und erfolgreichen Mailänder Fussballclubs ( AC Milan ) erweiterte den Set der Symbolik.

Das war aber keinesfalls das Ende der Anleihen an gut eingeführte Organisationen und Symbole. Die nächste Anlehnung erfolgte an die Organisation der katholischen Kirche, denn “Forza Italia” ,die Berlusconische Parteineugründung, gründete ebensoviele “Parteizellen” wie es katholische Kirchengemeinden in Italien gibt.

Der “Rest” waren dann “Vertriebsmanagement” a la Versicherungsvertreter, was der begnadete Verkäufer Berlusconi wohl hervorragend beherrschte.

Angesichts des wegen Korruption in den Abgrund gestürzten alten Parteiensystems – vor allem der italienischen “Democrazia cristiana” (DC) konnte der “Forza Italia” – gestützt durch die drei Privatsender von Berlusconi – der Durchmarsch an die Macht gelingen.

Und dabei gelang es Berlusconi all seine Verstrickungen mit dem alten korrupten Regime wie auch mit der Mafia durch seine Medienmacht “aufzulösen” – getreu der Devise, es gibt keine Wahrheit außer sie ist im Fernsehen ( der bayrische Satiriker Polt hatte das einmal folgendermaßen auf den Punkt gebracht : ich glaub` alles, was ich sehe – und seit es Fernsehen gibt , glaub ich alles!)

Die Eroberung der politischen Macht diente in der Folge daher vor allem der Konsolidierung und Erweiterung seiner in Europa einmaligen Fernsehmacht ( Kirch hat das in Deutschland bei aller Verbindung zur Politik ja doch nicht geschafft ). Als er den Staat als “Beute” für sich und seine Interessen übernommen hatte, konnte er auch noch beim staatlichen Fernsehen RAI – die bisher das einzige wichtige Gegengewicht darstellte – in seinem Sinne aufräumen. ( Hier zeigte sich auch die Hilflosigkeit der europäischen Institutionen, denn als im Europaparlament ein kritischer Bericht zu dieser Situation in Italien abgestimmt werden sollte, hat die Konservative Mehrheit, deren Mitglied auch die “Forza Italia” war, diese europäische Stellungnahme blockiert).

An der Macht konnte dann die gesamte Gesetzgebung durchgewinkt werden, die zum einen den Rechtsstaat aushebelte, wo es um Strafverfolgung gegen ihn und andere politische Weggenossen ging – dabei ging es zum einen um Korruption (Berlusconi : “Politiker sind eben teuer” ) und zum anderen um seine so deutliche Verbindung zur italienischen Mafia – und ganz zentral war das Anliegen, dass seine monopolistische Medienmacht nicht nur nicht angetastet , sondern sogar gefestigt und ausgebaut wurde.

Dies alles schildert Stille minutiös und präzise – sich eben doch an die Faktentreue der “Vorfernsehzeit” haltend und sie ausführend. Es bleibt ein “Sittenbild”, das allen Regeln der Demokratie und des Rechtsstaates sowie für eine demokratische Öffentlichkeit spottet – und ein Spiegel, in dem wir so manches – vielleicht nicht so extrem – bei unseren Medien-Verhältnissen wieder zu erkennen, in der Lage sind.

Dabei wurde die Beseitigung rechtsstaatlicher , für alle geltenden Regeln zum eigenen Nutzen noch hervorragend bemäntelt durch die anti-staatliche Attitüde, die aus dem neoliberalen Instrumenten”schatz” genommen wurde.Und gerade diese gegen den Staat gerichteten Attacken schufen auch seltsame neue politische Bündnisse und Konstellationen, worauf Stille nicht ohne eine gewisse Süffisanz hinweist. So konnte eine linke, emanzipative und autonome linke Szene, die zu Beginn der Privatisierungswelle der elektronischen Medien eine Lokal- und Regionalradioszene aufgebaut hatte, dann ziemlich nahtlos unter diesem Gleichklang “gegen den Staat” im Berlusconischen Medienimperium aufgehen und dort gute Positionen bekleiden…

Insgesamt kann diese Studie von Stille so ein Anlass sein, den Medienbruch auch bei uns systematischer anzugehen.

Der Wechsel von Berlusconi zu Prodi in Italien, so knapp er auch war, gibt uns andererseits auch wieder Hoffnung, dass der Glaubenssatz – sicher auch mancher medienfixierter Politiker bei uns – , dass die Wahrheit allein im Fernsehen zu suchen ist, seine Risse bekommen hat. Und das ist für Italien auch deshalb besonders bedeutsam, weil es keine Tradition der Printmedien gibt, so dass die Mehrheit der Italiener das Fernsehen als einzige Informationsquelle hat. man kann also sagen, dass selbst unter diesen Bedingungen die im Fernsehen verbreiteten “Lügen” oder ideologischen Konstrukte irgendwann nicht mehr geglaubt werden, wenn sie mit der “lebensweltlichen” eigenen Erfahrung nicht mehr nachvollzogen werden können.

Mit der Verkündung des Wahlsieges des Prodi-Bündnisses gab es gleichzeitig die Meldung aus Italien, dass die italienische Polizei einen wichtigen Mafia-Boss festgesetzt hatte. Dabei drängte sich mir sofort der Gedanke auf, ob die italienische Polizei auf dieses Wahlergebnis gewartet hatte, um sicher zu gehen, dass diesem Mafiaboss auch ein ordnungsgemäßes Gerichtsverfahren bevorsteht?

P.S.: Wer diese wunderbare Studie von Alexander Stille “Citizen Berlusconi” gerade noch mit Blick auf das italienische Mediensystem vertiefen will, der sei noch auf

Paolo Mancini
“Mediensystem und journalistische
Kultur in Italien”

hingewiesen. Während Stille mehr den “fremden Blick” von außen auf Italien hat, blickt Mancini mehr von innen heraus auf die italienischen Medien.

P.P.S.: Und wer zur Differenzierung und auch noch weiteren Distanzierung den Sprung in eine “ganz andere Zeit” ,die Renaissance, wagen will, der sei auf eine andere Figur hingewiesen, den Borgia-Papst zum Ende des 15.Jahrhunderts, Alexander VI. ,( 1492 bis 1503 ), der nach dem gewaltigsten Medienbruch – der Erfindung des Buchdruckes – seine persönliche Macht mit allen Mittel ausbauen wollte. Hierzu:

Volker Reinhardt
“Der unheimliche Papst”
C.H. Beck

Nur sei noch angemerkt , dass der Historiker Reinhardt keinerlei Bezüge zu dem neuen Kommunikationsmittel Buchdruck in seiner Darstellung kennt ( dabei ist die Renaissance nicht vorstellbar ohne diesen – vgl. hierzu die hervorragende Darstellung von Dan Diner “Versiegelte Zeit”, der systematisch herausarbeitet, dass es gerade die Renaisance nach der Erfindung des Buchdruckes war, die dem sog. “europäischen christlichen Abendland” jenen Vorsprung an Wissen und Fortschritt gegenüber dem Islam brachte).

Aber umgekehrt verweist auch die damalige Entwicklung auf die Tatsache, dass wir uns auf einer “Baustelle” befinden…. und was daraus wird, haben wir in der Hand – oder wir überlassen es eben anderen.


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