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Titel: Zur Bereitschaft, den Krieg als Mittel der Politik zu betrachten, wurden und werden die Deutschen und ihre Parteien systematisch und mit Lug und Trug getrimmt.

Datum: 19. Januar 2012 um 18:07 Uhr
Rubrik: Militäreinsätze/Kriege, Strategien der Meinungsmache
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Stellen Sie sich vor, Sie wären Planer der Rüstungsindustrie oder einfach nur ein konservativer Politiker oder ein Militär, der den Krieg als gängiges Mittel der Politik betrachtet. Dann hätten Sie mit den Deutschen nach 1945 immer wieder Probleme gehabt. Es gab in unserer jüngeren Geschichte eine erstaunliche Phase von Kriegsmüdigkeit und Friedenssehnsucht und vor allem den politischen Willen, Konflikte friedlich zu lösen – durch Gespräche, durch Verträge, durch den Versuch, sich in die Lage des Gegners zu versetzen. Vor allem die Parteien auf der linken Seite des politischen Spektrums und eine starke Friedensbewegung waren – und sind in versprengten Resten – Hindernisse auf dem Weg zum schnellen Kriegseinsatz. Ein Medienereignis vom 16.1. illustriert den gelungenen Versuch, die SPD und die Grünen umzudrehen. Albrecht Müller.

Der immer wieder aufflackernde Vorwurf an jene aus der Linkspartei, die sich gegen drohende Kriege im Nahen Osten wenden, sie gebärdeten sich antisemitisch, ist der Versuch, auch die Linkspartei zurecht zu trimmen. Dazu gab es einen Beitrag in den NDS am 16.1.: „Massive Manipulationen wegen eines Aufrufs gegen Kriegsvorbereitung und Embargo Syriens und des Iran“.

Jetzt also zu einem neuen Medienereignis über einen wichtigen früheren Vorgang, damals vor allem die Einstellung der SPD, der Grünen und Teile der Friedensbewegung betreffend.

Der Schlusspunkt unter eine Kampagne, um SPD und Grüne bereit zu machen, Kriege als Ersatz für Politik zu betrachten und einzusetzen: Der Kosovo Krieg.

In den Hinweisen vom 17.1. hatten wir schon auf einen Film des NDR über Manipulationen des ehemaligen Bundesverteidigungsministers Scharping zur Rechtfertigung des Kosovo Krieges hingewiesen. Der vom NDR am 15.1.2012 gesendete aber leider nicht ins Netz gestellte Film „Zeitreise: Als Beobachter im Kosovo“ ist über Youtube abzurufen. Zur Einstimmung ins Thema ist es nützlich, sich diesen Film anzusehen, falls Sie die Zeit dafür aufbringen können. Hier ist die Ankündigung des NDR, eine Skizze des Inhalts:

Zeitreise: Als Beobachter im Kosovo
Henning Hensch aus Lütjenburg hat viel nachgedacht in den letzten zwölf Jahren. Er ist im Kosovo Teil einer Geschichte geworden, die ganz Deutschland bewegt hat. Eine Geschichte, mit der ganz Deutschland belogen worden ist – sagt er. Henning Hensch war Polizist. Er hatte schon viel gesehen vor diesem 29. Januar 1999 in der kosovarischen Ortschaft Rugovo, doch so etwas noch nicht. Vor allem hätte Henning Hensch es nicht für möglich gehalten, wie dieses Ereignis Monate später gedeutet wird. Rudolf Scharping, der damalige Verteidigungsminister, hat die Bilder aus Rugovo benutzt. Als Beweise für ein Massaker von Serben an unschuldigen Kosovo-Albanern. Doch für Henning Hensch beweisen die Bilder nicht ein Massaker, sondern sie sind Aufnahmen bei einem Gefecht. Nur habe das damals der Bundesregierung nicht gepasst.
Quelle: NDR

(Zum Thema ist weiterhin der nun bereits zehn Jahre alte ARD-Dokumentarfilm „Es begann mit einer Lüge“ zu empfehlen.)

Aus verschiedenen Gründen halte ich die Darstellung von Henning Hensch für glaubhaft:

  1. Der designierte Bundeskanzler Gerhard Schröder und der designierte Außenminister Joschka Fischer haben bei einem Besuch in Washington zwischen der Bundestagswahl von 1998 und der Wahl zum Bundeskanzler bzw. Außenminister dem damaligen US-Präsidenten Clinton zugesagt, sich gegebenenfalls an einem Bombardement in einem potentiellen Kosovo Krieg zu beteiligen. Es ging dabei um den Versuch der USA und anderer NATO-Partner, endlich und unter Zustimmung des linken politischen Teils in Deutschland durch Fakten festzuschreiben, dass sich auch Deutschland an militärischen Aktionen – und auch an militärischen Aktionen out of area -beteiligt. Der Kosovo Krieg sollte das Feld zur Einübung in den Gebrauch militärischer Gewalt sein.
  2. Man hat dann zum Zwecke der öffentlichen Darstellung die Verhandlungen zwischen dem Rest-Jugoslawien (u.a.Serbien) und den Kosovo-Albanern in Rambouillet arrangiert. Diese Verhandlungen zielten nicht auf einen friedlichen Kompromiss. Das konnte man damals bei genauer Beobachtung der Verhandlungsabläufe und der Äußerungen der Hauptpersonen erkennen. Für mich war das schlagartig bei der Lektüre eines Spiegelinterviews mit einem der drei Vermittler, dem Österreicher Petritsch, sichtbar geworden. Das Interview, das nach meiner Erinnerung im Februar 1999 erschien, also noch während der Verhandlungen, war überschrieben mit „Die Serben werden fauchen“. Vermittler mit Drohgebärde! Ein Vermittler ohne die Absicht, einen Vermittlungserfolg zu erzielen. Das war erkennbar die Linie des Westens.

    Nachtrag: Ein NachDenkSeiten-Leser hat freundlicherweise nach dem Interview im “Spiegel” gesucht. Hier das Ergebnis: “Die Serben werden fauchen, Von Flottau, Renate, Der EU-Sonderbeauftragte Wolfgang Petritsch über die Friedensverhandlungen und die Autonomiepläne für die Albaner im Kosovo DER SPIEGEL 6/1999 08.02.1999
    Beachten Sie den Zynismus in den Äußerungen des befragten “Vermittlers”. Dies am Vorabend eines Krieges mit Zerstörung und Tod.

  3. Die praktische Bestätigung für die Aussage des Zeugen des NDR, Henning Hensch, verdanke ich einem Zufall: einen Tag vor Kriegsbeginn fuhr ich, von Irland kommend zusammen mit Sohn und dessen Freund von Frankfurt Flughafen nach Mannheim. Ich lud jene im Abteil, die zufällig ein Glas bei sich hätten, zu einem irischen Whiskey ein. Ein junger Mann von knapp über 30 Jahren holte aus seinem Tornister einen Becher. Wir fragten ihn, wie er dazu komme. Er berichtete, dass er gerade auf der erzwungenen Heimreise vom Kosovo sei. Dort sei er, von der Bundeswehr an das Auswärtige Amt ausgeliehen, als Beobachter der OSCE, der Organization for Security and Co-operation in Europe , tätig gewesen. Sie hätten eine gute Arbeit geleistet. Er und seine Kollegen seien auch optimistisch gewesen, dass es gelingen könnte, eine friedliche Lösung zu finden. – Aber ihre Arbeit sei immer wieder gestört worden, vor allem sei in der Öffentlichkeit ein maßlos falsches Bild über die Konflikte im Kosovo gezeichnet worden. Die Schuld und Verantwortung für Konflikte, bei denen sie zu vermitteln versuchten, sei ziemlich gleich zwischen albanischen Kosovaren einerseits und Serben andererseits verteilt gewesen. Die tatsächliche Konfliktlage sei von der Berichterstattung in Deutschland und im Westen insgesamt auch nicht annähernd korrekt wiedergegeben worden.

    Er hatte auch eine schlüssige Erklärung für diese Diskrepanz. Sie mussten als OSCE-Beobachter, deren Muttersprache nicht das Englische war, ihre in Englisch verfassten Berichte bei britischen oder US-amerikanischen Vorgesetzten abgeben. Dort wurden ihre Berichte dann so zurecht getrimmt, dass es dem gewünschten Bild von der einseitigen Verantwortung der serbischen Seite entsprach.

Das Ergebnis war klar. Die Bundeswehr hat beim militärischen Einsatz im Kosovo mitgewirkt. Damit waren auch auf der linken Seite des politischen Spektrums wichtige Tabus gebrochen:

  • Der militärische Einsatz ist möglich, auch ohne dass alle Möglichkeiten, zu einer Verhandlungslösung zu kommen, ausgeschöpft sind.
  • Die NATO kann auch out of area eingesetzt werden.
  • Die Bundeswehr bleibt nicht auf die Verteidigung unseres Landes beschränkt. Oder man definiert es so um, dass die Verteidigung auch im Kosovo oder am Hindukusch stattfindet.
  • Heute sind gleich noch andere Tabus gebrochen, zum Beispiel: militärischer Einsatz zur Sicherung der Handelswege, zur Versorgung mit Rohstoffen usw..

Bis dahin haben Sozialdemokraten und Grüne einen sehr weiten Weg zurückgelegt. Auch das will ich mit ein paar persönlichen Erfahrungen und einem Dokument belegen.

Die Deutschen der sechziger und siebziger Jahre waren mehrheitlich nicht auf Krieg aus. Wir hatten einen schrecklichen Krieg hinter uns. Nie wieder Krieg. So wurde ein Teil meiner Generation politisch schon in den fünfziger Jahren sozialisiert. Andere später. Die Konfrontationspolitik und die gegenseitige Aufrüstung der Fünfzigerjahre haben nichts gebracht, so die Erfahrung spätestens beim Mauerbau. Für weitsichtige Leute wie den ehemaligen Bundespräsidenten und früheren CDU Innenminister Gustav Heinemann war das sogar schon Ende der vierziger /Anfang der fünfziger Jahre erkennbar. Damals gründete er mit Erhard Eppler, Johannes Rau, Dieter Posser und anderen die Gesamtdeutsche Volkspartei, GVP. Sie hatte schon Anfang der fünfziger Jahre auf Verständigung mit der Sowjet Union gedrungen.

Willy Brandt, Egon Bahr, Herbert Wehner haben dann mit den Genannten, die inzwischen in die SPD eingetreten waren, die Linien der so genannten Entspannungspolitik oder Friedenspolitik oder Vertragspolitik, wie man es nannte, entworfen. Der im Dezember 1966 zum Außenminister ernannte Willy Brandt gewann bei einem Treffen in Reykjavik die westlichen Alliierten für diese andere Art des Umgangs mit den Gegnern und Feinden im Osten. Damals wurde diese Linie von nicht parteipolitisch gebundenen Gruppen und auch von einem Teil der Union und der FDP sowieso unterstützt. Die neue Politik des Sich-vertragens wurde in der Bundestagswahl 1969 von der Mehrheit der Wählerinnen und Wähler getragen und dann bei der Wahl im November 1972 deutlich bestätigt.

Dann gab es die eine oder andere Irritation. An der Linie änderte sich aber nichts. Sie wurde noch ausgebaut durch die KSZE, die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Wichtiges Prinzip der internationalen Zusammenarbeit war der Gewaltverzicht.

Davon redet heute niemand mehr. Die Kandidaten der amerikanischen Republikaner zum Beispiel halten es für ganz selbstverständlich, dass die Interessen ihres Landes mit militärischen Mitteln durchgesetzt werden. Das Wort Gewaltverzicht ist ihnen vermutlich zuwider. Fundamental zuwider.

Das sind schon gravierende Unterschiede, die man beachten sollte, wenn man über Wertegemeinschaft schwadroniert oder nur über die weitere sicherheitspolitische Entwicklung nachdenkt.

Zurück zur Beeinflussung der Parteien des linken Spektrums in der Bundesrepublik. Zwischen der Leitlinie Gewaltverzicht und den Militäreinsätzen out of area klafft schließlich eine große Lücke.

Noch nach dem Fall der Mauer, im Dezember 1989 hat die SPD in ihrem Berliner Grundsatzprogramm Beschlüsse auf der alten Linie – wie ich finde: nicht veralteten Linie – gefasst. Da dies interessante Texte sind, hier ein ausführliches Zitat aus dem Berliner Grundsatzprogramm der SPD vom 20. Dezember 1989 (gefettet von AM):

Unser Ziel ist es, die Militärbündnisse durch eine europäische Friedensordnung abzulösen. Bis dahin findet die Bundesrepublik Deutschland das ihr erreichbare Maß an Sicherheit im atlantischen Bündnis, vorausgesetzt, sie kann ihre eigenen Sicherheitsinteressen dort einbringen und durchsetzen, auch ihr Interesse an gemeinsamer Sicherheit. Der Umbruch in Osteuropa verringert die militärische und erhöht die politische Bedeutung der Bündnisse und weist ihnen eine neue Funktion zu: Sie müssen, bei Wahrung der Stabilität, ihre Auflösung und den Übergang zu einer europäischen Friedensordnung organisieren. Dies eröffnet auch die Perspektive für das Ende der Stationierung amerikanischer und sowjetischer Streitkräfte außerhalb ihrer Territorien in Europa.

Im Bündnis muss der Grundsatz gleicher Souveränität gelten. Das Bündnis muss verteidigungsfähig, defensiv und entspannungsbereit sein. Der politische Wille muss über Militärstrategie, Militärtechnik und wirtschaftliche Interessen der Rüstungsindustrie herrschen, nicht umgekehrt. Friede ist eine politische, keine waffentechnische Aufgabe. …

Die Bundeswehr hat ihren Platz im Konzept gemeinsamer Sicherheit. Sie hat ausschließlich der Landesverteidigung zu dienen. Ihr Auftrag ist Kriegsverhütung durch Verteidigungsfähigkeit bei struktureller Angriffsunfähigkeit. …

Von deutschem Boden muss Frieden ausgehen.“

Durchaus auf der Linie dieses Grundsatzprogramms hat der spätere Verteidigungsminister und damalige Ministerpräsidentenkandidat Rudolf Scharping im rheinland-pfälzischen Landtagswahlkampfs von 1991 gefordert, Rheinland-Pfalz dürfe nicht weiter der Flugzeugträger der USA in Europa sein.

Dann wurde er Ministerpräsident und er flog in die USA. Stolz kam er mit der Neuigkeit zurück, das Land Rheinland-Pfalz habe einen Rechtsanwalt in Washington als Lobbyisten bei der amerikanischen Regierung engagiert. Gegen Honorar, versteht sich. Professor Norman Birnbaum, einer der großen Kenner der amerikanischen und europäischen Szene, kommentierte diesen Vorgang damals sarkastisch: das sei das erste Mal, dass eine andere Regierung den Lobbyisten, den die US-Regierung bei ihr platziere, auch noch selbst bezahle.

Rudolf Scharping kam noch mit anderem zurück. Mit der Zustimmung dazu, dass unser Land insgesamt weiterhin der Flugzeugträger der USA in Europa ist und dass auch weiterhin Sonderrechte der Alliierten bei uns existieren. Darum ging es bei einem Meinungsaustausch in der rheinland-pfälzischen Landesgruppe Anfang der Neunzigerjahre. Ich hatte mich als Bundestagsabgeordnete eines Gebietes, das von den Sonderrechten der Alliierten wie etwa den Tiefflug übenden Militärmaschinen betroffen ist, in dieser Frage besonders engagiert und Scharping auf seine Haltung zu den einschlägigen Passagen des Berliner Grundsatzprogramms der SPD angesprochen. Für ihn hatten diese keine Bedeutung mehr.

Seine in dem Film des NDR gezeigte Nutzung von Fotos zur Manipulation im Sinne von Militäreinsätzen wunderte mich deshalb nicht. Er war neben Gerhard Schröder und Joschka Fischer einer der Hauptmitwirkenden bei der Einstellungsänderung von SPD und Grünen zur Nutzung militärischer Gewalt.


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