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Titel: Abkehr von der „Mutter aller Reformen“: Das „Kooperationsverbot“ wird abgeschafft

Datum: 7. März 2012 um 8:51 Uhr
Rubrik: Hochschulen und Wissenschaft
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Vielleicht erinnern sich manche von Ihnen noch daran, als die Vorsitzenden der sog. Föderalismuskommission, Franz Müntefering und Edmund Stoiber, die „Föderalismusreform“ als die „Mutter aller Reformen“ verkündeten. Ein Kernelement des Mitte 2006 mit zweidrittel Mehrheit von Bundestag und Bundesrat im Grundgesetz verankerten Systemwechsels war die Abschaffung des „kooperativen Föderalismus“ zugunsten eines Wettbewerbsföderalismus. Unter anderem sollte durch die Übertragung der nahezu ausschließlichen Zuständigkeit für das Hochschulwesen auf die Bundesländer ein Wettlauf zwischen den Länderregierungen in der Hochschul-„Reform“-Politik ausgelöst werden. Der Bund sollte sich aus der Bildungspolitik komplett heraushalten. Dieses „Kooperationsverbot“ zwischen Bund und Ländern soll nun zumindest in der Hochschulpolitik klammheimlich wieder abgeschafft werden. Von einem Scheitern der zugrundeliegenden Wettbewerbsideologie will allerdings niemand sprechen. Von Wolfgang Lieb.

Der am Sonntag tagende schwarz-gelbe Koalitionsausschuss hat so nebenbei eine Änderung des Artikels 91 b des Grundgesetzeses beschlossen. Damit soll die von der Großen Koalition 2006 durchgesetzte „Föderalismusreform“ wenigstens in einer ihrer eklatantesten Unsinnigkeiten revidiert und das „Kooperationsverbot“ zwischen Bund und Ländern wieder aufgelockert werden. Künftig sollen also nicht mehr nur punktuelle „Vorhaben“ sondern – dauerhaft – auch wieder „Einrichtungen der Wissenschaft und Forschung an Hochschulen“ von Bund und Ländern gemeinsam gefördert werden dürfen.

Wir hatten schon vor sechs Jahren auf den NachDenkSeiten vor den verheerenden Folgen des Systemwechsels vom kooperativen zum Wettbewerbsföderalismus eindringlich gewarnt. Wenn wir jetzt darauf hinweisen, so nicht um rechthaberisch zu sein, sondern weil das belegt, dass man schon damals hätte besser wissen können, welches Unheil mit dieser „Modernisierung“ im deutschen Bildungswesen angerichtet wurde. Die damalige „Reform“ ist ein Musterbeispiel dafür, wie eine bornierte Wettbewerbsideologie blind machte gegenüber den sachlichen Notwendigkeiten zur Erhaltung einigermaßen einheitlicher Lebensverhältnisse in Deutschland.

Bis heute dient „Wettbewerb“ den Neoliberalen als Zauberwort, mit dem die angeblich verkrusteten Strukturen aufgebrochen und die als überholt denunzierten Verhältnisse zum Tanzen gebracht werden könnten. Als einer der entscheidenden Bremsklötze gegen eine neoliberale „Modernisierung“ wurde damals die föderale Verfassungsstruktur ausgemacht. Durch eine strikte Abgrenzung der Gesetzgebungszuständigkeiten von Bund und Ländern sollten einerseits mittels eines drastischen Zurückschneidens der Länderkompetenzen das „Durchregieren“ (Merkel) von der Bundesebene erleichtert werden. Andererseits sollte z.B. durch die Übertragung der nahezu ausschließlichen Zuständigkeit der Länder im Hochschulwesen ein Rattenrennen um die Selbstzerstörung der überkommenen Hochschulstrukturen gestartet werden. Der ungehinderte Durchgriff der Zentralregierung (etwa auf dem Feld der Sozial-„Reformen“) auf der einen Seite und die Übertragung der Wettbewerbsideologie auf Länderebene (etwa auf dem Feld der Bildungs-„Reformen“) auf der anderen, das waren die tragenden Motive für die Föderalismusreform der damaligen Großen Koalition.

Diese Föderalismusreform steht für sechs verlorene Jahre auf dem Feld der deutschen Hochschulpolitik. Die Landesregierungen konnten sich wie Duodezfürsten aufspielen und das führte im völligen Widerspruch zu den angestrebten supranationalen Einigungsprozessen im „europäischen Hochschulraum“ zu mehr und mehr Provinzialität. Das Recht des Stärkeren zwischen den Ländern wurde zum herrschenden Prinzip und das führte zum Verlust einer der international anerkannten Vorteile des deutschen Hochschulwesens, nämlich einem qualitativ einigermaßen gleichwertigen Leistungsstandard aller Hochschulen quer durch das Land. „Ungleichheit ist zu einem bewusst herbeigeführten Element des Bundesstaates geworden“ (Jutta Roitsch) Der Wettbewerbsföderalismus lieferte den akademischen Nachwuchs dem Markt aus, der notwendig Ungleichheiten mit sich bringt.

Von nun an sollte es keine gemeinsame Hochschulrahmenplanung mehr geben, die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung (BLK) wurde abgeschafft. Die gemeinschaftliche und koordinierte Finanzierung von Forschungsgroßgeräten an den Hochschulen und die gemeinsame Finanzierung des Hochschulbaus zwischen Bund und Ländern wurden weitgehend beseitigt. Das führte z.B. zu dem absurden Ergebnis, dass Mittel aus den vom Bund aufgelegten Konjunkturpaketen nicht etwa zur dringend notwendigen Sanierung von Hochschulgebäuden oder zu Investitionen in neue Hochschulbauten benutzt werden durften, sondern als Wärmedämmungsmaßnahmen getarnt werden mussten.

Der Hochschulzugang wurde dezentralisiert und die effiziente Verteilung der knappen Studienplätze über die ZVS wurde blockiert, was zu einem totalen Chaos bei der Hochschulzulassung führen musste, bei dem trotz extremer Studienplatzknappheit tausende von Studienplätze unbesetzt blieben und zahllose junge Leute auf ihren Studienwunsch verzichten mussten. Mit Hilfe des Bundesverfassungsgerichts wurde die rahmenrechtlich geregelte Studiengebührenfreiheit kassiert und von da an konnte jedes Land Studiengebühren erheben, wie es wollte. Es gab keine einheitlichen Personalstrukturen und keine einheitliche Hochschullehrerbesoldung mehr; die Besoldung zwischen den einzelnen Ländern wich allmählich so weit voneinander ab, dass unlängst sogar das Bundesverfassungsgericht einschreiten musste. Die Qualitätsstandards an den Hochschulen orientierten sich mehr und mehr an der Kassenlage der Länder – und die war eben völlig unterschiedlich.

Man könnte noch zahllose weitere Beispiele für das aufgekommene föderale Absurdistan in der „Bildungsrepublik Deutschland“ aufführen.

Die völlige Dezentralisierung der Hochschulpolitik erwies sich von Anfang an als Missgeburt. Schon bald stellte sich heraus, dass die Länder bei der notwendigen Ausweitung der Studienplatzkapazitäten für die nachdrängende Babyboomer-Generation finanziell überfordert waren. Einige Länder lebten auch nur allzu gerne auf Kosten anderer. Der numerus clausus ist so in den meisten Studiengängen und an fast allen Hochschulen zum Alltag geworden. Um das schlimmste zu verhindern folgte ein „Hochschulpakt“ dem anderen. Das absurde daran war, dass diese „Pakte“ als zeitlich befristete „Vorhaben“-Finanzierung ausgestaltet werden mussten und nicht als ein abgestimmtes Programm zum Ausbau von Hochschulkapazitäten zur Bewältigung der Überlast. Ganz ähnlich liegt das auch bei der „Exzellenz-Initiative“, wo der Bund im Rahmen einer „Projektfinanzierung“ mit dem goldenen Zügel des Geldes die einzelnen Hochschulen zur Teilnahme an einem Wettlauf um über die Länderfinanzierung hinausgehende Geldmittel anreizen musste. Dabei hat sich einmal mehr gezeigt, dass die Hochschulen in den Ländern, die in der Lage waren, ihre Hochschulen finanziell am besten auszustatten, den übrigen das Wasser abgraben konnten. Die ohnehin Starken setzten sich zu Lasten der Finanzschwächeren durch.

Jeder der nicht an Gedächtnisschwund leidet, müsste sich erinnern, wie einst diese „Mutter aller Reformen“ gefeiert wurde. Von daher wirkt es geradezu lächerlich, wenn nun die Bundesregierung den Eindruck erwecken will, es handle sich bei der geplanten erneuten Grundgesetzänderung nicht um eine längst überfälligen Korrektur der früheren Politik oder um eine Revision der Fehler, die mit der Föderalismusreform gemacht wurden.

Auch die SPD und die Grünen, die nun auf den Zug aufspringen und das bisherige Kooperationsverbot über die Hochschulen hinaus auch für die Schulpolitik revidieren wollen, tun so, als trügen sie keine Schuld daran, dass das Kind erst in den Brunnen gefallen ist.

Die etablierten Parteien haben offenbar eine panische Angst davor, die Fehler ihrer „Reformpolitik“ der zurückliegenden Jahre einzugestehen, könnte doch aus einem solchen Eingeständnis plötzlich beim breiten Publikum auch für viele andere Politikfeldern die Erkenntnis aufkommen, dass die Wettbewerbs- und Dezentralisierungsideologie ein Holzweg ist, auf dem man schnellstmöglich umkehren müsste, damit man sich nicht noch weiter im Dickicht verirrt. Zum Leidwesen der Eltern ist in der Schulpolitik nach wie vor kein Licht im Unterholz erkennbar. Mit einer schlichten Änderung des Art. 91 b GG, die die bisherige Zustimmungspflicht aller Länder für die gemeinsame Förderung von Vorhaben der Wissenschaft und Forschung an Hochschulen lockert, ist es längst noch nicht getan, um die von der „Mutter aller Reformen“ verursachten Schäden wieder gut zu machen.


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