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Titel: Ergänzende Gedanken zum 1. Mai – Warum droht der Tag der Arbeit in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden?

Datum: 30. April 2012 um 17:13 Uhr
Rubrik: Gedenktage/Jahrestage, Gewerkschaften, Neoliberalismus und Monetarismus
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Ohne Frage fällt es den Gewerkschaften heute ausgesprochen schwer, zum Tag der Arbeit viele Menschen zu mobilisieren. 1. Mai Kundgebungen vor 40 Jahren und heute, das ist schon wie Tag und Nacht. Es wäre billig festzustellen, an diesem Niedergang seien die Gewerkschaften schuld. Ganz unschuldig sind sie nicht. Ich habe mir den Aufruf des DGB zum 1. Mai 2012 und ein aktuelles einblick-Interview mit Michael Sommer, dem DGB-Vorsitzenden, angeschaut. Dazu und ergänzend ein paar Anmerkungen. Vielleicht findet der/die eine oder andere Redner/in darin noch Anregungen zur kritischen Anreicherung seiner/ihrer Reden zum 1. Mai. Albrecht Müller.

  1. Der wichtigste Hebel zur Entmachtung der Arbeitnehmerschaft: die Ansammlung einer Reservearmee von Arbeitslosen.
    Dazu das klassische Zitat, das jeder Gewerkschafter ständig zitieren müsste, um den eigenen Anhängern wenigstens zu erklären, warum ihre politischen Gegner die Beschäftigungspolitik vernachlässigt und geächtet haben:
    Der ehemalige Notenbanker Sir Alan Budd – seine Biografie siehe hier – beschrieb die Geldpolitik der Bank of England unter Margret Thatcher so:

    „Viele „haben nie (…) geglaubt, dass man mit Monetarismus die Inflation bekämpfen kann. Allerdings erkannten sie, dass [der Monetarismus] sehr hilfreich dabei sein kann, die Arbeitslosigkeit zu erhöhen. Und die Erhöhung der Arbeitslosigkeit war mehr als wünschenswert, um die Arbeiterklasse insgesamt zu schwächen. […] Hier wurde – in marxistischer Terminologie ausgedrückt – eine Krise des Kapitalismus herbeigeführt, die die industrielle Reservearmee wiederherstellte, und die es den Kapitalisten fortan erlaubte, hohe Profite zu realisieren.“ (The New Statesman, 13. Januar 2003, S. 21)

    Hier die Originalquelle auf Englisch.

    In Deutschland kam dann noch der ständige Sozialabbau zu Zeiten der Regierung Kohl und der Ausbau des Niedriglohnsektors und der Leiharbeit durch Rot-Grün hinzu. Die Agenda 2010 und Harz IV waren wichtige weitere Bausteine zur Verunsicherung der Arbeitnehmerschaft und damit zur weiteren Entmachtung.

  2. Viele Gewerkschafter haben die zentrale Bedeutung der Verweigerung einer aktiven Beschäftigungspolitik für die Schwächung der Arbeitnehmerschaft nicht erkannt. Manche haben diese Entmachtung gefördert, indem sie selbst den Unsinn nachgebetet haben, in den siebziger Jahren sei die aktive Beschäftigungspolitik nach den Methoden von Keynes gescheitert.
  3. Immerhin werden im Aufruf des DGB zum 1. Mai 2012 kraftvolle Investitionen in Beschäftigung gefordert. Auch ein Mindestlohn und ein europäischer Marshallplan für Wachstum und Beschäftigung. Es wird auch konkret gefordert, den Fiskalpakt und die Schuldenbremse zu stoppen. Und vom DGB Vorsitzenden wird die negative Wirkung der Europäischen Sparpolitik beklagt.
  4. Es wäre aber wichtig, politisch Ross und Reiter zu nennen. Das geschieht nicht. Der DGB tut so, als sei die Sparpolitik in Europa und ihre Folgen für die Arbeitslosigkeit vom Himmel gefallen. Die Union wird geschont.
    Der DGB Vorsitzende spricht vom „gegenwärtigen europäischen Sparkurs“. Dieser ist doch nicht alleine in Brüssel erfunden worden. Die Originale sitzen in Berlin: Angela Merkel und Wolfgang Schäuble. Davon kein Wort in den Äußerungen. Stattdessen ein Angriff auf die FDP wegen ihrer Weigerung beim Mindestlohn.
  5. Auch die SPD wird geschont. Dabei dürfte es sich sicher auch bis zum DGB-Haus herumgesprochen haben, dass sowohl beim Sparkurs als auch bei der Schuldenbremse die SPD Führung die Bundesregierung ermuntert und gedrängt hat.
    Die SPD wird auch bei den Einlassungen zur sozialen Sicherheit geschont. Sommer spricht von der tickenden Zeitbombe der Altersarmut und im Aufruf ist immerhin erfreulicherweise die Rede davon, dass Beitragskürzungen abzulehnen sind, weil sie die Rentenkürzungen von morgen sind. Aber von den Gewerkschaften müsste man erwarten können, dass sie endlich die Forderung erheben, alle Mittel auf die gesetzliche Rentenversicherung zu konzentrieren und mit dem Ergebnis politischer Korruption, der Riester-Rente und der Rürup-Rente, Schluss zu machen.
  6. Dahinter verbirgt sich eine fatale politische Bündnisstrategie der Gewerkschaften. Vom DGB-Vorsitzenden Sommer ist bekannt, dass er auf eine große Koalition aus ist. Wenn die große Koalition dann aus einer Union besteht, die auch durch die Schonung durch die Gewerkschaften ihren prozyklischen Spar-Absichts-Kurs bestätigt fühlen kann, und aus einer SPD mit eben dieser Grundhaltung und bei Ausschaltung der arbeitnehmerfreundlichen Teile der SPD, dann wird das eine fatale Koalition.
  7. Die Gewerkschaften müssen auf ein politisch linkes Bündnis setzen. Alles andere führt zu einer weiteren Entwertung des 1. Mai und zu einer weiteren Schwächung der Gewerkschaften.

Anhang:

  1. Der Aufruf zum 1. Mai 2012
    Tag der Arbeit
    1. Mai 2012: “Gute Arbeit für Europa – Gerechte Löhne, Soziale Sicherheit”
    „Gute Arbeit für Europa – Gerechte Löhne, Soziale Sicherheit“ lautet das diesjährige Motto zum Tag der Arbeit. Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften sagen Ja zur europäischen Integration. Wir wollen die Zukunft Europas sozial gestalten.
  2. Michael Sommer im einblick-Interview
    „Die Ära der Deregulierung ist zu Ende“


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