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Titel: Spanien und die Brandstifter – eine hausgemachte Krise

Datum: 5. Juni 2012 um 13:33 Uhr
Rubrik: Arbeitslosigkeit, Euro und Eurokrise, Länderberichte, Schulden - Sparen
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Wer das Epizentrum der Eurokrise in Athen verortet, wird sich vermutlich schon bald verwundert die Augen reiben. Während Europa ohne eine ernstzunehmende Debatte den Fiskalpakt verabschiedet und gespannt auf das Wahlergebnis in Griechenland wartet, hat sich die Finanzkrise binnen weniger Wochen in Spanien von einer steifen Brise zu einem zerstörerischen Orkan entwickelt. Die spanische Krise kann als Musterbeispiel für das Versagen Europas gelten. Sehenden Auges haben Brüssel und Berlin eine bis vor kurzem noch grundsolide Volkswirtschaft mit ihrer aufgezwungenen Austeritätspolitik ruiniert. Selbst jetzt – wo die Katastrophe unmittelbar vor der Tür steht – verweigert Europa jegliche echte Hilfe und schaut stattdessen tatenlos zu, wie sich die Eurokrise zu einem Flächenbrand ausweitet … einem Flächenbrand, der nicht an Ländergrenzen haltmacht und nun ganz Europa bedroht. Von Jens Berger.

Am Vorabend der Finanzkrise konnte Spanien in nahezu allen finanzpolitischen Kennzahlen bessere Werte vorweisen, als Deutschland, Frankreich oder Großbritannien – das Wirtschaftswachstum und der Haushaltsüberschuss waren höher, die Staatsverschuldung niedriger. Die Finanz- und Wirtschaftskrise traf Spanien jedoch hart. Ein Teil des Wirtschaftswachstums war sprichwörtlich auf Sand gebaut. Seit Mitte der 1990er boomte der spanische Immobiliensektor, überall im Lande schossen kreditfinanzierte Neubauprojekte aus dem Boden, die Immobilienpreise stiegen rasant und schon vor dem Ausbruch der Finanzkrise wurde aus dem Immobilienboom eine Immobilienblase. Die Finanzkrise war nicht der Grund, aber der Auslöser für das Platzen der Immobilienblase. Es waren auch nicht Kreditausfälle oder Bankenrettungspakete, sondern die Krise auf dem Bausektor, der damals rund ein Viertel der Wirtschaftskraft ausmachte, die die spanische Volkswirtschaft in Schieflage brachte. In den Jahren 2008 und 2009 kippte die Konjunktur und die sozialdemokratische Regierung Zapatero steuerte mit aller Kraft gegen die Krise an. Mit insgesamt vier großangelegten Konjunkturprogrammen konnte man die schlimmsten Folgen der Wirtschaftskrise abwenden – die Arbeitslosigkeit stieg nur leicht, die Konjunktur rutschte zwar in eine Rezession ab, die sich jedoch im Vergleich zu anderen Staaten (auch im Vergleich zu Deutschland) in Grenzen hielt.

Gift statt Medizin

Im Sommer 2009 steckte Spanien zwar in einer Krise, die Lage war jedoch keinesfalls aussichtslos. Seit der Euroeinführung hatte Spanien – anders als beispielsweise Griechenland oder Portugal – seine Staatsschulden schrittweise abgebaut. Im Krisenjahr 2008 betrug die spanische Schuldenquote lediglich 40,1% und lag damit fast zwanzig Prozentpunkte unter den Maastricht-Kriterien. Spanien befolgte somit eine geradezu vorbildliche keynesianische Konjunkturpolitik. Auch die umfangreichen Konjunkturprogramme in den Jahren 2008 und 2009 waren sehr sinnvolle Maßnahmen, um die Krise in den Griff zu bekommen. Dies sah die EU-Kommission jedoch grundlegend anders. Da Spanien 2008 ein Haushaltsdefizit von 4,5% verbuchte und die Zahlen für 2009 ein noch größeres Defizit vorhersagten, leitete Brüssel gegen Spanien ein Defizitverfahren ein und ermahnte die sozialdemokratische Regierung, die Konjunkturprogramme einzustellen und stattdessen den Staatshaushalt durch eine Austeritätspolitik zu „sanieren“.

Erst die Austeritätspolitik, die ab Sommer 2009 umgesetzt wurde, verschärfte die spanische Wirtschaftskrise dramatisch. Seitdem stieg die Arbeitslosenzahl von etwas über zwei Millionen auf heute fast fünf Millionen. Das Beispiel Spanien zeigt auch ganz deutlich, dass Austeritätspolitik nicht mit dem Begriff „Sparpolitik“ übersetzt werden darf. Die massiven Einschnitte bei den Staatsausgaben und massive Steuererhöhungen (v.a. auf den Konsum) haben nicht dazu geführt, dass der Staatshaushalt saniert wird – im Gegenteil. Die Austeritätspolitik hat vielmehr dazu geführt, dass die spanische Volkswirtschaft in diesem Jahr wohl um zwei Prozent schrumpfen wird und das Haushaltsdefizit abermals steigt. Ursprünglich wollte die konservative Regierung Rajoy nach den Vorgaben aus Brüssel in diesem Jahr das Defizit auf 5,3% reduzieren – bereits im ersten Quartal dieses Jahres musste man jedoch ein Defizit von 2,4% melden. Sollte die Konjunktur sich nicht erholen – wovon auszugehen ist –, wird das Defizit wohl eher den zweistelligen Bereich erreichen – und dabei sind die abzusehenden Kosten für die Rekapitalisierung verschiedener Banken noch nicht einmal mit eingerechnet. Anstatt die Wirtschaft zu beleben oder sich zumindest entwickeln zu lassen, wird sie durch immer neue Austeritätsprogramme abgewürgt und durch die prekäre Lage des Bankensektors ist eine Verschärfung der Rezession sogar sehr wahrscheinlich.

Faule Immobilienkredite als selbsterfüllende Prophezeiung

Die spanische Immobilienblase wäre auch ohne die Finanzkrise geplatzt. Momentan stehen in Spanien rund 818.000 Neubauwohnungen/-häuser leer, die ausstehenden Immobilienkredite summieren sich auf mehr als 820 Mrd. Euro. Experten gehen davon aus, dass rund 5% dieser Kredite faul sind und zumindest zum Teil nicht bedient werden können. Für die spanischen Banken stellt dies ein nicht zu unterschätzendes Problem dar. Fällt ein Kredit aus, müssen sie die Immobilie, die als Sicherheit für den Kredit gilt, im Rahmen einer Zwangsversteigerung verkaufen, um so an die ausstehende Kreditsumme zu kommen. In einem Markt, der nicht nur gesättigt ist, sondern der auch immer noch teilweise absurd hohe Preise hat, ist jedoch damit zu rechnen, dass die Banken diese Immobilien entweder nur mit hohen Abschlägen oder sogar gar nicht verkaufen können.

Sowohl die Zahl der faulen Immobilienkredite als auch die zu erwartenden Verluste der Banken sind jedoch von verschiedenen Faktoren abhängig. Die Gefahr, dass ein Immobilienkredit nicht bedient werden kann, steigt durch das Ausmaß der Wirtschaftskrise und die Arbeitslosenzahlen. Wer seinen Job verliert, wird allgemein auch Probleme haben, seine laufenden Kredite zu bedienen. In einer Rezession oder gar einer Depression sinkt zudem die Wahrscheinlichkeit, dass die Banken bei Zwangsversteigerungen einen „angemessenen“ Erlös erzielen. Die beste Medizin, um die Immobilienkrise in den Griff zu bekommen, wäre also eine vernünftige Konjunkturpolitik. Die schlechteste Medizin ist eine Austeritätspolitik. Durch die falsche Politik verschärft man die Immobilienkrise und sorgt dafür, dass aus einer schwelenden eine akute Krise wird, die auch den Bankensektor in eine bedrohliche Schieflage bringt. Noch sind vergleichsweise wenige Kredite wirklich ausgefallen – dies wird sich jedoch aller Voraussicht nach ändern und dann droht dem spanischen Bankensektor eine sehr ernste Krise.

Teufelskreis in die Depression

Verschärft wird die spanische Bankenkrise durch einen massiven Kapitalabfluss. Im ersten Quartal dieses Jahres sind mehr als 100 Mrd. Euro aus Spanien abgezogen worden. Grund dafür ist die, nur noch aberwitzig zu nennende, Krisenstrategie der EU, die aus Berlin vorgegeben wird. Europa lässt Griechenland vor die Wand fahren und keinen Zweifel daran, dass es im schlimmsten Falle auch nicht davor zurückschreckt, Eurostaaten aus der Gemeinschaftswährung auszuschließen. Es gibt auch keine Garantie dafür, dass Europa im Falle eines Falles Spanien bei der Rettung seiner Banken unterstützt. Unter diesen Gegebenheiten ist es keinesfalls irrational, sein Geld von spanischen Banken abzuziehen. Je mehr Geld abgezogen wird, desto größer ist jedoch der Druck für die spanischen Banken, ihre Bilanzsummen herunterzufahren. Leidtragende dieser Entwicklung sind vor allem die spanischen KMU (kleine und mittlere Unternehmen). In Spanien stehen die KMU für 60% der Wirtschaftskraft und 80% der Arbeitsplätze. Seit Beginn der Krise mussten mehr als 500.000 KMU in die Insolvenz gehen. Neben der allgemeinen Wirtschaftskrise wirkt sich hier vor allem die immer restriktivere Kreditvergabe der Banken negativ aus. Neue Kredite werden kaum noch vergeben, bestehende Kreditlinien gekürzt und bereits vergebene Kredite seitens der Banken gekündigt. Dies ist ein weiterer Faktor des spanischen Teufelskreises, der spiralförmig in die Depression führt.

Die spanische Krise ist in keiner Art und Weise mit der griechischen Krise zu vergleichen. Anders als Griechenland verfügt Spanien über eine solide und konkurrenzfähige Volkswirtschaft und einen vergleichsweise effizienten Staatsapparat. Spanien hat kein strukturelles Staatsverschuldungsproblem, sein größtes Problem besteht vielmehr in der gängigen Praxis, Staatsanleihen am „freien Markt“ platzieren zu müssen. Neben den Kosten der Austeritätspolitik belasten das Land jedoch die zu erwartenden Kosten bei der Rekapitalisierung des spanischen Bankensektors. Momentan geht es erst einmal um 23,5 Mrd. Euro für die angeschlagene Bankia, die dem spanischen Staat danach zu 90% gehören wird. Bankia ist jedoch nicht die einzige angeschlagene Bank – Experten schätzen, dass der spanische Staat insgesamt zwischen 50 und 100 Mrd. Euro in seine maroden Banken stecken muss. Dies ist sehr viel Geld, aber selbst in einem pessimistischen Szenario entspräche die Summe „nur“ 10% des spanischen Bruttoinlandprodukts und läge damit sogar noch unter der Summe, mit der Deutschland seinen SoFFin (480 Mrd. Euro) absichert. Die fiskalische Lage Spaniens ist sicher nicht rosig, aber auch keinesfalls derart düster, dass das Land in eine Reihe mit dem hoffnungslosen Fall Griechenland oder den wesentlich problematischeren Fällen Portugal und Irland eingereiht werden darf.

Im – zu optimistischen – Krisenszenario der spanischen Regierung wird die Staatsschuldenquote im Jahre 2013 ihr Maximum bei rund 80% erreichen – das ist niedriger als die deutsche Staatsschuldenquote. Selbst in dem pessimistischeren Szenario, das die Schweizer Großbank Credit Suisse entworfen hat, liegt die maximale Staatsschuldenquote „nur“ bei 97% (im Jahre 2015) – also immer noch unter der amerikanischen, der britischen und der italienischen Staatsschuldenquote.

Es gibt somit keine rationale (ökonomisch fundierte) Erklärung dafür, warum ausgerechnet Spanien kein großes Vertrauen an den Finanzmärkten genießt. Das Land am Ebro steht in allen Disziplinen besser da als Großbritannien und muss dennoch – anders als Großbritannien – für seine Staatsanleihen einen signifikant höheren Risikoaufschlag bedienen. Hier zeigt sich vielmehr, dass die Eurozone einen grundlegenden Konstruktionsfehler hat. Ist ein Land erst einmal im Visier der Finanzmärkte, kommt es schnell zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung aus zu hohen Risikoaufschlägen und ernsthaften Refinanzierungsproblemen.

Wenn Spanien sich zu einem Zinssatz von rund vier Prozent refinanzieren könnte, hätte das Land noch nicht einmal im Ansatz ein „Schuldenproblem“. Die aktuelle spanische Staatsverschuldung ist (in relativen Zahlen) ungefähr so hoch wie die deutsche und ein Zinssatz von vier Prozent würde auch dem deutschen „Vorkrisenniveau“ entsprechen. Noch hat Spanien auch kein großes Problem damit, sich zu deutlich höheren Zinssätzen von sechs bis sieben Prozent zu refinanzieren. Die höheren Zinskosten schlagen jedoch auch auf den Staatshaushalt zurück. Unter der Prämisse, dass Spanien weiterhin seine Austeritätspolitik verfolgt, bedeutet dies, dass abermals Staatsausgaben zusammengestrichen werden „müssen“ und das Haushaltsdefizit schlussendlich – entgegen der „Sparlogik“ – noch weiter steigt. Es ist dann nur noch die Frage, wann die negative Rückkopplung aus neuen „Sparprogrammen“, höheren Defiziten und steigenden Zinsen das Land in die Knie und unter den europäischen „Rettungsschirm“ zwingt. Ist das Land erst einmal unter dem „Rettungsschirm“, verliert Madrid auch die Haushaltshoheit und muss sich seine Politik von Brüssel und Berlin vorschreiben lassen.

Alternativen werden von Berlin verhindert

Dabei wäre ein Ende dieses Teufelskreises relativ einfach zu erreichen. Man könnte beispielsweise der EZB „gestatten“, die spanischen Banken direkt und ohne den Umweg über die Madrider Regierung zu rekapitalisieren. Dann stünden die Banken nicht beim spanischen Staat, sondern bei der EZB in der Kreide und Madrid könnte seine Neuverschuldung drastisch reduzieren, hätte einen wesentlich größeren fiskalischen Spielraum und könnte auch wieder eine aktive Konjunkturpolitik betreiben. Dies aber wollen weder die deutsche Regierung noch die EZB. Alternativ könnten die spanischen Banken auch direkt über den neuen „Rettungsmechanismus“ ESM mit frischem Geld versorgt werden. Auch dies blockiert die deutsche Regierung, da sie fürchtet, dass spanische Banken mit deutschen Steuergeldern „gerettet“ werden. Dieses Argument – so gut es sich anhören mag – greift jedoch zu kurz, da Deutschland ohnehin für die spanischen Banken haftet, sei es direkt über den ESM oder indirekt über EFSF/ESM, wenn Spanien sich Geld leihen muss, um seine Banken selbst zu retten. Weitergehende Maßnahmen, mit denen die spanische Krise wirkungsvoll bekämpft werden könnte (z.B. Eurobonds oder eine direkte Staatsfinanzierung durch die EZB) werden von Berlin ebenfalls abgelehnt.

Siehe dazu:

Stattdessen mokiert man sich, dass die spanischen Pläne „zwar zweckdienlich“, aber „nicht ehrgeizig“ genug seien und fordert genau die Medizin, die sich bereits als Gift herausgestellt hat – eine Erhöhung der Mehrwertsteuer, Renten- und Arbeitsmarktreformen und weitere Einsparungen.

Spanien steht am Rande des Abgrunds und Europa schaut nicht nur tatenlos zu, sondern arbeitet aktiv daran, das Land endgültig in den Abgrund zu stürzen. Spanien ist jedoch nicht Griechenland, sondern die viergrößte Volkswirtschaft der Eurozone. Wenn Spanien brennt, ist ein Übergreifen des Flächenbrandes auf Frankreich und Italien wohl nicht mehr zu stoppen. Dies jedoch wäre das Ende der Eurozone und wohl auch das Ende des europäischen Gedankens. Nicht nur Spanien, sondern auch das europäische Haus brennt lichterloh und Angela Merkel ist die Brandstifterin.


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