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Titel: Nachtrag zu „Es steht schlecht um Deutschlands kritisches Bürgertum …“ (Betr. Augstein Kolumne)

Datum: 27. Juni 2012 um 16:49 Uhr
Rubrik: Medienkritik, Strategien der Meinungsmache
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Zu diesem Beitrag von gestern erreichten uns kontroverse Mails und einige interessante Ergänzungen, die auch für NachDenkSeiten-Leserinnen und -Leser von Interesse sein dürften. Deshalb im Folgenden eine kurze Dokumentation dieser, teilweise gekürzten Mails. Albrecht Müller.

  1. Betr.: Zur Bewunderung des Bildungsbürgertums für Merkel

    Die Bewunderung des “linksliberalen” Bildungsbürgertums für Merkel ist mir auch immer wieder aufgefallen. Ein prominentes Beispiel ist der Auftritt der kürzlich verstorbenen Margarete Mitscherlich mit Hildegard Hamm-Brücher in einer Talkshow, ich meine bei Beckmann. Beide bewunderten Merkel ohne auch nur einen einzigen kritischen Ton. 

    Mitscherlich habe ich in einer Dokumentation über sie selbst anlässlich ihres Todes auch noch mal mit dem Satz vernehmen können, die Deutschen seien ein Jammervolk und sähen sich gern als Opfer, was mit verdrängten und sich sozial weitervererbten Schuldgefühlen aus der NAZI-Zeit zu tun habe. Und dann der Satz “Und dabei geht es uns so gut wie nie zuvor”. Da frage ich mich: Wer ist uns? Sind das auch die Arbeitslosen, die Niedriglöhner, die verarmten Rentner, die Alleinerziehenden usw.?

    Diese Haltung ist im Bildungsbürgertum sehr verbreitet. Und sie ist nicht zufällig und hat auch nicht nur mit Medieneinfluss zu tun, sondern sie ist Ausdruck eines bürgerlichen Habitus, der nicht nur nicht dazu in der Lage ist, die Perspektive des eigenen privilegierten sozialen Standortes zu verlassen, sondern dies vor allem auch nicht will. Es ist der “gute” alte Egoismus und Opportunismus des Bürgertums. Wer aufsteigen oder auch nur die Position seiner sozialen Herkunft reproduzieren will, darf in der kapitalistischen Gesellschaft nicht feinfühlig sein. Mit Egoismus und Opportunismus kommt man weiter. 

    Daher die auffällige Ignoranz. Es ist ein Sozialcharakter, der aus dem Sein geprägt wird. Das Bildungsbürgertum gehört häufig zur “herrschenden Klasse Fraktion II”, wie Bourdieu dies nannte. Das sind Leute in einer Sandwich-Position, die selber Herrschaft ausüben, aber selber auch von einer darüber stehenden Klasse beherrscht werden. Ein Beispiel für diese Kategorie sind Chefredakteure. Aber auch ein Lehrer oder Beamter im gehobenen Dienst kann es sich nicht leisten, herrschaftskritisch zu sein. Er wird ja für das Gegenteil bezahlt: Lehrer sollen gesellschaftliche Hierarchien reproduzieren, das ist der wahre Lehrplan. Und Verwaltungsbeamte Herrschaft durchsetzen. Das ist psychisch überhaupt gar nicht auszuhalten, wenn man sich nicht mir einem entsprechenden Weltbild ausstattet und einen ignoranten Charakter entwickelt. Einige können dies nicht. Das sind die, den einen Burnout kriegen.    

    Ich habe mich schon lange von meinen Illusionen über das angebliche linksliberale Milieu gelöst. Dieses Milieu ist bürgerlich und konservativ, was das Soziale angeht. Die Entwicklung der Grünen ist der politische Ausdruck dafür. 

    Bourdieu hat einmal eine interessante These zur 68-Revolution entwickelt: Dies sei keine inhaltliche Revolution gewesen. Sondern es sei in Wirklichkeit ein Konkurrenzkampf um ehemals sichere Positionen und Laufbahnen des Bürgertums gegangen, die eine Studentengeneration habe rebellieren lassen. Wenn man sich die Entwicklung der Grünen anguckt, könnte man dieser These einiges abgewinnen.

    U.B.

  2. Betr.: A.M. Kritik an Augstein – „… in der Sache tun Sie ihm Unrecht.“

    Ihren kritischen Ausführungen über Jacob Augstein und das Bürgertum kann ich so nicht folgen. Tatsächlich hat Augstein sehr oft dezidiert gegen Schröders Agenda Politik und Hartz IV geschrieben. Er ist auch ein kritischer Begleiter der Merkelschen Euro und Spar Politik. 

    Sicherlich hat Augstein nicht nur Sternstunden. (Wer hat die schon?) Seine Replik auf die Bildzeitung war eher dämlich. 

    Ich finde Sie sind da über das Ziel hinaus geschossen. Vor allen Dingen sollten Die, die sich noch wagen im rechts liberalen Mainstream “aufzumerken” sich nicht gegenseitig fertig zu machen. Augstein ist doch letztlich auf “unserer” Seite.

    Ein versöhnliches Wort wäre angebracht, denn in der Sache tun Sie ihm Unrecht.

    Das soll natürlich nicht heißen auch weiter kritisch Zeitgenossen wie Augstein zu begleiten, wenn es angebracht ist.

    J. B.

  3. Die Retterin Europas

    Die Retterin Europas – der absolute Nullpunkt des Journalismus

    Eine Stellungnahme der NachDenkSeiten zu Jakob Augstein: „Was Merkel jetzt machen muss“.

  4. Maßlos übertrieben

    Ihren jüngsten Artikel über Augstein finde ich maßlos übertrieben. Vor allem kommt er zur völlig falschen Zeit, sollte es in Europa doch eigentlich um eine Vereinigung derer gehen, die dem Neoliberalismus kritisch gegenüber stehen. Bitte versuchen Sie, sich mit Jakob Augstein zu vertragen. Wir können uns alles andere derzeit nicht leisten.

    F.H.

  5. Merkel hat in ihrer Blindheit Europa in seine bisher größte Katastrophe geführt
      
    … Sie sprechen mir voll aus dem Herzen! Ihre Kommentierung finde ich überhaupt nicht hart, sondern eigentlich noch zahm.
     
    Den Hut vor Jakob Augstein hätte ich gezogen, wenn er unter dem von ihm gewählten Titel argumentativ dargelegt hätte, dass es allerhöchste Zeit für Frau Dr. Merkel wäre, ihr Amt aus freien Stücken zur Verfügung zu stellen und nicht in ihrer Blindheit Europa in seine bisher größte Katastrophe zu führen.
     
    Nachdem ich das taz-Abonnement wegen der unsäglichen Kommentierungen zum Grass-Gedicht gekündigt hatte, dachte ich, dass ich mit “Der Freitag” ein Wochenblatt gefunden hätte, wo ich meine Sicht auf die Welt, wie diese zur Zeit sich gibt, widergespiegelt sehe. Aber nachdem ich ein langfristiges Abonnement angestrebt hatte, dann aber in einem Kurzabo von 6 Wochen, Artikel der stellvertretenden Chafredakteurin Jana Hensel und ihrer Sicht auf die Partei Die Linke las, wissend, dass Frau Hensel von ihrer Ausbildung gar nicht in der Lage ist, tiefgründig und gut argumentierend etwas darüber zu sagen, war auch “Der Freitag” für mich gestorben.
     
    Jakob Augstein hatte ich auch bisher noch in einem anderen Licht gesehen; aber Sie haben mir, betr. seine Person, nun auch die Augen geöffnet.
     
    M. F. 
  6. Es geht darum, den Inhalt des Fiskalpakts noch fester zu schreiben

    Ja, was Sie zu Augstein schreiben, ist leider völlig richtig.
    Und wenn Merkel/Schäuble für eine Volksabstimmung sind, dann doch um den Inhalt des Fiskalpakts noch fester zu schreiben, und angesichts der in 90 % der deutschen Öffentlichkeit vorherrschenden Idiotie würden sie auch noch die Abstimmung gewinnen. Leider bin ich zu alt, um noch emigrieren zu können, aber ich halte es kaum noch aus.
     
    H. – U. B.

  7. Es scheint eine gezielte Vorbereitung dafür zu sein, tatsächlich eine Grundgesetzänderung mit weit reichenden Folgen vorzubereiten

    … ich teile ihre Empörung über diesen Artikel und hatte zunächst nicht verstanden, was er eigentlich erreichen möchte.
    Nachdem ich heute jedoch das Spiegel-Interview mit Schäuble gelesen habe und zahlreiche Kommentierungen in Faz etc., scheint es mir eine gezielte Vorbereitung dafür zu sein, tatsächlich eine Grundgesetzänderung mit weit reichenden Folgen vorzubereiten. Ich gehöre auch zu denjenigen, die die Volksabstimmung über den Fiskalpakt und ESM beim Verfassungsgericht einklagen. Hier geht es jedoch um wesentlich mehr. Eine gefährliche Entwicklung zeichnet sich ab. Ich hoffe insbesondere bei den Nachdenkseiten gute Kommentare zu finden.
    G.F.

  8. Ich gebe nicht den Griechen, Spaniern etc. die Schuld an meiner Arbeitslosigkeit

    meinen Respekt für Ihre harte Kommentierung, die wohl in Zukunft noch härter ausfallen müssen wird. Die Art der Intervenierung direkt in die Propagandazeilen von Augstein hat mir sehr gut gefallen. Ich fand sie nicht zu hart. Eine sehr gute Art nachzudenken.
     
    Ich zitiere nur einen Satz Augsteins, der mich persönlich trifft:

    “Aber es wird den deutschen Arbeitslosen nicht helfen, Griechen und Italienern die Schuld zu geben.”

    Herr Augstein sollte seine Zunge zügeln. Ich bin arbeitslos und gebe nicht den Griechen und Italienern, und auch nicht den Spaniern, Portugiesen oder Zyprer .. Ddie Schuld an meiner Arbeitslosigkeit, sondern ganz allein der Bundesregierung. Sie haben mich nicht zu Europa befragt. Und jetzt wollen sie mich befragen.

    K.G.

  9. Zurecht gnadenlose Analyse

    vielen, vielen, vielen Dank für diese herausragende wie – völlig zurecht – gnadenlose Analyse dieses Artikels von Augstein! Mir war auch sehr, sehr unwohl gewesen beim Lesen des Artikels, doch hätte ich ihn selbst natürlich niemals so genial sezieren können! Aber dafür gibt es ja Gott sei Dank Sie und Ihre Nachdenkseiten! 
    Ich halte es für eine geradezu unverzichtbare, ja epochale Leistung von Ihnen, den Finger tief gerade auch in die Wunde dieses linksliberalen Bürgertums zu legen und es dahingehend zu entlarven, wie sehr auch in dieser ja selten uneitlen “Elite” die neoliberale Meinungssaat aufgegangen ist! Dies ist gerade auch für Menschen wie mich, die sich einmal zu dieser “Elite” zählten, ein unglaublich wichtiger und hilfreicher Weckruf!
     
    Ihre Gegner werfen Ihnen ja immer wieder vor, Sie seien geradezu pathologisch anfällig für Verschwörungstheorien. Gott sei Dank haben Sie das Wissen und die feinen Antennen, die Intuition und den geschärften Wahrnehmungssinn für jede noch so psychologisch fast perfekte Manipulation aus der neoliberalen Ecke! …

    M. P.

  10. Nur ganz kurz, quasi als Mithilfe zur seelisch-moralischen Wiederbelebung…

    Es ist wahr, es kann einem schlecht werden… Aber richtig!… ging mir nicht anders… und gerade, weil es von Augstein kommt, ist einem so schlecht… bei explizit bekannt rechten Schreibtischtätern oder einem Kauder oder Pofalla oder Brüderle ist man innerlich in Stellung… dieses Gewäsch trifft einen irgendwie unvorbereitet.. hat was von Schock, ohne nun übertreiben zu wollen, dennoch… man fragt sich: Kann es wirklich immer noch weiter abwärts gehen?

    O.T.


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