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Titel: Honorarstreit der Ärzte – Kehrt vor Eurer eigenen Tür!

Datum: 5. September 2012 um 9:08 Uhr
Rubrik: Gesundheitspolitik, Ungleichheit, Armut, Reichtum
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Es gibt in diesem unseren Lande Berufsgruppen, denen geht es wahrlich schlechter als den niedergelassenen Ärzten. Da sie mit ihrer abgehobenen Forderung auf Erhöhung der Honorare um 1.228 Euro pro Monat bei den Krankenkassen abgeblitzt sind und „nur“ 150 Euro pro Monat zugesprochen bekamen, drohen sie nun mit „Kampfmaßnahmen“ zu Lasten der Patienten. Sicher, es gibt sie, die schlecht bezahlten und überlasteten Landärzte, die eine deftige Honorarerhöhung verdient hätten. Dafür muss man jedoch nicht mehr Geld in ein Gesundheitssystem pumpen, das auf der Empfängerseite zutiefst ungerecht ist und falsche Anreize setzt. Anstatt gegen die Krankenkassen sollten die Ärzte gegen ihre eigene Standesvertretung protestieren, die für die Defizite im System mitverantwortlich ist. Von Jens Berger.

Schenkt man den Statistiken Glauben, gehören die niedergelassenen Ärzte zu den bestbezahlten Berufsgruppen des Landes. Ein durchschnittlicher niedergelassener Arzt erzielt aus seiner vertragsärztlichen Tätigkeit jährlich rund 134.000 Euro Reingewinn – hinzu kommen rund 30.000 Euro Reingewinn aus der Versorgung privatversicherter Patienten. Der Reingewinn eines Arztes ist vergleichbar mit dem Bruttoeinkommen eines Arbeitnehmers, lediglich der Arbeitnehmeranteil bei den Sozialleistungen fällt hier weg. Nichtsdestotrotz ist einem Arzt mit einem durchschnittlichen monatlichen Bruttoeinkommen von 13.750 Euro durchaus zuzumuten, sich selbst sozial abzusichern.

Wenn ein typischer Landarzt diese Zahlen liest, wird ihm jedoch – vollkommen zu Recht – das Messer in der Tasche aufgehen. Der durchschnittliche Reingewinn ist nun einmal ein statistisches Maß, das immer zu Verzerrungen führt. So erzielt beispielsweise ein durchschnittlicher Radiologe im Schnitt 264.000 Euro, während ein durchschnittlicher Allgemeinmediziner (jeweils mit eigener Praxis) „nur“ 116.000 Euro Reingewinn pro Jahr erreicht[*]. Und auch bei dieser Zahl verzerrt der Durchschnitt – ein niedergelassener Allgemeinmediziner in München, der ein gewisses kaufmännisches Talent hat, wird in der Regel ebenfalls rund den doppelten Gewinn wie sein Landarztkollege aus der brandenburgischen Pampa erzielen.

Es ist ja richtig, dass die Politik dafür sorgen muss, dass die medizinische Versorgung flächendeckend gewährleistet wird und auch der brandenburgische Landarzt einen Nachfolger für seine Praxis findet. Nun sind Ärzte aber auch keine selbstlosen Halbgötter in Weiß, die sich von Manna ernähren, sondern ganz normale Menschen, die eher einen gut- als einen schlechtdotierten Job annehmen. Wer die flächendeckende medizinische Versorgung aufrechterhalten will, muss also finanzielle Anreize für einnahmeschwache Praxen setzen. Dagegen wäre auch gar nichts einzuwenden, eine Honorarsteigerung mit der Gießkanne ist dafür jedoch das denkbar schlechteste Mittel.

Würden die Krankenkassen einfach mehr Geld ins System pumpen, ohne dass sich etwas am Verteilungsschlüssel ändert, würde von den Honorarsteigerungen nicht nur der relativ schlecht verdienende Landarzt in Brandenburg, sondern auch – und vor allem – sein hervorragend verdienender Kollege profitieren, der eine Radiologiepraxis auf der Münchner Leopoldstraße betreibt. Der Allgemeinheit der Beitragszahler ist jedoch weder zuzumuten noch zu vermitteln, dass sie nun zusätzlich für Ärzteeinkommen zur Kasse gebeten werden, die jenseits der Einkommen von Bundeskanzlerin und Bundespräsident liegen. Dies ist eine Umverteilung von unten nach oben, von der auch der Brandenburger Landarzt nichts hat, ist seine Honorarsteigerung doch nur minimal. Wenn man nach dem Gießkannenprinzip verfährt und nichts am Verteilungsschlüssel ändert, kriegt der Arzt, der heute schon das größte Beet bestellt, auch das meiste Wasser ab. So wird man auch nichts gegen die Löcher in der flächendeckenden medizinischen Versorgung ausrichten können.

Wie viel Geld ein Arzt bekommt, liegt nicht im Entscheidungshorizont der Politik. Hier wird de facto lediglich entschieden, wie viel Geld die gesamte Ärzteschaft bekommt. Die dafür relevanten Kollektivverträge handeln die Standesvertreter der Ärzteschaft mit den Krankenkassen aus. Wie die Ärzte das gesamte Budget unter sich selbst verteilen, liegt jedoch einzig und allein im Entscheidungsbereich der Standesvertretungen. Wenn die Ärzteschaft also ein Interesse daran hat, dass es keine großen Abweichungen vom durchschnittlich erzielten Honorar gibt und eine flächendeckende medizinische Versorgung garantiert werden kann, hat sie die notwendigen Stellschrauben selbst in der Hand und ist für deren Justierung verantwortlich. Es ist schließlich kein Naturgesetz, dass der Münchner Radiologe rund viermal so viel wie ein brandenburgischer Landarzt bekommt.

Doch anstatt vor der eigenen Türe zu kehren und die eigene Standesvertretung ins Gebet zu nehmen, tragen die Ärzte ihren Honorarstreit mit den Krankenkassen auf dem Rücken der Patienten aus – der Patienten, die mit ihren Krankenkassenbeiträgen schon heute ein System subventionieren, das falsche Anreize setzt. Auch bei den Ärzten ist nämlich der Ehrliche aus ökonomischer Sicht der Dumme. Wer sich die Zeit nimmt, mit seinen Patienten ausführlich zu sprechen und sie und ihre Beschwerden ernst nimmt, erhält von den Kassenärztlichen Vereinigungen nur einen Hungerlohn. Wer seine Patienten jedoch im Akkord durch sein Behandlungszimmer lotst, ihnen zusätzliches Geld über die umstrittenen IGe-Leistungen abknöpft, sie zu teurer, aber meist sinnloser Apparatemedizin verdonnert, routinemäßig „große Blutbilder“ erstellen und sich – vollkommen legal – von Pharmakonzernen schmieren lässt, profitiert vom jetzigen System und hat beste Chancen auf ein Spitzeneinkommen.

Einfach nur mehr Geld in dieses kranke System zu pumpen, hilft niemanden – außer denjenigen, die sich schon heute schamlos auf Kosten der Patienten und der Beitragszahler bereichern. Es ist nötig, dass die ehrlichen Ärzte ihrer Wut Luft machen und auf die Barrikaden gehen. Aber bitte nicht für, sondern gegen ein Verteilungssystem, bei dem Ungerechtigkeit und falsche Anreize Kernelemente sind. Wenn eine Reform des Verteilungssystems in den bestehenden Ständevertretungen nicht umsetzbar ist, dann sollten die ehrlichen Ärzte doch ihre eigene Standesvertretung gründen, die künftig separat mit den Kassen verhandelt. Die Kassen würden dies sicher begrüßen. Wenn – wovon auszugehen ist – diese neue Ärzteschaft vergleichbare durchschnittliche Pro-Kopf-Honorare zur Verteilung bekommt, wird für jeden ehrlichen Arzt dabei mehr herausspringen als heute und auch den Patienten wäre geholfen. Das wäre doch ein Ziel, für das es sich zu kämpfen lohnt!


[«*] Zahlen beziehen sich auf das Jahr 2007 – damals betrug der durchschnittliche Reingewinn aller niedergelassenen Ärzte 142.000 Euro


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