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Titel: Wahlalternative 2013 – aus den Freien Wählern sollen freie (Markt-)Radikale werden

Datum: 9. Oktober 2012 um 9:28 Uhr
Rubrik: AfD, Rechte Gefahr, Wahlen
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Nachdem Hans Olaf Henkel mit seinem Plan, die FDP „zu entern“, Schiffbruch erlitten hat, hat er sich eine neue politische Plattform ausgesucht, über die er mit seinen zwischen Marktradikalismus und Nationalchauvinismus tendierenden Ansichten auf Wählerfang gehen kann. Das von ihm mitinitiierte Bündnis Wahlalternative 2013 würde bei der nächsten Bundestagswahl gerne zusammen auf einer Liste mit den Freien Wählern antreten. Schaut man sich die Liste [*] der Gründer und Hauptzeichner der Wahlalternative 2013 an, findet man dort das Who´s Who der deutschen Marktradikalen. Ob die Freien Wähler wissen, mit wem sie sich da ins Bett legen wollen? Von Jens Berger

Es ist nicht unbedingt einfach, die Freien Wähler politisch zu verorten. In den meisten Fällen handelt es sich um heterogene Ortsvereine, die aus Bürgerinitiativen und Abspaltungen von den Unionsparteien entstanden sind. In Baden-Württemberg sind die Freien Wähler sehr erfolgreich auf lokaler und regionaler Ebene vertreten. Dort stellen sie 44% aller Gemeinde- und und 24% aller Kreisräte. Ähnlich stark sind die Freien Wähler in Bayern, wo sie bei den Kommunalwahlen 2008 18% der Stimmen holen konnten. Doch hier endet die Gemeinsamkeit dieser beiden Landesverbände bereits. Während die Freien Wähler Baden-Württemberg lediglich Kommunalpolitik betreiben und nicht zur Landtagswahl antreten, fühlen sich die bayerischen Freien Wähler zu Höherem berufen.

Bei den letzten Landtagswahlen holten sie 10,2% der Stimmen und zogen als drittstärkste Partei in den Landtag ein. Auch bei den nächsten Landtagswahlen im Herbst 2013 werden die Freien Wähler den aktuellen Umfragen zufolge höchstwahrscheinlich wieder in den bayerischen Landtag einziehen. Die Expansion der bayerischen Freien Wähler, die über den bayerisch dominierten Bundesverband Freie Wähler, dem die Freien Wähler Baden-Württemberg nicht mehr angehören, auch in andere Länderparlamente und im nächsten Jahr auch in den Bundestag einziehen wollen, darf jedoch bislang getrost als gescheitert angesehen werden – bei den letzten Wahlen in Nordrhein-Westfalen, dem Saarland und Schleswig-Holstein konnten die Freien Wähler nicht mehr als ein Prozent der Stimmen holen und auch bei der Sonntagsfrage spielen sie auf Bundesebene keine Rolle.

Wahlkampfthema Euroskeptizismus

Eines der zentralen Themen des Bundesverbandes Freie Wähler ist die Stärkung der Kommunen und die – auch damit verbundene – Abgabe von Kompetenzen nationaler und vor allem supranationaler Einrichtungen. Europa ist für die Freien Wähler ein Feindbild. Die bayerischen Freien Wähler sind (außer der NPD) wohl die einzige in einem deutschen Landtag vertretene Partei, die offen gegen Europa, die EU und den Euro polemisiert. Hier gibt es zweifelsohne Überschneidungen zur populären Euroskeptikern wie Thilo Sarrazin und Hans-Olaf Henkel. Nimmt man die im Volk weitverbreitete Ablehnung Europas und den durchaus zahlreich vorhandenen Wunsch nach einer Rückkehr zur D-Mark als Basis, ist Euroskeptizismus sehr wohl ein Wahlkampfthema, mit dem man nicht nur an den Rändern, sondern auch in der Mitte Wählerstimmen sammeln kann. Vor allem das Potential der Wähler, die 2009 „aus Protest“ die FDP gewählt haben, und der Erzkonservativen, denen die CDU nicht konservativ genug und die NPD zu schmuddelig ist, ist durchaus beachtlich.

Für den Bundesverband Freie Wähler ist das Surfen auf der Anti-Euro-Welle offenbar ein Mittel zum Zweck, um auch auf nationaler Ebene wahrgenommen zu werden. Ohne ein renommiertes Zugpferd ist es jedoch nahezu unmöglich, die allgegenwärtige Medienbarriere zu durchbrechen. Und wer könnte ein „besseres“ Zugpferd sein, als der in den Talkshows und Zeitungen der Republik ehemals allgegenwärtige Ex-Lobbyist Hans-Olaf Henkel, der vor allem in konservativen Kreisen immer noch sehr populär ist und diese Popularität trotz rechtspopulistischer Ausflüge offenbar immer noch nicht eingebüßt hat.

Henkel als trojanisches Pferd

Nachdem die FDP Henkel die kalte Schulter zeigte, begann er bereits wenige Tage später, sich offen an die Freien Wähler heranzuschmeißen, die seinen Avancen nicht lange widerstehen konnten und ihn bereits wenige Tage später als „Berater“ mit ins Boot holten. Doch offenbar schaffte es Henkel trotz eifriger Unterstützung des Freie-Wähler-Vorsitzenden Hubert Aiwanger nicht, die zwar meist konservative, aber auch heterogene und basisorientierte Partei geschlossen hinter sich zu bringen. Henkels Ausflüge in die Tiefen des Rechtspopulismus und seine mehr und mehr unverhohlene Marktradikalität kommen, ebenso wie die populistischen euroskeptischen Zuspitzungen des Partei-Chefs Aiwanger, nun einmal zum Glück nicht überall an. Auch wenn die euroskeptischen Aussagen Henkels und Aiwangers zu kritisieren sind, liegt die eigentliche Gefahr im „Kleingedruckten“. Einen Henkel gibt es nicht allein und schon gar nicht ideologiefrei. Die Liste der Liste [*] der Gründer und Hauptzeichner der Wahlalternative 2013, über die Henkel und Co. die Freien Wähler übernehmen wollen, beinhaltet vor allem Namen aus der paläolibertären Ecke.

Exkurs „Paläolibertarismus“: Wer glaubt, die FDP stünde in Sachen Marktradikalität am äußersten Ende des Flügels, täuscht sich gewaltig. Basierend auf den theoretischen Werken von Ludwig von Mises und August von Hayek und den philosophischen Schriften von Ayn Rand hat sich im Umfeld der sogenannten „Österreichischen Schule“ eine Ideologie ausgebreitet, die man wohl am ehesten als marktfundamentalistisch bezeichnen könnte. In den USA feiern die Vertreter dieser Richtung momentan ihren Siegeszug innerhalb der ansonsten erzkonservativen Tea-Party-Bewegung. Da sich Anhänger dieser Denkschule mit Vorliebe als „Liberale“ ausgeben, ist es nicht so einfach, diese Schule begrifflich zu fassen. Zurückgreifend auf den Theoretiker Lew Rockwell bietet sich hier wohl am ehesten der Begriff „Paläolibertarismus“ an. Namhafte Vertreter dieser Ideologie sind der US-Präsidentschaftskandidat Ron Paul und der deutsche „Ökonom“ Hans-Hermann Hoppe. In seiner letzten Konsequenz stellt der Paläolibertarismus den freien Markt über alles andere, lehnt damit auch den Staat und vor allem den Sozialstaat im Kern ab und fordert stattdessen Sozialdarwinismus und die Unterwerfung aller Lebensbereiche unter die Marktideologie. Soziale Autoritäten wie die Familie und die Kirche sollen dabei das Individuum vor dem Staat schützen, der für Paläolibertäre das Feindbild ist. In Deutschland führt diese Form des Extremismus, gegen den die NPD eine plumpe, wenn auch boshafte, Trachtentruppe ist, zumindest in der Öffentlichkeit ein Schattendasein. In akademischen Kreisen ist der Paläolibertarismus jedoch vor allem bei Ökonomen durchaus verbreitet. Über Lobbyorganisation wie dem August-von-Hayek-Institut und der Mont Pelerin Society versuchen die Vertreter dieser Ideologie seit längeren, ihren Einfluss auf die Politik, die Medien und die Gesellschaft geltend zu machen.

Zahlreiche namhafte Vertreter der Wahlalternative 2013 dürften aufmerksamen NachDenkSeiten-Lesern durchaus bekannt sein. Neben den „üblichen Verdächtigen“ finden sich jedoch auch echte marktradikale Hardliner, wie der Ökonom Peter Oberender, der allen Ernstes das Verbot, mit Körperorganen zuhandeln, aufheben will, um Menschen, die sich in finanzieller Notlage befinden, die Möglichkeit zu geben, sich ihre Organe entnehmen zu lassen, um sie an einer Art Börse verkaufen zu können. Dies ist jedoch nur die Spitze des Eisbergs, derart menschenverachtende Äußerungen gehören in paläolibertären Kreisen durchaus zum guten Ton. So paradox es sich anhören mag, der Rechtspopulist Hans-Olaf Henkel gehört auf der Liste der Wahlalternative 2013 noch zu den harmloseren Exemplaren. Wenn die „braven“ konservativen Mitglieder an der Basis der Freien Wähler wüssten, mit was für Leuten sich ihr „Vorsitzender“ Hubert Aiwanger da verbünden will, würde der parteiinterne Widerstand gegen die Spitze im Bundesverband sicher zu einem Orkan werden.

Kleinster gemeinsamer Nenner

Große Gemeinsamkeiten scheint es zwischen den Freien Wählern, die bis dato noch nicht sonderlich als Anhänger der Österreichischen Schule auffällig wurden und in ihrem gemeinsamen Eckpunktepapier [PDF – 385 KB] den Staat in vielen Bereichen nicht etwa abschaffen, sondern sogar stärken wollen, und den marktradikalen Professoren der Wahlalternative 2013 nicht zu geben. Umfassende Steuersenkungen (Kirchhof-Modell) und die Ablehnung europäischer Institutionen scheinen die einzigen gemeinsamen Nenner zu sein. Seit dem plötzlichen „Umfragentod“ der FDP scheinen Steuersenkungen jedoch ihren Reiz als Wahlkampfthema verloren zu haben. Wie es mit dem Thema „Euroskeptizismus“ aussieht, wird die Zukunft zeigen.

Sollte die Basis der Freien Wähler den Schulterschluss mit den marktradikalen Professoren nicht verhindern können, droht dem Land im nächsten Jahr ein neuer politischer Akteur am äußersten rechten Rand. Auch die „rechte APO“ im Umfeld der „Zivilen Koalition“, die erst im letzten Jahr einen publikumswirksamen Coup mit einem inhaltlich grob manipulativen Video gegen den ESM landen konnte, ist bereits mit im Boot und mit dem Adenauer-Enkel und Investmentbanker Stephan Wehrhan scheinen die Freien Wähler genau ihren deutschen Mitt Romney gefunden zu haben, der ins Bild der konservativen Unions-Abweichler passt und von den Marktradikalen im Hintergrund ablenkt.

Die Katze im Sack

Wir wissen von zahlreichen Zuschriften, dass vor allem die Fundamentalkritik am, durchaus kritikwürdigen, „Rettungsmechanismus“ ESM, mit dem die Wahlalternative 2013 monothematisch auf Wählerfang gehen will, auch bei einigen unserer Leser durchaus populär ist und auch der unausgegorene Plan, die Eurokrise durch eine „geordnete Abwicklung“ der südeuropäischen Staaten zu „lösen“, unverständlicherweise einige Anhänger hat. An dieser Stelle soll es jedoch ausnahmsweise einmal nicht um die Krise gehen, sondern um die Frage der Glaubwürdigkeit. Wie glaubwürdig ist eine Kritik an ESM und Euro, die von Professoren stammt, die selbst in der Ökonomenbranche zum marktradikalen Rand gehören? Kann die Antwort auf eine Krise, die durch das Gift des Markliberalismus ausgelöst wurde, durch eine Erhöhung der Dosis des Giftes kuriert werden? Diese Frage sollten sich potentielle Wähler und Mitglieder der Freien Wähler selbst beantworten.

Wer den Staat als Feind sieht, polemisiert natürlich gegen die europäischen Institutionen und spielt mit dem weitverbreiteten Misstrauen gegen den Staat. Wer auf diese Polemik hereinfällt, kauft jedoch die Katze im Sack und gibt Ideologen seine Stimme, die in ihrer Marktradikalität alles in den Schatten stellen, was wir bis dato aus der deutschen Politik kennen. Dagegen anzukämpfen, ist ein lohnenswertes Ziel.


[«*] Gründer und Hauptzeichner der Wahlalternative 2013 (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):

Konrad Adam – Journalist, ehem. FAZ und WELT, mit erzkonservativen Ansichten.

Alexander Gauland – Publizist, Politiker (CDU) und ehemaliger Staatssekretär unter Walter Wallmann, der die CDU für den Verlust des „konservativen Profils“ kritisiert, gegen linke Politik poltert und für eine Rückkehr zur preußischen Kriegsdoktrin aufruft.

Bernd Lucke – Neoliberaler Ökonom, der kurz vor der Bundestagswahl 2005 zusammen mit der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft den sogenannten „Hamburger Appell“ initiiert hat und seitdem immer wieder mit kritikwürdigen Appellen ein hohes Fremdschämpotential auslöste.

Gerd Robanus – Bundesvorstand der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU, dem unternehmerfreundlichen und konservativen Flügel der Unionsparteien, der wegen der Hilfen für Griechenland seine Aktivitäten in der CDU ruhen lässt

Bruno Bandulet – Verleger, ehemals Mitglied im rechtspopulistischen Bund Freier Bürger, Kolumnist der Jungen Freiheit und verschiedener Internetseiten, die Gold vermarkten, Mitglied der Friedrich-August-von-Hayek-Gesellschaft.

Charles Blankart – Ökonom, Mitglied der Mont Pelerin Society, der Friedrich-August-von-Hayek-Gesellschaft, des Berlin-Manhattan-Instituts und des Institut Constant de Rebecque.

Ulrich Blum – Ökonom, Politiker (CDU), der als Direktor des Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle aufgrund der Kritik des Wissenschaftsrats und der Leibniz-Gemeinschaft an den wissenschaftlichen Leistungen dieses Instituts zurücktrat. Blum ist Gegner des Mindestlohns und Unterzeichner diverser neoliberaler Appelle und stellvertrender Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung.

Günter Ederer – Autor, PR-Journalist und Filmemacher, der seine neoliberalen Dokumentationen finanziell von der Initiative Soziale Marktwirtschaft unterstützen ließ, den Klimawandel leugnet und in seinen Büchern den Sozialstaat abschaffen will. Ederer ist Mitglied der Friedrich-August-von-Hayek-Gesellschaft und sitzt im Beirat der Lobbyorganisation „Die Familienunternehmer – ASU“.

Stefan Homburg – Ökonom, stellvertretender Aufsichtsrat der MaschmeyerRürup AG, strammer Neoliberaler.

Martin Leschke – Ökonom, Mitglied des Walter-Eucken-Instituts, der zusammen mit dem für NachDenkSeiten-Leser bekannten Ingo Pies eine Buchreihe über die Vordenker des Marktradikalismus Buchanan, Hayek, Mises und Friedman herausgegeben hat.

Peter Oberender – Gesundheitsökonom und Unterzeichner zahlreicher Appelle, der sich für die Zweiklassenmedizin stark macht und sozial Schwachen gerne gestatten würde, ihre Organe zu verkaufen.

Karl Albrecht Schachtschneider – Emeritierter Jurist ohne Berührungsängste mit dem rechtsextremen Rand. Schachtschneider trat in jüngster Vergangenheit unter anderem bei Veranstaltungen der Bürgerbewegung PRO Köln, der Haider-Partei FPÖ, des als Netzwerk der „Neuen Rechten“ geltenden Studienzentrums Weikersheim, des rechts-sektiererischen VPM und diverser Burschenschaften auf. Er ist regelmäßiger Autor der „Jungen Freiheit“ und ein beliebter Interviewpartner des rechtspopulistischen und islamfeindlichen Internetblogs „Politically Incorrect“.

Bernhard Seitz – Vorsitzender des Aktionsbündnisses Direkte Demokratie, das von obskuren Gruppierungen und Kleinstparteien getragen wird, wie dem „Netzwerk Volksentscheid“, zu dessen „Medienpartnern“ das Who´s Who der deutschen Verschwörungstheoretikerszene gehört, und der „Partei der Vernunft“ (pdv), die nicht nur den Euro, sondern auch gleich noch die Einkommens-, Lohn- und Körperschaftsteuer ersatzlos abschaffen und die Justiz privatisieren will und ebenfalls bestens mit der Verschwörungstheoretikerszene vernetzt ist.

Joachim Starbatty – Ökonom, ehemals Listenkandidat des rechtspopulistischen Bunds freier Bürger, Vorstand der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft, Kuratoriumsmitglied des Walter-Eucken-Instituts und Mitglied der Ludwig-Erhard-Stiftung.

Beatrix von Storch (geb. Herzogin von Oldenburg) – Lobbyistin, Vorstand Bürgerkonvent e.V., Vorstand Zivile Koalition e.V., Vorstand Allianz für den Rechtsstaat e.V.

Roland Vaubel, Ökonom, Mitglied des Liberalen Instituts Zürich und des Editorial Boards des libertären Cato Institute. Vaubel plädiert zum Schutz der Leistungseliten für ein Mehrklassenwahlrecht und will den Mitgliedern der „untersten Klassen“ das passive Wahlrecht absprechen.


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