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Titel: Hinweise des Tages

Datum: 31. Oktober 2012 um 8:40 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
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Hier finden Sie einen Überblick über interessante Beiträge aus anderen Medien und Veröffentlichungen. Wenn Sie auf “Mehr” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (JB/WL)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Arbeitslosigkeit
  2. Europa wird deutsch
  3. Folgen der Austeritätspolitik
  4. Weniger Geld für mehr Europa
  5. 6 Top Economists Explain Which President Is More Likely to Speed the Next Financial Crisis
  6. Wegen Verkaufs fauler Kredite – US-Regierung verklagt Bank of America
  7. Geldvermögensbildung und Finanzierung in Deutschland im zweiten Quartal 2012
  8. Schwere Vorwürfe gegen KKH Allianz
  9. Datenmissbrauch
  10. In der Schule nach unten durchgereicht
  11. „Schulnoten gehören abgeschafft“
  12. Testwahn: Anti-demokratisch
  13. Albrecht von Lucke: Peer Steinbrück und die Nulloption
  14. Die Länder Nordafrikas verdanken ihre Revolutionen wesentlich den USA: Obamas Genie
  15. Der “Long War” gegen den Terrorismus wird permanent
  16. Deutscher Einsatz in Mali: Merkel und Westerwelle marschieren voran
  17. Eine Afghanistan-Bilanz in Zeiten des NATO-Teilabzugs

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Arbeitslosigkeit
    1. Der Arbeitsmarkt im Oktober 2012
      Im Oktober 2012 wurden von der Statistik der BA insgesamt 2,753 Millionen Arbeitslose registriert, 16.000 bzw. 0,6% mehr (!) als im Oktober 2011. Erstmals seit Februar 2010 stieg die registrierte Arbeitslosigkeit im Vorjahresvergleich. Von den 2,753 Millionen Arbeitslosen waren 846.000 (30,7%) im Rechtskreis SGB III und 1,907 Millionen (69,3%) im Rechtskreis SGB II (Hartz IV) registriert.
      Als Arbeitsuchende waren im Oktober 2012 insgesamt 4,903 Millionen Frauen und Männer registriert, 94.000 (1,9%) weniger als im Oktober 2011. Die von der Statistik der BA ermittelte „Unterbeschäftigung ohne Kurzarbeit“ betrug im Oktober 2012 3,717 Millionen, 164.000 (4,2%) weniger als im Oktober 2011.
      Nach vorläufigen, hochgerechneten Daten hatten im Oktober 2012 783.000 (arbeitslose und nicht arbeitslose) Frauen und Männer Anspruch auf das beitragsfinanzierte Arbeitslosengeld (SGB III) und 4,346 Millionen Anspruch auf Arbeitslosengeld II (Hartz IV). Bereinigt um die Zahl der etwa 87.000 sog. Aufstocker (Bezug von Arbeitslosengeld und Arbeitslosengeld II) hatten im Oktober 2012 etwa 5,042 Millionen erwerbsfähige Frauen und Männer Anspruch auf Arbeitslosengeld (SGB III) bzw. Arbeitslosengeld II, 74.000 (1,4%) weniger ein Jahr zuvor.
      In Westdeutschland (zehn Länder) wurden 53.000 (2,8%) mehr Arbeitslose registriert als im Oktober 2011, in Ostdeutschland (sechs Länder) 36.000 (4,2%) weniger…
      Im Oktober 2012 wurden 2,8% (7.000) mehr (!) junge Arbeitslose (unter 25 Jahre) registriert als ein Jahr zuvor…
      Vergleich zum Vormonat: Die registrierte Arbeitslosigkeit ist im Oktober 2012 im Vergleich zum Vormonat (genauer: von Mitte September bis Mitte Oktober) um 35.000 gesunken, der absolut kleinste in einem Oktober registrierte Rückgang seit Oktober 2002 (damals noch Ende September bis Ende Oktober. Die Zahl der Arbeitsuchenden betrug im Oktober 2012 4,903 Millionen, 38.000 mehr (!) als im Vormonat September.
      Quelle: Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe e.V. (BIAJ) [PDF – 453 KB]
    2. Dazu die Bundesagentur für Arbeit: „Schwächere Beschäftigungsentwicklung“
      Ein Rückgang der Arbeitslosigkeit im Oktober ist durchaus üblich, er fiel in diesem Jahr aber etwas schwächer aus als in den vergangenen Jahren. Saisonbereinigt ist die Arbeitslosigkeit im Vormonatsvergleich daher um 20.000 gestiegen. Im Vergleich zum Vorjahr waren 16.000 Menschen mehr arbeitslos gemeldet. Erstmals seit Februar 2010 wird das Vorjahresniveau wieder überschritten.
      Die Zahl der arbeitslosen Menschen im Bereich der Arbeitslosenversicherung (SGB III) belief sich im Oktober auf 846.000. Im Vergleich zum Oktober 2011 ergibt sich ein Anstieg von 68.000. Damit liegt die Arbeitslosigkeit in der Arbeitslosenversicherung den fünften Monat in Folge über dem Vorjahresniveau. Insgesamt 783.000 Personen erhielten im Oktober Arbeitslosengeld, 65.000 mehr als vor einem Jahr…
      Die Zahl der Bezieher von Arbeitslosengeld II in der Grundsicherung (SGB II) lag im Oktober bei 4.346.000. Gegenüber Oktober 2011 waren dies 128.000 weniger.
      8,1 Prozent der in Deutschland lebenden Personen im erwerbsfähigen Alter sind hilfebedürftig. In der Grundsicherung waren 1.907.000 Menschen arbeitslos gemeldet, 51.000 weniger als im Vorjahr. Dass ein Großteil der Arbeitslosengeld II-Bezieher nicht arbeitslos gemeldet ist, hängt damit zusammen, dass diese Personen erwerbstätig sind, kleine Kinder betreuen, Angehörige pflegen oder sich noch in der Ausbildung befinden…

      Erwerbstätigkeit und sozialversicherungspflichtige Beschäftigung haben im Vorjahresvergleich weiter zugenommen, allerdings wird auch hier der Vorjahresabstand kleiner. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes ist die Zahl der Erwerbstätigen im September gegenüber dem Vorjahr um 322.000 auf 41,85 Millionen gestiegen. Nach der Hochrechnung der BA lag die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im August bei 29,13 Millionen und damit um 472.000 über dem Vorjahr…
      Die gemeldete Nachfrage nach Arbeitskräften ist rückläufig, liegt aber nach wie vor auf hohem Niveau. Im Oktober belief sich der Bestand an gemeldeten Arbeitsstellen auf 468.000, das sind 32.000 weniger als vor einem Jahr…
      Im Oktober 2012 befanden sich nach hochgerechneten und zum Teil untererfassten Werten 924.000 Personen in einer von Bund oder der Bundesagentur für Arbeit geförderten arbeitsmarktpolitischen Maßnahme. Das waren 20 Prozent weniger als vor einem Jahr…
      Darüber hinaus übten 2,58 Mio. oder 8,9 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zusätzlich einen geringfügig entlohnten Nebenjob aus, gegenüber dem Vorjahr 43.000 oder 1,7 Prozent mehr…
      Im Juni 2012 waren 30 Prozent (1,33 Mio.) der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten erwerbstätig. Der Anteil erwerbstätiger Leistungsbezieher liegt damit um 0,5 Prozentpunkte höher als ein Jahr zuvor.
      Im März 2012, aktuellere Daten liegen nicht vor, war fast die Hälfte (635.000) der erwerbstätigen Leistungsberechtigten ausschließlich geringfügig beschäftigt. 43 Prozent (566.000) waren sozialversicherungspflichtig beschäftigt – davon ca. drei Fünftel in Vollzeit und zwei Fünftel in Teilzeit.
      Quelle: Bundesagentur für Arbeit

      Anmerkung WL: Das Jobwunder verblasst. Tut die Regierung irgendetwas dagegen, dass über zweieinhalb Millionen der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten so wenig verdienen, dass sie zusätzlich einen geringfügig entlohnten Nebenjob ausüben müssen? Tut sie etwas für existenzsichernde Löhne? Im Osten Deutschlands ist inzwischen jedes dritte Beschäftigungsverhältnis im Niedriglohnsektor.
      Und statt nur den geringsten Gedanken über den Konjunkturabschwung zu verschwenden verlangt der Wirtschaftsrat der CDU wieder einmal mehr „die Senkung der Lohnzusatzkosten, das Zurückholden der Vorfälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge und die Reform der Hinzuverdienstregelungen“, d.h. weitere Lohnsenkungen und mehr Niedriglöhne.

  2. Europa wird deutsch
    Um aus der Krise herauszufinden, setzt die Euro-Zone neuerdings hemmungslos auf Export und die Förderung der Industrie. Das Problem: Genau das versuchen die anderen Staaten in Amerika und Asien auch.
    Dies ist der Kern der Anti-Krisenstrategie. Während Euro-Rettungsschirm, Anleihekäufe der Zentralbank und Sparprogramme nur die Investoren an den Finanzmärkten beruhigen sollen, führt der Weg zur Stabilität über Wirtschaftswachstum per Export. Die Euro-Zone ändert ihr Geschäftsmodell – und als Vorbild dient dabei weniger Irland als vielmehr der Exportgigant Deutschland.
    Um ihre Position auf dem Weltmarkt zu stärken, setzen insbesondere die Krisenstaaten der Euro-Zone auf den Lohn. Er soll sinken, um die Produktion zu verbilligen. Das funktioniert über drei Hebel, erklärt Christoph Weil von der Commerzbank. Zum einen haben Rezession und hohe Arbeitslosigkeit die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften geschwächt. Zum anderen haben viele Peripherieländer die Löhne der öffentlich Beschäftigten gekürzt. Und schließlich sorgen Arbeitsmarktreformen, Streichung von Feiertagen, Kürzung des Mindestlohns und andere Maßnahmen für Lohndruck…
    Die Euro-Zone, die früher eine mehr oder weniger ausgeglichene Leistungsbilanz hatte, wird zum globalen Netto-Exporteur…
    In den ersten acht Monaten des laufenden Jahres legten die Ausfuhren der Euro-Zone um neun Prozent zu, die Einfuhren nur um zwei Prozent. Der Überschuss steigt, im Handel erzielte die Währungsunion ein Plus von 47 Milliarden Euro. Im Vorjahreszeitraum fiel noch ein Defizit von 27 Milliarden an.
    Treiber der Entwicklung ist bislang die Rezession im Süden Europas, die die Importe drückt.
    Quelle: FR
  3. Folgen der Austeritätspolitik
    1. Paukenschlag in Spanien: reale Einzelhandelsumsätze mit -12,6%
      Das spanische Statistikamt INE berichtet über die Daten zu den realen Einzelhandelsumsätzen für den Monat September 2012, unmittelbar nach der kräftigen Mehrwertsteuererhöhung von 18% auf 21%. Wie es nicht anders zu erwarten war, feuert diese Erhöhung der Mehrwertsteuer die Abwärtsbewegung prozyklisch an, weiter werden die volkswirtschaftlichen Schäden mit voller Kraft maximiert. Die realen Einzelhandelsumsätze brachen im September 2012 mit der monatlich höchsten Rate seit Beginn der Datenreihe im Januar 1995 ein, mit satten -12,6% zum Vorjahresmonat…
      Ein Wahnsinn pur und dieselbe Rosskur wie in Griechenland, nur das die volkswirtschaftlichen Folgen der spanischen Brachialkur, das Grab für die Eurozone und für die gemeinsame Währung werden könnte, denn neben dem Einkommen, dem Konsum, stirbt auch die Investition und in Folge auch die erzielte Wertschöpfung. Arbeitslosigkeit und Kreditausfälle explodieren hingegen und die Kreditausfälle in ihrer angefeuerten Schärfe destabilisieren unnötig das gesamte spanische Bankensystem! Auf Grund der immensen Bilanzsumme des spanischen Bankensystems ist dieses unrettbar!
      Quelle: Querschüsse
    2. Wird Spanien von Angela Merkel regiert?
      Ausschnitt aus der spanischen Reportagesendung “Salvados” mit Jordi Évole. Der bekannte Journalist interviewt Rafael Poch, den Deutschlandkorrespondenten der Zeitung “La Vanguardia” zum Thema Angela Merkel, dem Image Spaniens in Deutschland und der deutschen Eigenwahrnehmung.
      Quelle: YouTube
    3. Die Mär von den nordischen Sparern und den südlichen Verschwendern
      Die Entstehung der Eurokrise ist wesentlich auf die divergierenden Inflationsraten der Mitgliedsländer zurückzuführen. In den Schuldnerländern waren die Inflationsraten überdurchschnittlich, in Gläubigerländern wie Deutschland und Finnland waren sie unterdurchschnittlich…
      Man kann die Entstehung der Eurokrise also auch ohne Rückgriff auf obskure ethnologische Hypothesen einer nordischen Völkern eigenen eisernen Spardisziplin und eines südländischen Völkern eigenen leichtsinnigen Verschwendungstriebs erklären. Es stimmten schlicht die ökonomischen Verhaltensanreize nicht. Und dafür, dass dies so war, trägt hauptsächlich die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank die Verantwortung…
      Es spricht deshalb also einiges dafür, dass sich das Problem divergierender Lohnstückkosten nur durch eine Angleichung der Inflationsraten der Mitgliedsländer der Währungsunion lösen lässt. Die Europäische Zentralbank muss deshalb ihr Verständnis einer “einheitlichen Geld- und Währungspolitik” ändern: An die Stelle “einheitlicher Refinanzierungsbedingungen” für die Geschäftsbanken muss sie “einheitliche Inflationsraten” in den Mitgliedsländern setzen…
      Quelle: Ökonomenstimme
    4. Kampf um den Euro
      Griechenland, Frankreich, Italien und Spanien
      Vor den Suppenküchen in Athen bilden sich lange Schlangen, prügelnde Rechtsradikale jagen in griechischen Dörfern nach Sündenböcken. Beinahe täglich erschüttern Demonstrationen und Proteste das Land. Die Wiege der Demokratie versinkt in Gewalt und Anarchie. Auch in anderen europäischen Ländern spitzt sich die Situation zu.
      Die Dokumentation “Kampf um den Euro” schildert, wie sich die Krise im Laufe des Jahres 2012 entwickelt hat. Die Autoren waren wochenlang unterwegs in Griechenland, Frankreich, Italien und Spanien. Sie zeigen, dass die kleinen Leute die Zeche zahlen für die schwerste Krise Europas in der Nachkriegszeit, fragen, wie es soweit kommen konnte und wer dafür verantwortlich ist.
      Quelle: ZDF: Zeit
    5. The Crisis of Finance-dominated Capitalism in the Euro Area, Deficiencies in the Economic Policy Architecture, and Deflationary Stagnation Policies
      In this paper the euro crisis is interpreted as the latest episode in the crisis of finance-dominated capitalism. For 11 initial Euro area countries, the major features of finance-dominated capitalism are analyzed; specifically, the increasing inequality of income distribution and the rising imbalances of current accounts. Against this background, the euro crisis and the economic policy reactions of European governments and institutions are examined. It is shown that deflationary stagnation policies have prevailed since 2010, resulting in massive real GDP losses; some improvement in the price competitiveness of the crisis countries but considerable and persistent current account imbalances; reductions in government deficit–to-GDP ratios but continuously rising trends in gross government debt–to-GDP ratios; a risk of further recession for the euro area as a whole—and the increasing threat of the euro’s ultimate collapse. Therefore, an alternative macroeconomic policy approach tackling the basic contradictions of finance-dominated capitalism and the deficiencies of European economic policy institutions and strategies—in particular, the lack of (1) an institution convincingly guaranteeing public debt and (2) a stable and sustainable financing mechanism for acceptable current account imbalances—is outlined.
      Quelle: Levy Economics Institute
  4. Weniger Geld für mehr Europa
    Die EU streitet schon wieder ums Geld. Diesmal geht es allerdings nicht um neue Hilfen für die Eurokrisenländer, sondern um das Gemeinschaftsbudget für die Jahre 2014 bis 2020. Die EU-Kommission hatte vorgeschlagen, insgesamt 1.083 Milliarden Euro für den nächsten Finanzrahmen einzuplanen. Das entspricht zwar nur 1,11 Prozent der Wirtschaftsleistung der EU, echte Impulse lassen sich damit kaum geben. Doch das geht den Nettozahlern, darunter Deutschland, schon viel zu weit. Sie fordern, das Budget bei exakt einem Prozent oder 960 Milliarden Euro einzufrieren. Kanzlerin Angela Merkel begibt sich damit in einen Widerspruch. Sie fordert lautstark “mehr Europa”, doch mehr Geld will sie dafür nicht hinlegen. Auch Eigenmittel, etwa über EU-Steuern, lehnt Merkel ab. Berlin will mitten in der Eurokrise keine neue Steuern und auch keine Mehrausgaben verantworten. Ganz ähnlich argumentieren Briten und Dänen. Sie wollen der EU höchstens 890 Milliarden Euro zugestehen und drohen mit einem Veto, falls das Budget höher ausfallen sollte. Damit könnten sie den Budget-Sondergipfel Ende November torpedieren, fürchtet man in Berlin. Merkel soll sogar schon damit gedroht haben, den Gipfel platzen zu lassen, falls es bei der britischen Vetoankündigung bleibe. Unterstützung bekommt die EU-Kommission dagegen aus dem Europaparlament und von den Nettoempfängern. Polen und die baltischen Staaten fordern, die Regionalförderung ungeschoren zu lassen, schließlich müssten sie noch zum Westen aufschließen. Das EU-Parlament sorgt sich vor allem die Forschung und den Wachstumspakt. Der war zwar erst im Juni beschlossen worden, um den Eurokrisenländern zu helfen und die Konjunktur zu stützen. Doch das dafür vorgesehene Geld könnte den nun geplanten Kürzungen zum Opfer fallen. Selbst so erfolgreiche und bewährte Programme wie Erasmus stehen auf der Kippe.
    Quelle: taz

    Anmerkung Orlando Pascheit: Soviel zu den Wachstumspaketen für die europäische Peripherie. Was unsere “Europapolitiker” in ihrer Erweiterungseuphorie nicht bedacht haben, ist der Umstand, dass mit jedem neuen Mitgliedsstaat das BIP der EU ansteigt und damit der Beitrag der Länder für den Gemeinschaftshaushalt steigt.  Dies trifft vor allem die Nettozahler, die sich heute am meisten gegen den neuen Haushaltsvorschlag wehren. Der Kommissionsvorschlag von 1,11 des EU-BIP trägt dieser Entwicklung eigentlich bereits Rechnung. In den 90ern betrug der EU-Haushalt 1,27 Prozent des BIP.

  5. 6 Top Economists Explain Which President Is More Likely to Speed the Next Financial Crisis
    Five out of six say Romney is a worse bet on crisis-avoidance. But Obama has big challenges to address if re-elected.
    Quelle: AlterNet
  6. Wegen Verkaufs fauler Kredite – US-Regierung verklagt Bank of America
    Die US-Regierung hat die Bank of America wegen Hypothekenbetrugs auf mehr als eine Milliarde Dollar (rund 772 Millionen Euro) verklagt. Die Vorwürfe richten sich gegen die Hypothekenbank Countrywide Financial, die im Juli 2008 von Bank of America übernommen wurde.
    Das Finanzinstitut soll nach Angaben der Staatsanwaltschaft zwischen 2007 und 2009 Hypothekendarlehen ausgegeben haben, ohne sich vorher zu vergewissern, ob die Kunden sich die Kredite leisten konnten. Countrywide soll die Darlehen anschließend an die Hypothekenriesen Fannie Mae und Freddie Mac verkauft haben, die dann bei Kreditausfall für die Verluste aufkommen mussten. Fannie Mae und Freddie Mac mussten später mit Milliardenbeträgen von der US-Regierung gerettet werden.
    Quelle: Tagesschau

    Anmerkung WL: Warum nehmen sich eigentlich bei uns die Staatsanwälte nicht den Vorgängen um die Pleite etwa der IKB und der staatlichen Rettung durch die bundeseigene KfW an. Es ist doch bekannt, dass private Banken, wie etwa die Münchner Rück der IKB ihre faulen Risikopapiere verkauften und dadurch die Verluste der IKB erhöhten.

  7. Geldvermögensbildung und Finanzierung in Deutschland im zweiten Quartal 2012
    Das Geldvermögen der privaten Haushalte ist im 2. Quartal 2012 auf 4 811 Mrd € am Quartalsende gestiegen. Mit 9 Mrd € bzw. einem Zuwachs von 0,2% fiel der Anstieg gegenüber dem Vorquartal aber nur gering aus, weil erhebliche Kursverluste an den Kapitalmärkten in Höhe von rund 30 Mrd € zu Buche schlugen. Insgesamt setzte sich in einem Umfeld sehr niedriger Zinsen der Trend zu liquiden Einlagen fort. Bei den nichtfinanziellen Kapitalgesellschaften überwog die Außenfinanzierung (um gut 27 Mrd €) die Geldvermögensbildung (rund 14 Mrd €).
    Quelle: Deutsche Bundesbank

    Anmerkung JB: Zur Aussagekraft solcher Vermögensstatistiken haben die NachDenkSeiten schon häufiger kritisch Stellung genommen. Als Beispiel sei hier der Artikel “Häufig gestellte Fragen: Was hat es mit der Spreizung der Vermögensschere und der Steigerung der Kapitaleinkommen auf sich?” genannte, der sich auch auf die jüngsten Zahlen der Bundesbank übertragen lässt. Bemerkenswert bei der aktuellen Statistik sind vor allem die stagnierenden Kreditvergaben an die Realwirtschaft. Hier zeigt sich eine vor allem in Deutschland bislang noch viel zu wenig diskutierter Kollateralschaden der allgegenwärtigen Kürzungspolitik. Ohne zusätzliche Impulse vom Staat werden die Unternehmen aufgrund der weggebrochenen Nachfrage es nicht schaffen, die notwendigen Investitionen zu tätigen, um die Konjunktur wieder auf den Wachstumspfad zu bringen.

  8. Schwere Vorwürfe gegen KKH Allianz
    Eine der größten gesetzlichen Krankenkassen Deutschlands, die KKH Allianz, hat schwer kranke und damit besonders teure Versicherte dazu aufgefordert, zu kündigen. Dies geht aus internen Telefonprotokollen hervor, die Frontal21 vorliegen.
    Quelle: ZDF frontal21
  9. Datenmissbrauch
    1. Bundesregierung will Auskunft über IP-Adressen neu regeln
      Das Bundeskabinett hat sich am Mittwoch auf einen Gesetzentwurf geeinigt, der die Auskunft über Bestandsdaten wie Name oder Anschrift von Inhabern eines Telekommunikationsanschlusses auf eine neue Rechtsgrundlage stellen will. Erstmals sollen davon ausdrücklich auch dynamische IP-Adressen erfasst sein. Es wird klargestellt, dass Provider die Netzkennungen den Inhabern von Internetzugängen automatisiert zuordnen dürfen – was einen Eingriff ins Fernmeldegeheimnis bedeutet – und die entsprechenden Informationen im sogenannten manuellen Auskunftsverfahren an Sicherheitsbehörden herausgeben müssen.
      Im heise online vorliegenden Entwurf wird betont, dass die Auskunftspflicht auch für Daten wie PIN-Codes und Passwörter gilt, mit denen der Zugriff auf Endgeräte oder damit verknüpfte Speichereinrichtungen geschützt wird. Dies könnte sich etwa auf Mailboxen oder in der Cloud vorgehaltene Informationen beziehen.
      Telecom-Anbieter müssen die erwünschten Daten “unverzüglich und vollständig übermitteln”. Über derlei Maßnahmen haben sie gegenüber ihren Kunden sowie Dritten Stillschweigen zu wahren. Provider, die über 100.000 Kunden haben, müssen für die Abwicklung der Anfragen zudem “eine gesicherte elektronische Schnittstelle” bereithalten. Dabei sei dafür Sorge zu tragen, dass jedes Auskunftsverlangen durch eine verantwortliche Fachkraft formal geprüft werde.
      Quelle: Telepolis
    2. Telefonica will mit Kundendaten Geld verdienen
      Der Mobilfunkkonzern Telefonica möchte offenbar personenbezogene Daten seiner Kunden stärker für kommerzielle Zwecke nutzen. So wurde Anfang Oktober in London die Abteilung Telefonica Dynamic Insights aus der Taufe gehoben, die für Aufbereitung und Analyse der Informationen zuständig ist
      Quelle: heise online
  10. Bildungsmobilität – In der Schule nach unten durchgereicht
    Jörg Dräger, Bildungsexperte der Bertelsmann-Stiftung, erklärte, die Schule müsse viel mehr Wert auf die individuelle Förderung der Schüler legen: „Auf Abschulungen und Klassenwiederholungen kann man dann weitgehend verzichten.“ Peter Meidinger vom Deutschen Philologenverband erklärte hingegen, 30 Prozent der Hauptschüler würden erst nach dem Hauptschulabschluss noch die Mittlere Reife erwerben und über ein Drittel der Realschüler über berufliche Schulen oder den Einstieg in gymnasiale Oberstufen noch das Abitur: „Nicht jeder Wechsel in eine angeblich niederere Schulart ist ein Abstieg.“
    Quelle 1: Tagesspiegel
    Quelle 2: Zur Bertelsmann Studie

    Anmerkung Steffen Roski: Wieder einmal wirft die Bertelsmann Stiftung eine Nebelkerze, in deren Dunst sich die Bertelsmann AG startklar macht. Ein Medien- und Dienstleistungsriese wie das Gütersloher Imperium weiß nur zu genau, wie sich “individuelle Förderung” vermarkten lässt. Professoren und Ministerialbürokratie gehen den Bertelsmännern erneut auf den Leim und schmücken sich medienwirksam mit progressiven Etiketten, während im Hintergrund der Rubel in die ost-westfälische Provinz rollt. So weit sind wir in der Bertelsmann Republik Deutschland (Thomas Schuler) gekommen: Ein Medienkonzern definiert, was “individuelle Förderung” heißen soll und liefert dann auch gleich die geeigneten Bildungskonzepte und Materialien frei Haus. Politik, Wissenschaft, Verwaltung und Gesellschaft spenden brav Beifall und nehmen nicht wahr, wie ein hohes Gut, die Bildung nämlich, einem Konzern zum Fraß vorgeworfen wird.

  11. „Schulnoten gehören abgeschafft“
    Eine Gruppe von überwiegend jungen Autoren kritisiert das deutsche Bildungssystem. „Was bildet ihr uns ein?“ fragen sie in ihrem Buch und fordern eine Bildungsrevolution. Zu lange sei an der deutschen Bildung nur herum gedoktert worden – jetzt sei der Moment gekommen, das System grundlegend neu zu ordnen. Ein Gespräch mit der Bildungsforscherin und Co-Autorin des Buches, Susanne Czaja, über fehlende soziale Durchlässigkeit an deutschen Schulen und veraltete Lernmethoden.
    Quelle: FR
  12. Testwahn: Anti-demokratisch
    A new report from the National Education Policy Center concludes that the concept of local control has all but disappeared from discussions of education policy. The authors define local control as “the power of communities, made up of individuals bound together by common geography, resources, problems, and interests, to collectively determine the policies that govern their lives.” In education, this has typically been elected school boards and their constituents. However, NCLB and subsequent federal policy has forced a surrender of local control, with localities accountable to state and federal officials. Local discretion is allowed for compliance, but constraints because of mandates are enormous. In this way, the authors find NCLB and its progeny, including policies advanced by the Obama administration, are fundamentally anti-democratic. The Race to the Top in particular promises federal funds for expanded testing, use of student outcomes in teacher evaluations, and expansion of charter schools. To remedy this anti-democratic trend, the authors recommend moving away from threats to withhold funding, supplanting these with a participatory model that offers support and incentives for school employees, parents, and community members to collaborate on resolving educational problems. States and local communities should adopt curriculum standards “that include a conscious and substantive focus on developing the deliberative skill required of democratic citizenship.” The privatization of public education resources must also be curtailed.
    Quelle: National Education Policy Center

    Anmerkung G.L.: Testwahn untergräbt Demokratie
    Der massenweise Einsatz von Tests zwingt unser Bildungssystem unter eine anti-demokratische Kontrolle, schließt das National Education Policy Center aus einer Studie über die Einflüsse, die das Schulleben in den USA heute bestimmen. Bei der Jagd auf den Gipfel der Testwerte bleibt die Fähigkeit zum Abwägen auf der Strecke, die für das demokratische Zusammenleben unverzichtbar ist.
    Bald auch bei uns? Oder schon längst auch bei uns?

  13. Albrecht von Lucke: Peer Steinbrück und die Nulloption
    Sollte sich also letztlich nur der Wahlkampf von 2009 wiederholen? Gewiss, Zyniker stehen ohnehin längst auf dem Standpunkt, dass ihnen ganz egal ist, welcher SPD-Politiker dieses Mal nicht Kanzler werden wird. Das aber ist und bleibt eine regelrecht absurde Situation. Denn mit Ausnahme der Momentaufnahme von 2009 verfügen die sogenannten bürgerlichen Parteien, Union und FDP, seit 1998 über keine eigene Mehrheit mehr. Und in der Tat gab es wohl nie zuvor eine schwächere Regierungskoalition als diese: mit einer CSU, die alle Kräfte auf Bayern konzentriert und dafür bereits präventiv ihre ohnehin nicht besonders starke Verbraucherministerin aus Berlin abzieht, und einer FDP, deren Noch-Vorsitzender sich fast schon kindisch renitent verhält, um bloß irgendwie aufzufallen. Und selbst die vermeintliche Überkanzlerin entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als bloße Scheinriesin. Denn Angela Merkel ist stets nur so stark, wie ihre Opposition schwach ist – und das nun schon seit Jahren. Und dennoch spricht, trotz dieser eigentlich glänzenden Ausgangslage für die Opposition, nichts für eine wirkliche Alternative. Aus einem banalen Grund: weil sich die SPD einer linken Koalition auf breiter Basis, unter Zusammenarbeit mit der Linkspartei, seit Jahren verweigert.
    Quelle: Blätter für deutsche und internationale Politik

    Ergebnisse zur Ordnungsmäßigkeit der Offenlegung der Vortragstätigkeiten von Herrn Peer Steinbrück
    Quelle: SPD [PDF – 286 KB]

    Anmerkung WL: Dass Steinbrück seine Einkünfte nach geltendem Recht (weitgehend) korrekt angegeben hat, wurde von niemand in Zweifel gezogen, insofern geht die einleitende Rechtfertigung im Bericht der Wirtschaftsprüfer am eigentlichen Thema vorbei. Dass die Honorare ordnungsgemäß versteuert wurden, sollte man von einem in der Öffentlichkeit stehenden Politiker annehmen.
    Ziemlich merkwürdig, jedenfalls für einen Sozialdemokraten, mutet an, aus welchen Anlässen und für welches Publikum Steinbrück als „Celebrity Speaker“ eingeladen wurde: Es sind vor allem Banken und Sparkassen, Unternehmer- und Arbeitgeberverbände, Wirtschaftsberatungsgesellschaften, spezifische Unternehmensbranchen wie Logistigverbände oder die Automatenunternehmer, Investoren- oder Finanzforen usw.

    Man könnte natürlich sagen, warum sollte bei solchen Veranstaltern ein Sozialdemokrat nicht seinen „Marktwert“ absahnen, sind diese doch selber schuld, wenn sie sich mit Steinbrück schmücken wollen. Sozialdemokratische Wähler könnten sich hingegen fragen, warum zahlen solche Kreise bis zu 25.000 Euro für einen einzigen Auftritt, für die ein Arbeitnehmer ein halbes Jahr oder noch viel länger arbeiten muss? Das machen die doch nicht, um sich von Steinbrück die Leviten lesen zu lassen oder weil sie mal etwas über die Folgen der Umverteilung von unten nach oben hören wollen oder weil er dort in Steuerzahlers Namen die Banker für die staatliche Bankenrettung zur Kasse bittet. Müssen nicht gerade sozialdemokratische Wählerinnen und Wähler skeptisch reagieren, wenn gerade die Banker Steinbrück zum Millionär machen, also gerade die, die doch alle in die Finanzkrise hineingeritten haben und die nachträglich die Nutznießer der Rettungspolitik auf Steuerzahlers Kosten sind?
    Setzt etwa Steinbrück gegenüber seinen Wählern darauf, dass sie einfach vergessen haben, wie er sich für die Finanzwirtschaft stark gemacht und für eine weitgehende Deregulierung der Finanzmärkte sorgte?

    Warum sich Steinbrück von solchen Interessengruppen fürstlich entlohnen ließ, wird nicht dadurch erklärt, dass man das offenlegt.

    Natürlich schmeichelt sich ein Veranstalter selbst, wenn er einen Promi als Festredner gewinnt, aber natürlich erwartet er auch ein paar lobende Worte für den Veranstalter und das geladene Publikum bei solchen Vorträgen. Und vor allem erwartet er, dass der anwesende „Celebrity Speaker“ artig der Selbstdarstellung des Veranstalters zuhört und Verständnis für deren Anliegen und Interessen gewinnt. Und es geht natürlich um „net-working“, d.h. ganz konkret, dass man mal anrufen kann oder einen Gesprächstermin bekommt, wenn man ein Problem mit politischen Überlegungen hat. Steinbrück war auch zu dieser Zeit ein führender SPD-Mann, von dem man sich Einfluss auf seine Partei erwarten darf und der auch nach seiner Abwahl als Finanzminister noch gute Kontakte zu den Schaltstellen der Macht hat.
    Und schließlich haben vor allem die Banker allen Grund, Steinbrück nachträglich seine Rettungstaten zu vergolden. Dass sie allein ihm gegenüber, nicht aber gegenüber dem gebeutelten Fiskus ihre Großzügigkeit erweisen, kann doch nur strategische Gründe haben.

    Diejenigen, die ihn als Redner engagiert haben, haben ja richtig gewettet, schließlich ist Steinbrück Kanzlerkandidat der SPD geworden und da hat man jemand, den man ansprechen kann (und an den schönen Vortrag und das großzügige Honorar erinnern kann), wenn das Wahlprogramm der Sozialdemokraten aus dem Ruder zu laufen drohen sollte. Sollte Steinbrück je in die Verlegenheit kommen sein Papier zur Bankenregulierung umsetzen zu müssen, dann haben diese Kreise, dank der auf solchen Veranstaltungen geknüpften Kontakte die Möglichkeit gewonnen, ihn persönlich anzusprechen, ihm Gegenargumente zu liefern und mit sonstigen Mitteln Überzeugungsarbeit in ihrem Interesse zu leisten.
    Kurz: Diese Einladungen und die Honorare sind nichts anderes als eine Form des Lobbyismus (und dazu noch eine relativ billige, gemessen an der Bezahlung eigener Lobby-Büros und Verbandsvertretern).
    Die Honorare für Steinbrück sind sicherlich im Einklang mit den „Verhaltensregeln für Mitglieder des Deutschen Bundestages“, doch sie belegen gleichzeitig, wie offen diese und auch neue Verhaltensregeln für bezahlte Einflussnahme auf Politiker und die Politik, also für das sind, was man „politische Korruption“ der Eliten nennt.

    Die bloße Forderung nach Transparenz geht am eigentlichen Thema vorbei bzw. Transparenz ist ein hilfloses Instrument. Von daher ist auch der Coup von Steinbrück, durch seine Offenlegung die noch viel größeren Absahner aus anderen Parteien in die Defensive zu bringen, nur ein Ablenkungsmanöver vor dem grundsätzlichen Problem der Käuflichkeit von Politikern.

    Im Übrigen stellt sich natürlich die Frage, ob Steinbrück mit seiner aussichtslosen Kanzlerkandidatur nicht nur seinen „Marktwert“ als Celebrity Speaker steigern will.
    Denn als Kanzler müsste er ja erhebliche Einkommenseinbußen hinnehmen.

    Siehe dazu auch: Wer bezahlt eigentlich?
    Ein Beispiel, wie sich frühere Sozialdemokraten, etwa Gustav Heinemann, in Gelddingen verhalten haben.

  14. Die Länder Nordafrikas verdanken ihre Revolutionen wesentlich den USA: Obamas Genie
    Das unverblümte Sprechen in den von Wikileaks ins Netz gestellten Memoranden der Diplomaten über die kleptokratischen und autokratischen Regime offenbarte den zynischen Pragmatismus, auf dem die amerikanische Unterstützung der Diktatoren in Nordafrika basierte. Aber konnte das überraschen? Das dem gesamten außenpolitischen Establishment gemeinsame Dilemma um 2000 herum war doch längst bekannt: Sie wussten, dass der Status mit Mubarak und Ben Ali nicht mehr zu halten. Überzeugt davon, dass die politische Stabilität in Gefahr war, versuchte schon die Bush-Administration die verschiedenen arabischen und nordafrikanischen Regierungen in Zugzwang zu bringen: Demokratisiert euch oder ihr riskiert euren Untergang. Und die Obama-Administration? Sie teilt die Einschätzung ihrer Vorgänger, verfolgt jedoch eine andere Strategie. Obamas Genie besteht darin, den Regimewechsel nie direkt zu betreiben. In seiner Kairo-Rede 2009 sagte er: „Kein Regierungssystem kann oder sollte einem Land von irgendeinem anderen Land aufgezwungen werden.“…
    Obama hält ein Blatt mit lauter Unbekannten in den Händen. Seine Strategie seit 2009: weg vom Druck auf die Regime und den Diskussionen über die Bedingungen von ausländischer Hilfe, hin zu einer ehrlich gemeinten Unterstützung der heimischen NGOs und des wirtschaftlichen Wachstums in Nordafrika. Präsident Obama legt den Schwerpunkt auf das Unternehmertum in der Welt der muslimischen Mehrheiten. In den vergangenen vier Jahren wurden in Nordafrika rund 300 Millionen Dollar in Organisationen der Zivilgesellschaft investiert. Zusätzlich fokussierte die Obama-Administration auf das „Global Entrepreneurship Program“ und den „Presidential Summit on Entrepreneurship in the Muslim World“, veranstaltet 2010 in Washington. Diese Initiativen basieren auf der Überzeugung: ohne Bourgeoisie keine Demokratie…
    Quelle: taz

    Anmerkung Orlando Pascheit: Die Titelung dieses Artikels ist gewiss übertrieben und Jonathan Laurence müsste eigentlich wissen, dass die Revolution in Libyen oder Ägypten nicht von einer amerikanischen Mittelstandsförderung ausging. Obschon die Mittelschicht speziell in Ägypten eine entscheidenden Rolle für die Bewegung bildet. Aber die Analyse von Laurence könnte dazu beitragen, die US-Außenpolitik unter Obama differenzierter zu betrachten, mit dem eine gehörige Portion Realismus in die amerikanische Außenpolitik Einzug hielt. Häufig wird Obama vorgeworfen, er habe sich in der Palästinafrage einseitig auf die Seite Israels gestellt, er habe nicht die grüne Bewegung im Iran unterstützt und sich zu wenig für arabische Revolution eingesetzt, letztlich bedauere er bzw. die USA gar den Abgang Mubaraks als verlässlichen Bündnispartner. Aber diese Ansichten gründen oft in einem schlichten Antiamerikanismus, der im Machtstreben der USA die Wurzel allen Übels in dieser Welt sieht und andere, die diese Gesinnung nicht teilen, ignorieren oder gar verachten. Diese Sichtweise traut letztlich den USA zu, sie könnten, wenn sie nur wollten, z.B. die Situation Nahen Osten befrieden. Dass die USA dies nicht täten, läge also daran, dass sie nicht wollten. Dieser Antiamerikanismus ist nicht in der Lage zu erkennen, dass die direkten Einflussmöglichkeiten der USA nicht nur im Nahen Osten gering geworden sind. Ein Beispiel: Unterstellen wir einmal, dass die USA im Irak einen Krieg um das dortige Erdöl geführt haben, so muss doch sehr verwundern, dass die Förderrechte vor allem an die Chinesen gingen. Auch die Vorgänge in Ägypten belehren uns, dass eine zu deutliche Hilfestellung/Einflussnahme der USA bzw. des Westens überhaupt für die revolutionären Kräfte eher kontraproduktiv gewesen wäre und ist. Nein, die USA unter Obama haben gelernt, dass weder großspurige öffentliche Erklärungen noch direkte Interventionen in dieser Region eine Systemänderung bewirken können. Amerikanische Außenpolitik unter Obama setzt weder auf altmodische CIA-Methoden, an die anscheinend noch Mitt Romney glaubt, noch auf die Methode Bush. Die Klugheit gebietet, im Rahmen des Möglichen zu bleiben, d.h. Außenpolitik wird kleinteiliger, herunter gebrochen auf ein menschliches Maß, in dem unmittelbare menschliche Bedürfnisse angesprochen werden. Erst dann kann man über Ideen diskutieren wie Demokratie, Rechtsstaat, Menschenrechte, über die rechte Gesinnung. Obama ist nicht genial, aber klug. Klugheit als Formgrund aller Tugenden: “Omnis virtus moralis debet esse prudens” (alle Tugend ist notwendig klug) schrieb bereits Thomas von Aquin (1225 – 1274). Dies allen, die meinen, allein die rechte Gesinnung wie z.B. der Wille zu Gerechtigkeit reiche.

  15. Der “Long War” gegen den Terrorismus wird permanent
    Für die nächsten Jahre wird im Weißen Haus als Ersatz für “kill lists” eine “Dispositionsmatrix” für die weltweite Jagd auf verdächtige Militante entwickelt … Offenbar scheint man im Weißen Haus und in den USA von dieser Strategie überzeugt zu sein, bei der die USA nicht direkt und erkennbar mit Truppen als interventionistische Supermacht auftritt, dafür aber als selbst ernannte Nemesis, um vermeintliche Feinde heimlich in einem scheinlegalen Gewand weltweit zu jagen und zu töten … Romney hat sich mit keinem Wort gegen diese Praxis gewandt, während Obama die letzten beiden Jahre im Geheimen, wie die Washington Post berichtet, einen neuen Plan ausgearbeitet, Terroristen zu identifizieren und zu töten. … Nach der Zeitung wurde von dem Antiterrorberater des Weißen Hauses, John O. Brennan, ein Ex-CIA-Direktor, eine “disposition matrix” erstellt, die die bislang verwendeten “kill lists” ablösen soll. In der neuen Datenbank werden die Namen der Terrorverdächtigen mit den Anschuldigungen und Beweisen, mit allen verfügbaren Informationen wie Aufenthaltsorten, Freunden und Netzwerken zusammen mit den jeweils verfügbaren Ressourcen und Zeitplänen für ihre Tötung eingetragen, da man nicht mehr nur auf bewaffnete Drohnen setzt und so weltweit schnell reagieren kann, wenn Verdächtige gesichtet werden. Im Weißen Haus scheint man davon auszugehen, dass solche Tötungsoperationen mindestens noch ein Jahrzehnt fortgesetzt werden.
    Quelle: Telepolis
  16. Deutscher Einsatz in Mali: Merkel und Westerwelle marschieren voran
    Politik ist manchmal ganz einfach. Die Bundesregierung, namentlich die Kanzlerin und ihr Außenminister, machen sich für eine militärische Hilfsmission im westafrikanischen Mali stark. Keine Kampfeinheiten, aber deutsche Ausbilder, Generalstäbler und Logistiker sollen helfen, wenn die Regierung in Mali mit breiter Unterstützung von Afrikanischer Union über EU bis zum UN-Sicherheitsrat versucht, den Norden ihres Landes aus der Hand islamistischer Rebellen zurückzuerobern. Die amtliche Begründung für den Eifer lautet, man könne nicht zulassen, dass in Sichtweite Europas ein Rückzugsort für Terrorbomber entstehe. Deutschland wird also demnächst auch in der Sahara verteidigt.
    In der Sache ist das nicht ganz falsch. Auffällig ist nur, dass Angela Merkel und Guido Westerwelle die Mitwirkung an einer EU-Hilfstruppe schon so gut wie zusagen, bevor die überhaupt ins Planungsstadium eingetreten ist. So eifrig vorweg marschiert die Regierung normalerweise nicht. Man erinnert sich noch gut, wie sie gar nicht mit marschieren wollte, als es in Libyen gegen den Diktator ging. Aber vielleicht ist Politik ja wirklich so einfach: Derart auf dem falschen Pazifistenfuß erwischen lassen wollen sich Merkel und Westerwelle kein zweites Mal.
    Quelle: Tagesspiegel

    Anmerkung Orlando Pascheit: Man muss nicht Pazifist sein, um zu beklagen, mit welcher Beliebigkeit, ohne jedwedes langfristiges Konzept die Koalition unter Merkel deutsche Militäreinsätze verneint bzw. bejaht. Sicherlich hat sich Frau Merkel etwas gedacht, nur was? Mit dem Nein zu  Libyen hoffte sie in Erinnerung an Schröders Nein zum Irakkrieg bei den inländischen Wähler zu punkten. Man mag kaum glauben, dass es so schlicht gewesen sein sollte. Ansonsten kann man nur rätseln, warum Merkel diesen absehbaren, militärisch Erfolg ausschlug. Ihre Haltung  brachte nichts außer zerschlagenem Porzellan bei den Nato-Partnern, den Staaten der Arabellion und sogar den Unmut innerhalb der eigenen Partei. Dessen Eingedenk musste man leider erwarten, dass Frau Merkel beim nächsten Militäreinsatz fast als erste dabei sein würde. Was für ein Glück, dass das Ziel Mali heißt und nicht Syrien. Dennoch bleibt die Sache hoch problematisch. Ein wenig außen vor bleibt, dass Deutschland bereits früher Fahrzeuge, Material und Geräte an Mali lieferte und ein Ausbildungszentrum für Pioniere baute. 2009/ 2010 trainierten deutsche Soldaten  außerdem Ausbilder der Armee des westafrikanischen Landes. Viel gebracht hat es wohl nicht. Und was geschieht, wenn die Afrikanische Union sich nicht entschließen kann, afrikanische Soldaten zu entsenden. Werden dann deutsche Soldaten entsandt? Das wird nicht so “leicht” wie in Libyen, denn die Soldaten erwartet ein reiner Guerillakrieg.

  17. Eine Afghanistan-Bilanz in Zeiten des NATO-Teilabzugs
    Angesichts dieser Gesamtsituation haben afghanische Parlamentarier die Milizen als „eine Hauptgefahr für die Sicherheit Afghanistans“ bezeichnet.
    Das bestätigt die Feststellung der renommierten norwegischen Afghanistan-Expertin Astri Suhrke, dass Afghanistan nach 2014 vor allem aus „schwachen Institutionen und einer Menge bewaffneter Männer“ bestehen werde. Das sind Zutaten für einen neuen Bürgerkrieg. Der kann nur abgewendet werden, wenn die afghanische Regierung und ihre westlichen Unterstützer hinreichend öffentlichen Druck bekommen, Reformen in Afghanistan durchzusetzen, die dazu führen, dass Karzais Leute aufhören, sich die Taschen und Konten zu füllen und stattdessen für die Bevölkerung zu arbeiten. Denn bisher sieht die Bilanz nicht gerade beeindruckend aus: Nach Ausgaben in Höhe von 45 Milliarden US-Dollar (die Zusagen lagen noch um ein Viertel höher) und fast elf Jahren Truppeneinsatz steht Afghanistan auf dem Multidimensionalen Armutsindex der UNO nur leicht verbessert immer noch auf Platz 96 unter 105 Entwicklungsländern und, Gender-bereinigt (also die immer noch eklatante Benachteiligung der Frauen in Afghanistan in den Entwicklungsindex einbezogen) sogar auf dem vorletzten Platz. Von 25,5 Millionen Afghanen sind laut Afghanischem Statistikamt 7,4 Millionen unterernährt und weitere 8,5 Millionen an der Grenze dazu.
    Quelle: Das Blättchen


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