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Titel: Die Überschüsse der Bundesagentur für Arbeit – Das Prinzip „Fördern und Fordern“ wird ausgehebelt

Datum: 19. September 2006 um 13:07 Uhr
Rubrik: Bundesagentur für Arbeit, Hartz-Gesetze/Bürgergeld
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Die Aktive Arbeitsmarktpolitik ist der einzige Bereich, in dem die BA seit Jahren Überschüsse „erwirtschaftet“. Die BA konzentriert sich bewusst auf Maßnahmen kurzer Dauer und auf die Vermittlung der marktnahen Arbeitslosen. Bei den „Betreuungskunden“ wird das Grundprinzip des Sozialgesetzbuches III und der Hartz-Reform, das Fördern und Fordern, ausgehebelt; sie werden mit dem Makel langzeitarbeitslos an die Arbeitsgemeinschaften weitergereicht, wo die Vermittlungschancen ohnehin schlechter sind – und die BA (nicht die Arbeitsagenturen) kündet von Überschüssen und Erfolgen.
Das ergibt eine Analyse eines unserer Leser, der ein ausgewiesener Arbeitsmarktexperte ist.

Die Überschüsse der Bundesagentur für Arbeit – ein gezieltes Missverständnis

In der Arbeitsmarktpolitik beherrschen derzeit die Überschüsse der Bundesagentur für Arbeit (BA) die öffentliche Diskussion. Ursprünglich war für dieses Jahr mit einem positiven Saldo von 1,8 Mrd. € gerechnet worden. Im 1. Halbjahr waren es schon 3,6 Mrd. €. Jetzt kündigt die BA für das Gesamtjahr 8,8 bis 9,6 Mrd. € an.

Nach Auffassung des Vorstandes der BA machen das vor allem ´die Steuerung der Ausgaben nach Wirkung und Wirtschaftlichkeit sowie ein spürbarer Rückgang der Zahl der Arbeitslosenmeldungen´möglich. Die BA erbringe damit den Nachweis, ´dass ein Träger einer Sozialversicherung wirtschaftlich und erfolgreich arbeiten kann´ (Finanzbericht für das 2. Quartal 2006, Pressemitteilung vom 24. 08. 06),

Tatsächlich haben die Hartz-Reformen der BA und den Arbeitsagenturen bessere Organisations- und Entscheidungsstrukturen verschafft, mit denen sich die Chancen einer Konjunkturbelebung wirksamer nutzen lassen. Dennoch überzeichnen die Überschüsse der BA die positiven Effekte des besseren Konjunkturverlaufs und die Erfolge der Arbeitsmarktpolitik erheblich.

  1. Das reale Wirtschaftswachstum von rd. 2% in diesem Jahr reicht für eine grundlegende Entlastung des Arbeitsmarktes nicht aus. Zudem wird im Kommenden Jahr nur noch mit einer Rate von rd. 1% gerechnet. Bisher haben arbeitsmarktpolitische Maßnahmen wie gemeinnützige Arbeitsgelegenheiten für Arbeitslosengeld II–Bezieher zu einem wesentlichen Teil den Rückgang der Arbeitslosenzahlen bewirkt (HWWI). Der Konjunkturverlauf gibt keinen Anlass, die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zusätzlich zu senken, zumal die BA von den bereits beschlossenen Senkungen etwa die Hälfte – das sind 7 bis 8 Mrd. € – erwirtschaften muss.
  2. In der Diskussion über die Beitragshöhe ist ferner zu beachten, dass der BA in diesem Jahr einmalige Sondereinnahmen von über 3 Mrd. € zufließen, weil die Unternehmen die Versicherungsbeiträge früher als bisher und daher in diesem Jahr für 13 statt für 12 Monate überweisen müssen. Dieser Effekt wurde bei der Aufstellung des Haushalts unterschätzt.
    Zudem sind die Bruttolöhne und somit die Pro-Kopf-Beiträge etwas stärker als erwartet gestiegen und haben ebenfalls zum Überschuss auf der Einnahmenseite beigetragen. Auch das hat wenig mit der Konjunktur oder der Effizienz der BA zu tun.
  3. Der größte Teil des Überschusses entsteht auf der Ausgabenseite der BA. Die Ist-Ausgaben werden voraussichtlich um 4,5 bis über 5 Mrd. € hinter den Planwerten zurückbleiben. Insbesondere bei den Minderausgaben im Bereich des Arbeitslosengeldes und der Aussteuerungszahlungen wirkt nach Auffassung des Vorstandes ´zusätzlich zur Konjunktur die Steuerung der BA´, die darauf ausgerichtet sei, Langzeitarbeitslosigkeit zu vermeiden (Pressemitteilung vom 24. 08. 06).

    Hier fehlen Informationen darüber, inwieweit die Minderausgaben beim Aussteuerungsbetrag dadurch zustande kommen, dass von den Arbeitslosen, deren Anspruch auf Arbeitslosengeld I ausläuft, eine größere als die erwartete Zahl kein Arbeitslosengeld II erhält, weil die Bedürftigkeit fehlt. In diesen Fällen muss die BA keinen Aussteuerungsbetrag zahlen. Beim Arbeitslosengeld sagt die BA nicht, wie groß der Teil der Minderausgaben ist, der auf die verschärften Zumutbarkeits- und Sanktionsregeln zurückgeht.

Gleichwohl trifft es zu, dass die BA bei den Ausgaben größere Steuerungsmöglichkeiten hat und diesen Spielraum konsequent ausschöpft. Mit welcher Zielrichtung und auf welche Weise das geschieht, wird erst deutlich, wenn der dritte große Ausgabenblock, die Ermessensmittel für die Aktive Arbeitsmarktpolitik, ins Blickfeld gerückt wird (was die BA möglichst unterlässt).

Das Sozialgesetzbuch III beschreibt die aktive Arbeitsmarktpolitik als gezielte, maßgeschneiderte Hilfen für Arbeitslose, um ihnen die Integration in den ersten Arbeitsmarkt zu erleichtern. Dafür steht der BA ein reichhaltiges Instrumentarium zur Verfügung, das von der beruflichen Qualifizierung über Einkommenszuschüsse bis zur Förderung benachteiligter Auszubildender Geht. Einen besonderen Stellenwert hat die Weiterbildung.

Die (Ermessens-) Mittel für die aktive Arbeitsmarktspolitik sind in den letzten Jahren drastisch gekürzt worden. Die BA hat das nicht nur hingenommen, sondern darüber hinaus seit 2002 von den immer knapper werdenden Mitteln durchschnittlich mehr als 1 Mrd. € pro Jahr nicht ausgegeben. Die Aktive Arbeitsmarktpolitik ist der einzige Bereich, in dem die BA seit Jahren Überschüsse ´erwirtschaftet´. Die Begründung des Vorstandes war und ist, man könne nicht die gesamten Haushaltsmittel wirklich wirksam einsetzen.

Das sagt der Vorstand trotz Massenarbeitslosigkeit und mit dem Wissen, dass

  • der größere Teil der Arbeitslosen nicht oder unzureichend ausgebildet ist; das beklagt der Bundeswirtschaftsminister öffentlich,
  • die Zahl der Arbeitsplätze für Geringqualifizierte Jahr für Jahr zurückgeht,
  • die deutsche Wirtschaft schon jetzt, zu Beginn des Konjunkturaufschwungs, über den Mangel an qualifizierten Arbeitskräften klagt und darin eine Konjunkturbremse sieht (so der Bundesverband der mittelständischen Wirtschaft); das war bei jedem Konjunkturaufschwung so und also vorhersehbar,
  • europäische Länder, in denen die Lage am Arbeitsmarkt besser ist als in der Bundesrepublik, intensiv aktive Arbeitsmarktpolitik betreiben und dabei vor allem die Weiterbildung unterstützen.

Von der BA wird nicht erwartet, dass sie in die Verhaltensweisen der 80er und 90er Jahre zurückfällt, wo die Erfolgskontrolle bei Maßnahmen der Aktiven Arbeitsmarktpolitik unterentwickelt war. Jetzt bewegt sich die BA im anderen Extrem.

Wohin die BA steuert, lässt sich mit zwei Zahlen verdeutlichen: Sie hat im 1. Halbjahr 2006 schon über 30% der Mittel für Ermessensleistungen ´eingespart´. Gleichzeitig haben nach einer internen Erhebung der BA 70% der Bedarfskunden – das sind die Arbeitslosen, die nach Einschätzung der Arbeitsagenturen Hilfen brauchen – 6 Monate nach Beginn der Arbeitslosigkeit noch keine Unterstützung erhalten. Auch der BA ist bekannt, dass Hilfen dann am wirksamsten sind, wenn sie sofort geleistet werden, dass 6 Monate im Abseits für die vernachlässigten Bedarfskunden verheerende Folgen haben. Hinzu kommt, dass dieser vernachlässigte Personenkreis schnell den Zeitpunkt erreicht, ab dem sich aus der Sicht der BA Hilfen nicht mehr rechnen, weil nach 12 Monaten der Übergang in das Arbeitslosengeld II ansteht und die Aussteuerungszahlungen dann ohnehin fällig werden.

Das heißt, die BA konzentriert sich bewusst auf Maßnahmen kurzer Dauer und die Vermittlung der marktnahen Arbeitslosen. Bei den Betreuungskunden wird das Grundprinzip des Sozialgesetzbuches III und der Hartz-Reform, das Fördern und Fordern, ausgehebelt; sie werden mit dem Makel langzeitarbeitslos an die Arbeitsgemeinschaften weitergereicht, wo die Vermittlungschancen ohnehin schlechter sind – und die BA (nicht die Arbeitsagenturen) kündet von Überschüssen und Erfolgen.


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