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Titel: Was sagt uns das Patent-Ranking der „World Intellectual Property Organisation“?

Datum: 19. Oktober 2006 um 16:45 Uhr
Rubrik: Ökonomie, Wichtige Wirtschaftsdaten
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Die Ukraine hat mehr als doppelt so viele einheimische Patentanmeldungen wie Frankreich, Schweden und fast doppelt so viele wie Großbritannien. Indien weit abgeschlagen.
Die Statistik zeigt die enormen Anstrengungen der Ukraine im Bereich der Technologie, so könnte man – sinngemäß übertragen – meinen, wenn man den folgenden Text bei Joachim Jahnke liest:
„China überholt Deutschland bei einheimischen Patentanmeldungen“

Und weiter Jahnke: „Der neue Bericht der World Intellectual Property Organisation, eine UN Agentur, stellt u.a. die Reihenfolge fest, in der bei nationalen Patentämter Patente von Residenten dieser Länder angemeldet wurden. Hier hat China im Jahre 2004 Deutschland überholen können (Abb. 13096). Die Statistik zeigt die enormen Anstrengungen Chinas im Bereich der Technologie. So melden chinesische Universitäten inzwischen so viele Patente an wie amerikanische.“

AM: Was der Autor leider nicht schreibt: In Deutschland zum Beispiel melden Universitäten bis heute ihre Forschungsergebnisse höchst selten als Patente an, im Gegenteil es war – im Gegensatz zur Industrieforschung – geradezu die Pflicht der Wissenschaftler, ihre Forschungsergebnisse zu veröffentlichen und der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen. Erst im Zuge der Kommerzialisierung wächst auch bei uns die Neigung zur Patentanmeldung, d.h. zur kommerziellen Verwertung des generierten Wissens. In den USA mit seinen überwiegend privaten Forschungs-Hochschulen hat die kommerzielle Verwertung und damit die Patentierung von neuem Wissen eine völlig andere Tradition. Länder wie Japan und jetzt eben auch China haben sich den amerikanischen Gepflogenheiten angepasst. Das erklärt auch heute noch einen Teil der Unterschiede.

Die Zahl der Patente sagt auch ziemlich wenig aus über die Bedeutung des geschützten geistigen Eigentums. In Deutschland legen die Patentämter traditionell ziemlich scharfe Kriterien an und es ist ein langwieriger und teurer Prozess, bis ein Patent anerkannt wird.

Im Übrigen ist es ziemlich trivial, dass große Länder absolut betrachtet höhere Patentanmeldungen haben als kleine Länder. Dass in der Schweiz oder in Schweden oder in Dänemark weniger Patente angemeldet werden als in Deutschland, ist doch wohl einsehbar. Wie man am Vergleich dieser vier Länder sieht, sagt diese Differenz noch nichts über die wirtschaftliche Entwicklung und Stärke dieser Länder und noch weniger über den Wohlstand ihrer Völker.

Es sei auch noch der Hinweis erlaubt, dass Japans stürmische Entwicklung vor einigen Jahrzehnten nicht von eigenen Patenten abhing, sondern von einer gut organisierten Verwertung der Erkenntnis anderer.

Auch sollte die Tatsache, dass das ansonsten zum zweiten „Angstgegner“ erklärte Indien in der von Jahnke zitierten Statistik weit abgeschlagen am Ende rangiert, bei der Bewertung dieser Statistik schon ein bisschen nachdenklich stimmen.

Mit diesem Hinweis soll nicht bestritten werden, dass China sich in Forschung und Technologie anstrengt. Und das ist auch gut so. Wichtiger als Patentanmeldungen ist aber die Umsetzung und die Verwertung von Patenten im wirtschaftlichen Produktionsprozess.

Die UN-Organisation täte besser daran, statt Patentanmeldungen aufzulisten, darauf zu achten, dass Patente gerade auch in China geschützt werden.

Und gerade diese Verwertung wird durch Patentanmeldungen häufig be- oder gar verhindert. Z.B. hält die Pharmaindustrie zahlreiche Patente über Wirkstoffe, die durchaus heilsame Wirkungen hätten, die aber zur kommerziellen Verwertung als nicht rentabel gelten. Ein anderes Beispiel für eine unheilvolle Entwicklung ist etwa die Patentierung von Saatgut, die verhindern soll, dass Bauern in Entwicklungsländern (nach alter Tradition und kostenfrei) ihr eigenes Saatgut nutzen.


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