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Titel: Panik-Attacken

Datum: 6. September 2013 um 13:56 Uhr
Rubrik: Medienkritik, Steuern und Abgaben, Ungleichheit, Armut, Reichtum
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Die Steuererhöhungspläne von SPD und Grünen sind unzumutbar, weil nicht nur Spitzenverdiener zur Kasse gebeten werden, sondern auch der Mittelstand belastet wird! So tönt es inzwischen landauf, landab. Nun hat sich auch die ZEIT in die Phalanx der Panikmacher und auf breitflächige Attacke getrimmten Kritiker eingereiht. Von Günther Wierichs [*]

Vor dem TV-Duell zwischen Merkel und Steinbrück am vergangenen Sonntag ließ Giovanni di Lorenzo in der Hamburger Wochenzeitung verlauten: „Wenn die SPD in einer rot-grünen Regierung an die Macht käme, dann würde es für etliche Bürger teurer: Sie will den Spitzensteuersatz für Alleinstehende mit einem Jahreseinkommen ab 100.000 Euro auf 49 Prozent erhöhen, die Abgeltungsteuer für Kapitalerträge kräftig anheben, auf 32 Prozent, (…).“ (Steinbrücks letzte Patrone, in: DIE ZEIT v. 29.8.2013)

Unzumutbare Belastung?

Unterziehen wir den von Giovanni di Lorenzo ins Spiel gebrachten Gutverdiener einmal einer näheren Betrachtung. Zunächst gilt es, den Begriff „Jahreseinkommen“ zu präzisieren. Hiermit ist nicht das Bruttoeinkommen gemeint, sondern das zu versteuernde Einkommen. Es ergibt sich bei Angestellten im Prinzip dadurch, dass man vom Bruttoeinkommen die Werbungskosten (Aufwendungen zur Sicherstellung des Einkommens, zum Beispiel Fahrtkosten zur Arbeitsstelle), Sonderausgaben (zum Beispiel Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung oder Spenden) und außergewöhnliche Belastungen wie Krankheitskosten oder Unterstützung bedürftiger Angehöriger abzieht. Das Bruttoeinkommen liegt also deutlich über dem zu versteuernden Jahreseinkommen – wie hoch, hängt von den steuerlichen Gegebenheiten der jeweiligen Person ab, beziehungsweise von seiner Cleverness zur Ausnutzung von „Steuertipps“, sprich: Steuervermeidungsstrategien. Setzt man einen für alle Steuerpflichtigen geltenden Durchschnittswert für die genannten Abzüge an, landet man in unserem Beispiel bei etwa 106.000 Euro Bruttoeinkommen. (Aufgrund der Komplexität und Intransparenz unseres Steuersystems sowie der gerade in Kreisen von Besserverdienenden grassierenden Lust an der Steuervermeidung ist jedoch von einem höheren Wert auszugehen.)

Aber legen wir ruhig einmal die 106.000 Euro zugrunde. Dann erhalten wir ein monatliches Bruttogehalt von mehr als 8.800 Euro. Davon bleiben bei einem ledigen Angestellten nach Abzug von Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträgen ca. 5.000 Euro netto übrig.

Wie hoch ist nun die aufgrund der SPD-Steuerpläne zu erwartende Mehrbelastung für diesen Arbeitnehmer? Hierzu hat das Karl-Bräuer-Institut des Bundes der Steuerzahler eine Berechnung präsentiert, aus der sich bei einem zu versteuernden Einkommen von 100.000 Euro ein zusätzlicher Steuerbetrag von 1.329 Euro pro Jahr, also 110 Euro im Monat, ergibt. (Jedoch ist hier Vorsicht geboten, denn schließlich gehört der Bund der Steuerzahlen von je her zu den schärfsten Steuererhöhungs-Kritikern.) Trotzdem – auch wenn man diese Zahl als korrekt und nicht nach oben gepusht akzeptiert, beträgt die Mehrbelastung in Prozent des Netto- gehaltes lediglich 2,2 Prozent*.

Unzumutbar? Das muss jeder Betroffene für sich entscheiden. Die Frage ist aber, ob wir eine Gesellschaft wollen, in der sich Arm und Reich immer weiter voneinander entfernen und der Staat systematischen Raubbau an seinem Steuereinnahmenpotenzial betreibt (und damit zunehmend Gestaltungsspielräume für Bildung, Infrastruktur und Sozialpolitik preis gibt), oder ob man eine – in Prozent des Nettoeinkommens gerechnet – geringe Abgabe aufzubringen bereit ist, um endlich einmal beiden Trends entgegenzuwirken. Denn was die SPD vorhat, ist letztendlich ja nur die geringfügige Korrektur einer Entwicklung, die sich in den letzten Jahren im Zeitgeist neoliberalen Denkens vollzogen hat: Auf breiter Front wurden Steuern gesenkt; allein der Einkommensteuer-Spitzensatz fiel von (heute unter Steuersenkungsfetischisten undenkbaren) 53 Prozent im Jahr 1999 auf die inzwischen gültigen 42 Prozent (Ausnahme ist die so genannte „Reichensteuer“ von 45 Prozent ab einem zu versteuernden Einkommen von 250.000 Euro für Ledige beziehungsweise 500.000 Euro für steuerlich zusammen veranlagte Ehepartner).

Steuersubvention für Kapitalerträge

Kommen wir zum zweiten Punkt, den Giovanni di Lorenzo in seinem ZEIT-Artikel angesprochen hat – der Kapitalertragsteuer. Seit 2008 gilt hier für alle Kapitalerträge, also Zinsen, Dividenden und Kursgewinne, ein „Abgeltungsteuerabzug“ von 25 Prozent (zuzüglich Solidaritätszuschlag und gegebenenfalls Kirchensteuer). Diesen nimmt die Hausbank eines Kunden bei der Gutschrift von Zinsen und Dividenden und bei der Realisierung von Kursgewinnen vor, sobald der Freistellungsauftrag des Kunden (801 Euro/Ledige, 1.602 Euro/steuerlich zusammen veranlagte Ehepartner) überschritten wird. Der Charme für Gutbetuchte: Die Besteuerung ist mit diesen 25 Prozent grundsätzlich „abgegolten“. Wer einen geringeren Einkommensteuersatz als 25 Prozent hat, kann sich die Differenz zwischen dem Abzug und seiner individuellen Steuerschuld auf Kapitalerträge vom Finanzamt zurückholen; Steuerpflichtige mit einem höheren Satz müssen nichts nachversteuern.

Nun erdreistet sich die SPD, die 25 Prozent auf 32 Prozent anheben zu wollen. Das macht vor allem die Inhaber hoher Finanzvermögen nervös. Die Deutschen haben inzwischen ein Geldvermögen von annähernd 5.000 Milliarden Euro angehäuft. Trotz der aktuellen Niedrigzinsphase wird auf diese Summe immer noch ein erklecklicher Zuwachs realisiert. Allein im ersten Quartal 2013 stiegen die Geldvermögen um 52 Milliarden Euro, also 1,1 Prozent. Wird dieses Niveau bis Ende des Jahres gehalten, ergibt sich eine Jahresverzinsung von mehr als 4 Prozent.

Ziehen wir nun wieder unseren Gutverdiener hinzu. Es ist durchaus plausibel, wenn man unterstellt, dass dieser über ein Geldvermögen in Höhe von 100.000 Euro verfügt. Bei einer Jahresverzinsung von 4 Prozent hat er also Kapitalerträge von 4.000 Euro und somit als Lediger 4.000 – 801 = 3.199 Euro [**] 25 Prozent = 800 Euro an Abgeltungsteuer zu zahlen. Hinzu kommen noch der Solidaritätszuschlag sowie gegebenenfalls die Kirchensteuer. Sollten nun die SPD-Pläne Wirklichkeit werden, würde die Belastung auf einen Abgeltungsteuerbetrag von 1.024 Euro steigen. Das sind 19 Euro pro Monat mehr. Dabei geht die SPD ja längst nicht so weit, eine Gleichbesteuerung von Kapitaleinkünften und allen andern Einkünften einzufordern. Läge diese vor, würde die Belastung für unser Mitglied im Club der Spitzensteuersatz-Betroffenen knapp 1.344 Euro (bei einer Mehrbelastung von 45 Euro monatlich) ausmachen.

Unserem fiktiven Zeitgenossen werden also voraussichtlich, sollten SPD und Grüne die Wahl gewinnen, unter Berücksichtigung seines Arbeitsverdienstes und seiner Kapitaleinkünfte insgesamt etwa 130 Euro in der Haushaltskasse fehlen. Wenn man die ZEIT übrigens weiter durchblättert, stößt man auf Anzeigen von Anbietern renommierter Markenartikel aus dem gehobenen Preissegment: Prada, Fay, Mercedes S-Klasse. Für diese Unternehmen sind Steuererhöhungen bei Besserverdienern pures Gift – dann dürfte sich nämlich die Anschaffung des nächsten Dufflecoat oder der nächsten S-Klasse ein wenig verzögern. Oder beide Güter werden durch ein preisgünstigeres Modell ersetzt.


Anmerkung JB: Der Vollständigkeit halber sei jedoch auch erwähnt, dass der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel bereits jetzt schon wieder Steuersenkungen ins Spiel bringt. Da fragt man sich doch, wie glaubwürdig die Pläne für potentielle Steuererhöhungen eigentlich sind. Von einer flankierenden – und dringend notwendigen – Rücknahme der rot-grünen Senkung der Unternehmenssteuern und hier vor allem die Rücknahme der Steuerbefreiung von Veräußerungsgewinnen beim Verkauf von Unternehmen und Unternehmensteilen wollen übrigens weder SPD noch Grüne etwas wissen.


[«*] Günter Wierichs (* 1955) studierte Wirtschafts- und Sozialwissenschaften und promovierte zum Dr. rer. pol. Er arbeitet als Fachleiter am Zentrum für schulpraktische Lehrerausbildung in Düsseldorf und ist Autor mehrerer Lehrbücher, eines Bank- und Börsenlexikons sowie zahlreicher Aufsätze zu wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Themen.

[«**] 110 Euro Mehrbelastung auf ein unterstelltes Nettogehalt von 5.000 Euro, also (110 : 5.000) * 100 = 2,2 %.


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