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Titel: Hinweise des Tages

Datum: 6. November 2013 um 8:52 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
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Hier finden Sie einen Überblick über interessante Beiträge aus anderen Medien und Veröffentlichungen. Wenn Sie auf “weiterlesen” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (OP/WL/JB)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Orwell 2.0
  2. Deutscher Exportwahn
  3. Koalitionsverhandlungen
  4. EU-Kommission: Wachstum fällt erneut schlechter aus, als prognostiziert
  5. Attac: Freihandelsabkommen TTIP: radikaler Angriff auf soziale, ökologische und rechtliche Standards
  6. Fragen an den Autor – Ulrike Herrmann „Der Siege des Kapitals“
  7. Moderne Sklaverei – Unfreies Europa
  8. Berufswechsel: Allzu oft geht`s abwärts
  9. Reinhard Bispink: Den Tarifvertrag stärken
  10. Niedriglohnland USA: Fastfood-Ketten als Profiteure des “Wohlfahrtsstaats”
  11. Umstrittenes Koalitionsprojekt: Die Mietpreisbremse hilft nur den Reichen
  12. Infrastruktur: Gemeinden fehlt das Geld
  13. Reform der EU-Agrarpolitik: Untergepflügt von der Bauernlobby
  14. Studie: Eine halbe Million Menschen starb infolge des Irak-Kriegs
  15. Sheriff von Eisenhüttenstadt
  16. Die Politik von Chinas Umstellung
  17. Kein Wunder an der Weichsel

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Orwell 2.0
    1. Revealed: Britain’s ‘secret listening post in the heart of Berlin’
      Claims that GCHQ has maintained spying operations even after US pulled out.
      Concerns were raised tonight that Britain operates a top-secret listening post from its Berlin embassy to eavesdrop on the seat of German power.
      Documents leaked by the US National Security Agency whistleblower Edward Snowden show that GCHQ is, together with the US and other key partners, operating a network of electronic spy posts from diplomatic buildings around the world, which intercept data in host nations.
      An American intercept “nest” on top of its embassy in Berlin – less than 150 metres from Britain’s own diplomatic mission – is believed to have been shut down last week as the US scrambled to limit the damage from revelations that it listened to mobile phone calls made by Chancellor Angela Merkel.
      But the NSA documents, in conjunction with aerial photographs and information about past spying activities in Germany, suggest that Britain is operating its own covert listening station within a stone’s throw of the Bundestag, Germany’s parliament, and Ms Merkel’s offices in the Chancellery, using hi-tech equipment housed on the embassy roof.
      Quelle: The Independent.uk.
    2. Bündnistreue geht vor Asyl
      In der Debatte um eine mögliche Aufnahme des früheren US-Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden in Deutschland sieht die Bundesregierung keinen Grund, Möglichkeiten oder Voraussetzungen dafür abermals zu prüfen. Bereits im Juli seien Auswärtiges Amt und Bundesinnenministerium zu der Auffassung gelangt, „dass die Voraussetzungen für eine Aufnahme nicht vorliegen“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag.
      Seibert ließ auch durchblicken, dass in dieser Angelegenheit für die Bundesregierung Bündnisinteressen und das weitere Verhältnis zu den USA im Vordergrund stehen. Kein Land habe so von dieser Partnerschaft profitiert wie Deutschland. „Das wird auch bei allen Entscheidungen in Zukunft die Bundeskanzlerin leiten.“
      Seibert reagierte damit auf einen Vorstoß des Vorsitzenden der Linkspartei, Bernd Riexinger. Er hatte gesagt, wenn die Regierung den Enthüller der NSA-Affäre nicht aufnehmen wolle, dann müsse man Druck ausüben. „Im Bundestag ist der politische Wille klar“, erklärte Riexinger. „Da steht es 320:311 für eine Aufnahme Snowdens. Drei von vier Parteien sind dafür…
      Quelle: Frankfurter Rundschau

      dazu: Mister Snowden, Bleiben Sie besser, wo Sie sind!
      Sehr geehrter Mister Snowden,
      Sie haben Großartiges geleistet! Sie haben Machenschaften aufgedeckt, die von enormer Bedeutung sind. Dafür sind Sie nach Russland geflohen, Sie mussten das, weil Ihr Leben sonst in Gefahr gewesen wäre. Bevor Sie sich jetzt aber Gedanken darüber machen, ob und in welcher Weise Sie eine Aussage zur deutschen Variante des NSA-Skandals machen, empfehle ich Ihnen, sich mit der Glaubwürdigkeit der Deutschen auseinanderzusetzen. […]
      Sie sind hier nicht sicher, Mister Snowden! Sie haben es mit Politikern zu tun, die bereit sind, alles für die sogenannte „Freundschaft“ mit den USA zu tun. Vielleicht hat Christian Ströbele Ihnen gegenüber erwähnt, was er hier bei uns nach seiner Reise zu Ihnen im Fernsehen gesagt hat. Er sprach von einem „politischen Willen“ seitens der Deutschen. Und er sagte, dass man „Mut“ brauche, auch gegenüber dem „Thron des amerikanischen Präsidenten.“
      Ich fürchte, dass es davon hier zu wenig gibt. Das erhöht Ihr Risiko um ein Vielfaches. Darum lege ich Ihnen nahe, genau zu prüfen, was zu tun Sie gedenken. Im Zweifel bleiben Sie lieber in Sicherheit und machen von dort aus Ihre Aussage. Sie haben bisher schon einen sehr hohen Preis gezahlt, das reicht bis an Ihr Lebensende.
      Quelle: Der Spiegelfechter

    3. Big Data zwischen Sicherheitsinteressen und Wirtschaftsinteressen
      Viele unserer Grundrechte werden billigend verletzt.
      Hier nur eine kleine Auswahl:
      Artikel 2, Absatz 1: “Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.”
      Artikel 5, Absatz 1: “Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.”
      Artikel 10, Absatz 1: “Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich.”
      Artikel 13, Absatz 1: “Die Wohnung ist unverletzlich.”
      Artikel 13, Absatz 2: “Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden.”
      Die Unschuldsvermutung wird in diesen Zeiten der Allgemeinüberwachung mit Füssen getreten, anlasslos wird das Verhalten aller Menschen verdatet und berechnet…
      Die ewig propagierte Verschlüsselung der Kommunikation oder der Ausstieg aus Facebook, Google und Co. wären das falsche Signal. Politik hat zu liefern und die Grundrechte der Bürger zu schützen. Wenn Friedrich die Verantwortung für die Sicherheit der eigenen Privatsphäre auf den Bürger abwälzt, kann das nur bedeuten, dass der Staat die Privatsphäre nicht mehr schützen will oder kann, vielleicht, weil das Wissen des Staates über die Geheimnisse seiner Bürger Teil eines vermeintlichen Sicherheitsprogramms ist.
      Quelle: Gegenblende
  2. Deutscher Exportwahn
    1. EU tadelt den Export-Europameister
      Jahrelang wurde Deutschlands Wirtschaft für ihre Exportstärke gefeiert. Nun gelten die Überschüsse plötzlich als Problem. Vorige Woche gab es einen heftigen Rüffel aus Washington. Nun droht die EU-Kommission den Deutschen sogar mit einem Prüfverfahren.
      Quelle: Tagesschau

      Anmerkung RS: Oh, je, Überschüsse seien “plötzlich” ein Problem. Wieder das penetrante deutsche Jammern, wie “der Export-Europameister” für seinen Erfolg bestraft würde. Noch schlimmer sind die Kommentare: so viel wirtschaftliches Unverständnis gekoppelt mit Deutsch-Chauvinismus ist kaum auszuhalten. Immerhin versuchen es einige, aufzuklären. Hier ein Beispiel dafür, wie ein Leser mit einem anschaulichen Gleichnis versucht, das Problem der Dauerüberschüsse zu verdeutlichen:
      „Wenn ich 2 Seen habe, ein See ist Deutschland und der 2. See ist der Rest der Welt. Nun pumpen diese Seen Wasser hin und her. Der erste See (Deutschland) nennen wir in A saugt mehr Wasser an, als er abgibt. Was passiert mit dem 2. See? Na? Der trocknet aus!“
      Die Antwort eines anderen Lesers darauf ist exemplarisch für das Missverständnis der meisten Deutschen:
      „Sie schreiben: “Der erste See (Deutschland) nennen wir in A saugt mehr Wasser an, als er abgibt. Was passiert mit dem 2. See? Na? Der trocknet aus!” Nur wenn er an anderer Stelle keinen Zufluss hat.“
      Der zweite Leser nimmt an, dass es immer einen Zufluss an anderer Stelle geben kann, obwohl der erste Leser den zweiten See als den Rest der Welt definiert hat. Unter diesen Umständen kann der “Zufluss an anderer Stelle” nur von außerhalb kommen. Dumm nur, dass die Welt keinen Zufluss von außen hat – nicht vom Mond, auch nicht vom Mars.
      Das ganze Irrtum der deutschen Exportgläubiger ist, dass die Nachfrage für ihre Produkte einfach vom Himmel fällt.
      Wann dämmert es den Deutschen endlich, dass sie auf dem besten Weg sind, mit ihrer Borniertheit und Arroganz wieder einmal Europa – diesmal zwar nicht militärisch, aber wirtschaftlich – zu zerstören, und damit auch sich selbst.
      Am deutschen Wesen kann die Welt nicht genesen, sondern nur Verzweifeln.

      Ergänzende Anmerkung JB: Im November 2011 hat der ECOFIN-Rat erstaunlicherweise festgestellt, dass es ausgerechnet bei Leistungsbilanzüberschüssen kein Verfahren und keine Sanktionen geben wird. Zuvor gab es unverhohlene Drohungen von Wolfgang Schäuble, die Grenze ansonsten halt höher festzulegen. Deutschland kann also – entgegen der Prognosen der Tagesschau – entspannt bleiben und weiterhin seinem Exportwahn frönen.

    2. Deutschland: Motor eines europäischen Konjunkturaufschwungs?
      Noch immer liegt das reale Bruttoinlandsprodukt der Eurozone um etwa 2% unter dem Wert von 2007, den es eigentlich bei einem „normalen“ Konjunkturverlauf um mehr als 10% übersteigen hätte sollen. Wir befinden uns weiterhin in der Krise, wie nicht zuletzt die besorgniserregenden Arbeitsmarktdaten zeigen: Die Arbeitslosenquote hat sich in der Eurozone von 7% der Erwerbspersonen Anfang 2008 auf 12% nahezu verdoppelt. Die Zahl der Arbeitslosen liegt heute in der Währungsunion um acht Millionen und in der EU um 10,5 Millionen über dem Niveau vor der Krise. Vor allem die südeuropäischen Länder befinden sich in einer Depression, deren Ende nicht absehbar ist…
      2013 dürfte der Saldo der Leistungsbilanz Deutschland den Rekordwert von +7% des BIP erreichen. Ein derartiges Ungleichgewicht hält die Eurozone nicht aus. Vor allem, weil es weniger die Folge raschen Exportwachstums als vor allem Ausdruck eines ausgeprägten Importdefizits ist. Höhere Importe Deutschlands würden den Krisenländer Chancen zum Export bieten und so zur wirtschaftlichen Erholung beitragen; damit würden sie helfen, die Eurozone zu stabilisieren; sie wären aber auch im unmittelbaren Interesse Deutschlands: Materieller Wohlstand entsteht nicht schon bei der Produktion von Exportgütern, sondern erst beim Verbrauch der damit erzielten Einkommen. Derart hohe Leistungsbilanzüberschüsse zeigen, in welch großem Ausmaß das Land unter seinen Verhältnissen lebt…
      Welche wirtschaftspolitischen Möglichkeiten bestünden in Deutschland, den Import auszuweiten, den Überschuss in der Leistungsbilanz zu verringern? Einen vielversprechenden Ansatz bildet erstens die zunehmende Knappheit an Arbeitskräften, die Löhne und Konsum nach oben drückt. Notwendig wäre zweitens eine rasche Ausweitung der Investitionen in die marode öffentliche Infrastruktur und den ökosozialen Umbau der Wirtschaft. Schließlich würde drittens eine Verstärkung der staatlichen Umverteilungsaktivitäten durch Steuern auf hohe Einkommen, Vermögen und den Finanzsektor und den Ausbau von sozialen Dienstleistungen und Transfers zugunsten der unteren und mittleren Einkommensgruppen die Konsumneigung erhöhen.
      Diese und ähnliche Maßnahmen wären in allen Überschussländern angebracht. Zu ihnen zählen neben Deutschland auch Belgien, die Niederlande, Luxemburg und Österreich. Zusammen erbringen sie etwa die Hälfte der Wirtschaftsleistung der Eurozone. Der von einer Ausweitung der Inlandsnachfrage ausgehende expansive Impuls würde den materiellen Wohlstand in diesen Ländern steigern. Er bildet aber auch die notwendige Voraussetzung für eine konjunkturelle Erholung und die wirtschaftliche Stabilisierung in der gesamten Eurozone.
      Quelle: Arbeit & Wirtschaft.at
  3. Koalitionsverhandlungen
    1. Irrglaube ist immer noch alles
      Die Großkoalitionäre in spe haben sich vorsichtig auf ein gemeinsames Programm in Sachen Wirtschaftspolitik geeinigt. Glückliche Gesichter allenthalben. Man fragt sich nur, worüber sich die Damen und Herren von Union und SPD freuen. Über wichtige Themen ist offenbar gar nicht geredet worden. Ganz oben steht die bereits erwähnte Einigung beim Breitbandausbau. Eine Offensive soll es werden und der Bund eine Milliarde jährlich beisteuern. Wenn die Finanzierung steht, kommt noch ein Schleifchen um das Paket und auf das Kärtchen wird dann vielleicht der Name Breitbandbeschleunigungsgesetz geschrieben.
      Superschnelles Internet für den ländlichen Raum. Das klingt nach Aufbruch und Dynamik, nach Aufschwung eben. Über die Konjunkturaussichten scheint aber gar nicht diskutiert worden zu sein, weshalb über allen windigen Beschlüssen auch der Finanzierungsvorbehalt schwebt. Heute kam die EU mit ihrer Herbstprognose heraus und wie erwartet, müssen die optimistischen Zahlen aus dem Frühjahr wieder nach unten korrigiert werden. Zwar sprach EU-Währungskommissar Olli Rehn von einem Wendepunkt, warum auch immer, dennoch wird das Bruttoinlandsprodukt der gesamten Eurozone in diesem Jahr erneut schrumpfen.
      Quelle: André Tautenhahn
    2. Arbeitsgruppe Energie
      Beim Emissionshandel will die EU-Kommission Kohlendioxid-Zertifikate zurückhalten, um durch Verknappung den Preis wieder etwas zu erhöhen. „Wir stimmen der Herausnahme von 900 Millionen Zertifikaten als einmaligen Eingriff in das System zu“, erklärte Kraft das Vorhaben. Voraussetzung sei, dass es keine Nachteile für betroffene Branchen und Industrie-Arbeitsplätze geben werde, so Kraft.
      In Sachen Energieeffizienz soll die Gebäudesanierung weiter vorangebracht werden. Ziel sei es, dass Wirtschaft, Kommunen und Endverbraucher zu mehr Energiesparen angehalten werden. Ein nationaler Aktionsplan Energieeffizienz – mit möglicherweise steuerlichen Förderprogrammen – soll folgen.
      Quelle: SPD (auch mit Audio der Statements von Kraft und Altmaier)

      Anmerkung WL: Man beugt sich also einem Vorschlag der EU-Kommission zu, unter der Voraussetzung, dass es keine Nachteile für die Kohlekraftwerke der Stromproduzenten gibt.
      Und man will wie bisher mit Anreizen arbeiten, aber diese stehen unter Finanzierungsvorbehalt. Der Mitschnitt nach der Sitzung sagt eigentlich alles.

    3. Merkels Missverständnis mit der Maut
      Eigentlich hätte die Kanzlerin im TV-Duell doch einfach sagen können: Seehofers Maut nur für Ausländer finde ich super! Ist ihr aber wohl nicht eingefallen. Stattdessen sagt ihr Sprecher jetzt, die Aussagen der Kanzerin zur Pkw-Maut müsse man “im gesamten Zusammenhang” lesen. Nur klarer werden sie dadurch auch nicht.
      Es ist im Grunde ganz einfach. Mit Angela Merkel wird es keine Pkw-Maut geben. Und wenn es doch mit Merkel eine Maut geben sollte, dann wird es keine solche Maut sein, wie Merkel sie gemeint hat, als sie im TV-Duell sagte: Mit mir wird es keine Maut geben.
      Ist das klar?
      Eine Maut ist nicht einfach eine Maut, sondern eine Maut ist nur dann eine Maut, wenn sie nicht das ist, was es am Ende mit Merkel geben könnte.
      Offenbar reden Kanzlerin und Volk aneinander vorbei. Zu der Maut, die es mit Merkel nicht geben wird, hat sie jetzt ihren Sprecher ausrichten lassen, dass man ihren Satz aus dem TV-Duell im gesamten Zusammenhang lesen müsse.
      Der Sprecher will darauf hinaus, dass Merkel mit der Maut, die mit ihr nicht kommt, nur eine Maut meinte, bei der die deutschen Autofahrer mehr bezahlen. Aber dann hätte sie doch einfach sagen können: Seehofers Maut nur für Ausländer finde ich super! Ist ihr wohl nicht eingefallen.
      Quelle: SZ

      Anmerkung WL: Merke: Wortbruch ist nur, wenn es Politikern einfiele mit der Linkspartei zu kooperieren und einen Politikwechsel einzuleiten.

  4. EU-Kommission: Wachstum fällt erneut schlechter aus, als prognostiziert
    Heute (gestern (WL)) hat der Wirtschaftskommissar der EU-Kommission, Olli Rehn, die Herbstprognose der EU-Kommission vorgestellt. Das Wachstum soll erneut schlechter ausfallen, als zuvor prognostiziert. Wieder einmal werden Europa und die übrige Welt auf die Zukunft vertröstet…
    In ihrer Herbstprognose, fast auf den Tag genau vor einem Jahr, prognostizierte die EU-Kommission für das Jahr 2013 noch 0,4 Prozent Wachstum. In der Winterprognose aus dem Februar 2013 waren es dann bereits nur noch 0,1 Prozent. In der Frühjahrsprognose im Mai waren es schließlich nur noch -0,1 Prozent. Jetzt sollen es in 2013 -0,4 Prozent werden. Damit würde das Minus aus dem Vorjahr von -0,3 Prozent noch unterschritten. Schon 0,4 Prozent, hätte sich die Prognose bewahrheitet, wären völlig ungeeignet gewesen, die Arbeitslosigkeit zu senken.
    Quelle: Wirtschaft und Gesellschaft
  5. Attac: Freihandelsabkommen TTIP: radikaler Angriff auf soziale, ökologische und rechtliche Standards
    Absichtserklärungen von Schwarz-Rot sind reine Lippenbekenntnisse
    Das globalisierungskritische Netzwerk Attac fordert ein Ende der Verhandlungen über das geplante Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den USA (Transatlantic Trade and Investment Partnership / TTIP).
    “Das geplante Freihandelsabkommen ist ein radikaler Angriff auf soziale, ökologische und rechtliche Standards in der EU und in den USA”, sagte Roland Süß vom bundesweiten Attac-Koordinierungskreis. “Es ist absehbar, dass beide Vertragspartner TTIP nutzen werden, um demokratische und soziale Rechte, Klimaschutz und die Kontrolle der Finanzmärkte auf dem jeweils niedrigsten Level zu ‘harmonisieren’. Gegenteilige Absichtserklärungen von Schwarz-Rot sind reine Lippenbekenntnisse.”
    Die zweite TTIP-Verhandlungsrunde ist für kommende Woche in Brüssel geplant. Entgegen anderslautender Stellungnahmen wegen des NSA-Skandals hat sich Schwarz-Rot in den Koalitionsverhandlungen darauf geeinigt, das Abkommen ungebremst voranzutreiben. Das geht aus dem Abschlusspapier der Arbeitsgruppe Wirtschaft von Union und SPD hervor, das der Rheinischen Post vorliegt. In dem Papier, das offenbar am heutigen Dienstag beschlossen werden soll, versichern SPD und CDU, auf die Sicherung insbesondere der Sozial-, Umwelt-, Lebensmittel-, Gesundheits- und Datenschutzstandards sowie der Verbraucherrechte in der EU achten zu wollen.
    Dieses Bekenntnis steht laut Attac in Widerspruch zu dem trotz versuchter Geheimhaltung öffentlich bekannt gewordenen Handelsmandat der EU, das in allen Bereichen von einer “weitestgehenden Liberalisierung” ausgeht. Roland Süß: “Angesichts eines solchen Handelsmandats ist die Versicherung von Schwarz-Rot, Schutzstandards sichern zu wollen, nur als Versuch zu werten, der Öffentlichkeit Sand in die Augen zu streuen.”
    In der zweiten Verhandlungsrunde sollen vor allem Dienstleistungen, Investitionen, Energie und Rohstoffe sowie regulatorische Themen diskutiert werden. Beim Thema Investitionen steht vor allem eine Schiedsgerichtsklausel in der Kritik. Diese räumt Konzernen faktisch ein Sonderklagerecht gegen die EU oder USA ein, wenn sie der Ansicht sind, dass ihre Gewinne durch soziale, ökologische oder Verbraucherschutz-Auflagen geschmälert werden. “Diese Sonderklagerecht ermöglicht Konzernen, demokratische Entscheidungen unterlaufen”, stellte Roland Süß fest. “Das ist ein Skandal: Grundlegende Prinzipien eines demokratischen Rechtsstaats müssen Vorrang vor Profitinteressen von Investoren haben.”
    Scharf kritisierte Attac auch den geheimen Charakter der Verhandlungen und forderte, sämtliche Dokumente offenzulegen.
    Quelle: Saarkurier Online
  6. Fragen an den Autor – Ulrike Herrmann „Der Siege des Kapitals“
    Quelle: SR2
  7. Moderne Sklaverei – Unfreies Europa
    Der Sonderausschuss für Organisiertes Verbrechen, Korruption und Geldwäsche (CRIM) des Europäischen Parlaments hat das Ausmaß dieser Formen der Kriminalität in der EU überprüft. Demnach leben in Deutschland und den anderen EU-Mitgliedsstaaten rund 900.000 Sklavenarbeiter, von denen fast 300.000 sexuell ausgebeutet werden. Allein der Profit durch Menschenhandel soll sich auf 25 Milliarden Euro jährlich belaufen. “Es gibt zu wenig Mittel für die Bekämpfung solcher Kriminalität, weil man viel Aufmerksamkeit auf Kleinstkriminelle verwendet”, sagt der Grünen EU-Abgeordnete Jan Philipp Albrecht. Grundsätzlich ist jeder Bürger aufgefordert, Aufmerksamkeit für die Opfer zu bilden. “Das wäre ein Riesengewinn für die Betroffenen und unsere Zivilgesellschaft.”
    Quelle: Deutschlandradio [Audio – mp3]

    dazu: Sklavenhalter wider Willen
    Vielen von uns ist es wichtig, ein moralisch und sozial integres Leben zu führen. Wenn möglich, kaufen wir Lebensmittel aus regionalem Anbau und achten auf die Herkunft unserer Kleidung. Doch durch unsere moderne Lebensweise sind wir oft ohne unser Wissen mit Formen der modernen Sklaverei verbunden. Ob wir es wollen oder nicht: Für jeden von uns arbeiten Sklaven auf der Welt. Auf der Internetseite Slavery Footprint kann man die Eckpfeiler seiner Lebensweise eingeben, der Rechner spuckt dann aus, wie viele Sklaven dafür arbeiten müssen. Für das Smartphone, für die Klamotten, für die Skiausrüstung. Die Betreiber der Seite fordern vor allem nachhaltigere Kaufentscheidungen. Unser Tagesreporter Christian Schmitt hat den Selbsttest gemacht.
    Quelle: Deutschlandradio [Audio – mp3]

    und: Rund 30 Millionen Menschen leben als Sklaven
    Statistikerin Katharina Schüller überprüft die Zahlen des Global Slavery Index 2013 auf ihre Aussagekraft. Die Walk Free Foundation in Australien hat den ersten globalen Sklaven-Index der Welt veröffentlicht. Mit geschätzten 10.000 “Sklaven” liegt Deutschland in dem Ranking auf Platz 136 von 162 untersuchten Staaten. Ausschlaggebend für die Position im Index ist das Verhältnis von modernen Sklaven zur Gesamtbevölkerung.
    Quelle: Deutschlandradio [Audio – mp3]

  8. Berufswechsel: Allzu oft geht`s abwärts
    Berufswechsel werden mehr und mehr zur Normalität. Das geht aus einer empirischen Studie von Matthias Dütsch, Verena Liebig und Olaf Struck hervor. Die Arbeitswissenschaftler von der Universität Bamberg kommen zu dem Ergebnis, dass die “Bindekraft der Beruflichkeit” in den vergangenen Jahrzehnten abgenommen hat: Beschäftigte müssen häufiger aus ihrem erlernten Beruf wechseln. Zugleich ist ihr sozialer Status unsicherer geworden. Von den Männern, die zwischen 1973 und 1977 auf dem Arbeitsmarkt gestartet sind, wechselten 14 Prozent unmittelbar nach der Ausbildung den Beruf. In der jüngsten untersuchten Kohorte, deren Berufseinstieg in die Jahre zwischen 1998 und 2002 fällt, waren es 20 Prozent. Bei den Frauen stieg der Anteil im gleichen Zeitraum von 9 auf 22 Prozent. Innerhalb von fünf Jahren hatten über die Hälfte der männlichen und 38 Prozent der weiblichen Berufseinsteiger der Jahre 1998 bis 2002 mindestens einen Berufswechsel hinter sich. Das Risiko, im erlernten Beruf sozial abzusteigen, ist im Untersuchungszeitraum um 117 Prozent gestiegen. Dass Beschäftigte den Beruf wechseln und gleichzeitig an Status einbüßen, ist um 41 Prozent wahrscheinlicher geworden. Von den untersuchten Erwerbsphasen in der jüngsten Kohorte war fast jede dritte “statusinadäquat”, also weniger prestigeträchtig als der erlernte Beruf. Insgesamt, so die Forscher, weise “der in zunehmendem Maße nicht gelingende Transfer beruflicher Qualifikationen bei zwischenbetrieblicher Mobilität auf eine sinkende Bindekraft der Beruflichkeit und auf wachsende Risiken des Verlustes berufsfachlicher Qualifikationen hin”.
    Quelle: Böckler Impuls [PDF – 129 KB]
  9. Reinhard Bispink: Den Tarifvertrag stärken
    Trotz zunehmender Beschäftigung und rückläufiger Arbeitslosenzahlen ist der deutsche Arbeitsmarkt in den vergangenen Jahren aus den Fugen geraten. Darauf reagiert die politische Diskussion um eine neue Ordnung auf dem Arbeitsmarkt. Sie konzentriert sich zum einen auf die stärkere Regulierung von Leiharbeit, Werkverträgen und befristeter Beschäftigung, zum anderen auf einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn. All das ist richtig. Ein Mindestlohn reicht aber nicht aus, um angemessene Arbeits- und Einkommensbedingungen in der gesamten Wirtschaft sicherzustellen. Der Anteil der Beschäftigten, die nach Tarifvertrag bezahlt werden, sinkt seit zwei Jahrzehnten. Die Gründe für die Erosion des Tarifsystems sind vielfältig: Sie reichen von Strukturveränderungen auf dem Arbeitsmarkt über schärferen Wettbewerb bis hin zum Rückgang gewerkschaftlicher Organisationsmacht. Erstaunlich ist, dass all dies auch in anderen europäischen Staaten geschieht, unsere Nachbarn jedoch oft über eine wesentlich höhere Tarifbindung verfügen. Eine Ursache dafür ist: In vielen dieser Länder werden die Tarifvertragssysteme vom Staat gestützt. In Ländern wie Frankreich, Belgien oder den Niederlanden sorgt vor allem eine umfangreiche Nutzung der Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) von Tarifverträgen dafür, dass nach wie vor zwischen 80 und 90 Prozent aller Beschäftigten durch Tarifverträge abgesichert sind.
    Quelle: Frankfurter Rundschau

    Anmerkung Orlando Pascheit: Reinhard Bispink verweist auf das mangelnde Interesse vieler Arbeitgeberverbände, ferner auf die restriktive Haltung des Arbeitgeber-Dachverbandes BDA im Tarifausschuss. Vielleicht sollte man hinzufügen, dass die Arbeitgeberverbände selbst ganz wesentlich an Bedeutung verloren haben. Ob dies nun an einem bewussten Akt der Selbstauflösung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände liegt, um auf diese Weise eine Dezentralisierung von Tarifverhandlungen zu erreichen, wie Bernd Brandl von der Universität York (UK) meint, sei dahingestellt. Tatsächlich hatten im Jahr 2010 42 Prozent der Mitgliedsunternehmen wahrlich nicht schwachen Verbandes Gesamtmetall den OT-Status.(Auf diese entfallen allerdings nur 17 Prozent der Beschäftigten). Rudolf Speth von der Universität Kassel verweist darauf, dass größere Unternehmen heute nicht mehr über den Verband, sondern über auf eigene Zugänge, die Politik zu beeinflussen suchen. Aus meinem persönlichen Umfeld weiß ich von einem Unternehmen, das im Gefolge der Finanzkrise – heute wird viel zu schnell verdrängt, dass die Finanzkrise in eine massive Krise der Realwirtschaft mündete – vorsorglich beschloss, aus der Tarifgemeinschaft auszutreten. Es bezahlt derzeit weiterhin Tariflohn und darüber. Wie Bispink empfiehlt auch der Göttinger Arbeitsrechtler Manfred Walser, das Tarifsystem per Gesetz zu stabilisieren, d.h. die Hürden zu senken, die heute einer Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen entgegenstehen.- Diese und andere Aspekte werden in WSI-Mitteilungen Ausgabe 07/2013 untersucht: “Zerfällt die deutsche Arbeitgeberlandschaft?” Eine Zusammenfassung bietet Böckler Impuls: Tarifpolitik: Wenn der Partner verloren geht [PDF – 117 KB]

  10. Niedriglohnland USA: Fastfood-Ketten als Profiteure des “Wohlfahrtsstaats”
    Wo kann ich meine Haare verkaufen, meine Muttermilch, meine Eizellen, meine Nieren? Der Marktplatz Google erschließt Geschäftsmodellen, die den Körper als Warenkorb zur Grundlage haben, neue Möglichkeiten. Suchabfragen “I want to sell my …,” die mit “hair,” “eggs” und “kidney” ergänzt wurden, belegten 2011 über ein halbes Jahr lang die vier ersten Plätze, berichtet Bloomberg. Der Marktanalyst, auf den sich das Finanzmedium dabei bezieht, wertet die Suchanfragen als Hinweis für die finanziellen Sorgen in der amerikanischen Bevölkerung. Die “Erholung” von dieser Wirtschaftskrise verlaufe nicht so wie bei den Krisen zuvor. Am Dienstag hatte ein Bericht der Washington Post über den Niedriglohnsektor in den USA Wellen geschlagen. Es geht darin um Angestellte von Fastfoodketten, deren Entlohnung nicht reicht, um Lebenskosten abzudecken, selbst Vollzeitanstellung. Der Staat müsse jährlich etwa 7,9 Milliarden Dollar hinzuschießen, 1,9 Milliarden für Lohnauffüllung (Earned income tax credit), 1 Milliarde für Lebensmittelmarken und 3,9 Milliarden für die Gesundheitsfürsorge Medicaid und das staatliche Children’s Health Insurance Program. Die Firmen kalkulieren mit der staatlichen Subvention, wie dies in Deutschland Unternehmen mit der Hartz-IV-Lohnaufstockung praktizieren.
    Quelle: Telepolis

    Anmerkung Orlando Pascheit: Ich möchte mich im Vorwege für die Wortwahl entschuldigen, aber ich kann nicht anders: “Diese Schweine!” – Solange Unternehmen in China, USA und bei uns solche fette Gewinne einfahren, gibt es kein ökonomisches Argument, das für solche Praktiken spricht. (In China werden dafür gnadenlos die Mindestlöhne unterlaufen)

  11. Umstrittenes Koalitionsprojekt: Die Mietpreisbremse hilft nur den Reichen
    Union und SPD haben sich bei ihren Koalitionsgesprächen auf eine Mietbremse geeinigt. Doch das gutgemeinte Projekt verfehlt sein Ziel: Statt Wohnraum auch für Geringverdiener erschwinglich zu machen, werden attraktive Wohnlagen noch stärker zum Biotop der Wohlhabenden. Ein Beispiel aus der Praxis macht es deutlich: Bei der Besichtigung einer 100-Quadratmeter-Wohnung im schicken Berliner Stadtteil Mitte erscheinen 50 Bewerber. Die bisherigen, langjährigen Mieter haben für die Vierzimmerwohnung 600 Euro bezahlt, nun will der Vermieter zwölf Euro pro Quadratmeter nehmen, also 1200 Euro im Monat. Den Zuschlag erhält der solventeste Bieter, ein Doppelverdiener-Ehepaar ohne Kinder, das 6000 Euro netto monatlich zur Verfügung hat. Nun kommt die vermeintlich segensreiche Preisbremse, die Miete darf also höchstens zehn Prozent über dem Wert des Mietspiegels liegen, das entspricht gut sieben Euro. Die Wohnung kostet statt 1200 künftig 700 Euro. Bekommt nun endlich der Rentner, die Mitarbeiterin des Drogeriemarktes oder der alleinerziehende Altenpfleger die Wohnung? Mit Sicherheit nicht! Schließlich hat das Doppelverdiener-Ehepaar ohne Kinder nun noch mehr Interesse an der schönen und dazu dank Mietpreisbremse auch noch billigen Wohnung. Folglich ist das als soziale Errungenschaft gepriesene Vorhaben nicht mehr als ein Noch-mehr-Netto-Projekt für die Oberschicht und die gehobene Mittelschicht.
    Quelle: Spiegel

    Anmerkung unserer Leserin I.K.: Der Artikel muss die Immobilienlobby freuen, die Logik des Artikels ist haarsträubend. Weil Wohnungen bezahlbar werden, verschärft sich die Wohnungsnot, weil die Ärmeren die billigen Wohnungen doch sowieso nicht bekommen…etc.

    Ergänzende Anmerkung Orlando Pascheit: In der Tat, die Immobilienlobby würde sich freuen, wenn aufgrund der Spiegelargumentation, die Mietpreisbremse nicht zustande käme. Möchte der Schreiber den bisherigen Zustand belassen? Sodass sich der Mietenspiegel in dieser Gegend bei 1200 Euro einpendelt. Abgesehen davon, wo lebt der Mann? Natürlich würden auch Mieter mit einem Nettoeinkommen von 3000 Euro die Wohnung mieten. Vor allem aber gibt es noch andere Wohnlagen und -preise und Durchschnittsverdiener, Studenten und Rentner, die jeden Cent umdrehen müssen, für die die 10-Prozent-Bindung elementar ist. – Natürlich ist mit der Mietpreisbremse nicht die Wohnungsnot beseitigt.

  12. Infrastruktur: Gemeinden fehlt das Geld
    Deutschland muss dringend in seine Infrastruktur investieren. Allein auf kommunaler Ebene sind unter anderem für die Ausbesserung kaputter Straßen und die Reparatur maroder Schulen gut 50 Milliarden Euro nötig. Seit 1991 hat sich der Anteil der kommunalen Investitionen an der Wirtschaftsleistung halbiert; allein zwischen 2003 und 2012 ist dadurch eine Investitionslücke von 52 Milliarden Euro entstanden. “Wesentlich für den hohen Investitionsrückstau ist die strukturelle Unterfinanzierung vieler Kommunen”, schreiben IMK-Forscher Lindner mit seinen Kollegen. Insgesamt konnten diese zwar im vergangenen Jahr das erste Mal seit 2008 wieder einen Haushaltsüberschuss erzielen. Dies verdecke jedoch Unterschiede zwischen den Kommunen: 30 Prozent von ihnen haben weiterhin erhebliche Haushaltsdefizite. Besonders in strukturschwachen Regionen bleiben die Sozialausgaben der Städte und Gemeinden stabil oder nehmen zu, ihre Einnahmen hingegen fallen. Sie sind zunehmend von Zuweisungen der Länder und des Bundes abhängig. “Diese Zuweisungen werden aber nicht stark steigen können, weil der Bund und mehr noch die Länder durch die 2009 verabschiedete Schuldenbremse unter erheblichem Konsolidierungsdruck stehen”, warnen Klär, Lindner und Šehovic. Unter Einhaltung der Schuldenbremse führe daher an Steuererhöhungen kaum ein Weg vorbei. Die Mehreinnahmen sollten den Gemeinden zugutekommen.
    Quelle: Böckler Impuls [PDF – 251 KB]
  13. Reform der EU-Agrarpolitik: Untergepflügt von der Bauernlobby
    Dabei waren die Vorschläge aus Brüssel ursprünglich sehr ehrgeizig. Eine neue, grüne Agrarpolitik sollte es in der nächsten siebenjährigen Förderperiode geben. Bis zu sieben Prozent der Fläche hätten Landwirte der Natur zurückgeben sollen, Großbetriebe sollten weniger Gießkannenförderung erhalten, Umweltschutz besser gefördert werden. Aber umsetzen müssen das die Mitgliedstaaten, und die wollen keine Kehrtwende. Auf Landwirtschaftsflächen Hecken wachsen lassen, wie es einmal beim sogenannten Greening gedacht war? Kommt nicht in Frage, sagen Landwirte. “Wir Bauern haben ein Anrecht auf Bewirtschaftung”, sagte Bauernverbands-Präsident Joachim Rukwied. “Flächen stillzulegen ist ethisch und sozial verwerflich.”
    Quelle: Süddeutsche Zeitung
  14. Studie: Eine halbe Million Menschen starb infolge des Irak-Kriegs
    Vom Beginn des Irakkriegs 2003 bis 2011 sind einer neuen Studie zufolge fast eine halbe Million Menschen an den Folgen des Krieges gestorben. Die meisten Toten könnten auf direkte Gewalteinwirkung zurückgeführt werden, bei etwa einem Drittel der Todesfälle gebe es dagegen indirekte Ursachen, heißt es in der am Dienstag in den USA veröffentlichten Untersuchung. Zu den indirekten, aber mit dem Krieg zusammenhängenden Ursachen gehört demnach der Zusammenbruch der Infrastruktur für Gesundheitsfürsorge, Ernährung, sauberes Trinkwasser und Verkehrswesen.
    Quelle 1: Der Standard
    Quelle 2: Mortality in Iraq Associated with the 2003–2011 War and Occupation
  15. Sheriff von Eisenhüttenstadt
    Der Angeklagte ist ein georgischer Staatsbürger und fuhr mit einem polnischen PKW bei Frankfurt/Oder auf der Bundesautobahn 12 über die Grenze nach Deutschland. Er konnte keinen Pass vorlegen. Illegale Einreise, befindet die Strafrichterin Heidemarie Petzoldt und verurteilt ihn zu einem Monat Haft auf Bewährung. Straffrei, weil Asylsuchende unter dem Schutz der Genfer Flüchtlingskonvention stehen, entgegnet sein Rechtsanwalt Volker Gerloff aus Berlin. Doch was auf den ersten Blick aussieht wie eine gewöhnliche Meinungsverschiedenheit zwischen Juristen, ist weit mehr. Die Richterin ist zuständig für Verfahren wegen Verstößen gegen das Aufenthaltsgesetz und verhängt offenbar regelmäßig im Schnellverfahren Bewährungsstrafen und Geldstrafen gegen Asylsuchende, die aus Polen oder Litauen einreisen. Drei Urteile liegen der Jungle World vor. Die Angeklagten werden darin als »Asyltouristen« bezeichnet, die sich »auf die Reise in ein ihnen genehmes Land der Europäischen Union« begeben. Sie würden »in der Regel in große Städte wollen, so nach Berlin, Hamburg, aber auch nach Brüssel oder Paris«. Dort würden sie »in die Illegalität abtauchen«, ihren Lebensunterhalt sicherten sie dann »durch Straftaten, in der Regel durch Schwarzarbeit«. Ein »Heer der Illegalen«, deren Zahl »massiv« zunehme. Und immer wieder steht da der Satz: »Dem muss begegnet werden.« – Bereits im Juli hatte das SWR-Magazin »Report Mainz« über die Schnellverfahren gegen Flüchtlinge am Amtsgericht Eisenhüttenstadt berichtet. Der Rechtsprofessor Andreas Fischer-Lescano befand in der Sendung, die Urteile Petzoldts würden »in sehr deutlicher Form den Boden des Rechts verlassen«, zumindest seien Ermittlungsverfahren gerechtfertigt. Der Anwalt Gerloff hat nun eine Strafanzeige gegen Petzoldt gestellt, wegen Rechtsbeugung, Volksverhetzung und Beleidigung. »Das ist nicht einfach ein Urteil, das ist eine politische Brandschrift«, sagt Gerloff. Besonders drastisch sei die Aussage Petzoldts, wonach es durch die Präsenz von Asylbewerbern in »Ballungsgebieten« immer mehr »zu Spannungen komme, die sich dann in der Regel durch weitere Straftaten entladen«. Das sei nicht weit entfernt von »Deutsche, wehrt euch!«, warnt Gerloff – eine Rechtfertigung rassistischer Angriffe und damit strafbare Volksverhetzung.
    Quelle: Jungle World
  16. Die Politik von Chinas Umstellung
    Jedes Land, das ein Wirtschaftswunder erlebt, entwickelt Ungleichgewichte, die auszubalancieren sind. China ist da keine Ausnahme. Um Chinas Wirtschaft auszugleichen nach dreissig Jahren, während deren die privaten Haushalte einen immer kleineren Anteil an der rasch wachsenden Wirtschaft hielten und dabei dennoch wohlhabender wurden, muss nun eine Periode folgen, in der die Haushalte einen stetig zunehmenden Anteil an einer langsamer wachsenden Wirtschaft erhalten. China braucht eine drastische Verringerung der gewohnten Zuwachsraten der Anlagen und der Vermögen des Staates und des Establishments. Zudem braucht das Land erhebliche Änderungen in der Art und Weise, wie das Finanzsystem wirtschaftliche Aktivitäten stützt, eine bedeutendere Rolle kleinerer Unternehmen und des Dienstleistungsbereichs, ein ganz anderes rechtliches Umfeld sowie etliche grundlegende institutionelle Anpassungen. Chinas gewohntes Wirtschaftsmodell, von dem das Land insgesamt wie auch die politische Elite profitiert haben, muss einem Modell weichen, das wohl weiterhin dem Land nützt – doch nun auf Kosten der Elite. Das war die Herausforderung, die jedes Land zu meistern hatte, das sich nach einer Periode raschen, investitionslastigen Wachstums umstellen musste. Das war stets politisch herausfordernd, ob nun dieser Prozess bittere Konflikte auslöste und die Umverteilung von Vermögenden zu Ärmeren erzwang wie in den USA zur Zeit Präsident Roosevelts in den Dreissigerjahren oder als Brasilien das Militärregime ablöste und unter Mühen eine Demokratie aufbaute. – Die Geschichte macht klar, dass die nächsten zehn Jahre für China politisch noch herausfordernder werden als wirtschaftlich.
    Quelle: FuW

    Anmerkung Orlando Pascheit: Michael Pettis’ Artikel lebt von dem Versuch China mit Volkswirtschaften zu vergleichen, die eine ähnliche Umbruchphase durchmachen mussten, Dabei greift er weit in die Geschichte zurück um bestimmte Muster identifizieren. Wie bei solchen Vergleichen immer, lässt sich manches einwenden, aber der Text ist anregend.

  17. Kein Wunder an der Weichsel
    Nach Jahren des Booms macht sich in Polen Katerstimmung breit. Doch der rasende Wandel türmte einen solchen Schuldenberg auf. Die kalte Dusche kam unerwartet, hatten sich inzwischen doch alle an die immer höheren Schulden gewöhnt. Die meisten Polen leben auf Pump. Aber auch die Politiker schienen das Wort “Sparen” aus ihrem Vokabular gestrichen zu haben. Selbst in Zeiten guter Konjunktur bildeten sie keine Rücklagen. Neue Kredite, Staatsanleihen und Milliardenzuschüsse aus Brüssel ließen den Eindruck entstehen, geradezu im Geld zu schwimmen. Nur die Armen, die immerhin bis zu 20 Prozent der Bevölkerung ausmachen, sahen von dem neuem Reichtum kaum einen Zloty. Noch ist Polen keine soziale Marktwirtschaft: Zwischen Oder und Bug muss jeder selbst sehen, wo er bleibt. Während sich die Länder der Eurozone langsam aus der Finanz- und Wirtschaftskrise herausarbeiten, rutscht Polen erst jetzt in die Konjunkturflaute hinein. Die einst beeindruckenden Wachstumszahlen sinken. Während Polen in den Jahren 2009 bis 2012 mit einer realen Steigerung des Bruttoinlandsproduktes (BIP) von insgesamt 12 Prozent das höchste Wirtschaftswachstum in ganz Europa verzeichnen konnte, wird es in diesem Jahr wohl lediglich 1 Prozent sein.
    Quelle: taz


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