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Titel: Zum Himmel stinkende Propaganda der INSM – Wirtschaftsforschungsinstitut Prognos liefert dazu den Mist

Datum: 4. April 2014 um 10:08 Uhr
Rubrik: INSM, Rente, Strategien der Meinungsmache, Wettbewerbsfähigkeit
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Gezielt zum Tag der ersten Lesung der von der Bundesregierung vorgelegten Rentenreformen, also der „abschlagfreien Rente mit 63 nach 45 Beitragsjahren“, der Erhöhung der Rente für Mütter, deren Kinder vor 1992 geboren wurden, und der Verbesserung bei der Erwerbsminderungsrente meldet sich die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) mal wieder mit einer „Studie“ zu Wort: Das Rentenpaket und der Mindestlohn untergraben die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands, so lautet die Alarmmeldung. Durch die Maßnahmen des Koalitionsvertrags sollen nach Berechnungen der Prognos AG im Auftrag der INSM bis 2030 die Arbeitskosten um 777 Milliarden Euro ansteigen. Ein einstmals renommiertes Wirtschaftsforschungsinstitut verspielt seinen Ruf. Von Wolfgang Lieb

INSM: Pläne der Regierung schwächen Deutschland

Quelle: INSM

Deutschland stürze bei der Wettbewerbsfähigkeit bei heutigen Rahmenbedingungen von Rang 9 auf Rang 23 nach der Umsetzung des Koalitionsvertrages ab.

Man ist erstaunt, dass zu einer solchen Propagandaveranstaltung immerhin noch zwei Dutzend Journalisten kommen. (Siehe das angebotene Foto der Pressekonferenz)

Der Auftragnehmer der arbeitgeberfinanzierten INSM, die Prognose AG, galt einstmals als eines der renommiertesten außeruniversitären Wirtschaftsforschungsinstitute. Doch inzwischen scheint es dem Unternehmen so schlecht zu gehen, dass es sich selbst für Zwecke der durchsichtigen politischen Agitation an die INSM verkauft. Angesichts dieser gestern der Öffentlichkeit vorgestellten „Studie“ unter dem Titel „Das Erreichte nicht verspielen“ drängt sich das Bild auf, dass hier eine Grande Dame der Sozial- und Wirtschaftsforschung zum Straßenmädchen gesunken ist.

Bei dieser „Studie“ soll zunächst einmal mit einer Horrorzahl von 777 Milliarden Euro Angst und Schrecken verbreitet werden.

Man setzt dabei auf den billigen Trick der Manipulation mit hohen Zahlen, indem man Beträge über mehr als 15 Jahre bis zum Jahr 2030 addiert und damit rechnet, dass ein zahlenunkundiges Publikum allein schon angesichts der Höhe des Betrages, den Rentenreformen und Mindestlohn angeblich kosten sollen, geschockt ist.

Die zweite Irreführung ist, man rechnet bei allen Kosten mit Nominalwerten, das heißt, man vernachlässigt die Inflationsraten über diesen langen Zeithorizont. Dadurch fallen die Zahlen höher aus.

Der größte Bluff besteht jedoch darin, dass man die Zahlen sozusagen nackt in den Raum stellt, ohne sie etwa mit dem Wachstum der Volkswirtschaft oder mit dem Anteil der Kosten der sozialen Sicherung am gestiegenen BIP zu vergleichen.

Die ideologische Ausrichtung der Studie wird schon daran erkennbar, dass man sie auf einen der Säulenheiligen der neoliberalen Glaubenslehre stützt, nämlich auf die „Wettbewerbsfähigkeit“. Man betrachtet den „Standort“ Deutschland wie ein einzelnes Unternehmen, das im Wettbewerb mit anderen Standorten (Volkswirtschaften) steht. Das heißt, man versteht Volkswirtschaft wie ein Betriebswirt: Ziel muss sein, nicht nur gute Produkte herzustellen, sondern die „Firma Deutschland“ muss billiger oder preiswerter anbieten als die anderen Staaten (wiederum gedacht als konkurrierende Unternehmen).

Und woran denkt der Betriebswirt bei der Kostensenkung zuerst? Natürlich an die Arbeitskosten, denn die gelten ja als variabel.

Und nur auf die Arbeitskosten für die Unternehmen schielt auch diese „Studie“. Dass höhere Löhne oder auch höhere Renten auch eine höhere Nachfrage bedeuten könnten, kommt in dem dort zugrunde liegenden „angebotsorientierten“, unternehmerischen Denken nicht vor.

Aber einmal abgesehen von diesen ideologischen Scheuklappen ist diese „Studie“ auch methodisch „halbseiden“:

Vielleicht unfreiwillig (oder einfach weil es nicht bestreitbar ist), wird die (auf den NachDenkSeiten ständig vertretene) These bestätigt, dass Deutschland bei den Lohnstückkosten nicht nur seine europäischen Nachbarn, sondern nahezu alle Industriestaaten niederkonkurriert hat: indem es (nach Japan) von 1995 bis 2012 mit einer Zunahme von nur 0,5 Prozent pro Jahr die geringste Steigerungsrate hatte.

Nominale Lohnstückkosten

Prognos betrachtet diese Entwicklung allerdings als wirtschaftliches „Musterbeispiel“, wurde doch damit Deutschland zum Exportweltmeister oder anders: es war „wettbewerbsfähiger“ als alle anderen. Dass mit den damit verbundenen Handels- und Leistungsbilanzüberschüssen die Europäische Union und der Euro an den Rand des Abgrunds getrieben wurden, spielt bei diesem einzelwirtschaftlichen Betrachtungshorizont keine Rolle.

Um den Gauklertrick mit den großen Zahlen gleichfalls einmal mit Horrorzahlen zu kontern: Dass sich die Leistungsbilanzüberschüsse nach Angaben des IWF auf über 1,6 Billionen Euro addierten, die Nettoauslandsposition sich aber seit 2006 aufgrund von Verlusten und Abschreibungen um 400 Milliarden verschlechterten, wird natürlich in dieser einzelbetrieblichen Betrachtungsweise nicht gesehen. Solche Verluste konnten offenbar von den Unternehmen locker weggesteckt werden. Ganz anders jedoch, wenn von den Profiten auch den Arbeitnehmern oder den Müttern etwas zugute kommen soll.

Selbst wenn man davon ausgeht, dass Mütter-Rente oder Rente mit 63 als Arbeitskosten zu Buche schlagen, so ist es schlicht Kaffeesatzleserei, wenn man – wie das in der „Studie“ geschieht – bis 2030 „notwendige“ Erhöhungen des Beitragssatzes zur Rentenversicherung „berechnet“. Kennt Prognos die Erwerbstätigenquote, die Arbeitslosenquote, die Höhe der Löhne und damit die Einnahmesituation der gesetzlichen Rentenversicherung bis zum Jahre 2030?

Wie unsinnig solche Aussagen für die ferne Zukunft sind, mag man am Rückblick auf die nahe Vergangenheit erkennen: Hat jemand 2007, als der Beitragssatz zur Rentenversicherung auf 19,9 Prozent erhöht wurde, vorausgesehen und konnte jemand, als dieser Beitragssatz im Jahre 2012 auf 19,6 Prozent gesenkt wurde, ahnen, dass 2013 die Rentenkasse einen Überschuss von 32 Milliarden verzeichnen konnte?

Selbst über wenige Jahre sind solche Berechnungen offenbar nicht möglich, aber Prognos kann für die nächsten 15 Jahre berechnen, wie der Beitragssatz für die Rentenversicherung ansteigen wird. Man mag solche Rechenmodelle benutzen, um darüber eine fachliche Debatte anzustoßen, aber man missbraucht sie, wenn daraus politische Forderungen abgeleitet werden.

Die Autoren der „Studie“ schreiben selbst: „Wie hoch die tatsächliche Inanspruchnahme der Rente mit 63 sein wird, ist a priori aus mehreren Gründen unklar“. Das hindert die „Wissenschaftler“ allerdings nicht „aus Sicht der Unternehmen“ eine Erhöhung der Lohnkosten im „Simulationszeitraum“ um 15 Milliarden Euro zu behaupten.

Dass es eher um Stimmungsmache als um seriöse Wissenschaft geht, kann man bei der angeblichen höheren Belastung der (unternehmerischen) Arbeitskosten bei der „Reform“ Krankenversicherung in geradezu peinlicher Weise ablesen:

Da ist im Gesetzentwurf der Bundesregierung der Arbeitgeberanteil auf 7,3 Prozent gedeckelt und die künftigen Steigerungen werden ausschließliche auf die Arbeitnehmer abgeladen. Das hindert Prognos aber nicht, einfach so mir nichts dir nichts, eine Mehrbelastung bis 2030 um (exakte) 24,5 Milliarden zu unterstellen:

„Wir unterstellen jedoch für die Untersuchung der Einfachheit halber, dass es auch im Rahmen der Krankenversicherung zu einer paritätischen Finanzierung kommt.“

Unter welcher politischen Konstellation eine solche Entscheidung zustande kommen könnte, wird leider nicht beantwortet.

Nebenbemerkung: Interessant ist dabei eine Fußnote, die das ganze Gerede von den „Lohnnebenkosten“ als irreführende arbeitgeberseitige Propaganda entlarvt. In Fußnote 11 heißt es:

„Aus ökonomischer Sicht spielt es keine Rolle, ob die Beiträge vom Arbeitgeber oder vom Arbeitnehmer bezahlt werden. Vielmehr hängt es von den Elastizitäten von Arbeitsangebot- und –nachfrage ab, wie die tatsächliche Lastenverteilung ist.“

Will sagen: Wieviel die Arbeitgeber der „Faktor Arbeit“ kostet, hängt immer von Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer ab.

So reden also die Arbeitgeber, hinter vorgehaltener Hand, über „Lohnnebenkosten“ und sie haben sogar Recht dabei. Dennoch lassen die Wirtschaftslobbyisten die Politiker von SPD, über die Grünen bis zur CDU über die Senkung der „Lohnnebenkosten“ schwätzen, wenn es tatsächlich um die Senkung der Lohnkosten geht.

Der Unternehmer-Teufel oder der Schwachsinn muss die Feder der Autoren gelenkt haben, wenn die „Studie“ durch die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns auf eine Erhöhung der Arbeitskosten bis zum Jahre 2030 summiert auf 510 (!) Milliarden Euro kommt. Um des Horrorgemäldes Willen, werden dabei von den „Wissenschaftlern“ sogar die Grundrechenarten außer Kraft gesetzt.

Da wird – ohne jedes Indiz – einfach so mal unterstellt, dass die Zahl der Mindestlohnempfänger 2030 bei etwa 3,9 Millionen Arbeitnehmern liege. Da wird – ohne jegliches politisches Signal – einfach so mal unterstellt, dass durch eine jährliche Dynamisierung der Lohnuntergrenze diese im Jahr 2030 nominal (also real niedriger als heute) bei 13,50 Euro liege.

Jahresdurchschnittlich sollen die Arbeitskosten um 31,9 Milliarden Euro steigen. Selbst wenn man einmal außer Acht lässt, dass der gesetzliche Mindestlohn flächendeckend erst 2017 kommt und wenn man die jetzt schon im Gesetz vorgesehenen Ausnahmen beiseite lässt: wenn man die 31,9 Milliarden mit 13 multipliziert, kommt man beim besten Willen nicht auf 510 Milliarden.

Nun gut, werden die Prognos-Lohnschreiber vielleicht einwenden, mit dem Mindestlohn erhöht sich ja das ganze Lohngefüge, deshalb ist die Annahme von 510 Milliarden gerechtfertigt und deshalb sprechen wir ja auch von einem „Impuls auf die Arbeitskosten“.
Damit geben die arbeitgeberfreundlichen Forscher immerhin zu, dass das bisherige Fehlen einer Lohnuntergrenze das gesamte Lohngefüge sinken ließ. Das wird ja sonst von den Vertretern der Agenda-Politik vehement bestritten. Wie Prognos aber auf die Horrorzahl von 510 Milliarden kommt, war wohl eher von der Hoffnung geleitet, einen weiteren Forschungsauftrag durch die INSM zu bekommen.

Genauso wenig nachvollziehbar wie die Rechnung bei den Mindestlöhnen ist die Steigerung der Arbeitskosten durch die geplanten Missbrauchsbegrenzungen bei der Leiharbeit.
Da wird – vermutlich ungewollt – endlich zugegeben, dass Leiharbeiter aktuell nur etwa 55 Prozent des Entgelts der Stammarbeiter erhalten. Wie man allerdings bei einer jahresdurchschnittlichen Erhöhung der Arbeitskosten von 9,3 Milliarden Euro in 15 Jahren auf einen „Impuls“ von 155 Milliarden Euro bei den Arbeitskosten kommt, kann sich nur aus den grandiosen Rechenmodellen von Prognos ergeben.

Der ideologische Ansatz dieser Studie zeigt jedoch, dass bei diesen Rechenmodellen, die die Wirklichkeit nur mathematisch verbrämen, der Grundsatz gilt: Mist rein, Mist raus.

Aber dieser stinkende Mist reicht der INSM aus, um ihn als Propagandamaterial zu verkaufen. Hoffentlich riechen viele, dass diese Propaganda zum Himmel stinkt.


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