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Titel: Das Gymnasium macht alle anderen Bildungsanstalten, seien es nun Hauptschulen oder Stadtteilschulen, zu Restschulen

Datum: 26. April 2007 um 7:45 Uhr
Rubrik: Schulsystem
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Schulstrukturdebatten sind überflüssig und blöde. Nicht auf die Struktur kommt es an, sondern auf den Unterricht?
Es ist genau umgekehrt – solange das Gymnasium als einzige, national gültige Krone des Auslese-Schulsystems erhalten bleibt, solange bleibt das ganze Gerede von individueller Förderung ideologische Tünche. Einen wirklich individualisierenden Unterricht gibt es erst, wenn die Schulform nicht mehr die Schablonen von Begabungen und Niveaus vorgibt, in die die Schüler gepresst werden, also, wenn es eine Schule für alle gibt.
Karl-Heinz Heinemann hat uns seinen Beitrag zur Einführung von Stadtteilschulen in Hamburg zur Verfügung gestellt.

Stadtteilschulen in Hamburg

Von Karl-Heinz Heinemann

Schulstrukturdebatten sind überflüssig und blöde. Nicht auf die Struktur kommt es an, sondern auf den Unterricht. Dieses seit PISA mit wachsender Geschwindigkeit hergebetete Mantra scheint selbst in der CDU nicht mehr alle zu überzeugen. Die in der letzten Woche in Hamburg beschlossene Stadtteilschule scheint eine einschneidende Strukturreform zu sein: sie läuft auf das so genannte Zwei-Säulen-Modell hinaus. Alle Schulen werden zu Stadtteilschulen zusammen gelegt, bis auf die Gymnasien und die politisch korrekt als Förderschulen benannten Sonderschulen. Insofern geht es also um ein Drei-Säulen-Modell.

In Sachsen gibt es Mittelschulen, in Thüringen Regelschulen, in Rheinland-Pfalz Regionalschulen, anderswo Sekundarschulen, in Schleswig-Holstein wiederum Gemeinschaftsschulen, was dort aber etwas anderes ist als in Nordrhein-Westfalen, wo damit konfessionsübergreifende Schulen gemeint sind. Und auch dort, wo es noch die alten Schulformen gibt sind die Übergänge zwischen ihnen unterschiedlich geregelt, gibt es eine neun- oder zehnjährige Schulpflicht, es gibt viele, wenige oder gar keine Gesamtschulen.

Das internationale Manager-Jet-Set schickt seine Kinder auf „international schools“ mit weltweit einheitlichen Strukturen und Abschlüssen, damit sie zwischen Hongkong und Düsseldorf einigermaßen mobil sind. Doch die Kinder des Facharbeiters aus der Lausitz, der mit seiner Familie ein paar hundert Kilometer weiter nach Heilbronn umziehen möchte, werden erhebliche Schwierigkeiten mit den dortigen Schultypen haben, die ganz anders sind als in ihrer Heimat.

Die Stadtteilschule in Hamburg ist eine neue Variante auf ein Schulsystem, das mittlerweile nicht nur für auswärtige Betrachter wie den UN-Menschenrechtsexperten Vernor Munoz völlig undurchschaubar geworden ist.

In manchen Ländern, in Nordrhein-Westfalen zum Beispiel, herrscht noch der schlichte Glaube, nur die Hauptschule sei geeignet, all die Kinder aufzusammeln und zu entsorgen, die wir nicht neben unseren Kindern auf der Schulbank im Gymnasium haben wollen. Anderswo, wie in Hamburg, hat man erkannt, dass die Kosten zu hoch sind: Die Hauptschule produziert zu viele Schulabbrecher, Versager, die wir uns angesichts des gerade am Horizont aufscheinenden Aufschwungs nicht leisten können, wenn wir im internationalen Wettbewerb mit den fleißigen koreanischen Rechenknechten und karrieregeilen Streber-Schülern in der Slowakei oder Ungarn mithalten wollen. Und es kostet einfach zu viel, diese potentiellen Versager in Hauptschulen ruhig zu stellen.

[Die meisten neuen Sekundarschulformen fassen einfach Haupt- und Realschulen zusammen. Das Hamburger Modell hat diesen gegenüber den Vorzug, dass es auch zum Abitur führen soll, wenn auch in 13 statt in 12 Jahren wie auf dem Gymnasium. Das muss kein Nachteil sein. In Hamburg, wo man die gymnasiale Schulzeit schon vor einigen Jahren um ein Jahr gekürzt hat, muss die Hälfte aller Gymnasiasten Nachhilfe nehmen, die Zahl der mit Stresssymptomen behandelten Kinder wächst sprunghaft. ]

In Hamburg besuchen mehr als die Hälfte aller Kinder das Gymnasium. Nun wird eben der Rest in einer Schule statt bisher in dreien zusammengefasst. Daneben bleibt das Gymnasium unangefochten bestehen, und das ist die Hauptsache. Fokussieren wir unseren Blick aufs Gymnasium, so wird auch die scheinbare Vielfalt des föderalen Schul-Flickenteppichs überschaubar: Das ist die einzige Schulform, die es in jedem Bundesland gibt. Alle anderen Schulformen haben eines gemeinsam: sie sind die Abschiebeanstalten fürs Gymnasium. Das Gymnasium macht alle anderen Bildungsanstalten, seien es nun Hauptschulen oder Stadtteilschulen, zu Restschulen. Da gibt es die gymnasialen Standards, die jede Schule, jeder Lehrer anders definiert. Wer ihnen nicht gerecht wird, der muss halt auf die andere Schule gehen. Das Gymnasium hat einen akademischen Anspruch, alle anderen sollen mehr praktisch lernen, handlungsorientiert, heißt das heute. Lehrer sollen pädagogisch besser qualifiziert werden, damit sie Schüler besser individuell fördern können. Alle Lehrer? Nein, das gilt nicht für Gymnasiallehrer, deren Philologenausbildung bleibt unangetastet.

Nicht auf die Struktur kommt es an, sondern auf den Unterricht? Es ist genau umgekehrt – solange das Gymnasium als einzige, national gültige Krone des Auslese-Schulsystems erhalten bleibt, solange bleibt das ganze Gerede von individueller Förderung ideologische Tünche. Einen wirklich individualisierenden Unterricht gibt es erst, wenn die Schulform nicht mehr die Schablonen von Begabungen und Niveaus vorgibt, in die auch künftig in Hamburg die Schüler gepresst werden, also, wenn es eine Schule für alle gibt.


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