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Titel: Nochmals: Ver.di: Mindestlohn schafft 450 000 Jobs

Datum: 30. Mai 2007 um 14:52 Uhr
Rubrik: Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Denkfehler Wirtschaftsdebatte, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
Verantwortlich:

Am 29. Mai haben wir unter der Ziffer 12 unserer Hinweise auf eine Studie von Klaus Bartsch hingewiesen, in der dieser durchgerechnet hat, dass die Einführung des Mindestlohns die Binnennachfrage spürbar anregen und dadurch mehrere Hunderttausend neue Jobs schaffen könnte.
Wir haben angesichts z.B. einer Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft, die zu einem gegenteiligen Ergebnis kommt, zu dem Gutachten im Auftrag von ver.di sicher sehr oberflächlich angemerkt, dass wir von solchen Studien generell nicht viel halten. Wir sind mit diesem Urteil Klaus Bartsch vor allem im Vergleich zu anderen Studien zu diesem Thema nicht gerecht geworden. Wir möchten deshalb gerne die Stellungnahme von Klaus Bartsch unseren Leserinnen und Lesern zur Kenntnis geben.

Sehr geehrter Albrecht Müller, sehr geehrter Wolfgang Lieb

“Wir halten zwar von solchen Berechnungen genauso wenig, wie etwa von Berechnungen des IW, dass der Mindestlohn hundertausende von Arbeitsplätzen koste.
Dennoch ist es hilfreich, dass mit einer Gegenstudie argumentiert werden kann.”

Man darf sich selbstverständlich den Luxus leisten, von “solchen Berechnungen” grundsätzlich nicht viel halten, ohne sich mit den doch sehr unterschiedlichen Fundierungen dieser “Berechnungen” auseinanderzusetzen.

Ragnitz/Thum (IFO/IWH, Welt-Online, Studie steht beim IWH im Netz und ist ein schönes Beispiel für das Niveau, welches die Mainstream-Ökonomik in Deutschland mittlerweile “erreicht” hat) oder Lesch vom IW gehen regelmäßig von irgendwelchen relativ willkürlich gesetzten, hohen und negativen Lohnelastizitäten der Beschäftigung aus, die dann wie gewünscht zu den von den Auftraggebern erwarteten negativen Beschäftigungseffekten führen.

Ich habe mir immerhin die Mühe gemacht, die relevante Empirie aus OECD-Mindestlohnländern auszuwerten und meine Mikroannahmen daraus abgeleitet zu fundieren. Diese Annahmen wurden dann in mein makroökonometrisches Modell LAPROSIM eingespeist, welches im Unterschied zu den wenigen am Markt befindlichen makroökonometruischen Modellen vor allem auch die Verteilungsabhängigkeit des Privaten Konsums berücksichtigt – that makes the (crucial) difference.

Bereits Pioniere des ökonometrischen Modellbaus wie L.R. Klein haben in der Frühzeit Anfang der 50er Jahre mit einfachen verteilungsabhängigen Konsumspezifikationen gearbeitet:

C=F (Wages, Profits, Transfers), wobei sich für die Hierarchie der geschätzten partiellen marginalen Konsumquoten für die funktionalen Einkommenskategorien im Regelfall ergibt:

m(T)>m(W)>m(P)

Dies bei “marktgängigen” Modellen schon lange nicht mehr “üblich”, dort herrscht der Spezifikationstyp:

C=F (Disposable Income Households)

(Etwa: Gemeinschaftsdiagnosemodell des RWI, NIGEM-Modell des britischen NIESR, PROGNOS-Modell)

Warum wohl? Weil in diesen Modellen etwa die Effekte von Umverteilungen zugunsten von Lohn- und Transfereinkommensbeziehern “verschwinden”. Diese Modell unterschlagen den de facto vorhandenen “Ersparnistrichter”, ein € mehr für den Arbeitslosen hat dort den gleichen Effekt wie ein € mehr für Herrn Ackermann. Da die methodische Grundlegung der Entstehung der Ergebnisse solcher Modelle oft nicht hinterfragt wird (“Black-Box”, nur wenige Spezialisten dröseln solche Modelle auf), eignen sie sich daher gut zur Untermauerung der Mainstream-Propaganda.
Auch ich wäre jederzeit, und sei es zu Demonstrationszwecken, in der Lage, mein auf der Basis von empirischen Daten für einen Stützzeitraum von mehr als 30 Jahren geschätztes Modell auf ein “mainstreamkompatibles” und damit einerseits “realitätsferneres”, andererseits für mich zu gewissen Zeiten möglicherweise finanziell lukrativeres Niveau zurückzubauen. Aber zum Teufel nochmal!

Halten Sie von makroökonomischen Berechnungen gerne weiterhin wenig, in den meisten Fällen werden Sie mit dieser Haltung auch nicht fehlgehen.
Aber prüfen Sie doch, ob es wirklich gerechtfertigt ist, mich qualitativ in einen Topf mit Thum/Ragnitz und Co. zu stecken, wie es ansonsten nur der FAZ-Ableger “Märkische Allgemeine” getan hat – weder dieses noch das, was Ragnitz/Thum vermutlich für ihre “Studie” erhalten habe, habe ich verdient.

Mit besten Grüßen,
Klaus Bartsch

Anmerkung: Wir leisten bei Klaus Bartsch ausdrücklich Abbitte. Es war falsch seine Studie in einen Topf mit den von uns kritisierten Studien zu stecken.
Dass wir diese Studie für die wirtschaftspolitische Auseinandersetzung äußerst wichtig halten, haben wir schon angemerkt und unterstreichen dies noch einmal.


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