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Titel: Streikrecht verteidigen – Politischen Streik erkämpfen

Datum: 5. Februar 2015 um 8:34 Uhr
Rubrik: Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Erosion der Demokratie, Gewerkschaften, Strategien der Meinungsmache
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Der Druck wird stärker: Das Tarifeinheit-Gesetz rückt näher. Die Stimmungsmache gegen die Streikenden und deren Recht auf Arbeitsverweigerung wird forciert. Riesige gesundheitliche Folgen und kaum verkraftbare Schäden werden von Sachverständigen zusammenfantsiert. Da muss jedem einleuchten, dass das mit der Streikerei so nicht weitergehen kann. – Jetzt bereitet die CSU einen neuen Angriff vor. Zusammengefasst von Hermann Zoller.

Seit Juli 2013 wirbt die vbw Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V. für eine Beschränkung des Streikrechts. Das liest sich auf ihrer Internetseite so:

Arbeitskämpfe führen zu Produktionsunterbrechungen

Unabhängig von der gewählten Streiktaktik der Gewerkschaft führt jede Form des Arbeitskampfes zu Produktionsunterbrechungen, die aufgrund des internationalen Wettbewerbs und der weltweit eng verknüpften Lieferbeziehungen nachhaltige Schäden verursachen. Bereits die Drohung mit einem Streik sowie die Steigerung der Wahrscheinlichkeit eines Streiks mit zunehmender Dauer der Tarifverhandlungen führen zu einer konkreten Bedrohung der Liefer-, Kunden- und Bankbeziehungen. In einer eng verzahnten Wirtschaft mit einer just in time Produktion hat ein Streik für die allermeisten Betriebe schwerwiegende wirtschaftliche Folgen. Diese haben aber nicht nur die Betriebe, sondern auch die Mitarbeiter zu tragen.

Streik ist nicht mehr zeitgemäß

Wir halten Streik und Aussperrung für nicht mehr zeitgemäß. Im Bereich der M+E Industrie fordert der vbm einen offenen Dialog mit der IG Metall, um neue, für beide Seiten tragbare Wege der Konfliktvermeidung und Konfliktlösung zu erkunden. Mediation und zwingende Schlichtungsverhandlung könnten die zunächst am Verhandlungstisch nicht erreichte Einigung herbeiführen und dadurch Arbeitskämpfe verhindern. In der Schweiz gilt in einigen wichtigen Wirtschaftszweigen der sogenannte Arbeitsfrieden. Er geht auf ein Friedensabkommen zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden aus dem Jahr 1937 zurück. Ganz ähnlich ist die Situation in Österreich mit der sogenannten Sozialpartnerschaft. Streiks finden folglich in der Schweiz und in Österreich nur selten statt. Die dortigen Tarifabschlüsse sind dennoch allseits akzeptiert.

Diesen Text sollten Gewerkschafter und alle Arbeitnehmer/innen mehrmals lesen. Denn darin ist alles enthalten, was in seiner logischen Konsequenz vielleicht nicht zu einem direkten, aber verdeckten Streikverbot die Begründung liefern kann.

Sie wollen natürlich nicht ein Verbot von Streiks fordern. So etwas hätte keinen verfassungsrechtlichen Bestand. Was sie aber so als ersten Schritt erreichen möchten, das ist, die Gewerkschaften und die Arbeitnehmer insgesamt so in Vorschriften einzubinden, dass sie praktisch handlungsunfähig werden. Gelingt es den Unternehmern dann noch – wovon auszugehen ist – die Noten für die mediale Begleitmusik zu schreiben, dann geraten die Gewerkschaften unter einen solchen Druck, dass sie gleich das Licht ausschalten können. Gelingt den Unternehmerverbänden dies, dann brauchen sie kein Streikverbot mehr. Dann ist es real, allerdings in einem demokratischen Mäntelchen schön versteckt.

Die CSU will ein „modernes“ Streikrecht

Dass die Wirtschaft ihren Angriff auf das Streikrecht ernst meint, das unterstreicht zum Beispiel das Positionspapier der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft. Und die Wirtschaft hat genug Verbündete in den Parteien, die mit viel Einfühlsamkeit Verständnis für ihre modernen Vorstellungen und die Zwänge des internationalen Wettbewerbs und die sich daraus ergebenden Bedrohungen, haben werden. So hat jetzt die CSU am 26. Januar 2015 im Parteivorstand einen Beschluss gefasst mit dem Titel: „Für ein modernes Streikrecht – Koalitionsfreiheit achten – Daseinsvorsorge sicherstellen“.

Und so wurde das Papier für die Presse zusammengefasst:

„Vor dem Hintergrund der jüngsten Streikbewegungen in Deutschland hat der CSU-Parteivorstand ein Positionspapier beschlossen, das unter Leitung des stv. Parteivorsitzende Peter Gauweiler entstanden ist. Kern des Papiers: Die CSU fordert, dass künftig obligatorische Schlichtungsverfahren eingeleitet werden, wenn Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge bestreikt werden sollen. Der CSU-Parteivorsitzende: ‚Wir wollen obligatorische Schlichtungsverfahren deshalb, weil Streiks im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge „ultima ratio“ sein sollten.“

Herausgegriffen sei noch dieser Satz:

„Um nicht gewollte und unverhältnismäßige Auswirkungen zu verhindern, ist auch das Streikrecht in Bezug auf die Daseinsvorsorge den Anforderungen einer vernetzten Lebenswirklichkeit anzupassen.“

Diese „vernetzte Lebenswirklichkeit“ hat es in sich, dazu muss man eigentlich den ganzen Beschluss lesen. Verbunden mit Vorschriften für eine Zwangsschlichtung, einer Ankündigungsfrist von vier Tagen, die Sicherstellung der Daseinsvorsorge „zuallererst“ für die „Bürger – und gerade die sozial Schwachen“ (!) und dem Insistieren auf Sicherstellungsgesetze entsteht eben jene Menge von Ausnahmen und Verpflichtungen, die die Gewerkschaften zu einem kaum zu bewältigenden Hürdenlauf zwingen.

Ein Hinweis auf die Entwicklung, die unter dem Schlagwort „Industrie 4.0“ bereits läuft. Man stelle sich diese neue „vernetzte Lebenswirklichkeit“, in der dann alles mit allem vernetzt ist, vor: Ist da noch Platz für Streiks? – Nur mal so provozierend gefragt.
Beachtung verdient in dem Beschluss auch diese Passage:

„Wir sprechen uns dafür aus, dass Tarifparteien vor einem Tarifkonflikt eine Notdienstvereinbarung treffen und einen konkreten Streikfahrplan vorlegen. Darin sollen Art und Umfang der im Rahmen eines Arbeitskampfs erforderlichen Notdienstarbeiten schriftlich festgelegt werden.“

Mal abgesehen davon, dass die Gewerkschaften schon immer Notdienstregeln vereinbart haben, wo dies aus ihrer Sicht erforderlich war. Dies zu einem Zwang zu machen mit der Bedingung einen „konkreten Streikfahrplan“ vorlegen zu müssen, bremst im Einzelfall die Wirksamkeit eines Streiks schon ganz erheblich.
Nicht weniger wichtig ist der nächste Absatz des Papiers:

„Der Staat ist verpflichtet, Leistungen der Daseinsvorsorge zu gewährleisten. Dieser Verpflichtung kommt der Staat mit einer Reihe von Sicherstellungsgesetzen, vom Arbeitssicherstellungsgesetz bis zum Telekommunikationssicherstellungsgesetz und nicht zuletzt durch Strafvorschriften zum Schutz öffentlichkeitswichtiger Betriebe, nach. Im Streikrecht indes klafft diesbezüglich eine Lücke. Diese Lücke muss geschlossen werden.“

Was kann das Schließen dieser „Lücke“ wohl bedeuten? Abgesehen, dass es sich hier nicht um eine „Lücke“ handelt, sondern um die Beachtung des Streikrechts: Das Schließen dieser „Lücke“ wäre letztlich ein Dammbruch, der das Wegspülen des Streikrechts beschleunigen würde.
Großzügiger Weise will die CSU die „Anpassungen im Schlichtungs- und Arbeitskampfrecht“ im „konstruktiven Dialog mit den Gewerkschaften und nicht gegen die Gewerkschaften vornehmen“.

Dieser letzte Absatz in dem CSU-Beschluss ist aber wohl weniger als technischer Verfahrenshinweis, eher schon als Wink mit dem Zaunpfahl zu verstehen:

„Das Schlichtungsrecht wie auch das Arbeitskampfrecht fallen in den Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung. Sie können daher durch Bundesgesetz geregelt werden, bei Nichtregelung seitens des Bundes auch durch Landesgesetz. Welche Sektoren zur Daseinsvorsorge und zu den kritischen Infrastrukturen gehören, ist im Wesentlichen unstreitig und bereits durch das Bundesministerium des Innern, das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik und das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe definiert.“

Verteidigungs-Strategie der Gewerkschaften

Man kann nur hoffen, dass die Gewerkschaften wach genug sind, sich nicht nur auf eine argumentative Verteidigungslinie zurückziehen, sondern auch durch ihr Handeln unterstreichen, dass sie das Streikrecht uneingeschränkt in Anspruch nehmen.

Je mehr der Staat die Arbeitsbedingungen und das Sozialsystem gestaltet und ganz erheblich die Koordinaten zugunsten der Unternehmen, der Reichen und der Spekulanten verschiebt, desto dringender wird, dass sich die Gewerkschaften eine Strategie ausdenken, die die grundlegenden Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verteidigen. Das beginnt mit dem selbstbewussten Gebrauch der Rechte, mit dem Aufklären darüber, dass ein Streikrecht, das den Namen verdient, zu den wichtigsten Stützpfeilern einer auf soziale Ausgewogenheit angelegte Demokratie zählt – dass es ohne Streikrecht keine Demokratie gibt. Je mehr diese Grundlagen in Zweifel gezogen, untergraben, erheblich beschädigt, gar unbenutzbar gemacht werden, desto dringender wird, dass sich die deutschen Gewerkschaften das erkämpfen, was in den meisten Ländern der EU eine selbstverständliche Option ist: der politische Streik. Das könnte auch ein Element für die Vereinheitlichung der Sozialstandards in der EU sein.


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