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Titel: Die Einführung von allgemeinen Studiengebühren ist ein Beispiel für einen gesellschaftspolitischen Paradigmenwechsel

Datum: 2. November 2005 um 17:16 Uhr
Rubrik: Chancengerechtigkeit, Hochschulen und Wissenschaft, Lobbyorganisationen und interessengebundene Wissenschaft, Veröffentlichungen der Herausgeber
Verantwortlich:

Dr. Wolfgang Lieb, Staatssekretär a.D., Mitherausgeber der NachDenkSeiten. Thesenpapier zur Anhörung im Plenarsaal des Landtags von Baden-Württemberg am 28. Oktober 2005, 10 – 13 Uhr.

I.

Die Einführung von Studiengebühren ist ein Beispiel für einen gesellschaftlichen Paradigmenwechsel auch auf dem Feld der Hochschulpolitik.

Seit den 60er Jahren bis über die Jahrhundertwende 2002 – also etwa dem Jahr der gesetzlichen Verankerung der „Studiengebührenfreiheit“ im HRG – gab es in Bund und Ländern eine große politische Mehrheit, die ein Studium als ein öffentliches, gemeinnütziges Gut behandelte, dessen Förderung ein allgemeines Anliegen ist und eine öffentliche Aufgabe zu sein hat.

Dieses Leitbild war ausgelöst durch den Sputnik-Schock Ende der 50er Jahre und kulminierend in Georg Pichts Alarmruf in seinem Buch „Die Bildungskatastrophe“ über vier Dekaden zu einem stabilen gesellschaftlichen Konsens geworden, der von allen Parteien, den Hochschulen, der KMK, dem Bundesverfassungsgericht, ja sogar von den Wirtschaftsverbänden getragen wurde.

In einem historisch einmaligen Schub, wurden in den 70er und 80er Jahren Hochschulen ausgebaut und Ausbildungsreformen angestoßen. Mit massiver Bildungswerbung wurden einerseits die Ausbildungsförderung (das Bafög) eingeführt und andererseits Bildungsbarrieren wie Hörer- oder Kolleggelder abgeschafft.

Beginnend mit dem „Scheidungsbrief“ des Grafen Lambsdorff und der Aufkündigung der sozial-liberalen Koalition 1982 setzte sich ein von der neoklassischen, angebotsorientierten ökonomischen Lehre geprägtes zunächst nur auf die Wirtschaft bezogenes, mehr und mehr aber auch die Politik und die Öffentliche Meinung beeinflussendes „libertäres“ (Thomas Meyer) gesellschaftliches Leitbild durch.
Angestoßen von den Wirtschaftsverbänden und ihrer Lobbyorganisation auf dem Feld der Wissenschaft – dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft – beraten u.a. vom Bertelsmann Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) setzte sich eine ökonomische, genauer müsste man sagen, eine betriebswirtschaftliche Betrachtungsweise eines Studium durch:

Wissenschaftliche Qualifizierung wurde nicht mehr überwiegend als Fundament für die technologische Innovation und Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft und als Element des wissenschaftlichen Fortschritts und der demokratischen Teilhabe und der kulturellen Entwicklung der Gesellschaft verstanden, sondern als eine private Investition in die persönliche Zukunft, die später durch eine höheres berufliches Einkommen eine individuelle Rendite abwirft.

II.

Gegen Studiengebühren sprechen ökonomische, soziale und rechtspolitische Argumente.
Ich kann mir ersparen, auf viele der kritischen Argumente im einzelnen einzugehen und verweise dazu ausdrücklich auf das hervorragende Argumentationspapier des Arbeitskreises VIII „Wissenschaft, Forschung und Kunst“ der SPD-Landtagsfraktion, das ihnen hoffentlich vorliegt.

Ich beziehe mich ausdrücklich darauf und versuche mich auf solche Argumente zu beschränken, die dort nicht weiter ausgeführt wurden bzw. ich bemühe mich, auf den Fragekatalog einzugehen, den mir Helmut Seidel im Auftrag von Claus Wichmann für diese Anhörung hat zukommen lassen.

Welches Staatsverständnis und welches Gesellschaftsbild steckt hinter diesem Paradigmenwechsel?

Vor allem im Bereich der Bildung hatte sich ab den 60gern eine historisch glückliche Konstellation zusammen gefunden, zwischen

  1. Vertretern eines aktiven liberalen Bürgerrechts auf Bildung (Hildegard Hamm-Brücher),
  2. des sozialdemokratischen Denkansatzes der Verwirklichung von politischen, sozialen und wirtschaftlichen Grund- und Teilhaberechte („Mehr Demokratie wagen“ und „Mehr Chancengleichheit schaffen“) und
  3. des technokratisch ökonomischen Drängens auf eine Verbesserung des gesellschaftlichen Forschungs- und Technologiepotentials nebst einer besseren Qualifizierung des „Humankapitals“.

Daraus erwuchs das Konzept der Bildungsförderung und eines freien und chancengleichen Zugangs zum Studium. Ein Studium war vom Staat zu fördern und zu gewährleisten war, wie es das BverfG formulierte.

Seit dem Bruch der sozial-liberalen Koalition und der Wende der FDP zur CDU und zunehmend in den letzten Jahren verstärkt haben eher die Kräfte einer „libertären Demokratie“ unser öffentliches und politisches Gesellschaftsbild geprägt.

Bundespräsident Horst Köhler hat in seiner Rede vor dem Arbeitgeberforum am 15. März dieses Jahres in Berlin, diese neue „Ordnung der Freiheit“ trefflich zusammengefasst:

Privateigentum, Wettbewerb und offene Märkte, freie Preisbildung und ein stabiles Geldwesen, eine Sicherung vor den großen Lebensrisiken für jeden und Haftung aller für ihr Tun und Lassen.“

Von Sozialstaat, sozialer Gerechtigkeit, von Teilhabe, von Mitbestimmung, von Chancengleichheit oder von „sozialer Marktwirtschaft“ oder von „Wohlstand für alle“ – wie noch bei Ludwig Ehrhardt – ist in Köhlers „Ordnung der Freiheit“ nicht die Rede.

In politisches Alltagsvokabular übersetzt, heißt das:

  • Mehr Markt statt mehr Staat, gepaart mit der Forderung nach Zurückdrängung staatlicher Aufgabenwahrnehmung. („Starve the biest“)
  • Als Hebel dazu, die Forderung nach Steuersenkungen zur Senkung der Staatsquote,
  • Konsolidierung des abgesenkten Staatshaushaltes durch Privatisierung von Leistungen der Daseinsvorsorge und Abbau der staatlich garantierten sozialen Sicherungssysteme und deren Übertragung in mehr „Eigenverantwortung“ als private Risikovorsorge.
  • Abbau demokratischer Lenkungsmechanismen, unter dem Stichwort „Deregulierung“ zugunsten einer Steuerung durch den Markt und nach den Effizienzkriterien des Wettbewerbs.

Übertragen auf das Hochschulwesen heißt das:

Weniger staatliche oder weniger bürokratische Steuerung und weniger demokratische Mitbestimmung zugunsten von mehr „Autonomie“, mehr Wettbewerb zur Steigerung der betriebswirtschaftlichen Effizienz, mehr private statt mehr staatliche Finanzierung.

Heruntergebrochen auf das Studium fordert dieses Leitbild:

  • Höherer privater Anteil an der Finanzierung der Hochschulen.
  • Dadurch entstehe ein „nachfrage- und preisorientierter Steuerungseffekt“ auf die Hochschulen. „Der Kunde wird König“.
  • Studiengebühren schafften mehr Wettbewerb unter den Hochschulen und verbesserten dadurch die Qualität des Studienangebots.
  • Die höhere Kostenbeteiligung der Studierenden führe zu „effizienterem Studierverhalten und damit zu kürzeren Studienzeiten“ (So etwa auch die Begründung des Gesetzentwurfes der hiesigen Landesregierung)

Als soziale Rückbindung und um sich nicht den Vorwurf eines Verstoßes gegen die Chancengerechtigkeit einzuhandeln, soll die Gebühr natürlich „sozial verträglich“ sein.

Erlauben Sie mir eine kleine Zwischenbemerkung zu dieser „Verträglichkeitsrhetorik“ (van den Daele, 1993):
Wenn derzeit von 100 Kindern hoher sozialer Herkunft, 84 der Übergang in die gymnasiale Oberstufe und 72 die Aufnahme eines Studiums gelingt, von 100 Kindern unterer sozialen Herkunft aber nur 33 der Übergang in eine weiterführende Schule und nur noch 8 von 100 die Überwindung der Schwelle zum Studium gelingt (DSW Sozialerhebung), dann ist das schon heute weder volkswirtschaftlich vertretbar noch sozial verträglich, sondern ein „sozial unerträglicher“ bildungspolitischer Skandal. Dem man mit aktiven Maßnahmen entgegensteuern müsste.

III.

Die Einführung von Studiengebühren ist eine symbolträchtige gesellschaftspolitische Entscheidung.

Mit der Einführung der Studiengebühr erfolgt ein weiterer Schritt hin zu einer eher libertären Staats- und Gesellschaftswirklichkeit.

Eine Abwägung zwischen libertärem und wohlfahrtsstaatlichem Gesellschaftsmodell – wie im Fragekatalog erwünscht – würde meinen Zeitrahmen bei weitem sprengen, deshalb will mich auf die ganz konkrete Frage beschränken:

Ist die ökonomische Betrachtungsweise eines Studiums und die Funktion, die dabei Studiengebühren zugeschrieben wird, in sich schlüssig und zielführend?

Man könnte sich zuerst einmal trefflich darüber streiten, ob Hochschulen „Wirtschaftsbetriebe“ sind oder sein sollten, und ob ein Studium ein verkäufliches Gut darstellt.
Man könnte auch danach Fragen, ob es nicht gerade bei Gütern der Daseinsvorsorge ein eklatantes Marktversagen gibt? Wie man das etwa in England nach der Privatisierung der Bahn praktisch erlebt hat.

Aber solche unter ausländischen Ökonomen durchaus heftig diskutierten Fragen sind in Deutschland gegenwärtig nicht opportun. Im Hochschulbereich werden sie schlicht mit dem Hinweis zurückgewiesen, dass es in den USA – unter 3000 teilweise sehr schlechten – ein paar Dutzend Hochschulen gibt, die angeblich besser sind als die unsrigen.

Also fragen wir noch enger nach den immer wieder behaupteten positiven ökonomischen Effekten der Einführung von Studiengebühren.

Meine These ist:
Die ökonomischen Begründungen der Studiengebühr sind ziemlich weit hergeholt oder schlicht falsch oder einfach nur ideologisch.

Die ökonomischen Steuerungseffekte der Studiengebühr sind höchst problematisch.
Die Studiengebühr

  • führt a) zu einer Nachfragesenkung nach dem Gut „Studium,
  • es besteht b) die Gefahr einer Fehlsteuerung des Studienangebots der Hochschulen,
  • und es entsteht c) das Risiko einer Fehlsteuerung der Studienwahl
  1. Über ein grundlegendes ökonomisches Gesetz wird im Zusammenhang mit der Studiengebühr merkwürdigerweise recht selten gesprochen:
    Nämlich dass eine Erhöhung des Preises für eine Ware, tendenziell die Nachfrage nach ihr senkt.

    Studiengebühren erhöhen, neben den derzeit schon hohen direkten und Opportunitäts-Kosten den „Preis“ für ein Studium und senken damit schon nach ökonomischer Grundlogik die Nachfrage nach einer wissenschaftlichen Ausbildung.
    Nach einer Umfrage des Hochschul-Informations-Systems (HIS) sagen schon heute 22 % derjenigen, die sich gegen ein Studium entschieden haben, sie könnten sich Studiengebühren nicht leisten. Die drohenden Gebühren könnten auch der Grund sein, warum im vergangenen Wintersemester die Zahl der Studienanfänger erstmals gesunken ist und zwar deutlich um 5,5%.

    Nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes kostet ein Studierender den Staat im Durchschnitt 7.170 €. Ungefähr genauso viel, nämlich 7.200 €, muss jeder Studierende im Durchschnitt privat für seinen Lebensunterhalt aufbringen. Gerechterweise müsste man als privaten Aufwand auch noch das entgangene Einkommen während des Studiums als private Kosten hinzurechnen. Ein Studium ist also keineswegs – wie immer wieder so getan wird – kostenlos.

    Welche Barriere die privaten Kosten für die Aufnahme eines Studiums darstellen können, kann man aus der historischen Entwicklung ablesen, dass sich seit der Verbesserung des Bafögs durch die Bundesregierung im Jahre 1999 der Anteil der Studierenden pro Jahrgang bis heute von 27,7 auf 35,7% erhöht hat.

    Deutschland liegt beim Anteil der Bevölkerung zwischen 24 – 35 Jahren, der einen tertiären Abschluss erreicht hat auf Platz 20 unter den von der OECD verglichenen 29 Staaten. Angesichts zurückgehender Jahrgangsstärken, kann schon in absehbarer Zeit vor allem im naturwissenschaftlichen Bereich nicht einmal mehr der Ersatzbedarf an wissenschaftlich Qualifizierten befriedigt werden.
    Alle volkswirtschaftlichen Analysen vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) bis zur internationalen OECD sind sich einig:

    Wir brauchen mehr Studierende!

    Wer es ernst meint mit dieser Forderung, darf den Zugang zum Studium nicht erschweren.

    Als damals Georg Picht die „Bildungskatastrophe“ ausrief hat man alle Bildungsbarrieren weggerissen. Obwohl seit Jahren wieder ein allgemeines Wehklagen über Quantität und Qualität unseres Bildungswesens herrscht, werden anders als in den 60/70er Jahren heute zusätzliche Barrieren für ein Hochschulstudium aufgerichtet.

    Studiengebühren belasten den Aufbau des in Deutschland im internationalen Vergleich ohnehin ungenügend entwickelten „Humankapitals“ und sind insoweit ein Produktivitätshemmnis und eine Innovations- und Wachstumsbremse – das sagt die wirtschaftsnahe OECD. Doch darum kümmern sich unsere betriebswirtschaftlich denkenden Politiker nicht.

    Wer meint, dass die sog. „nachgelagerte Gebühr“ – also die Rückzahlung eines Kredites nach dem Studium – die Geldbarriere wegnähme, sollte sich daran erinnern, dass in der Regierungszeit Kohl das Bafög auf Darlehen umgestellt wurde, das führte von 1982 –2000 zu einem Rückgang des Anteils der Studierenden aus „bildungsfernen Schichten“ von 23 auf 13%.

    Wer meint Studiengebühren wirkten studienzeitverkürzend, der sollte sich vor Augen halten, dass schon derzeit 67% aller Studierenden neben ihrem Studium einer Erwerbsarbeit nachgehen müssen. Studiengebühren zwingen noch mehr Studierende zu noch längerer Erwerbsarbeit neben dem Studium und wirken dadurch eher studienzeitverlängernd.

    Wenn Hochschullehrer meinen, Studiengebühren könnten zu einer echten Verbesserung der Finanzausstattung ihrer Hochschulen führen, dann sollten sie angesichts der Spar- und Kürzungspolitik erst einmal fragen, welche Garantien sie haben, dass ihnen nicht von staatlicher Seite wieder einkassiert wird, was sie über Gebühren zusätzlich einnehmen.
    Die Unis müssten ferner gegenrechnen, welchen Personal- und Verwaltungsaufwand sie haben werden, um die Gebühren einzuziehen und zu prüfen welche Studierende sie von Gebühren aus sozialen Gründen befreien müssten und welche finanziellen Risiken sie bei der späteren Eintreibung der Kredite und für den 20%-gen Ausfallfond eingehen. All das in Kenntnis, dass Gebühren nur einen geringen Beitrag zur Finanzierung der Hochschulen leisten (man rechnet mit höchstens 7%).

    Wo Gebühren neu eingeführt worden sind, etwa in England, Österreich, Schweiz haben sie nicht zur einer Verbesserung der Studiensituation geführt.
    Studiengebühren werden wie eine „Droge“ wirken: einmal eingeführt, werden sie laufend und teilweise drastisch erhöht, das konnte man in England, in der Schweiz oder in Australien beobachten.

    Der Anteil der Studiengebühren am Hochschulhaushalt hält sich in engen Grenzen, die Nachfragemacht des Staates über das Geld wäre um ein Vielfaches größer.
    Wenn man wirklich einen Steuerungseffekt auf die Hochschulen erzielen wollte, ihre Lehrangebote zu verbessern, warum führt man dann nicht mit dem gleichen Engagement, wie bei der Einführung von Gebühren, eine Debatte über eine vernünftige leistungsbezogene Mittelverteilung.

    Jedenfalls, wer wirklich eine Steuerung über Geld will, sollte seine Kraft und seine intellektuellen Bemühungen dort ansetzen, wo wirklich Geld fließt und keine Nebenkriegsschauplätze mit der Einführung einer allenfalls gering sprudelnden Geldquelle wie der Studiengebühr eröffnen.

    Nebenbei bemerkt: Wenn man schon auf eine Nachfragesteuerung setzen wollte, so könnte man das etwa mit dem Studienkontenmodell mindestens genauso gut erreichen, wie mit Gebühren.

  2. Studiengebühren dürften nicht zu dem behaupteten nachfrageorientierten Qualitätswettbewerb unter den Hochschulen führen, sondern eher zu einer Fehlsteuerung des Hochschulsystems und der wissenschaftlichen Ausbildung.

    Studiengebühren verzerren den Wettbewerb zwischen den Hochschulen noch stärker zugunsten großer Hochschulen in Ballungsräumen und zugunsten von Hochschulen, die auf Grund der Attraktivität der Städte einen Standortvorteil haben. Wie sollten Hochschulen mit weniger Studierenden und damit geringeren Studiengebühreneinnahmen wie etwa Ulm mit den großen Unis in Heidelberg, Köln, München oder Berlin mithalten können.

    Studiengebühren werden somit zu einer Hierarchisierung der Hochschullandschaft mit unterschiedlicher Qualität führen. Deutschland hat aber – international anerkannt – seine besondere Stärke in der Breite der wissenschaftlichen Ausbildung bei hoher Qualität.

    Wird der Kunde Student wirklich König?
    Wie wenig die Anhänger eines nachfrageorientierten Steuerungseffekts ihren Annahmen wirklich trauen, zeigt sich am deutlichsten darin, dass die allermeisten unter ihnen, die Forderung nach einer Studiengebühr mit einem Auswahlrecht der Hochschule verknüpfen. Das Grundprinzip der Nachfrage- Angebotssteuerung, nämlich der freie Marktzugang, wird also gleich wieder außer Kraft gesetzt.

    Da zittert also offenbar die „invisible hand“: Nichts ist`s mit dem freien Marktzugang, nichts ist`s mit dem König Kunden. Der Anbieter sucht sich seine ihm passenden Kunden aus.
    Wer steuert da wen, der Kunde den Anbieter oder der Anbieter den Kunden?

  3. Studiengebühren dürften zu einer Fehlsteuerung der Ausbildungsangebot und damit der Wissenschaft insgesamt hin zu solchen Studien und Wissenschaftsdisziplinen führen, die viel nachgefragt werden, weil sie sich „auszahlen“, also einen hohen und schnellen „return on investment“ erwarten lassen.
    Die Hochschulen werden möglichst viele „billige“ Studiengänge anbieten. Die Tendenz zeigt sich in der Realität der privaten Hochschulen in Deutschland.

    Studiengebühren beeinflussen die Studienmotivation: Die Bereitschaft materielle Kosten zu tragen bzw. die Fachwahl nach möglichst geringer Verschuldung oder geringem beruflichem Risiko wird immer wichtiger als eine Studienwahl nach Leistung und fachlichem Interesse und vor allem auch persönlicher Neigung.

    Bei unterschiedlicher Höhe der Studiengebühren für verschieden teure Fächer (Modell des hessischen Ministerpräsidenten Koch) käme es sogar noch zu einer sozialen Selektion nach Fächern oder nach dem Renommee von Hochschulen bzw. zwischen FH und Uni. Nur Studierende reicher Eltern könnten sich tendenziell noch Medizin oder Ingenieurwissenschaften leisten, für die Kinder der Ärmeren bleibt Sozialarbeit oder allenfalls das Lehramt.

    Studiengebühren kündigen an einer weitere Stelle den Generationenvertrag auf.
    Es ist schon merkwürdig, dass gerade die Gewinner der Bildungsexpansion seit den 70er Jahren bei der Nachfolgegeneration abkassieren wollen. Da wäre eine Akademikersteuer viel gerechter und im übrigen viel einfacher und mit weniger Verwaltungsaufwand und damit billiger einzuführen.
    Studiengebühren, bedeuten wie die Kopfpauschale einen weiteren Schritt in den Gebührenstaat, wo jeder das gleiche bezahlt, wenn er es sich denn leisten kann. Die soziale Ausgleichsfunktion des leistungsbezogenen Steuersystems wird mehr und mehr ausgehebelt.

    Nun wird vielfach behauptet, die Krankenschwester bezahle das Studium des Chefarztes mit. Wenn das so wäre, dann ist das allenfalls Ausdruck der Ungerechtigkeit unseres Steuersystems. Das Argument wird um so unglaubwürdiger, wenn es von denjenigen vorgetragen wird, die Studiengebühren einführen wollen und gleichzeitig die Senkung der Spitzensteuersätze propagieren.

    Von den Befürwortern der Studiengebühr wird immer wieder behauptet eine „nachgelagerte Gebühr“, d.h. eine Studiengebühr auf Kredit wäre „sozialverträglich“.

    Warum sollte aber Schuldenmachen für diejenigen, die die Gebühr nicht „cash“ bezahlen können, sozial verträglich sein? Seit wann ist es sozial verträglich, wenn jemand für den Kauf eines Autos einen Kredit aufnehmen muss, während der Wohlhabende bar zahlen kann?
    Nach gegenwärtigen Berechnungen könnte die Kreditschuld doppelt so hoch liegen, wie wenn bar bezahlt würde, nämlich bis zu 11.000 Euro. Der Ärmere zahlt also das Doppelte!
    Die „nachgelagerte Gebühr“ schreibt die Benachteiligung der Studierenden aus niedrigen Einkommensverhältnissen und aus Familien mit Kindern als Start- und Einkommensnachteil in die Berufsphase fort. Wer reiche Eltern hat, startet ohne Hypothek.
    Sie benachteiligt Frauen stärker als Männer, weil die Rückzahlungsverpflichtungen vor dem Hintergrund nach wie vor schlechterer Einkommenserwartungen oder der Unterbrechung der Erwerbstätigkeit einen höheren Abschreckungseffekt haben (eine schlechtere Bildungsrendite erwarten lassen) als bei Männern.
    Sie sind kinderfeindlich, weil sie vor allem bei Frauen dazu führen, dass wegen der Rückzahlungsverpflichtungen der Kinderwunsch vermutlich noch weiter zurückgestellt wird, als das ohnehin bei Akademikerinnen der Fall ist.

    Als Zuckerbrot wird immer wieder darauf hingewiesen, dass soziale Benachteiligungen durch Stipendien ausgeglichen werden müssten.
    Doch wo sind die Stipendienmodelle?
    Müssen in Baden-Württemberg künftig nicht sogar noch die Bafög-Empfänger bezahlen?

    In Finnland oder Schweden, Länder, die sowohl bei den internationalen Bildungsvergleichen, aber auch bei der ökonomischen Entwicklung immer gern als Vorbild herangezogen werden, studieren 70 % eines Altersjahrgangs, dort gibt es nicht nur keine Studiengebühren sondern sogar – wie bei uns bei den Auszubildenden im dualen System – noch für jeden Studierenden eine elternunabhängige Studienförderung.
    Wollen wir in Deutschland also noch weiter zurückfallen –
    nur weil wir weniger für Bildung leisten, als wir uns leisten können?


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