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Titel: Operation geglückt, Europa tot

Datum: 29. Juni 2015 um 9:36 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Erosion der Demokratie, Euro und Eurokrise, Europäische Union, Wahlen
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Wenn dieses Wochenende uns eins gelehrt hat, dann ist es folgendes: Wer es wagt, das neoliberale Dogma auch nur zu hinterfragen, wird gnadenlos von seinen europäischen „Partnern“ an die Wand gestellt. Europa spielt bereits den „Grexit“ durch und es besteht kaum ein Zweifel daran, dass die „Institutionen“ ein Exempel statuieren wollen, um die linke griechische Regierung zu entfernen. Schon wird ein „Plan B“ ins Spiel gebracht – der Staatsbankrott und anschließende Ausschluss Griechenlands aus der Eurozone. Doch um was geht es bei diesem Plan B konkret? Ist er noch abzuwenden oder dient er vor allem als ultimatives Druckmitteln, um das Referendum im Sinne des neoliberalen Europas zu verschieben. Wie dem auch sei, der Schaden, den die Finanzminister der Eurozone angerichtet haben, ist gigantisch. Der europäische Gedanke ist tot, Europa ist tot. Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Syriza hatte nie eine echte Chance. Die linke griechische Regierung wurde vom Volk gewählt, um mit der Vetternwirtschaft der Vorgängerregierungen aufzuräumen und einen Weg zu finden, das Land aus der Krise zu führen. Jeder – auch die Herren Schäuble und Dijsselbloem – weiß, dass dies mit einer Fortführung oder gar Verschärfung der Sparmaßnahmen nicht möglich ist. Daher konnte Syriza die Forderungen der Gläubiger nicht annehmen, ohne sich selbst unglaubwürdig zu machen und dabei auch noch das Land zu ruinieren. Das Ziel der Gläubiger war und ist „den linken Spuk“ zu beenden, so dass in Spanien, Portugal oder sonst wo auch ja niemand nur auf die Idee kommt, eine linke Regierung zu wählen, die nicht nur die Austeritätspolitik, sondern gleich den ganzen Neoliberalismus hinterfragt. Denn wer weiß – hätten diese linken Regierungen Erfolg, könnte dies das Dogma der Alternativlosigkeit auch anderswo erschüttern und daran können die Herren und Damen der Alternativlosigkeit natürlich kein Interesse haben.

Plan B? Welcher Plan B?

Mit seiner Ankündigung eines Referendums hat Alexis Tsipras – so gut die Idee auch gemeint war und so berechtigt seine Forderungen sind – sein eigenes Todesurteil abgenickt. Die Finanzminister der Eurogruppe interpretierten die Ankündigung bar jeder Logik zu einem Scheitern der Gespräche und kündigten an, nun von Plan A auf Plan B umzuschalten. Als Plan B wird in Brüsseler Kreisen die Vorbereitung des griechischen Staatsbankrotts und der Ausschluss Griechenlands aus der Eurozone bezeichnet. Wie dieser Plan B aussehen soll, ist jedoch vollkommen unbekannt und dass er noch vor dem Referendum in Kraft gesetzt wird, ist mehr als unwahrscheinlich. Schließlich haben die Finanzminister zumindest in der nächsten Woche überhaupt keine Handhabe, einen Staatsbankrott zu erklären oder gar Griechenland aus dem Euro zu werfen. Die entscheidenden Akteure bis zum Referendum sind vielmehr der IWF und vor allem die EZB und die ist ja – so zumindest die Definition – politisch unabhängig.

Am Dienstag – bzw. am Mittwochmorgen – müsste Griechenland beim IWF eine Kreditrate in Höhe von 1,5 Milliarden Euro tilgen. Dieses Geld hat Griechenland „dank“ der Weigerung der „Institutionen“, neue Auszahlungen aus dem „Hilfspaket“ zu bewilligen, offensichtlich nicht. Einzig und allein die EZB könnte dies jetzt noch ändern, indem sie den griechischen Banken gestattet, ihrer Regierung einen kurzfristigen Kredit in dieser Höhe zu geben. Dies ist jedoch eher unwahrscheinlich. Wenn der IWF am Mittwochmorgen feststellt, dass die Rate nicht bezahlt wurde, passiert noch nichts. Erst wenn IWF-Direktorin Christine Lagarde dem IWF-Gouverneursrat meldet, dass keine Zahlung aus Athen eingegangen ist, löst dies, wie es finanzjuristisch korrekt heißt, ein Kreditereignis aus. Sie hat jedoch laut IWF-Statut einen Ermessensspielraum von dreißig Tagen, bis sie diese Meldung abgibt. Sie kann also ohne Probleme das Referendum und die politischen Reaktionen darauf abwarten.

Automatismen sind nicht vorgesehen

Wenn in den Medien und der Politik immer wieder von einem Staatsbankrott oder einer Pleite die Rede ist, so ist dies fürchterlich ungenau. Selbst wenn der IWF ein Kreditereignis auslöst, hat dies erst einmal gar nichts zu bedeuten. Der IWF müsste dann lediglich Griechenland zu Konsultationen auffordern, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Die EU-Kommission und die EZB können, müssen dies aber nicht als Vorlage nehmen, um ihrerseits ein Kreditereignis auszulösen. Es gibt also keinen Mechanismus, der besagt, dass Griechenland unweigerlich den Staatsbankrott erklären müsste, wenn es am Mittwochmorgen die IWF-Rate nicht überweist. Christine Lagarde hat dreißig Tage Zeit, die EU-Kommission und die EZB könnten die nicht gezahlte Rate komplett ignorieren, wenn sie dies denn wünschen.

Und hier bekommt die ganze Sache den entscheidenden Drive: Wenn die Griechen am nächsten Sonntag „für“ die Annahme der Forderungen der Institutionen stimmen, ist sehr wohl eine Wideraufnahme der Verhandlungen möglich. Wahrscheinlich wird dies von den Regierungen der Eurogruppe und der griechischen Opposition auch so kommuniziert werden. Es wird dann heißen: Griechenland stimmt ab, ob es im Euro bleiben will. Und eine Mehrheit der Griechen will im Euro bleiben. Alexis Tsipras hat seine Mitbürger aber explizit aufgefordert, „gegen“ die Annahme der Forderungen zu stimmen. Und es ist davon auszugehen, dass die Eurogruppe tatsächlich ihren „Plan B“ verabschiedet, wenn die Griechen die Forderungen ablehnen und ihrer Regierung den Rücken stärken. Was passiert aber, wenn die Griechen unter diesem gigantischen Druck von außen einknicken, und „für“ eine Annahme der Forderungen stimmen? Dann müsste Alexis Tsipras wohl oder übel Neuwahlen ausrufen. Und sollte er sich weigern, werden die „Institutionen“ Neuwahlen als Voraussetzung für eine Wiederaufnahme der Verhandlungen bestimmen.

Eine Wahl, die keine ist

Die Griechen haben also folgende Wahl: Entweder sie stimmen „für“ die Annahme, dann kann die linke Syriza-Regierung als gescheitert angesehen werden, es wird Neuwahlen geben und die Austeritätspolitik wird fortgesetzt, wobei man je nach Wahlergebnis vielleicht sogar ein paar „Zuckerle“ verteilt. Oder sie stimmen „gegen“ die Annahme, dann wird „Plan B“ ausgelöst und Griechenland fliegt aus dem Euro und wird einer politischen wie wirtschaftlichen Krise epochalen Ausmaßes entgegenblicken, die dann nicht den eigentlichen Verantwortlichen in Brüssel und Berlin, sondern Syriza angehängt wird.

Wie könnte dieser Plan B denn aussehen? Nach den Verträgen von Maastricht kann man kein Land aus dem Euro werfen. Man kann Griechenland jedoch zwingen, den Euro zu verlassen. Sobald die EZB ihre ELA-Kredite einstellt, ist das griechische Bankensystem ausgetrocknet und de facto insolvent. Natürlich könnte Griechenland – so wie dies einige wenige Entwicklungsländer praktizieren – weiterhin den Euro als offizielle Währung behalten, ohne Banken wird dies jedoch für ein Industrieland unmöglich. Die Schaffung einer neuen Währung wäre der einzig gangbare Weg aus dieser Misere.

Mit dem Grexit fangen die Probleme jedoch erst an. Ein Staatsbankrott besagt ja nicht, dass der betreffende Staat seine Schulden danach los ist. Es kommt auf den Schuldenschnitt (Haircut) an. Selbst wenn die Gläubiger nun die Hälfte der Schulden abschreiben, ändert sich bezüglich der relativen Verschuldung für den griechischen Staat aber gar nichts, wenn die neue Währung um 50% abwertet. Der griechische Staat würde dann „Neue Drachmen“ über Steuern, Abgaben und Zölle einnehmen, müsste seine Schulden aber in Euro zurückzahlen. Sollte die „Neue Drachme“ um 50% abwerten, verdoppelt sich damit der relative Wert der Schulden. Und das betrifft nicht nur den Staat. Sämtliche Haushalte und Unternehmen, die offene Kredite im Ausland haben, werden mit dem Tag der Währungsumstellung relativ doppelt so hohe Schulden haben, da die Kredite ja weiterhin in Euro laufen, die Haushalte und Unternehmen (sofern sie nicht exportieren) aber nur „Neue Drachmen“ einnehmen. Der Staatsbankrott wäre nur der Anfang. Eine ganz Kaskade von Privat- und Unternehmensinsolvenzen wäre die Folge. Das ehemals wohlhabende Industrieland könnte dann als Schwellenland wieder neu anfangen. Eine solche Entwicklung hat es historisch in Friedenszeiten noch nie gegeben.

Eine echte Alternative haben die Griechen also nicht. Was Europa hier betreibt, ist eine Erpressung, wie es sie noch nie gegeben hat. Ein ohnehin schon gedemütigtes Volk hinterfragt das neoliberale Dogma und wird dafür gnadenlos bestraft. Demokratie, Solidarität, friedliches Zusammenleben, Fortschritt, Wohlstand – all dies waren die Säulen, auf denen ein gemeinsames Europa ursprünglich errichtet wurde. Sämtliche dieser Säulen gelten im modernen Europa nichts mehr. Europa ist tot.


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